Zusammenfassung
Der Beitrag verfolgt das Ziel, mögliche positive und negative Wirkungen der Zeitarbeit aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sowohl anhand theoretischer Argumente als auch anhand empirischer Analysen für Deutschland zu beleuchten. Ausgehend von einer Darstellung wichtiger Bestimmungsgründe des Angebots und der Nachfrage nach Zeitarbeit sowie einer Diskussion der Bedeutung von Zeitarbeit als Instrument zur Erhöhung der Anpassungsflexibilität auf dem Arbeitsmarkt wird untersucht, welche Gründe für oder gegen das Auftreten positiver gesamtwirtschaftlicher Beschäftigungswirkungen sprechen und wie diese vor dem Hintergrund der bisherigen empirischen Forschungsergebnisse zu bewerten sind. In wirtschaftspolitischer Hinsicht gelangt der Beitrag dabei zu dem Ergebnis, dass eine Re-Regulierung der Leiharbeit für die Anpassungsflexibilität des Arbeitsmarktes und für die Entwicklung der Gesamtbeschäftigung kontraproduktiv wäre.
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Notes
- 1.
Nichtsdestotrotz gilt der deutsche Arbeitsmarkt auch nach der Deregulierung im internationalen Vergleich als streng geregelt (Gundert und Hohendanner 2014).
- 2.
Inzwischen wird die Beschäftigungsentwicklung in der Zeitarbeit als Frühindikator für die konjunkturelle Entwicklung des Arbeitsmarktes betrachtet (Möller et al. 2012).
- 3.
Die Arbeitgeberfunktion wird somit von den Zeitarbeitsunternehmen wahrgenommen, die das Risiko einer Kündigung sowie Ausbildungs- und Auswahlkosten diversifizieren und auf mehrere Anbieter umlegen können (Burda und Kvasnicka 2005).
- 4.
Gleichzeitig kann Leiharbeit für die Unternehmen auch noch eine wichtige „Screening-Funktion“ erfüllen, wenn man die Fähigkeiten von Beschäftigten im Rahmen einer Leiharbeitstätigkeit zunächst erproben kann, um die Personen gegebenenfalls anschließend zu übernehmen.
- 5.
Eine weitere Erklärung für die größere Nachfrage nach Leiharbeit stellt auch die gestiegene Akzeptanz der Leiharbeitsunternehmen bei den Unternehmen dar (Sachverständigenrat 2008).
- 6.
Dies kann sowohl mit der Humankapitaltheorie als auch mit der Segregations- und Segmentationstheorie begründet werden. Nach der Humankapitaltheorie investieren Unternehmen in die Weiterbildung von Mitarbeitern, wenn die daraus resultierenden Erträge die Kosten übersteigen. Nach der Segmentationstheorie werden Weiterbildungsinvestitionen vorzugsweise in die Stammbelegschaft getätigt. Beide Ansätze begründen die Vernachlässigung von Weiterbildungsinvestitionen in Leiharbeitnehmer mit deren, im Vergleich zur Stammbelegschaft, geringeren Betriebsbindung und -zugehörigkeitsdauer (Bellmann et al. 2013).
- 7.
Anzumerken ist, dass bei dieser Auswertung Leiharbeitnehmer und das Stammpersonal der Zeitarbeitsunternehmen mit Schwerpunkt Arbeitnehmerüberlassung zusammen betrachtet wurden (Bundesagentur für Arbeit 2016).
- 8.
Hveem (2013) untersucht die Klebeeffekte der Zeitarbeit für Schweden mit der individuellen „Difference-to-Difference“- und der konditionalen „Difference-to-Difference“-Methode. Auch er gelangt zu dem Schluss, dass Zeitarbeit die Wahrscheinlichkeit der Arbeitslosigkeit reduziert, jedoch nicht als ein Sprungbrett in eine reguläre Beschäftigung gesehen werden kann.
- 9.
Diese These wird unterstützt durch die empirischen Ergebnisse von Bellmann und Kühl (2007), die auf der Grundlage des IAB-Betriebspanels, einer repräsentativen Befragung von rund 16.000 Betrieben in Deutschland aller Branchen und Größenklassen, zeigen, dass gerade Betriebe, die in besonders starkem Maße Leiharbeit genutzt haben, dabei in geringerem Maße auf die Nutzung von Überstunden durch die Kernbelegschaft zurückgreifen, die häufig akzeptanz- und kostensensibel sind. Insofern können die Ergebnisse von Bellmann und Kühl als Indiz interpretiert werden, dass die Inanspruchnahme von Überstunden zumindest teilweise durch die Nutzung von Leiharbeit substituiert wurde.
- 10.
Seifert und Brehmer (2008) weisen in ihrer empirischen Studie der Inanspruchnahme von Leiharbeit auf der Grundlage der WSI-Betriebsrätebefragung darauf hin, dass steigende Verweildauern in Zeitarbeit bzw. in den Entleihbetrieben als Indiz für das Vorliegen von Substitutionseffekten interpretiert werden können.
- 11.
Ein Grund hierfür könnte auch darin bestehen, dass es sich bei Mitarbeitern aus eigenen Zeitarbeitsunternehmen für ein Unternehmen eher lohnt, in betriebsspezifisches Humankapital zu investieren, wenn sie diese entsprechend flexibel in verschiedenen Unternehmensbereichen und -standorten einsetzen können.
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Strotmann, H., Moczadlo, R. (2017). Beschäftigungswirkungen der Zeitarbeit aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive. In: Schwaab, MO., Durian, A. (eds) Zeitarbeit. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-15686-2_6
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