Zusammenfassung
Die in jüngster Zeit sichtbaren Veränderungen des Parteiensystems setzen Parteien nicht nur unter elektoralen Druck. Vielmehr führen zunehmende Fragmentierung und fehlende Mehrheiten für tradierte Koalitionsmuster dazu, dass neue Koalitionen gesucht, verhandelt und durchgesetzt werden müssen. Ebendiese parteiinterne Durchsetzung neuer Koalitionsmuster ist eine zentrale Herausforderung für Parteien. Der Beitrag untersucht am Beispiel der Grünen, wie innerparteiliche Mehrheiten für neue Koalitionsformate gewonnen werden. Theoretisch wird dabei auf den in der Parteienforschung bislang kaum verwendeten mikropolitischen Erklärungsansatz zurückgegriffen. So kann gezeigt werden, dass organisatorische Spezifika der Grünen keine Rolle (mehr) bei der Durchsetzung neuer Koalitionsformate spielen – vielmehr sind neben einer frühzeitigen Vorbereitung neuer Koalitionsoptionen einzelne Spitzenpolitiker und innerparteiliche Beteiligungsprozesse entscheidend.
Der Text ist eine Kurzfassung der ausführlicheren Analyse in Switek (2015).
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Similar content being viewed by others
Notes
- 1.
Bis Ende 2016 sind sieben weitere Fälle hinzugekommen: Die Landesregierung aus CDU und Grünen in Hessen nach der Wahl 2013, die Sondierungen von CDU und Grünen nach der sächsischen Landtagswahl 2014, das 2014 in Thüringen geschlossene Bündnis aus Linkspartei, SPD und Grünen sowie die bereits in der Einleitung erwähnten Koalitionen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt nach den Landtagswahlen im März 2016. Schließlich bildete sich im September 2016 in Berlin ein Regierungsbündnis aus SPD, Linkspartei und Grünen.
- 2.
In Baden-Württemberg steht zwar in der Präambel „Wir wollen diese Politik, wie sie von CDU und FDP im Land betrieben wird, beenden. Die Landesregierung muss abgelöst werden“ (Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg 2006, S. 5). ansonsten aber werden die Regierungsparteien so gut wie nicht erwähnt. In Nordrhein-Westfalen hingegen zog sich Kritik an „Schwarz-Gelb“ durch das gesamte Programm. Eine radikale Abgrenzung nahmen die hessischen Grünen vor: „Die mit absoluter Mehrheit regierende CDU bedrückt die Menschen in Hessen durch rücksichtslose Machtausübung und das Ziel, obrigkeitliche Autorität der Vergangenheit wieder aufleben zu lassen“ (Bündnis 90/Die Grünen Hessen 2007, S. 1).
- 3.
Neben dem misstrauisch beäugten Wildern in grünen Kompetenzfeldern monierte man vor allem, dass die SPD durch ihr fehlendes industriepolitisches Profil das klassische sozialdemokratische Wählerpotenzial vernachlässigte: „Wir haben gesagt, Andrea Ypsilanti soll, anstatt auf Windräder zu klettern, nach Baunatal zu den VW-Mitarbeitern gehen und sagen, liebe Leute, ihr müsst mich wählen“ (Schulz-Asche 2013).
Literatur
Bäck, Hanna. 2008. Intra-party politics and coalition formation: Evidence from Swedish local government. Party Politics 14:71–89.
Beller, Dennis, und Frank Belloni. 1978. Party and faction: Modes of political competition. In Faction politics: Political parties and factionalism in comparative perspective, Hrsg. Frank Belloni und Dennis Beller, 417–450. Santa Barbara: ABC-Clio.
Best, Volker. 2015. Koalitionssignale bei Landtagswahlen. Eine empirische Analyse von 1990 bis 2012. Baden-Baden: Nomos.
Blatter, Joachim K., Frank Janning, und Claudius Wagemann. 2007. Qualitative Politikanalyse: Eine Einführung in Forschungsansätze und Methoden. Wiesbaden: VS Verlag.
Bogumil, Jörg, und Josef Schmid. 2001. Politik in Organisationen: Organisationstheoretische Ansätze und praxisbezogene Anwendungsbeispiele. Opladen: Leske + Budrich.
