Nothing’s Shocking

Die Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA hat weite Teile der politischen Öffentlichkeit in eine Art Schockzustand versetzt. Nicht nur hatte kaum jemand ernsthaft damit gerechnet, dass sich der populistische Immobilienmogul und TV-Entertainer gegen eine versierte Politikerin wie Hillary Clinton (immerhin ehemalige First Lady, Außenministerin und Senatorin für den Bundesstaat New York) durchsetzen würde; auch scheint sich seit der Wahl zu zeigen, dass es die Trump-Regierung ‚ernst meint‘, d. h. noch rücksichtsloser mit der politischen Opposition und kritischen Medien, staatlichen Institutionen und der Justiz, internationalen Abkommen und Allianzen sowie den allgemeinen Gepflogenheiten, Normen und Traditionen des politischen Geschäfts verfährt, als man dies ohnehin befürchtet hatte. And what’s gonna happen next? In der Tat herrscht vielerorts der Eindruck vor, die USA hätten sich seit dem 8. November 2016 in ein gänzlich fremdes Land verwandelt.

Ziel dieses Aufsatzes ist es, den beschriebenen Schockzustand mit Blick auf seine beiden Seiten zu analysieren: einerseits hinsichtlich der von Trump betriebenen Politik der StörungFootnote 1 und des Schocks (vgl. Klein 2017), ihrer Techniken und Taktiken, Voraussetzungen und Verfahrensweisen; andererseits aber auch mit Blick auf die geschockte (liberale) Öffentlichkeit und dasjenige, was sich in loser Anlehnung an Wolfgang Hagen als ihre ‚Gegenwartsvergessenheit‘ bezeichnen lässt (vgl. Hagen 2003). Der Aufstieg Trumps von der Marke zum Präsidenten ist freilich nicht voraussetzungslos, sondern hat sich auf vielfältige Weise angekündigt. So hat sich während der Präsidentschaft Obamas – dessen Wahl gerade in Europa als Triumph des ‚guten‘, weltoffenen, multikulturellen und liberalen Amerikas gedeutet wurde – ein gänzlich anderes Amerika konstituiert, das lange unterhalb der medialen Aufmerksamkeitsschwelle verblieb und auch von den Demoskopen nicht adäquat erfasst wurde. Dieses andere Amerika (‚the deplorable America‘, um es in Anlehnung an Hillary Clinton zu sagenFootnote 2) lässt sich als Ausdruck eines signifikanten Rechtsrucks verstehen, vor allem aber markiert es eine Krise des klassischen Establishments, des westlichen Modells der liberalen Demokratie und ihrer lange als alternativlos geltenden ökonomischen Grundsätze (Neoliberalismus, Freihandel, Globalisierung). Wenn Trump im vorliegenden Aufsatz als Symptom begriffen werden soll, dann heißt dies in erster Linie, den Ausgang der Wahl 2016 nicht als isoliertes Phänomen zu betrachten, sondern ihn im Kontext dieses ‚populistischen Moments‘ zu verorten, der aktuell die politische Ordnung Europas und der USA – und mithin der Welt insgesamt – herausfordert und durcheinanderbringt.Footnote 3 Ferner heißt es, anzuerkennen, dass die viel zitierte ‚Krise der Demokratie‘ keinesfalls erst durch die Wahl Trumps, den Brexit und den Aufstieg des Rechtspopulismus ausgelöst wurde, sondern vielmehr als Ursache dieser Entwicklungen zu begreifen ist.Footnote 4 „Der Populismus“, so Jörke und Selk, „ist eine Reaktion auf die nicht eingehaltenen Versprechen der Demokratie“ (Jörke/Selk 2017: 13).

