Zusammenfassung
Der diskursanalytische Beitrag untersucht den Zusammenhang zwischen dem Sprachgebrauch der Besonderen Aufbauorganisation Kavala, polizeilichen Pressemitteilungen und rechtlichen Texten anlässlich des Protestes zum G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 und weist den Einfluss polizeilichen Sprachgebrauchs auf juristische Urteile nach.
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Notes
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Unter Diskurs wird in Anlehnung an Foucault ein „Fluss durch Zeit und Raum“ verstanden, ein sprachlich produzierter Bedeutungszusammenhang, eine Praxis, die Machtstrukturen als Grundlage hat und diese zugleich erzeugt. Äußerungen werden als nicht wiederholbare, „zeitlich-räumlich spezifische Aussagenereignisse“ verstanden und als die Atome des Diskurses analysiert (Bührmann und Schneider 2008, S. 26). Der Diskurs kann nach Link in drei Diskurstypen – Spezial-, Inter- und Elementardiskurs – unterteilt werden. Diskurslinguistik ist auf Sprache fokussiert, integriert Ko(n)texte in die Interpretation und ermöglicht so einen prinzipiellen Zugang in die Textnetze der internen und öffentlichen Kommunikation und des Rechts. Einzelne Texte verlieren in der Analyse ihren individuellen Status und werden verstanden als konstitutiver Teil z. B. juristischer Wissensarchitekturen. Diese Methoden der Diskursanalyse eignen sich dazu, verschiedene Typen und Stränge sowie Topoi aufeinander beziehen zu können und vergleichbar zu machen, um Deutungsrahmen und Möglichkeiten des Wissens offen zu legen. Mit der Erforschung der Rolle der Medien für den Normalismus lässt sich die „Ausnahme“ als mediopolitisches Narrativ verdeutlichen (Reisigl 2007).
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Hier wird zwischen „normalen Feinden“ und dem Abstraktum „Terrorismus“ unterschieden, denn „Es geht weniger um den absoluten Feind, der als ,globaler Terrorismus‘ etc. markiert wird, vielmehr um die alltägliche und ,normale‘, um die unterschwellige Feindbildproduktion unter den gegebenen Bedingungen, die ,Sicherheit‘ als letzten Leitwert staatlichen Handelns ausweisen, und ,Prävention‘ als den Weg dorthin“ (Knobloch 2008, S. 3).
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Zum Verhältnis von Prävention und Risiko und den daran sich neu gestaltenden Aufgaben des Staates schreibt Knobloch: „Dass es besser ist, beliebige vorhersehbare Übel bereits im Vorfeld abzuwenden, und nicht erst dann, wenn sie selbst und ihre manifesten Folgen eingetreten sind, ist ohne weiteres evident. Das verschafft einer Präventionsrhetorik von vornherein einen Vorteil gegenüber allen ,nachträglichen‘ Korrekturen und Kompensationen. Hier verhalten sich Gesundheit, Jugendkriminalität, Bildung, Terrorismus ganz analog. Das ist die Alltagsevidenz. Die politische Wirkung ist eine ganz andere. Unter dem Schirm der ,Prävention‘ verschiebt sich die Tätigkeit des Staates von der Durchsetzung der Gesetze hin zum Management von ,Risiken‘“ (2008, S. 10).
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Das Material für diese Untersuchung der internen Kommunikationswege wurde zum größten Teil im Zentralarchiv der Polizei in Mecklenburg-Vorpommern erhoben.