Bohnsack, Klaus. 1976. Bildung von Regierungskoalitionen, dargestellt am Beispiel der Koalitionsentscheidung der F.D.P. von 1969. Zeitschrift für Parlamentsfragen 7:400–425.
Bräuninger, Thomas, und Marc Debus. 2012. Parteienwettbewerb in den deutschen Bundesländern. Wiesbaden: VS Verlag.
Breary, Patricia. 1989. City coalitions in West Germany: A case study. In Political parties and coalitions in European local government, Hrsg. Colin Mellors, 275–300. London: Routledge.
Bukow, Sebastian. 2013. Die professionalisierte Mitgliederpartei. Politische Parteien zwischen institutionellen Erwartungen und organisationaler Wirklichkeit. Wiesbaden: VS Verlag.
Bukow, Sebastian, und Stephan Rammelt. 2003. Parteimanagement vor neuen Herausforderungen. Die Notwendigkeit strategischer Steuerung sowie Anforderungen an parteiinterne Organisation und externe Kommunikation für moderne (Regierungs-)Parteien am Beispiel der Grünen. Münster: LIT.
Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg. 2006. Jetzt aber Grün! Das Programm für Baden-Württemberg.
Bündnis 90/Die Grünen Hessen. 2007. AN MORGEN DENKEN. Landtagswahlprogramm 2008.
Burns, Tom. 1961. Micropolitics: Mechanisms of institutional change. Administrative Science Quarterly 6:257–281.
Crozier, Michel, und Erhard Friedberg. 1993. Die Zwänge kollektiven Handelns. Über Macht und Organisation. Frankfurt a. M.: Athenäum.
Däubler, Thomas. 2012. Wie entstehen Wahlprogramme? Eine Untersuchung zur Landtagswahl in Baden-Württemberg 2006. Zeitschrift für Politikwissenschaft 22:333–365.
Decker, Frank. 2011. Regieren im „Parteienbundesstaat“: Zur Architektur der deutschen Politik. Wiesbaden: VS Verlag.
Downs, William M. 1998. Coalition government, subnational style: Multiparty politics in Europe’s regional parliaments. Columbus: Ohio State University Press.
Eldersveld, Samuel J. 1964. Political parties: A behavioral analysis. Chicago: Rand McNally.
Faas, Thorsten. 2009. Grüne: Unsichtbares Spitzenpersonal in Hülle und Fülle. http://blog.zeit.de/zweitstimme/2009/05/13/grune-unsichtbares-spitzenpersonal-in-hulle-und-fulle/. Zugegriffen: 15. März 2015.
Friedberg, Erhard. 1992. Zur Politologie von Organisationen. In Mikropolitik. Rationalität, Macht und Spiele in Organisationen, Hrsg. Willi Küpper und Günther Ortmann, S. 39–52. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Giannetti, Daniela, und Kenneth Benoit, Hrsg. 2009. Intra-party politics and coalition government. London: Routledge.
Giddens, Anthony. 1988. Die Konstitution der Gesellschaft: Grundzüge einer Theorie der Strukturierung. Frankfurt a. M.: Campus.
Gross, Martin. 2014. Koalitionsbildung in deutschen Großstädten: Empirische Befunde aus Nordrhein-Westfalen. Zeitschrift für Politik 24:109–143.
Jun, Uwe. 1994. Koalitionsbildung in den deutschen Bundesländern: Theoretische Betrachtungen, Dokumentation und Analyse der Koalitionsbildungen auf Länderebene seit 1949. Opladen: Leske + Budrich.
Katz, Richard S., und Peter Mair. 1993. Evolution of party organizations in Europe. The three faces of party organization. American Review of Politics 14:593–617 (Special issue: Political parties in a changing age).
Köllner, Patrick, und Matthias Basedau. 2006. Faktionalismus in politischen Parteien: Eine Einführung. In Innerparteiliche Machtgruppen: Faktionalismus im internationalen Vergleich, Hrsg. Patrick Köllner, Matthias Basedau, und Gero Erdmann, S. 7–38. Frankfurt a. M.: Campus.
Korte, Karl-Rudolf. 2008. Neue Formeln zur Macht. Die Politische Meinung 465:5–9.
Korte, Karl-Rudolf, und Manuel Fröhlich. 2009. Politik und Regieren in Deutschland: Strukturen, Prozesse, Entscheidungen, 3. Aufl. Paderborn: Schöningh.