Dass Trumps Präsidentschaft von zahlreichen Problemen und Konflikten geprägt ist, sollte nicht vorschnell als Hinweis gedeutet werden, der ‚Spuk‘ könne schon bald wieder vorüber sein. Sicherlich: Angesichts der fortwährenden Turbulenzen (die sog. ‚Russia investigation‘, Stormy Daniels und andere private Affären, Konflikte mit dem FBI und dem Justice Department, ständige Personalwechsel und parteiinterne FlügelkämpfeFootnote 5) ist es durchaus möglich, dass Trumps Amtszeit schon vor der nächsten regulären Präsidentschaftswahl der Geschichte angehört. Die über 40 % der US-Wahlberechtigten, die ihn den meisten Statistiken zufolge kontinuierlich unterstützen (vgl. RealClearPolitics 2018), werden jedoch nicht annähernd so schnell wieder verschwunden sein. Um das Phänomen (oder besser: das Ereignis) Trump zu begreifen, ist es somit notwendig, über die Person Trump hinauszugehen und die ökonomischen, politischen, kulturellen, medialen und ideologisch-affektiven Bedingungen und Transformationen in den Blick zu nehmen, die seinen Aufstieg überhaupt erst ermöglicht haben.Footnote 6

Wie eingangs beschrieben, ist die Wahl Trumps von der liberalen Öffentlichkeit mehrheitlich als Schock empfunden worden: quasi als ‚Einbruch des Realen‘, wie sich in Anspielung an Trumps Twitter-Account (@realDonaldTrump) formulieren lässt. Besser als an die Psychoanalyse Lacans – der das Reale im Sinne eines unartikulierbaren Alptraums oder Traumas konzipiert – lässt sich in diesem Zusammenhang jedoch an die Filmphilosophie von Gilles Deleuze anknüpfen. Die Analogie zum Kino ist dabei nicht ganz zufällig, denn in der Tat kann das politische Agieren der Trump-Regierung mitunter wie eine Mischung aus Reality TV und kinematografischem Spektakel erscheinen: als Film, der in Echtzeit abläuft, ohne dass für das staunende Publikum die Möglichkeit eines Eingriffs oder einer Intervention besteht. Auf in mancher Hinsicht vergleichbare Weise hat Deleuze den Übergang des ‚Bewegungs-Bilds‘ zum ‚Zeit-Bild‘ beschrieben, nämlich durch das Auftauchen von kinematografischen Figuren, die eher ‚Sehende‘ als ‚Handelnde‘ sind, da sie vermehrt in ‚rein optische Situationen‘ geraten, die jeglicher Handlungsmöglichkeit entzogen scheinen. Im italienischen Neorealismus etwa wird die Filmfigur

„selbst gewissermaßen zum Zuschauer. Sie bewegt sich vergebens, rennt vergebens und hetzt sich vergebens ab, insofern die Situation, in der sie sich befindet, in jeder Hinsicht ihre motorischen Fähigkeiten übersteigt und sie dasjenige sehen und verstehen läßt, was nicht mehr von einer Antwort oder Handlung abhängt. Kaum zur Reaktion fähig, registriert sie nur noch. Kaum zum Eingriff in eine Handlung fähig, ist sie einer Vision ausgeliefert, wird von ihr verfolgt oder verfolgt sie selbst“ (Deleuze 1997a: 13).

Dasjenige, was hier gesehen wird, löst gewissermaßen einen Schock aus und demobilisiert. Laut Deleuze kann dieser Zusammenbruch des „sensomotorischen Schemas“ (ebd.: 60) jedoch auch zu neuen Reflexionsweisen und folglich zu einer Änderung des Habitus führen.Footnote 7 Es wäre zu hoffen, dass das Ereignis Trump – der ‚reale‘ Donald Trump – einen ähnlichen Effekt auf die schockierte politische Öffentlichkeit haben wird. Dass also der Schock nicht zum Dauerzustand wird, sondern letztlich eine heilsame Wirkung erzielt, indem er das Denken affiziert und in Bewegung versetzt, sodass sich auf diese Weise neue Handlungsoptionen ergeben.

