Zusammenfassung
Das gesellschaftliche Verständnis sozialer Probleme und dementsprechend die Arbeitsweise sozialer Dienste befinden sich im Wandel. Soziale Probleme werden vermehrt als Risiken definiert, deren potenzielle Schäden durch präventive Arbeit verhindert werden müssen. In den sozialen Diensten wird zu diesem Zweck ein Risikomanagement installiert, das das Wirklichkeitsverständnis, das Ethos und die Handlungsformen des Personals grundlegend transformiert: Soziale Dienste operieren gegenüber den Klienten auf der Basis von Misstrauen und Verdacht und werden vorrangig zum Beschaffer und Vermittler von Sicherheitswissen über, als riskant definierte, Bevölkerungsgruppen.
Notes
- 1.
Dieser gesellschaftliche Trend ist nicht der einzige, der die Organisation der sozialen Dienste z. Z. neu strukturiert. Aus einer neo-institutionalistischen Perspektive beschreiben Bode und Turba (2014) den Einfluss (anderer) gesellschaftlicher Logiken.
- 2.
Diese sich selbsterfüllende Prophezeiung gilt generell, also auch für die Perspektive der Hilfen zur Erziehung nach § 27 SGBVIII, was zu einer fürsorglichen Belagerung der Klienten führen kann. Aber gegen diese Belagerung können sich die Klienten durch Ablehnung der Hilfe und/oder Verweigerung der Mitwirkung wehren, da die Hilfe auf Freiwilligkeit beruht. Das ist im Kontext des Risikomanagements, das mit Zwangsmaßnahmen arbeitet, nicht möglich.
- 3.
Im Jahr 2015 sind es 77.645 Inobhutnahmen. Darin eingerechnet sind aber Kinder und Jugendliche, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind.
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Klatetzki, T. (2019). Auf Nummer sicher. Die Politik der Möglichkeit in sozialen Diensten. In: Apelt, M., et al. Handbuch Organisationssoziologie. Springer Reference Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-15953-5_61-1
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