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Die analytischen Arbeiten zur Geschichte des Sicherheitsdiskurses setzen in den 1970er Jahren an (Galli und Preusser 2006) und registrieren eine Verschiebung der Bedrohungsszenarien: Zuvor bezog sich die Konstruktion der Bedrohung auf ein bestimmtes Phänomen oder eine spezifische Gruppe wie z. B. Dealer, Gewalttäter oder Migranten als Gefahrenquelle (Link 2006; Köster 2009), gegenwärtig auf eine generelle potenzielle Gefahr. Nach der Verstaatlichung der letzten Stadtpolizei 1975 in München verschwand das Thema „Sicherheit“ zunächst aus der kommunalpolitischen Diskussion (Eick und Töpfer 2007). „Gefährliche Orte“ und „Angsträume“ sind seit den 1990er Jahren wieder entdeckt und besonders in den Diskurs über „Städte“ indiziert worden. Diese subjektiven Gefühle werden ent-subjektiviert und dienen zur Legitimation von neuen Repressionstechniken wie im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung seit 9/11 (Link 2001). Der Terrorismus wird zur permanenten Bedrohung stilisiert und somit die Lage als im permanenten Ausnahmezustand beschrieben (Agamben 2004). Aus dem Sicherheitsdiskurs können politische Handlungen abgeleitet werden: 2002 hat die diskursive Propagierung der Gefahr zum Erlass des Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus geführt. Zusätzlich bestimmen Kriegsmetaphern wie „war on terror“ den aktuellen Elementardiskurs, so dass zivile Abwehrmaßnahmen mit militärischen Konnotationen durchsetzt werden.
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An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass unter frames oder Wissensrahmen ein mentales Konzept verstanden wird, welches zum Verstehen von sprachlichen Handlungen beiträgt und andere Semantiken um eine notwendige Ebene ergänzt. Das nicht offensichtliche, in gängigen semantischen Beschreibungen und linguistischen Theorien nicht berücksichtigte frame-Wissen greift auf allen Ebenen der Organisation von Sprache ein. Frame-Semantik dient daher auch zur Erfassung und Beschreibung desjenigen Teils von verstehensrelevantem Wissen, das in üblichen semantischen Beschreibungen und Theorien nicht im Fokus steht.
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Grundsätzlich stimmt Foucault im Gegensatz zu Agamben mit Negri und Hardt darin überein, dass der Krieg die Ausnahme ist und ihm die Position der allgemeinen Matrix der Macht innewohnt (Foucault et al. 1981). Jedoch bringt er zusätzlich den Begriff der „Biomacht“ ins Spiel, um den Einfluss der Ausnahme auch auf andere Bereiche des Lebens und damit als eigentliche „Matrix der Gesellschaft“ zu beschreiben (Foucault 2005). Nach Foucault können die gesellschaftlichen Grundlagen, namentlich Macht und Wissen, von der Ausnahme her begründet und somit auch die Frage nach der Identität von der „Ausnahme“ hergestellt werden – unter der Prämisse der Biomacht als Normalität.
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Für Badiou beginnt erst mit der Ausnahme das Philosophieren, da die Ausnahme eine notwendige Bedingung für philosophische Situationen ist (Badiou 2003). Arendt sichtet in der Ausnahme die Möglichkeit der Veränderung, in der Revolution die Bedingung, Politik außerhalb des Staates zu schaffen (Arendt 1986).
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Negri und Hardt gehen von der Ausnahme als „permanentem und allerorten herrschenden Konfliktzustand“ (Hardt und Negri 2002, S. 7) aus. Der Gewalt kommt in ihrer Definition die Rolle der persistenten Ausnahme zu und damit stehen sie im Widerspruch zu Agamben. Für ihn ist die Ausnahme die originäre politische Beziehung (Agamben 2002) und in unserer Gegenwart ist die Ausnahme (z. B. Krieg, Gewalt) die Norm.
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Für Agamben ist das Paradigma des Ausschlusses in Form der Ausnahme der homo sacer, der als aus dem Leben einschließend Ausgeschlossener eben durch diese Beziehung zum Leben das Leben definiert und statuiert (Agamben 2002; Böckelmann 2007). Diese doppelt paradoxe Beziehung beschreibt Agamben als „Matrix der modernen Gesellschaft“ (2004, S. 175).