Politik der Akzeleration

Das Gefühl der Ohnmacht und des Schocks bezieht sich nicht allein auf den ‚Inhalt‘ von Trumps Politik, etwa darauf, wie sein rechtspopulistischer Nativismus den Status quo des transnationalen politisch-ökonomischen Gefüges bedroht. Auch ist es nicht bloß die allgemeine ‚Form‘, d. h. die ständige Verletzung der politischen Anstandsregeln oder die Umkehrung des Verhältnisses von Fakt und Fiktion, truth and fake (vgl. Schleusener 2018b). Sicherlich spielt all dies eine Rolle. Noch wesentlicher ist allerdings die zeitliche Komponente: der Eindruck also, dass sich die Ereignisse überschlagen, dass man stets überrumpelt wird. Dieses Phänomen lässt sich durchaus im Sinne der ‚dromologischen‘ Überlegungen Paul Virilios zum Verhältnis von Geschwindigkeit und Politik (Virilio 1980) analysieren. Wie Virilio argumentiert, stellt die Geschwindigkeit nicht nur das bestimmende Element der modernen Gesellschaft dar, sondern erweist sich auch als entscheidender Faktor für die Durchsetzung militärischer, politischer oder ökonomischer Ziele.Footnote 8 Was Virilio diesbezüglich über die Raketentechnologie erläutert – „der Unmittelbarkeit der Aktion über große Distanzen korrespondiert die Niederlage des überraschten Gegners“ (ebd.: 177) – lässt sich auf vergleichbare Weise über die „absolute Geschwindigkeit“ digitaler Übertragungsmedien sagen (Virilio 1993: 68).

Wesentlich für Trumps Politik der Geschwindigkeit ist in dieser Hinsicht das Echtzeitmedium Twitter, durch das es ihm gelingt, seine über 59 Mio. Follower jederzeit in Sekundenschnelle zu erreichen (vgl. Turner 2018 und Cowls/Schroeder 2018). Seit seiner Amtseinführung im Januar 2017 hat Trump ca. 7000 Tweets abgesetzt, das entspricht einer Rate von annähernd neun Tweets pro Tag (vgl. Trump Twitter Archive 2018). Jeder dieser Tweets eröffnet potenziell einen neuen Schauplatz im medialen Diskurs oder führt zu einer Umformung der öffentlichen Aufmerksamkeitsökonomie. Etwa kann ein Beitrag des konservativen Fernsehsenders Fox News unmittelbar zu einem Tweet animieren, der unter Umständen eine internationale Krise auslöst, zugleich aber Trumps base in Ekstase versetzt. Die ‚Unmittelbarkeit‘ des Mediums fördert mithin die Vorstellung, es existiere ein direkter Draht zwischen Trump und seinen Followern. So dient Twitter dem am Reality TV geschulten Präsidenten nicht bloß dazu, seine vermeintliche Authentizität, Nahbarkeit und Impulsivität zu unterstreichen (ein wesentlicher Baustein seiner ‚charismatischen‘ Amtsführung); auch stellt das Medium ein perfektes Instrument zur affektiven Mobilisierung seiner Anhänger*innen dar und dient der Beschäftigung und Ablenkung der kritischen Medien. Die von Fred Turner aufgeworfene Frage – „How a Medium Designed for Democracy Became an Authoritarian’s Mouthpiece“ (Turner 2018) – ist daher irreführend. Bei Twitter handelt es sich um kein ursprünglich demokratisches Medium, das Trump für seine Zwecke umfunktioniert hat. Vielmehr fungiert die auf maximal 280 (vormals 140) Zeichen begrenzte Twitter-Mitteilung als ideales Medium für die rechtspopulistische Strategie der Provokation und Zuspitzung: „Sie darf nicht nur, sie muss verkürzen, zuspitzen, personalisieren“ (Seeßlen 2017: 73 f.). Bei Twitter handelt es sich buchstäblich um ‚Gezwitscher‘, d. h. um ein post-diskursives Signal-Medium, das sich für die affektive Mobilmachung der eigenen Anhänger*innenschaft ebenso gut eignet wie für die Provokation des politischen Gegners.

Trumps akzelerationistische Twitter-Politik fördert somit einerseits das Vergessen und Verblassen: Jeder Skandal wird stets durch den nächsten abgelöst, auf jeden Schlag folgt ein unmittelbarer Gegenschlag.Footnote 9 Was daher entsteht, ist der Eindruck einer allgemeinen Zerstreuung. Immer scheint die Zeit zu fehlen, sich auf die vielen kleinen Skandale zu konzentrieren, da diese jeweils von der nächsten Eilmeldung, dem nächsten Ablenkungsmanöver oder Gegenschlag, durchgestrichen werden. Vergleichbar mit der Argumentation Virilios korrespondiert mit der Politik der Geschwindigkeit also auch hier eine Logik – und ‚Ästhetik‘ – des Verschwindens (vgl. Virilio 1986).

