Zusammenfassung
Geht es um die Bekämpfung von Armutsrisiken, dann wird eine gute Bildung häufig als wichtiger Präventionsfaktor genannt. Andererseits wissen wir, dass gerade Bildungserfolg in starkem Maße herkunftsabhängig ist, also gerade Kinder aus Familien mit einem geringen Sozialstatus oft nicht die notwendige Bildung erhalten, um im weiteren Lebensweg über den ersten Arbeitsmarkt eine soziale Absicherung zu erreichen. Der folgende Beitrag stellt daher die Frage, wie benachteiligende Herkunftseffekte in Bezug auf Bildung gemessen, erklärt und verringert werden können. Im ersten Teil wird zunächst erläutert, was unter Bildung verstanden werden kann und welche veränderte Relevanz Bildung für die ökonomische Integration, die politische Teilhabe und das Wohlergehen hat. Im zweiten Teil wird die empirische Situation vorgestellt und schließlich die Theorien zur Erklärung der wachsenden Bildungsungerechtigkeit ausgeführt. Abschließend werden aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive Lösungen vorgeschlagen.
Dieser Beitrag beinhaltet Teile einer gekürzten, umstrukturierten und aktualisierten Version meines Aufsatzes über Bildungsarmut im Handbuch „Armut und soziale Ausgrenzung“ (Kuhlmann 2010).
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Notes
- 1.
Um das Dilemma zu lindern, dass jede Inklusion Exklusion erzeuge, schlug der Soziologe Richard Münch die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten auf einem niedrigen Qualifikationsniveau vor, da eine reine finanzielle Unterstützung das Problem der Desintegration nicht lösen würde. Durch Beschäftigungsmöglichkeiten könnte die totale Exklusion durch die Inklusion in soziale Netzwerke am Arbeitsplatz vermieden werden (Münch 2009, S. 328 ff.).
- 2.
Interessant ist, dass diejenigen, deren Mütter nicht den Abschluss der Sekundarstufe II hatten, die niedrigsten Ergebnisse vorwiesen. Dieser Befund unterstützt auch die Vermutung, dass Schulerfolg auch durch die unsichtbare Bildungsarbeit von Müttern, u. a. durch Unterstützung von Hausaufgaben erhöht wird. Gleichzeitig macht es deutlich, wie wichtig gerade die Förderung derjenigen Müttern ist, die selber nur eine geringe Schulbildung haben. Ein weiteres interessantes Ergebnis ist, dass auch die PISA-Studie (wie die Gehirnforschung) bestätigt, dass hohe Lernmotivation mit hohen Leistungen korreliert (vgl. OECD 2001, S. 127).
- 3.
Die Ergebnisse von 2015 liegen erst Ende 2016 vor.
- 4.
„Deutschlands Durchschnittsergebnis beim Lesen hat sich seit dem ersten PISA-Test stetig verbessert, von 484 im Jahr 2000 auf 496 im Jahr 2009, als der Schwerpunkt auch auf der Lesekompetenz lag. Wie in der Mathematik holten vor allem die leistungsschwachen Schüler auf. In der Gruppe ohne grundlegende Lesekompetenz (unterhalb Niveau 2) sind 2012 noch 14 % der Schüler, acht Prozentpunkte weniger als im Jahr 2000. Und selbst bei den leistungsschwächsten zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler gibt es Fortschritte: sie erreichten 2012 fast 50 Punkte mehr als die entsprechende Gruppe in PISA 2000.“ (http://www.oecd.org/berlin/presse/pisa-2012-deutschland.htm). Zugegriffen: 3. August 2016. „Der Gesamtanteil der sehr leistungsschwachen Schülerinnen und Schüler im Lesen ist seit PISA 2000 kontinuierlich zurückgegangen. Während bei der ersten PISA-Erhebung im Jahr 2000 noch 22,6 % dieser Gruppe angehörten, ist der relative Anteil in PISA 2012 mit 14,5 % rund 8 Prozentpunkte niedriger (2003: 20,0 %; 2006: 20,0 %; 2009: 18,5 %)“ (Prenzel et al. 2013, S. 268).
- 5.
Heute weiß man, dass seine Forschungsergebnisse vor allem die kulturelle Einseitigkeit des Intelligenztests bewiesen haben (vgl. Gould 1988).
- 6.
In der Erziehungswissenschaft hatte man sich schon vor den Ergebnissen der neueren Hirnforschung vom Begabungsbegriff verabschiedet. Ein Meilenstein in diesem Prozess war der im Jahr 1969 vom Deutschen Bildungsrat herausgegebene Band: „Begabung und Lernen – Ergebnisse und Folgerungen neuer Forschung“. In dieser Veröffentlichung wurde die These vertreten, dass Begabung im Wesentlichen ein Produkt von „Begaben“ ist, also ein Produkt der richtigen Bildungsvermittlung der Lehrer und der Lernprozesse von Kindern (vgl. Roth 1969). Dies habe zur Folge, dass die Schule motivieren müsse, nicht schichtspezifisch auslesen dürfe und jedem die gleichen Chancen geben müsse. Die Anfang der 1970er Jahre erhobenen Forderungen nach Chancengleichheit sind innerhalb der Erziehungswissenschaft nie bestritten, vielmehr bis heute immer wieder erneuert worden (vgl. z. B. Ecarius 2006, Brunsch 2007).
- 7.
Zur Umsetzung der Projekte wurden lokale Koordinierungsstellen geschaffen, welche die Kooperation von Schule und Schulsozialarbeit einzelfallbezogen im Sinne eines „Case-Managements“ aufbauten, Ganztagsangebote organisierten und mit Schulamt und Jugendamt (erzieherische Hilfen) kooperierten (Faltermeier 2008, S. 16).
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Kuhlmann, C. (2018). Soziale Sicherung durch Bildung. In: Kaiser, L. (eds) Soziale Sicherung im Umbruch. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06502-7_6
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