Zusammenfassung
Gegenwärtig ist eine Reihe von aktuellen Untersuchungen in der Diskussion, die Wissenschaft auch aus einer historischen Perspektive als exklusives und im hohen Maße prekäres Beschäftigungsfeld ausweisen. Sie zeigen unter anderem, dass wissenschaftliche Karrieren in Deutschland noch stärker durch Unsicherheiten geprägt sind als in anderen Ländern: Da die Anzahl der Professuren begrenzt ist und es in Deutschland unterhalb der Professur kaum Stellen in einem festen Beschäftigungsverhältnis gibt, ist der Ausgang dieses Karriereweges recht offen und ungewiss. Wissenschaftler_innen sind damit über einen sehr langen Zeitraum einem „System permanenter Bewährungsproben“ ausgesetzt. In den letzten Jahren wurden die Wissenschaftssysteme im europäischen Raum insgesamt wiederum grundlegenden Veränderungsprozessen unterworfen, die im Kontext tief greifender gesamtgesellschaftlicher Transformationen zu analysieren sind und in den Sozialwissenschaften unter dem Schlagwort ‚Ökonomisierung‘ gefasst werden.
Viele der folgenden Überlegungen sind in einem sehr lebendigen und äußerst konstruktiven Forschungskontext entstanden. Der Dank geht an Brigitte Aulenbacher und Kristina Binner von der Universität Linz sowie Lena Weber von der Universität Paderborn.
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Notes
- 1.
Dies gilt mit Ausnahme der Medizin, wo nach einer Promotion eine befristete Beschäftigung von neun Jahren möglich ist.
- 2.
Leaky pipeline bezeichnet das Phänomen, dass sich die Zahl der Wissenschaftlerinnen mit jeder Stufe auf der wissenschaftlichen Karriereleiter verringert und sie aus dem Wissenschaftssystem „heraus sickern“.
- 3.
Interview mit einer Gleichstellungsbeauftragten. Das Gespräch war eines von insgesamt neun Expert_inneninterviews mit Gleichstellungsbeauftragten und Hochschulleitungen in Deutschland, die 2011 im Forschungsprojekt „Geschlecht und Exzellenz: Eine qualitative Untersuchung universitärer Leitbilder an ausgewählten Universitäten in Nordrhein-Westfalen“ durchgeführt wurden (vgl. Riegraf und Weber 2013).
- 4.
Interview mit einem Universitätskanzler im Rahmen des Forschungsprojekts „Geschlecht und Exzellenz“ (vgl. Anm. 3).
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Riegraf, B. (2018). Zwischen Exzellenz und Prekarität. Über den Wettbewerb und die bedingte Öffnung der Universitäten für Wissenschaftlerinnen. In: Laufenberg, M., Erlemann, M., Norkus, M., Petschick, G. (eds) Prekäre Gleichstellung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-11631-6_10
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