Zusammenfassung
Organisationaler Wandel und Flexibilisierung sind ständige Begleiter unseres Arbeitsalltages geworden. Das erzeugt Stress. Immer mehr Führungskräfte und Mitarbeiter scheinen diesen Stress nicht mehr angemessen verarbeiten zu können – zu Lasten ihrer Gesundheit und der Effizienz organisationalen Wandels. Warum wird organisationaler Wandel als stressig, teils als überfordernd erlebt? Wie können Humanisierung und Effizienz des Wandels in Einklang gebracht werden? Welche Wege bieten sich an, die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Organisationsmitglieder zu erhalten als auch die Ziele des Wandels sicherzustellen? Auf diese Fragen werden im folgenden Beitrag Antworten gesucht. Es wird zwischen tiefergreifendem Wandel (Restrukturierung) und alltäglicher Optimierung unterschieden. Messbare Belastungswirkungen ständigen Wandels sind u. a. erhöhte Risiken für Herz-Kreislauferkrankungen, allgemeine Reizbarkeit, Mattigkeit und Erschöpfung, Substanzmissbrauch sowie Gratifikationskrisen. Die Belastungswirkungen organisationalen Wandels und permanenten Optimierens können durch gezielte Maßnahmen abgefedert werden. Dazu zählt, bei unvermeidlichen Interessenkonflikten in Restrukturierungsprozessen auf Fairness und Verteilungsgerechtigkeit zu achten. Zielvereinbarungssysteme sind so zu gestalten, dass sie nicht zum Treiber kurzfristiger Leistungsmaximierung und Selbstgefährdung werden. Positionswettbewerbe sind auf ihren Sinn zu hinterfragen und entsprechend zu begrenzen. Schließlich ist auch ein unterstützendes sozial- und gesundheitspolitisches Umfeld eine Ressource, das die gesundheitlichen Risiken permanenten Wandels abfedern kann.
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Notes
- 1.
Die Messung von Beschleunigungsraten sozialen, organisationalen Wandels steht noch am Anfang (vgl. Rosa 2005, S. 129 f.). Mit Blick auf organisationale Veränderungsprozesse können aus wissenschaftlichen Beobachtungen bislang noch keine repräsentativen und quantifizierbaren Schlussfolgerungen über (steigende) Veränderungsraten und die Beschleunigung organisationalen Wandels gezogen werden. Dazu fehlt ein umfassendes Veränderungsregister, in dem Ort, Art, und Häufigkeit organisationalen Wandels zuverlässig über längere Zeiträume für vergleichbare Einheiten erfasst werden (z. B. analog einem Krankenregister). Im European Restructuring Monitor sind seit 2002 insgesamt 16.518 Restrukturierungsereignisse in den EU-Mitgliedsstaaten erfasst, davon 1.229 in Deutschland (Stand Sept. 2013). Der Konzern Siemens ist seit 2002 mit 31 internen Restrukturierungsereignissen erfasst, die Spitzenposition in Deutschland, von denen über 15.000 Arbeitsplätze betroffen waren (drohender Abbau). Verglichen mit der Konzernentwicklung im letzten Jahrhundert (vgl. Decurtins 2002, S. 13 f.) dürfte für dieses Unternehmen eine Beschleunigung des organisationalen Wandels zu erkennen sein. Die Deutsche Bank andererseits ist innerhalb von 10 Jahren bislang mit nur 6 internen Restrukturierungen erwähnt, von denen ca. 5.000 Arbeitsplätze betroffen waren (davon 1.000 zusätzlich geschaffene). Ob dies für die Deutsche Bank eine Beschleunigung darstellt, sei dahingestellt.
- 2.
Im November und Dezember 2011 wurden hierzu 3.035 Erwerbstätige im Alter von 25 bis 65 Jahren mittels einer Online-Erhebung befragt. Auch Befragte ohne Internetzugang befinden sich in der Stichprobe – diese füllten den Fragebogen mithilfe eines Geräts am Fernseher aus. So sind Verzerrungen durch die Online-Erhebungsmethode ausgeschlossen. Kernstück der Befragung bildet das Instrument zur Messung beruflicher Gratifikationskrisen, das durch sechs Fragen die Verausgabung und durch elf Fragen die Gratifikation in Form von Wertschätzung, Lohn bzw. Gehalt, Arbeitsplatzsicherheit und Karrierechancen erhebt. (DAK-Gesundheitsreport 2012, S. 94)
- 3.
Einschränkend ist zu vermerken, dass es sich in beiden Überblicksarbeiten nicht um Langzeitstudien handelt, die Zeiträume von 10 Jahren und mehr abdecken. Die Chancen, Stress zu reduzieren und psychisch zu gesunden könnten deshalb unterschätzt sein.
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Über den Autor
Schirmer, Dr. Frank, ist Universitäts-Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Organisation an der TU Dresden. Er hat an der FU Berlin über Arbeitsverhalten von Managern promoviert und an der Leibniz Universität Hannover über Reorganisationsprozesse habilitiert. Forschungskooperationen u. a. mit der London School of Economics und der University of Oxford. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Change Management, Innovationsfähigkeit, demografischer Wandel, Politik und Macht in Organisationen. Frank Schirmer hat zahlreiche Bücher und Aufsätze publiziert. Letzte Buchveröffentlichung in Ko-Autorenschaft ist „Innovationsfähigkeit durch Reflexivität – Neue Perspektiven auf Praktiken des Change Managements“ (bei Springer Gabler 2012).
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Schirmer, F. (2014). Die hektische Organisation: Organisationaler Wandel als Treiber von Auszehrung. In: von der Oelsnitz, D., Schirmer, F., Wüstner, K. (eds) Die auszehrende Organisation. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-05307-9_8
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