Zusammenfassung
Einleitend heben Fritz Oser und Horst Biedermann hervor, dass in der Tradition Lawrence Kohlbergs von Entwicklung nur dann gesprochen werden kann, wenn es eine Logik des individuellen Fortschritts gibt. In diesem Sinne ist es das Kernanliegen der Untersuchung, eine Matrix für politisches Urteilen zu entwickeln und theoretisch zwischen politischem und moralischem Urteil zu unterscheiden.
Anlass für diese Differenzierungsarbeit ist das Desiderat einer entwicklungspsychologischen Durchdringung politischen Denkens. In bisherigen Untersuchungen zur politischen Bildung wurden vor allem Einstellungen zu politischen Fragen abgefragt. Auf diese Weise könne jedoch nicht erkundet werden, wie das, was ist, geworden ist. In der politischen Bildungstheorie liegt also ein entwicklungstheoretisches Desiderat vor.
Ein weiteres erziehungswissenschaftliches Desiderat besteht darin, dass im Vergleich zum moralischen Bereich im politischen Bereich ein Mangel hinsichtlich der Explikation von Erziehungszielen festzustellen ist. Die Formulierung von Zielen politischer Erziehung setze jedoch eine politische Entwicklungstheorie voraus.
Zur Grundlegung einer politischen Entwicklungstheorie wird in der Folge eine Differenzierung der Bestimmungselemente moralischen und politischen Urteils vorgenommen. In einer empirischen Annäherung wird deutlich, dass bestimmte politische Themen wenig moralisiert, andere hingegen stark im Fokus der Moral diskutiert werden. Vor diesem Hintergrund werden Formen des Zusammenhangs zwischen politischem und moralischem Denken unterschieden. Die Autoren legen schließlich die erste Stufendifferenzierung politischen Urteilens vor.
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Notes
- 1.
Auch für die Domänen Ästhetik, Religiosität, Sozialkompetenz, ökonomisches Verhalten usw. müsste unter dem Ziele eines entwicklungspsychologischen Verstehens ähnliches je neu geleistet werden.
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Oser, F., Biedermann, H. (2014). Zwillinge, die wenig miteinander reden: Zum Vergleich moralischer und politischer Entwicklung. In: Garz, D., Zizek, B. (eds) Wie wir zu dem werden, was wir sind. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-03539-6_8
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