Jergović, Miljenko: Freelander

Zusammenfassung

Im Zentrum des 2007 erschienenen Romans steht der vereinsamte Zagreber Geschichtslehrer Karlo Adum. Achtlos in den Ruhestand entlassen und unlängst verwitwet, erhält er eine Einladung zu einer Testamentseröffnung in die Geburtsstadt Sarajevo. Mit seiner Autofahrt durch Slawonien und Bosnien führt Jergović den Leser durch zwei Welten, die in zahlreichen Rückblenden eng miteinander verflochten sind: durch die postapokalytische Landschaft der Jahrtausendwende, die von Schnellimbissen, schäbigen Hotels, Kriegsgräbern und neuen Gotteshäusern geprägt ist, und durch die kroatische Geschichte vom Ustaša-Regime bis zum postsozialistischen Nationalstaat. Beide Ebenen sind durch die Perspektive des reisenden und sich im Reisen erinnernden Protagonisten bestimmt und suggerieren eine wechselseitige kausale Abhängigkeit, die letztlich in der ethnischen Repräsentanz der Figuren begründet liegt: Ohne dass sich Karlo Adum dessen bewusst wäre, spiegelt sich in seinem Leben ein Grundzug seiner Mutter wider. „Mama Cica“, eine lasziv-schöne Schneiderin, genoss während des Zweiten Weltkriegs das Leben einer Geliebten hoher faschistischer Offiziere, stellte sich nach dem Krieg ebenso lebensfreudig und unbesorgt in den Dienst der Kommunisten und identifizierte sich in den 1990er Jahren wieder mit dem Lager der neugläubigen Nationalpatrioten. Als Kind hatte sich Adum ihre jähe Wandlung angesichts der anrückenden Partisanen dadurch erklärt, dass er das menschliche Leben als Sammlung kleiner Leben betrachtet, die alle ihr eigenes Gesicht haben, bis der Mensch „mit seinem letzten Gesicht vor Gott“ steht.

Ursprünglich veröffentlicht unter © J.B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH