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Vom Nutzen und Nachteil des Scheiterns für die Gesellschaft. Grundzüge einer soziologischen Theorie des Bedauerns

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Scheitern - Ein Desiderat der Moderne?

Part of the book series: Innovation und Gesellschaft ((INNOVAT))

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Zusammenfassung

Von Erfolg und Scheitern kann nur dann die Rede sein, wenn die Primärorientierung des sozialen Handelns sich auf eine zweckmäßige Zukunft stützt. In der modernen Gesellschaft differenziert sich diese Zeitorientierung aufgrund von Funktionen aus. Die strukturellen Voraussetzungen sind jedenfalls grundsätzlich zwei: Der Anfang kann homogenisiert und die Differenzen müssen dem Teilsystem selbst zugerechnet werden, das sie erzeugt. Im ersten Fall handelt es sich darum, die Reibungsfähigkeit der Vergangenheit zu neutralisieren, damit sie nicht mehr als Indikator für die Zukunft wirkt (Luhmann, Die Wirtschaft der Gesellschaft, S. 102, 1990). Jedes Teilsystem inkludiert durch eine binäre Codierung (zum Beispiel erziehbar/nicht-erziehbar, zurechnungsfähig/zurechnungsunfähig), die vom ursprünglichen sozialen Umstand seiner Mitglieder absieht. Man stimmt bei der Wahl ab, wenn man volljährig ist und nicht, sobald man eine politische Meinung hat oder weil man zu einer Familie gehört. Aus demselben Grund gestaltet sich die alte Ökonomie um: Während der echte Reichtum nach Aristoteles (Pol. 1256b, S. 30 ff.) ausschließlich der geerbte ist, ist für das moderne Wirtschaftssystem die Herkunft des Geldes voll entbehrlich; nur die Art und Weise, wie man es weiter anlegen kann, spielt eine Rolle.

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Notes

  1. 1.

    In Bezug auf das Erziehungssystem vgl. Luhmann (1990, S. 90).

  2. 2.

    Wo der Anfang auf den Widerstand des vorangegangenen Endes stößt, spricht man von „Karriere“: Wer im Gefängnis saß, kann nur schwer einen Job finden.

  3. 3.

    „[…] Utrumque pendentis animi est, utrumque futuri expectatione“ (Seneca, Epist., 5, 8).

  4. 4.

    Es handelt sich um das klassische Thema der „praemeditatio futurorum malorum“; vgl. u. a. Seneca, Epist., 76, 34 f.: „Praecogitati mali mollis ictus venit“ (ein vorausgesehenes Unglück trifft weniger schwer).

  5. 5.

    Seneca, De const. sap., 5, 4 f.; 6, 3 zum Thema „securum aspicere, dura placide ferre“.

  6. 6.

    Es handelt sich um das Prinzip des „virtute temptare“, das besagt, dass sich im Scheitern die Tapferkeit und Würdigkeit des Menschen erweisen; vgl. u. a. Seneca, De const. sap., 9, 3.

  7. 7.

    Zum Begriff von Form siehe nur Spencer-Brown (1997).

  8. 8.

    Vgl. Shackle (1979, S. 56), der die Entscheidung als „cut between past and future“ vorstellt.

  9. 9.

    Dazu ausführlicher Luhmann (2011, Kap. 5).

  10. 10.

    Siehe zum Beispiel den Beitrag von Giancarlo Corsi in diesem Band.

  11. 11.

    Bell (1985a: 117) zeigt das anhand der Leitunterscheidung von actual outcome/prior expectation.

  12. 12.

    Siehe dazu den Beitrag von Giancarlo Corsi in diesem Band.

  13. 13.

    So Bell (1982, S. 961). Das Problem des Bedauerns ist in den Sozialwissenschaften bisher kaum untersucht worden; vgl. für einen Überblick Loomes und Sugden (1982).

  14. 14.

    „After a decision is made and its consequences experienced, additional information is available“ (Harrison und March 1984, S. 26).