Andererseits führt Trumps Beschleunigungspolitik auch zum Anwachsen der Kontingenz. Die Aufmerksamkeit richtet sich stets auf das Kommende, das jedoch umso weniger planbar erscheint: „What will Trump say next?“Footnote 10 Aus genau diesem Grund ist es (abgesehen vom reinen Tagesjournalismus) auch so schwierig, über Trump zu schreiben. Der vorliegende Text etwa entstand größtenteils im Zeitraum von September bis Oktober 2018, also noch vor den Zwischenwahlen im November. Derzeit ist kaum absehbar, was sich ereignet haben wird, wenn der Aufsatz veröffentlicht ist. Verlieren die Republikaner ihre Mehrheit im Kongress? Feuert Trump seinen Attorney General? Kippt er das 14. Amendment? Fördert Robert Mueller neue Indizien gegen Trump und seine Alliierten zutage? Oder wird Mueller abgesetzt? Kommt es gar zum Amtsenthebungsverfahren? Und was passiert auf internationaler Ebene: Beendet Nordkorea sein Atomprogramm oder kommt es zur neuerlichen Eskalation? Was geschieht mit Syrien? Was wird aus der NATO und den internationalen Freihandelsabkommen? Dadurch, dass Trump den Status quo aufkündigt, der die amerikanische Politik in den letzten Jahrzehnten bestimmt hat, verflüchtigt sich auch jedes Gefühl der Sicherheit und Erwartbarkeit, das sich während der langen Jahre politischer Alternativlosigkeit noch einstellen konnte. Alles scheint wieder möglich – auch das Schlimmste. Die potenziellen Konsequenzen dieser Politik, das mögliche aus-dem-Ruder-Laufen oder Abgleiten ins Chaos, macht Trump sich durchaus zunutze, etwa indem er die internationalen ‚Partner‘ zu Zugeständnissen zwingt, um eben jenes Schlimmste zu verhindern (eine Strategie, die nicht selten erfolgreich ist, denn wie das globale Bankensystem gelten auch die USA als ‚too big to fail‘). Es ist klar, dass diese Politik der kalkulierten Überrumpelung ganz wesentlich von der Nutzbarmachung der Medien abhängt: von der Schnelligkeit und Unmittelbarkeit der social media platforms; der Möglichkeit, gezielt Falschmeldungen und Gerüchte zu streuen (Twitter, Facebook, Breitbart News); dem Bedienen der ‚Sensationslust‘ aufseiten der traditionellen Nachrichtenmedien (Presse und Fernsehen).

So ist das vielleicht größte Paradox Trumps, dass einerseits zwar seine gesamte politische Existenz medial bedingt ist, d. h. ohne ausgeprägte Medienaffinität gar nicht denkbar wäre;Footnote 11 dass andererseits aber die Verachtung ‚der Medien‘ (‚the dishonest media‘, „enemy of the people“, „fake news“, „failing New York Times“ usw.) zum Grundrepertoire seines Populismus gehört.

Race/Class

Im medialen und akademischen Diskurs konkurrieren im Wesentlichen zwei unterschiedliche Narrative, die den Ausgang der Präsidentschaftswahl 2016 erklären sollen. Zum einen existiert die Lesart, dass die Wahl Trumps unmittelbar rassistisch (und teilweise sexistischFootnote 12) motiviert war. Nach acht Jahren unter einem afro-amerikanischen Präsidenten, so die These, hat sich ein regelrechter whitelash ereignet (vgl. Agerholm 2016). Trumps systematische Mobilisierung xenophober, rassistischer, islamfeindlicher und misogyner Affekte wird dementsprechend so gedeutet, dass sie der verbreiteten Sehnsucht nach Wiederherstellung der Ordnung weißer, männlicher Vorherrschaft („Make America great again“) entgegenkommt – einem Impuls, der sich mit Zygmunt Bauman als ‚retrotopisch‘ bezeichnen lässt (Bauman 2017).Footnote 13 Die andere Lesart ist stärker ökonomisch fundiert und verweist darauf, dass durch die zunehmende Fokussierung der Demokraten (und allgemein der amerikanischen ‚Linken‘Footnote 14) auf Themen wie Identität und Geschlecht, Diversität und Diskriminierung die Frage der Klassenzugehörigkeit und der sozial-ökonomischen Ungleichheit vernachlässigt wurde, was sich Trumps auf die white working class zugeschnittener Wahlkampf zunutze machte. Unterstützt wird diese Lesart dadurch, dass sich (mit Ausnahme Floridas) alle derjenigen Bundesstaaten, die 2016 von den Republikanern hinzugewonnen wurden (Iowa, Wisconsin, Michigan, Ohio und Pennsylvania), in der sog. rust belt area befinden – in einer Gegend also, die dezidiert durch die Industriearbeiterschaft geprägt ist und traditionell eher von den Demokraten dominiert wird.Footnote 15

