Zusammenfassung
„Jedes Menschenleben verdient eine Erzählung“, stellt Richard Maria Werner 1895 fest, „wenn sich nur der Erzähler Rechenschaft giebt, was er erreichen will“ (Werner 1895, 115). Die Auswahl einer Lebensgeschichte als Gegenstand einer Biographie wird durch die ihr zugedachte Funktion und das zugrunde liegende Erkenntnisinteresse bestimmt. Während sich die geistes- und kulturgeschichtliche Biographik zum Großteil Personen widmet, die als bedeutend angesehene Werke hinterlassen haben oder deren Handeln als wirkungsmächtig betrachtet wird, interessiert sich die soziologische Biographieforschung für Lebensgeschichten, die als repräsentativ für eine soziale Gruppe oder eine Generation gelten können, ohne dass dabei individuelle Eigenheiten völlig ausgeblendet oder Abweichungen von einer immer konstruierten Norm ignoriert würden. Die Frage, nach welchen Kriterien eine Lebensgeschichte für eine Biographie ausgewählt wird, ist eng verbunden mit der Funktionsweise von kulturellem Gedächtnis, mit Kanonisierungsprozessen und ihren Gegenbewegungen sowie mit sozialen, politischen und wirtschaftlichen Machtkonstellationen. Die Kriterien für ,Biographiewürdigkeit ändern sich im Laufe der Zeit, in Abhängigkeit von dominierenden wissenschaftlichen Tendenzen, gesellschaftlichen Kontexten und den Anforderungen des Buchmarktes.
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Literatur
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Schweiger, H. (2022). Biographiewürdigkeit. In: Klein, C. (eds) Handbuch Biographie. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05843-0_7
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