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Kommunikation von Zukunftserwartungen im Kinderschutz – Interaktionen als Orte der Zukunftsgestaltung

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Rationalitäten des Kinderschutzes
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Zusammenfassung

Betrachtet man den institutionalisierten Kinderschutz nicht aus einer programmatischen Perspektive mit Blick darauf, was getan werden soll, sondern ausgehend von seiner lokalen Verwirklichung, so fallen unterschiedliche Formen ins Auge, wie Kinderschutz im Kontext von Programmatiken praktisch „gemacht“ wird. Kommunikations- und praxisanalytische Studien weisen auf wiederkehrende professionelle und institutionelle Handlungsmuster und Skripte hin, die typisch für das Handlungsfeld sind (vgl. Klatetzki 2003; Bohler 2006). So lässt sich unter anderem zeigen, dass die Hilfen zur Erziehung mit Prozessen der Konstruktion von Klienten einhergehen (vgl. Hall et al. 2003; Messmer und Hitzer 2007). Eine ethnographische Studie stellt heraus, dass MitarbeiterInnen des Allgemeinen Sozialen Dienstes in ihrem Arbeitsalltag ihnen besonders nahe liegende spezifische Varianten genereller Handlungsmuster nutzen, dass also die jeweiligen familialen Problemsituationen von Habituierungen und Routinen überformt werden (vgl. Retkowski et al. 2012). Im Rahmen der zuletzt genannten Studie fiel auf, dass SozialarbeiterInnen in Interaktionen mit Familienmitgliedern explizit und implizit Zukunftserwartungen kommunizieren (vgl. ebenda).

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Notes

  1. 1.

    Kinderschutz wird an dieser Stelle wie Soziale Arbeit allgemein als auf Koproduktion angewiesen verstanden (vgl. dazu Oevermann 1996; Schaarschuch 1999).

  2. 2.

    Luhmann und Schorr weisen auf ein Technologiedefizit der Pädagogik (1982) hin. Pädagogische Prozesse lassen sich nicht technologisch steuern, sie sind auf die Koproduktion (vgl. dazu Oevermann 1996; Schaarschuch 1999) der Beteiligten angewiesen. Die Tatsache, dass sie nicht wie Technologien wirken, ändert jedoch nichts daran, dass sich empirisch wiederkehrende sozialarbeiterische Techniken und Methoden identifizieren lassen.

  3. 3.

    Auf das Phänomen der „selbsterfüllenden Prophezeiung“ hat Robert Merton aufmerksam gemacht, er sieht sie als Verwirklichungen des sogenannten Thomas-Theorems, das lautet: „Wenn die Menschen Situationen als real definieren, sind sie in ihren Konsequenzen real.“ Gunnar Myrdal beschreibt selbst erfüllende Prophezeiungen auf der gesellschaftlichen Ebene. Er stellt dar, dass Vorurteile gegenüber Schwarzen ihre eigene Bestätigung produzieren, indem die ethnische Unterschichtung der Gesellschaft zur Annahme beiträgt, diese sei gerechtfertigt, was wiederum zur Perpetuierung der Schlechterstellung beiträgt.

  4. 4.

    Vgl. zur Bedeutung der Wahl auch unter Zwangsbedingungen (Kähler 2005).

  5. 5.

    Nicht nur explizite Thematisierungen von Zukunftserwartungen, sondern auch die dabei impliziten Fremdentwürfe über Adressierungen und die mit ihnen einhergehenden Subjektivierungsprozesse sind dabei von Interesse, worauf gouvernementalitätstheoretische Überlegungen zu Formen der Selbst- und Fremdführung hinweisen (vgl. Kessl 2006).

  6. 6.

    Leistungen der Sozialen Arbeit werden wesentlich als Interaktionen unter Anwesenden erbracht. Kommunikation geschieht hier unter der Bedingung der Anwesenheit der AdressatInnen und der wechselseitigen reflexiven Wahrnehmung von Professionellen und AdressatInnen. Anwesenheit ist dabei als eine Hervorbringung der Kommunikation und nicht der physischen Anwesenheit zu verstehen, also als eine Kommunikation in der mitkommuniziert wird, dass es sich um eine Kommunikation unter Anwesenden handelt. Die dabei vorherrschenden Sprecherrollen sind über Codierungen und Programmierungen der Funktionssysteme gegeben und die Interaktionsmodi durch die jeweilige Funktionsorientierung mit geleitet. Über die organisationale Rahmung kommt es zur Steigerung der Wahrnehmungsfähigkeit durch eine Distanzierung breiterer Wahrnehmungen und durch Formen kommunikativer Disziplinierung, z. B. im Hinblick auf Verhaltensauffälligkeiten und Zeichen von Hilfsbedürftigkeit bzw. von Autonomie (vgl. Bommes und Scherr 2002).

  7. 7.

    Hericks (2004, S. 203 f.) entwirft ausgehend von praktischen Prozessen Überlegungen zu einer „Bildungsgangdidaktik“: Sie „stellt die tatsächlichen Lern- und Bildungsprozesse in das Zentrum ihrer Theoriebildung und sucht den Blick der Lehrenden für Anschlussmöglichkeiten der Schüler zu schärfen. Sie sucht m. a. W. ihren Blick für Unterrichtsereignisse zu schärfen, die ein subversives Unterlaufen des (fachlich) Etablierten und dessen originelle Rücktransformation in subjektive Wirklichkeit seitens der Schüler indizieren. (…) Die Bildungsgangdidaktik beharrt auf der Sicherung von Freiräumen für Schülereigentätigkeiten im Unterricht (…). Inhaltlich empfiehlt die Bildungsgangdidaktik Ungewissheit, Differenz und Kontingenz explizit zum Thema des Fachunterrichts zu machen.“

  8. 8.

    Vgl. kritisch zu sozialer Arbeit als Führung Kessl (2006).

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Schäuble, B. (2012). Kommunikation von Zukunftserwartungen im Kinderschutz – Interaktionen als Orte der Zukunftsgestaltung. In: Marthaler, T., Bastian, P., Bode, I., Schrödter, M. (eds) Rationalitäten des Kinderschutzes. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19146-1_10

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