Die tendenzielle ‚Konkurrenz‘ dieser beiden Interpretationen verweist in erster Linie auf die jüngere Entwicklungsgeschichte der Linken und des kritischen Diskurses, der im Zuge der Postmodernisierung (und ‚Kulturalisierung‘) der Geistes- und Sozialwissenschaften in den 1980er und 1990er Jahren zunehmend vom marxistisch geprägten Theoriehorizont der Vergangenheit abrückte und sich bisweilen mit Ansätzen wie der ‚Politik der Anerkennung‘ verbündete (vgl. Taylor 1992; Fraser/Honneth 2003).Footnote 16 Seit der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 ist jedoch ein gewisses Comeback marxistischer und anderer kapitalismustheoretischer Perspektiven zu beobachten, sodass gerade auch das Phänomenon des Populismus heute vermehrt im Kontext des Ökonomischen analysiert wird.Footnote 17

Natürlich lässt sich für das Verständnis der Wahl Trumps zunächst an beide Lesarten anknüpfen. So ist unbestritten, dass Rassismus in den USA – die sich zu wesentlichen Teilen noch immer als räumlich und sozial segregierte Nation manifestieren – längst nicht der Vergangenheit angehört, und dass sich alle mit Obamas Wahl verbundenen liberalen Hoffnungen bezüglich eines ‚Post-racial America‘ (Schorr 2008) heute als naiv darstellen. Trump hat sich die konfliktreichen Rassenbeziehungen, soziale Stereotypen und kulturell codierte Identitätskonstruktionen politisch zunutze gemacht und dabei mehrfach die Grenze überschritten, die traditionell zwischen dem Mainstream-Konservatismus der Republikaner und dem offenen Rassismus der white supremacists gezogen wird.Footnote 18 Typisch für die Strategie der neuen Rechten ist dabei, dass Trump den Rassismusvorwurf freilich stets von sich weist (‚I’m the least racist person you’ve ever interviewed‘) und das Überschreiten ‚roter Linien‘ der politischen Korrektheit mitunter als Spiel begriffen wird, das in erster Linie auf die (Über-)Reaktion der etablierten Medien und der liberalen Öffentlichkeit gemünzt ist (vgl. Strick 2018). Unabhängig von Trumps ‚wirklicher‘ Haltung gegenüber Rassendiskriminierung und ethnischer Differenz ist jedoch allzu offensichtlich, dass sich Rechtsextreme, weiße Rassisten und die Alt-Right-Bewegung seit Trumps Wahl zum Präsidenten im Aufwind fühlen.