Kropp, Sabine. 2001. Regieren in Koalitionen: Handlungsmuster und Entscheidungsbildung in deutschen Länderregierungen. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Lees, Charles. 2000. The Red-Green Coalition in Germany: Politics, personalities and power. Manchester: Manchester University Press.
Maor, Moshe. 1995. Intra-party determinants of coalition bargaining. Journal of Theoretical Politics 7:65–91.
Matys, Thomas. 2006. Macht, Kontrolle und Entscheidungen in Organisationen. Eine Einführung in organisationale Mikro-, Meso- und Makropolitik. Wiesbaden: VS Verlag.
Michels, Robert. 1911. Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie: Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens. Leipzig: Klinkhardt.
Müller, Wolfgang C., Torbjörn Bergman, und Kaare Strøm. 2008. Coalition theory and cabinet governance: An introduction. In Cabinets and coalition bargaining: The democratic life cycle in Western Europe, Hrsg. Kaare Strøm, Wolfgang C. Müller, und Torbjörn Bergman, 1–50. Oxford: Oxford University Press.
Niedermayer, Oskar. 2008. Das fluide Fünfparteiensystem nach der Bundestagswahl 2005. In Die Parteien nach der Bundestagswahl 2005, Hrsg. Oskar Niedermayer, 9–35. Wiesbaden: VS Verlag.
Ortmann, Günther, Arnold Windeler, Albrecht Becker, und Hans-Joachim Schulz. 1990. Computer und Macht in Organisationen: Mikropolitische Analysen. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Poguntke, Thomas. 1997. Parteiorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland: Einheit in der Vielfalt? In Parteiendemokratie in Deutschland, Hrsg. Oscar W. Gabriel, Oskar Niedermayer, und Richard Stöss, 257–276. Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung.
Probst, Lothar. 2013. Bündnis 90/Die Grünen. In Handbuch Parteienforschung, Hrsg. Oskar Niedermayer, 509–540. Wiesbaden: VS Verlag.
Raschke, Joachim. 1993. Die Grünen: Wie sie wurden, was sie sind. Frankfurt a. M.: Büchergilde Gutenberg.
Rüb, Friedbert. 2013. Mikropolitologie. Auf dem Weg zu einem einheitlichen Konzept? In Handbuch Regierungsforschung, Hrsg. Karl-Rudolf Korte und Timo Grunden, 339–348. Wiesbaden: Springer VS.
Switek, Niko. 2012. Bündnis 90/Die Grünen: Zur Entscheidungsmacht grüner Bundesparteitage. Zeitschrift für Politikwissenschaft Sonderband 2012:121–154.
Switek, Niko. 2013a. Koalitionsregierungen. Kooperation unter Konkurrenten. In Handbuch Regierungsforschung, Hrsg. Karl-Rudolf Korte und Timo Grunden, 277–286. Wiesbaden: Springer VS.
Switek, Niko. 2013b. Wachhund oder Schoßhund? Die Rolle der Parteibasis bei der Koalitionsbildung. In Die deutsche Koalitionsdemokratie vor der Bundestagswahl 2013, Hrsg. Frank Decker und Eckhard Jesse, 115–138. Baden-Baden: Nomos.
Switek, Niko. 2014. Die Satzung ist nicht genug! Parteien unter dem Mikroskop der strategischen Organisationsanalyse. In Informelle Politik. Konzepte, Akteure und Prozesse, Hrsg. Stephan Bröchler und Timo Grunden, S. 219–244. Wiesbaden: VS Verlag.
Switek, Niko. 2015. Bündnis 90/Die Grünen. Koalitionsentscheidungen in den Ländern. Baden-Baden: Nomos.
Treibel, Jan. 2012. Was bedeutet innerparteiliche Willensbildung? Forschungsstand und theoretische Zugänge. Zeitschrift für Politikwissenschaft Sonderband 2012: 7–34.
Willner, Roland. 2011. Micro-politics: An underestimated field of qualitative research in political science. German Policy Studies 7:155–185.
Interviews
Al-Wazir, Tarek. 2013. Mitglied des hessischen Landtags (seit 1995), Vorsitzender der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen (2000–2014), Vorsitzender des Landesverbandes Bündnis 90/Die Grünen Hessen (2007–2013), Landesminister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung (seit 2014), Interview am 14.02.
