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Einleitung: Die reflexive Wende in der Migrationsforschung

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Kultur, Gesellschaft, Migration.

Part of the book series: Studien zur Migrations- und Integrationspolitik ((SZMI))

Zusammenfassung

In diesem gleichsam einführenden wie programmatischen Beitrag wird die These verfolgt, dass sich in den letzten Jahrzehnten in der Integrations- und Migrationsforschung eine intellektuelle Krise ereignet hat, die vor allem die zentralen Grundbegriffe – Migration, Kultur und Gesellschaft – kritisch hinterfragt. Im Rahmen der daran anknüpfenden „reflexiven Wende“ geht es verstärkt darum, die Wissens- und Bedeutungszusammenhänge zum Thema zu machen, durch die Migration als abgrenzbares Phänomen in Erscheinung tritt. Den Konstruktcharakter wissenschaftlichen Wissens über Migration klarer zu erkennen, führt aber nicht zu einer Abkehr von empirischer Forschung, sondern stimuliert, wie dieser Sammelband zeigt, die Entwicklung neuer thematischer Zuschnitte, theoretischer Konzepte und Forschungsansätze, denen bei aller Pluralität gemein ist, dass sie sich aus den empirischen und intellektuellen Begrenzungen des ehemals dominanten Integrations- und Ungleichheitsparadigmas herausgelöst haben. Sie stehen in diesem Sinne für einen sich immer deutlicher abzeichnenden Paradigmenwechsel der Migrationsforschung.

Dieser Sammelband geht auf die Konferenz „Kultur, Gesellschaft, Migration. Eine anthropologische Wende in der Migrationsforschung?“, die im Juni 2011 am Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften in Göttingen stattfand, zurück. Für die großzügige finanzielle und logistische Unterstützung gilt dem MPI in Göttingen, der Max-Planck-Gesellschaft, Steven Vertovec, den Teilnehmerinnen der Konferenz und allen anderen, die zum Gelingen dieser Konferenz und diesem Sammelband beigetragen haben unser besonderer Dank.

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Notes

  1. 1.

    Um sprachliche Komplizierungen zu vermeiden, werden wir in Fällen, in denen Personen unterschiedlichen Geschlechts gemeint sind, zwischen femininen und maskulinen Substantivformen abwechseln.

  2. 2.

    ‚Nicht-Deutsche‘ haben vor allem kein aktives und passives Wahlrecht bei Bundes- und Landtagswahlen. Dies scheint eine der letzten rechtlichen Bastion der Ungleichheit zu sein, die der Grenze zwischen Inländern und Ausländern eine Grundlage geben. Auf kommunaler Ebene und bei Europawahlen hat sich allerdings auch diese Grenze aufgeweicht. Dort haben nicht-deutsche EU-Bürger das Wahlrecht.

  3. 3.

    Personen, die aus binationalen Ehen zwischen Deutschen und Staatsbürgern anderer EU-Länder hervorgehen, erhalten unter der Bedingung die doppelte Staatsbürgerschaft, dass das andere involvierte Land ebenfalls die deutsche Staatsbürgerschaft anerkennt.

  4. 4.

    Als Resultat der Unterregulierung und des Föderalismus weisen die ‚illegalen‘ und ‚semi-legalen‘ Grauzonen in Deutschland ein hohes Maß an lokaler und regionaler Varianz auf. So dürfen Kinder undokumentierter Migrantinnen in einigen Bundesländern in die Schule gehen, ohne dass die Schulen dies anderen Behörden melden müssten, während in anderen Bundesländern die Einhaltung der Meldepflicht eingefordert wird. Auch die Gesundheitsversorgung hängt stark von den semi-legalen und nicht-staatlichen lokalen Angebotsstrukturen für undokumentierte Migrantinnen ab. Die Unterregulierung des Umgangs mit undokumentierten Migranten und Migrantinnen scheint sich zum Politikstil verfestigt zu haben.

  5. 5.

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  6. 6.

    Vgl. Fußnote 4.

  7. 7.

    Diese Formulierung und der dahinter liegende Gedanke lehnt sich an die Arbeiten Rudolf Stichwehs zur Soziologie des Fremden an (Stichweh 2012).

  8. 8.

    Viele Transfers, die etwa in Form von Waren erfolgten, wurden nicht erfasst, genauso wenig wie die Geldbeträge, die außerhalb des Bankensystems über informelle Wege oder persönliche Netzwerke in die Herkunftsländer gelangten.

  9. 9.

    In jüngerer Vergangenheit wurde der Inklusionsbegriff verstärkt benutzt, um die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu fordern. In diesem Zusammenhang stellt sich aber die Frage, wie sich dies mit den dargestellten Abstraktionsgewinnen vereinbaren lässt.

  10. 10.

    Es ist kein Zufall, dass die Integrationsforschung sich stark auf den Zusammenhang von Sprache, schulischen Erfolg und Inklusion in den Arbeitsmarkt von Kindern mit Migrationshintergrund konzentriert. Trotz der Transnationalisierung von Arbeitsmärkten erscheint der Integrationsbegriff in diesem Kontext noch plausibler als in anderen Bereichen (etwa Religion, Politik oder Familie).

  11. 11.

    Wir bedanken uns bei Verena Stolcke als Teilnehmerin und Gerd Baumann als Berater für ihre konstruktiven Beiträge zu der Konferenz, aus der die Idee zu diesem Sammelband erwuchs. Der Tod Gerd Baumanns im Januar 2014 ist ein großer Verlust für die Migrationsforschung.

  12. 12.

    Stolckes These von der Differenz zwischen Rassismus und kulturellem Fundamentalismus blieb nicht unwidersprochen. So argumentierte etwa Aihwa Ong (1996), dass diese Unterscheidung analytisch in die Irre führe, weil sie die Gemeinsamkeiten zwischen den exkludierenden und hierarchisierenden Machtpraktiken verdecke.

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Nieswand, B., Drotbohm, H. (2014). Einleitung: Die reflexive Wende in der Migrationsforschung. In: Nieswand, B., Drotbohm, H. (eds) Kultur, Gesellschaft, Migration.. Studien zur Migrations- und Integrationspolitik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-03626-3_1

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