Schaut man sich den Ausgang der Wahl 2016 allerdings genauer an, dann wird deutlich, dass es sich eine vornehmlich den ‚Race‘-Aspekt betonende Lesart zu einfach macht. Hier ist zunächst zur Kenntnis zu nehmen, dass die Demokratin Hillary Clinton insgesamt fast drei Millionen Stimmen mehr erhielt als Donald Trump. Wenn also von einem ‚massiven Rechtsruck‘ die Rede ist, dann betrifft dies in erster Linie die Entwicklung innerhalb der Republikanischen Partei, die seit dem Aufkommen der Tea-Party-Bewegung kontinuierlich nach rechts gedriftet ist. Dass Trump trotz seines deutlichen Stimmendefizits zum Präsidenten gekürt wurde, verdankt sich indes einer Besonderheit des amerikanischen Wahlsystems: nämlich der Tatsache, dass für die Wahl des Präsidenten nicht die popular vote (d. h. die Anzahl der abgegebenen Stimmen), sondern das electoral college ausschlaggebend ist, das sich aus den von den Einzelstaaten entsendeten Wahlmännern zusammensetzt. Da die Anzahl der Wahlleute die Einwohnerzahl des jeweiligen Bundesstaats nur bedingt widerspiegelt, sind die bevölkerungsreichen Staaten – unter denen viele zu den Demokraten tendieren (Kalifornien, New York usw.) – einem gewissen Nachteil ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund lässt sich erklären, dass die Republikaner seit 1992 zwar nur bei einer Wahl die popular vote gewannen (2004 durch George W. Bush), aber drei Mal den Präsidenten stellten (2000, 2004, 2016).Footnote 19 In Anlehnung an Trump lässt sich somit behaupten: The system is indeed rigged (but it is rigged in favor of the GOP…).

Betrachtet man außerdem die im Rahmen der exit polls ermittelten demografischen Daten (vgl. auch Schleusener 2018a: 24 f.), dann fällt auf, dass weiße Wähler*innen ironischerweise die einzige ethnische Gruppe darstellen, die 2016 zu einem geringeren Prozentsatz die Republikaner gewählt hat als vier Jahre zuvor (58 % gegenüber 59 %). Dagegen konnte Trump (im Vergleich zu Romney 2012) bei Afro-Amerikaner*innen, Asiat*innen sowie Latinos und Latinas leicht zulegen (vgl. Abb. 1 und 2). Am auffälligsten jedoch ist die Wählerwanderung im Bereich der einkommensschwachen Wählergruppen, d. h. bei Personen mit einem Jahreseinkommen, das unterhalb von 30.000 bzw. 50.000 US$ liegt. Zwar hat Hillary Clinton hier noch einen recht deutlichen Vorsprung vor Trump – denn traditionell tendieren Wähler*innen aus den unteren Einkommensschichten zu den Demokraten –, doch ist es den Republikanern genau hier am besten gelungen, Stimmen hinzuzugewinnen, während die Demokraten hohe Verluste hinnehmen mussten (vgl. Abb. 3 und 4). In dieser Hinsicht lässt sich durchaus argumentieren, dass die ökonomische Dimension für die Wahl Trumps eine entscheidende Rolle gespielt hat.Footnote 20

Abb. 1
figure 1

Exit polls der Präsidentschaftswahl 2016 (‚Race‘). Links die Prozentpunkte für die demokratische Kandidatin (Hillary Clinton), rechts für den republikanischen Bewerber (Donald Trump)

Abb. 2
figure 2

Exit polls der Präsidentschaftswahl 2012 (‚Race‘). Links die Prozentpunkte für den demokratischen Kandidaten (Barack Obama), rechts für den republikanischen Bewerber (Mitt Romney)

Abb. 3
figure 3

Exit polls der Präsidentschaftswahl 2016 (‚Income‘). Links die Prozentpunkte für die demokratische Kandidatin (Hillary Clinton), rechts für den republikanischen Bewerber (Donald Trump)

Abb. 4
figure 4

Exit polls der Präsidentschaftswahl 2012 (‚Income‘). Links die Prozentpunkte für den demokratischen Kandidaten (Barack Obama), rechts für den republikanischen Bewerber (Mitt Romney). Graphics from the article ‘Election 2016: Exit Polls’ by Jon Huang, Samuel Jacoby, Michael Strickland and K.K. Rebecca Lai originally appeared in the The New York Times on November 8, 2016 are copyright The New York Times and are used here by permission

