Zusammenfassung
Nach der deutschen Wiedervereinigung entschieden sich die Mütter und Väter des Grundgesetzes bewusst gegen die Aufnahme eines Rechts auf Bildung in die gesamtdeutsche Verfassung. Hintergrund dieser Zurückhaltung bildete ein liberales Staatsverständnis, das Grundrechte in erster Linie als Abwehrrechte der Bürger*innen gegen staatliche Eingriffe in ihre Würde, Freiheit und Gleichheit versteht. In ihrem Beitrag zeigt Zinsmeister auf, dass das Recht auf informelle und non-formale Bildung jedoch in einigen Landesgesetzen und auf internationaler und europäischer Ebene verankert ist. Es lässt sich z.B. aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der Europäischen Charta der Menschenrechte und hier vor allem aus den Kommunikationsgrundrechten auf Informations-, Meinungs- und Vereinigungsfreiheit sowie dem Recht Minderjähriger auf Erziehung ableiten. Im modernen europäischen und internationalen Menschenrechtsdiskurs werde, abweichend von der deutschen Grundrechtsdogmatik, aus dem Grundsatz der Unteilbarkeit und Interdependenz der Menschenrechte geschlossen, dass politische, bürgerliche, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte nicht nur gleichermaßen relevant, sondern auch untrennbar miteinander verbunden sind und nicht isoliert voneinander geschützt und verwirklicht werden können. Zinsmeister erläutert die Bindungswirkung der völker- und europarechtlichen Vorgaben. Diese Normen formulieren zwar Gewährleistungspflichten der Staaten, begründen aber in der Regel kein Recht der Individuen auf eine bestimmte Form der Bildungsförderung. Etwas anderes gilt nur in Bezug auf derivate Rechte, d.h. das Recht auf gleichberechtigte Nutzung bestehender Bildungsangebote. Die UN-Menschenrechtskonventionen und die europäischen Gleichstellungsrichtlinien enthalten zudem konkrete Vorgaben an die Staaten, durch bewusstseinsbildende Maßnahmen zu sozialer Gerechtigkeit beizutragen und ihre Bildungsangebote diskriminierungsfrei auszugestalten. Die Plicht zur Gleichbehandlung, so die Verfasserin, erschöpfe sich dabei nicht in der Pflicht zur formalen Gleichbehandlung, sondern ziele auf die aktive Beseitigung bestehender sozialer Ungleichheit. Bildung müsse inklusiv ausgestaltet, d.h. für alle Menschen gleichermaßen verfügbar, zugänglich, annehmbar und adaptierbar sein.
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Zinsmeister, J. (2016). Gleichheit – Gerechtigkeit – Inklusion. In: Ottersbach, M., Platte, A., Rosen, L. (eds) Soziale Ungleichheiten als Herausforderung für inklusive Bildung. Interkulturelle Studien. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-13494-5_6
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