Zusammenfassung
In diesem Kapitel soll gezeigt werden, wie das heteronormative Verständnis von Geschlecht und Familie neoklassische Ökonomiemodelle prägt. Ein zentrales Konzept ist die vergeschlechtlichte Arbeitsteilung in der Kernfamilie, wo ein sogenannter „Familienernährer“ entlohnter Arbeit am Markt nachgeht (Erwerbsarbeit) während unbezahlte Arbeit zuhause stattfindet (reproduktive Arbeit und Care-Arbeit). Als Ursache werden komparative Vorteile angenommen, die in der Biologie von Frauen und Männern begründet liegen sollen. Einkommens- und Vermögensungleichheiten aber auch disproportionale Arbeitsbelastungen werden mit solchen Modellen als effizient oder naturgegeben gerechtfertigt. Mithilfe queerer und feministischer Perspektiven sollen derartige Annahmen dekonstruiert werden. Machtungleichgewicht, Ausbeutung und Abhängigkeiten bleiben in neoklassischen Modellen der Haushaltsökonomie völlig ausgeblendet. Am Beispiel internationaler Arbeitsteilung in der Care-Arbeit kann deutlich gemacht werden, wie Pflegearbeit hinsichtlich der Kategorien „Geschlecht“, „Klasse“ und „Rasse“ organisiert ist. Analysekonzepte wie Geschlechterperformanz und rassialisierte Rollenzuschreibungen können demnach für die Erklärung von Prozessen und Outcomes in der Haushalts- und Pflegearbeit als Ressourcenbasis für die Erwerbsarbeit unerlässlich sein, um realistischere Modelle und Erkenntnisse auch für diese Sphären der Ökonomie zu entwerfen.
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Notes
- 1.
Queere (und feministische) Perspektiven gehen davon aus, dass die bestehende Geschlechterordnung das Resultat gesellschaftlicher Machtkonstellationen ist. Sie kritisieren den gesellschaftlichen Zwang, dass sich Menschen möglichst widerspruchsfrei in eine Ordnung von binärer Geschlechtsidentität, eindeutig männlichem oder weiblichem Körpergeschlecht sowie einer heteronormativen Beziehungs- und Sexualitätspraxis einordnen sollten (Butler 1991, S. 37 ff.).
- 2.
Frauen und Männer werden in diesem Abschnitt mit * markiert, um auf die Heterogenität dieser Kategorien hinzuweisen. Diesen Kategorien werden u. a. Personen zugeordnet, die sich nicht widerspruchsfrei in die Zwangsordnung Körpergeschlecht/Geschlechtsidentität/Begehren einordnen können oder wollen. Es soll mitgedacht werden, dass z. B. Transgender-Personen oder intersexuelle Menschen kaum Chancen haben, sich in das binäre, hierarchische Geschlechterkonzept erfolgreich einzugliedern, und trotzdem immer der Rubrik „Mann“ oder „Frau“ zugeordnet werden (müssen). Die Markierung mit * wird auch in Pluralformen vorgenommen, wie zum Beispiel in „Migrant*innen“. Dadurch wollen wir darauf hinweisen, dass sich innerhalb der auf diese Weise bezeichnete Gruppe auch Personen befinden (können), die nicht reibungslos in die binäre Zwangsordnung von Geschlecht eingeordnet werden können. Außerdem soll mit der * Markierung in Erinnerung gerufen werden, dass es eine Arbeitsleistung einzelner Individuen ist (Woltersdorff 2012, S. 118), sich entsprechend den „Intelligibilitätsnormen“ des Arbeitsmarkts auf bestimmte Art zuzurichten, um Kompetenz zu signalisieren, aber auch um überhaupt eindeutig als Frauen oder Männer erkannt zu werden bzw. den geschlechtlichen Erwartungen dieser Rollenbilder zu entsprechen, was manchen Menschen leichter fällt als anderen.
- 3.
Globale Pflegeketten; siehe Abschn. 15.4.2.
- 4.
Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender-Personen, Intersex-Personen und sich als queer bezeichnende Personen.
- 5.
Der gesellschaftliche Druck, dass sich jede Person eindeutig entweder als „Mann“ oder als „Frau“ einordnen muss, wird als Heteronormativität bezeichnet.
- 6.
Eine Lösung Geschlechtervielfalt in Modelle einzubeziehen ist Frauen „hineinzuaddieren“, was jedoch nicht das Kernproblem des Fokus auf rein monetär bewertete Tätigkeiten löst (vgl. Behrens et al. 2002).
- 7.
David Ricardo (1772–1823) ist ein britischer Vertreter der Klassischen Nationalökonomie, der insbesondere für seine Außenhandelstheorie mit dem Modell der komparativen Kostenvorteile bekannt ist.
- 8.
An dieser Stelle verwenden wir bewusst kein *, um darauf hinzuweisen, dass Frauen* und Männer* im Rahmen der Neuen Haushaltsökonomik als homogene Gruppen und (im Hintergrund) doch gleichzeitig als stereotype binär oppositionelle Verhaltensmuster gedacht werden.
- 9.
Der Begriff „deviant“ wird ins Deutsche entweder als „(von der Norm) abweichend“ aber auch als „abartig“ oder „pervers“ übersetzt.
- 10.
„Let me emphasize that „deviance“ is used only in a statistical, not in a pejorative, sense“ (Becker 1993, S. 40).
- 11.
Ausnahmen sind Schneeballbefragungen, z. B. in Schönpflug et al. (2015), die aber nur Ausschnitte der Bevölkerung zeigen.
- 12.
Nancy Folbre definiert Caring Labor als Arbeit, „die eine Verbindung zu anderen Menschen beinhaltet. Dazu zählt zu versuchen, Menschen zu helfen und deren Bedürfnisse zu befriedigen. Weitere Formen von Caring Labor sind die Umsorge von Kindern, von alten Menschen, von kranken Menschen oder auch das Unterrichten. Diese Arbeiten sind teilweise bezahlt und teilweise unbezahlt“ (Folbre 2003, [o. S.]).
- 13.
In manchen neoklassischen Modellen wird auch die Verhandlungsmacht innerhalb der Familie als ein Entscheidungsfaktor für das Eintreten in ein bezahltes Arbeitsverhältnis berücksichtigt.
- 14.
„Able-bodied“ kann etwa mit „körperlich leistungsfähig“ übersetzt werden. Damit sei darauf hingewiesen, dass Personen mit Behinderungen häufig nicht als Akteur*innen mitgedacht werden, obwohl sie insbesondere im Bereich der Care-Arbeit in vielen Fällen in der Rolle der Care-Empfangenden entscheidende Akteur*innen darstellen.
- 15.
Die Kategorie „Rasse“ ist ein gesellschaftliches Konstrukt und Ausdruck von historisch gewachsenen, mitunter materiellen Machtverhältnissen. Mit der Bezeichnung „rassialisierte Arbeitsteilung“ wollen wir darauf hinweisen, dass Rassenkonstruktionen einen entscheidenden Faktor zum Beispiel für den Zugang zu Ressourcen oder gesicherten Arbeitsverhältnissen darstellen.
- 16.
„a facade of respectability and obedience“.
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Schönpflug, K., Eberhardt, V. (2018). Unbehagen in der kleinsten Fabrik – Queere und feministische Perspektiven auf Familie, Beruf und Karriere. In: Behrens, D., Kreimer, M., Mucke, M., Franz, N. (eds) Familie – Beruf – Karriere. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-12504-2_15
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