Bauer, Theresia. 2010. Mitglied des baden-württembergischen Landtags (seit 2001) und stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (2002–2011), Landesministerin für Wissenschaft, Bildung und Kunst (seit 2011), Interview am 20.11.
Kerstan, Jens. 2013. Stellvertretender Landesvorsitzender Grün-Alternative Liste Hamburg (2001–2008), Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft (seit 2002), Fraktionsvorsitzender (2008–2015), Senator für Umwelt und Energie (seit 2015), Interview am 27.04.
Klocke, Arndt. 2015. Landesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen (2006-2010), Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtags (seit 2010), Interview am 02.05.
Kotting-Uhl, Sylvia. 2011. Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg (2003–2005), Mitglied im Deutschen Bundestag (seit 2005), Interview am 30.09.
Schneckenburger, Daniela. 2014. Landesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen (2006–2010), Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtags (seit 2010), Interview am 25.11.
Schulz-Asche, Kordula. 2013. Landesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen Hessen (2005–2013), Mitglied des Hessischen Landtags und stellvertretende Fraktionsvorsitzende (2003–2013), Interview am 21.03.
Steffen, Till. 2013. Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft (seit 2004), Justizsenator (2008–2010 und seit 2015), Interview am 21.05.
Ulrich, Hubert. 2010. Landesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen Saar (seit 2002), Mitglied im Stadtrat Saarlouis (seit 2004), Mitglied im saarländischen Landtag und Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen (seit 2004), Interview am 20.11.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Anhang: Wahlergebnisse
Anhang: Wahlergebnisse
Landtagswahl Baden-Württemberg 26.03.2006. (Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg)
CDU | SPD | Grüne | FDP | WASG | |
---|---|---|---|---|---|
Stimmen | 44,2 % (−0,6) | 25,2 % (−8,1) | 11,7 % (+4) | 10,7 % (+2,6) | 3,1 % |
Sitze (139) | 69 | 38 | 17 | 15 | 0 |
Landtagswahl Hessen 27.01.2008. (Quelle: Hessisches Statistisches Landesamt)
CDU | SPD | FDP | Grüne | Linke | |
---|---|---|---|---|---|
Stimmen | 36,8 % (−12) | 36,7 % (+7,6) | 9,4 % (+1,5) | 7,5 % (−2,6) | 5,1 % |
Sitze (110) | 42 | 42 | 11 | 9 | 6 |
Bürgerschaftswahl Hamburg 24.02.2008. (Quelle: Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein)
CDU | SPD | GAL | Linke | FDP | |
---|---|---|---|---|---|
Stimmen | 42,6 % (−4,6) | 34,1 % (+3,6) | 9,6 % (−2,7) | 6,4 % | 4,8 % (+2,0) |
Sitze (121) | 56 | 45 | 12 | 8 | 0 |
Landtagswahl Saarland 30.08.2009. (Quelle: Statistisches Amt des Saarlandes)
CDU | SPD | Linke | FDP | Grüne | |
---|---|---|---|---|---|
Stimmen | 34,5 % (−13) | 24,5 % (−6,3) | 21,3 % (+19) | 9,2 % (+4) | 5,9 % (+0,3) |
Sitze (51) | 19 | 13 | 11 | 5 | 3 |
Landtagswahl Nordrhein-Westfalen 09.05.2010. (Quelle: Landeswahlleiterin des Landes Nordrhein-Westfalen)
CDU | SPD | Grüne | FDP | Linke | |
---|---|---|---|---|---|
Stimmen | 34,6 % (−10,3) | 34,5 % (−2,6) | 12,1 % (+5,9) | 6,7 % (+0,6) | 5,6 % (+2,5 WASG) |
Sitze (181) | 67 | 67 | 23 | 13 | 11 |
Rights and permissions
Copyright information
© 2017 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
About this chapter
Cite this chapter
Switek, N. (2017). Grüne Farbenspiele. Neue Koalitionen von Bündnis 90/Die Grünen auf Länderebene. In: Bukow, S., Jun, U. (eds) Parteien unter Wettbewerbsdruck. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-16600-7_7
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-16600-7_7
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-16599-4
Online ISBN: 978-3-658-16600-7
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)