Die Krise des Neoliberalismus

Wie aber ist es Trump gelungen, derart viele Wähler*innen aus der Arbeiterschicht und den unteren Einkommensgruppen an sich zu binden? Warum sind diese nicht (oder nicht mehr) für ‚linke‘ Ideen empfänglich und wenden sich von den Demokraten ab? Wieso folgen sie ausgerechnet dem golfspielenden Milliardär und Geschäftsmann aus Queens, der letztlich dasselbe privilegierte Milieu repräsentiert wie die so arg verhasste ‚Elite‘? In der Tat ist Trumps Image als ‚Champion of the Working Class‘ einigermaßen erstaunlich – und dies nicht nur aufgrund seines Auftretens als knallharter businessman (in der Reality Show The Apprentice ebenso wie im ‚wirklichen Leben‘), sondern auch im Hinblick auf seine Wirtschaftspolitik, die erkennbar die top one percent und Besserverdienenden privilegiert.Footnote 21 Nichtsdestotrotz weist der Trumpismus gewisse Facetten auf, die ihm unter working class Americans eine erhebliche Popularität bescherten. Hierzu gehört einerseits Trumps Überschreitung der Grenzen politischer Korrektheit, seine Anti-Eliten- und Anti-Korruptions-Rhetorik (‚Drain the Swamp!‘) sowie seine Rolle als politischer Outsider: sein direkter, unverblümter und als authentisch empfundener ‚politischer Stil‘. Andererseits ist hervorzuheben, dass Trumps ökonomischer Nationalismus mit den Dogmen der Freihandelsdoktrin bricht, was seine Kandidatur – vergleichbar mit der von Bernie Sanders aufseiten der Demokraten – als Alternative zur neoliberalen Hegemonie erscheinen ließ, die lange als quasi alternativlos galt. So sprach sich Trump für die Einführung von Schutzzöllen aus und versprach, Arbeitsplätze zurück in die USA zu bringen. Zudem kritisierte er Freihandelsabkommen wie NAFTA, die seiner Auffassung nach zu einem massiven Outsourcing amerikanischer Jobs ins Ausland führten. In diesem Zusammenhang wird verständlich, weshalb die gigantische Mauer, die Trump an der Grenze zu Mexiko bauen lassen will, für seinen Wahlkampf eine derartige Relevanz hatte (und noch immer als Signatur des Trumpismus fungiert). Denn bei dem Projekt (unabhängig von seiner Realisierbarkeit, die mehr als fraglich ist) geht es nicht allein um den möglichen Schutz vor illegaler Einwanderung. Auch fungiert die Mauer als Metapher und Emblem für den Widerstand gegen eine Politik der ‚offenen Grenzen‘ und des ökonomischen ‚Globalismus‘.Footnote 22

Was die Präsidentschaftswahl von 2016 somit auch verdeutlicht hat, ist eine veritable Krise des Neoliberalismus.Footnote 23 Obwohl sich die globale Wirtschaft nach der Banken-, Finanz- und Eurokrise wieder einigermaßen erholt hat – weshalb vom mehrfach vorhergesagten „breakdown of the capitalist system“ (Wallerstein/Collins/Mann u. a. 2013: 2) derzeit keine Rede sein kann –, lässt sich durchaus von einer anhaltenden ideologischen Krise der neoliberalen Doktrin sprechen, die heute von links wie von rechts attackiert wird. Dieses ideologische Unbehagen wurde im Wahlkampf nicht nur von Trump artikuliert, sondern mehr noch von Bernie Sanders, der in den Vorwahlen der Demokraten nur äußerst knapp (und unter Mithilfe des Partei-Establishments) gegen die deutlich favorisierte Hillary Clinton unterlag. Sowohl Trump als auch Sanders schienen eine Alternative zur neoliberalen Alternativlosigkeit zu verkörpern. Während Sanders jedoch für eine linke Alternative eintrat, die – für die USA erstaunlich – auf der Idee eines ‚demokratischen Sozialismus‘ und einem starken Sozialstaat fußte, war Trumps Alternative, basierend auf dem nationalistischen Projekt eines protektionistischen Isolationismus, deutlich rechts konnotiert. Der ebenso simple wie anspielungsreiche Slogan dieses ökonomisch-nationalistischen Paradigmas lautet: ‚America First!‘Footnote 24