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Hochwertbegriffe sind semantisch schwache, instabile Vokabeln, die zustimmungspflichtige Werte vermitteln und durch die Autorität dieser eine besondere Stellung im Diskurs (Knobloch 2008).
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Die Zitationsweise der Belegstellen aus dem Zentralarchiv der Polizei in Mecklenburg-Vorpommern erfolgt nach einem eigenen Kennzeichnungsverfahren, das auf Anfrage bei der Autorin eingesehen werden kann.
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Diese Struktur ist allgemein Ausnahmezuständen inhärent: Ein Beispiel aus dem Diskurs der USA: „We did not start this war. So understand, responsibility for every single casualty in this war, whether they’re innocent Afghans or innocent Americans, rests at the feet of the al Qaeda and the Taliban“ (Rumsfeld 04.12.01; zitiert nach Gadinger 2013, S. 219). Die Legitimation der Aufhebung der demokratischen Rechte zum Schutz derselben folgt der allgemeinen Begründungslogik des Ausnahmezustands. In Heiligendamm sind Demonstrationen, wie beispielsweise der Sternmarsch, verboten worden, um friedlichen Protest zu schützen.
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Eine ausführlichere Untersuchung des mediopolitischen Diskurses ist in Vorbereitung und wird hier nur angerissen, ebenso eine ausführlichere Beschreibung und Analyse der folgenden Topoi.
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Der interne Infofunk, auch Radiosender oder Einsatzradio genannt, richtete sich ausschließlich an Polizeieinsatzkräfte, die zum G8-Gipfel im Einsatz waren. Bereits im ersten Kavala-Report wird dieser angekündigt: „Während des Einsatzes schalten wir flächendeckend einen Infokanal, mit dem wir die Möglichkeit nutzen wollen, Sie ständig aktuell über das Einsatzgeschehen auf dem Laufenden zu halten“ (Kavala 2007, S. 5). Die Nutzung eines eigenen Radiosenders für Einsatzkräfte birgt einige Risiken, z. B., dass Falschmeldungen intern ohne Prüfung verbreitet werden können, aber auch, dass im Nachhinein die Überprüfung durch Medien oder Politik nicht möglich ist. Backmund/Donat/Ullmann vermuten bereits 2007, dass die Aufzeichnungen entweder nicht vorhanden oder nicht zugänglich sind, was allerdings mit der Sichtung der Akten in Schwerin widerlegt werden kann. Es liegen umfangreiche Sendeprotokolle vor. Und eben an diesen Aufzeichnungen kann sehr deutlich die interne Informationspolitik nachgezeichnet werden.
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Weitere Kategorien sind „der Provokateur, der Jubelnde, der Beleidigende, der Amateurfotograf, der Hasserfüllte, der Betrunkene, der Aggressive, der Uneinsichtige, der Flüchtende“. Zudem werden Situationen beschrieben, wie „die Blockade, das defekte Auto, ein Steinhaufen, ein merkwürdiger Rucksack, der Mann auf dem Dach“ (Checkliste für Einsatzkräfte).
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Weiterführend könnten die Topoi der VERMUMMTEN, der CLOWNS, der WILDEN beschrieben werden. Zudem relevant ist die diskursiv konstituierte Verbindung von Demonstrierenden und EXTREMISTEN und TERRORISTEN. Die bevorstehende Gefahr wird unter Berufung auf sogenannte Experten auch in den meisten Medien bestätigt: „Sicherheitsexperten beschreiben die Lage derzeit so: Ja, Extremisten jedweder Couleur haben das Treffen der Weltenlenker als Ziel identifiziert“ (Boecker 2007).
Literatur
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Dießelmann, AL. (2016). Der Ausnahmezustand. Zur schleichenden Implementierung und Legitimität von sonder- und außerrechtlichen Maßnahmen. In: Lemke, M., Schwarz, O., Stark, T., Weissenbach, K. (eds) Legitimitätspraxis. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-05742-8_3
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