  15. 15.

    Über das Paradox der self-defeating prophecies vgl. Merton (1936, S. 903 f).

  16. 16.

    „Only those questions that are in principle undecidable, we can decide“ (von Foerster 2003, S. 293). Ein funktionales Äquivalent ist die Warnung (vgl. Clausen und Dombrowsky 1984). Auch in diesem Fall stützt sich die Erläuterung auf eine mehrwertige Logik.

  17. 17.

    Vgl. darüber hinaus Dacunha-Castelle (1997, S. 174): Man versichert sich nicht gegen solche Situationen, in denen die Entscheidung des Geschädigten eine erhebliche Rolle spielt (z. B. gegen zerbrochene Ehen).

  18. 18.

    Ein derartiges Risiko ist von Anfang an als das Kennzeichen des Kredits betrachtet worden. Hier geht es darum, dass das Aufschieben der Realisierung eines Forderungsrechts eine bestimmte Gefahr involviert, „nämlich die Gefahr, dass an dem Zeitpunkt, an welchem die Erfüllung geschehen soll, möglicherweise dieselbe […] deshalb unterbleibt, weil der Schuldner dazu keine ausreichenden Mittel hat“ (Endemann 1866, S. 264).

  19. 19.

    In der Fachliteratur wird unterschieden zwischen Kumul und Katastrophe (vgl. u. a. Liebwein 2009, S. 50 f.); im Folgenden soll einfach von Katastrophen die Rede sein, unter der Voraussetzung, dass sie stets kumulative Schäden hervorbringen.

  20. 20.

    Vgl. darüber hinaus Cevolini (2011).

  21. 21.

    Der Hurrikan „Kathrina“ verursachte 2005 Versicherungsschäden in Höhe von 45 Mrd. US-Dollar. Jüngeren Einschätzungen zufolge würde ein Verlust von 100 Mrd. US-Dollar cirka 30 % der Eigenkapitalbestände der US-Versicherungsindustrie vernichten, aber gleichzeitig weniger als 0,5 % des Wertes der amerikanischen Aktien und Anleihen betragen (Ritter 2006, S. 41).

  22. 22.

    Mitte der 1990er Jahren stellten Kielholz und Durrer (1997, S. 4) deutlich fest: „A new link is emerging between the insurance industry and the financial markets“.

  23. 23.

    Darüber hinaus vgl. Albrecht et al. (1994, insbesondere S. 662 ff.), Schradin (1997, S. 896 ff.) und White (2001, S. 323 ff.).

  24. 24.

    Für die Schilderung dieses historischen Beispiels vgl. Liebwein (2009, S. 489 f.).

  25. 25.

    Shackle (1979, S. 9) spricht von „rival possibilities“ als „rival choosables that are imagined possible“.

  26. 26.

    Aus diesem Grund ist, je näher die Frist rückt, desto niedriger der Wert der Option, denn zusammen mit der Zukunft schränkt sich auch die Ungewissheit ein.

  27. 27.

    Nach Shackles Unterscheidung von counter-expected/unexpected events (vgl. Shackle 1953, S. 112 f.).

  28. 28.

    Nicht der Thermostat, sondern die Heizung erwärmt tatsächlich das Zimmer.

  29. 29.

    Vergleiche zu dieser Zusammenfassung Luhmann (2004, S. 52 ff., insb. 55).

  30. 30.

    Man verzichtet damit auf jede Prognosefehler korrigierende Prognose, die wiederum zu korrigieren wäre.

  31. 31.

    In Bezug auf die Wetterderivate siehe Hee und Lutz 2006, S. 67 ff.

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Cevolini, A. (2014). Vom Nutzen und Nachteil des Scheiterns für die Gesellschaft. Grundzüge einer soziologischen Theorie des Bedauerns. In: John, R., Langhof, A. (eds) Scheitern - Ein Desiderat der Moderne?. Innovation und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19181-2_13

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