Uncool Capitalism

Einer Reihe von Autor*innen zufolge hat sich mit der Herausbildung des post-fordistischen Wirtschaftsmodells und dem Aufstieg des Neoliberalismus auch der gesamte kapitalistische ‚Überbau‘ verändert. Laut Boltanski und Chiapello etwa wird der Kapitalismus schon lange nicht mehr im Sinne der protestantischen Arbeitsethik legitimiert, auf die sich noch Max Weber in seinen Arbeiten zum Verhältnis von Kultur und Ökonomie konzentrierte (vgl. Weber 1991). Vielmehr ist seit den 1960er und 1970er Jahren die Entstehung dessen zu beobachten, was Boltanski und Chiapello (im Anschluss an Weber) als ‚neuen Geist des Kapitalismus‘ bezeichnen: eine Ideologie, „die das Engagement für den Kapitalismus“ vor dem Hintergrund der veränderten Produktionsbedingungen und soziokulturellen Transformationen „rechtfertigt“ (Boltanski/Chiapello 2006: 43).Footnote 25 Zentral an Boltanskis und Chiapellos Ansatz ist die Unterscheidung zwischen zwei unterschiedlichen Formen von Kapitalismuskritik (vgl. ebd.: 79–84), nämlich der ‚Sozialkritik‘ (Kritik an der Ausbeutung von Arbeitskraft und der daraus resultierenden ökonomischen Ungleichheit) und der sog. ‚Künstlerkritik‘ (Kritik an den Entfremdungs- und Entzauberungstendenzen des Kapitalismus, sein Hang zur Bürokratisierung und Rationalisierung im Sinne von Webers ‚stahlhartem Gehäuse‘). Was nun den neuen Geist des Kapitalismus auszeichnet, ist laut Boltanski und Chiapello die Tatsache, dass die historisch auf die Bohème zurückgehende Künstlerkritik zu weiten Teilen neutralisiert und für die Funktionsweise des Kapitalismus nutzbar gemacht worden ist. Diese Entwicklung lässt sich bereits in den 1960er Jahren beobachten, etwa mit Blick auf die Appropriation und Übernahme von Aspekten der Counterculture durch die damalige Konsum- und Businesskultur (vgl. Frank 1998). Mehr noch gilt dies für die Zeit ab etwa 1990, „[when] business became ‚funky‘, having shed its reputation for bureaucratic conformity“ (McGuigan 2009: 7). Die affektiv-ideologische Figuration dieser vermeintlich non-konformen, post-heroischen und auf der Grundlage fluider Netzwerke und ‚flacher Hierarchien‘ operierenden Variante des Kapitalismus hat Jim McGuigan als Cool Capitalism bezeichnet.Footnote 26

Cool Capitalism, verstanden als neoliberalisierte Spielart des Weberschen Konzepts vom ‚Geist des Kapitalismus‘, bezieht seine kulturelle Kraft daher, dass „the dreariness of business and private property, the dustiness of entrepreneurship“ (Jameson 1992: 274) hier mit den Insignien der Gegenkultur und der Bohème versehen werden. Als idealtypische Verkörperung dieser Figuration, die heute eher im kalifornischen Silicon Valley als an der New Yorker Wall Street beheimatet ist, kann die Firma Apple (‚Think Different‘) gelten, deren ehemaliger CEO Steve Jobs die perfekte Mélange aus Hippie und Kapitalist, Bohémien und Entrepreneur zur Darstellung brachte – eine kulturelle Performance, die noch heute in zahlreichen Werken der Populärkultur gewürdigt wird.Footnote 27 Man ist Kapitalist, und gleichzeitig ist man es nicht; man ist der Chef des wertvollsten Unternehmens der Welt, und trotzdem gehört man niemals zum Establishment.

Der Kontrast zwischen dieser neoliberalen ‚Coolness‘, die den neuen Geist des Kapitalismus artikuliert, und der von Trump verkörperten Retro-Ästhetik des successful businessman könnte, auf den ersten Blick betrachtet, kaum größer sein. Der sneakers tragende cool-kapitalistische Tech-Entrepreneur gibt sich nicht als Millionär, sondern als nerd zu erkennen. Trump dagegen protzt mit seinem Besitz und macht sich reicher als er wirklich ist (vgl. Greenberg 2018). In seiner TV-Serie The Apprentice wird gar nicht erst versucht, die Hierarchien und Ausschlussmechanismen des kapitalistischen Wettbewerbs zu verschleiern. Im Gegenteil ist die Popularität der Sendung gerade auf die Darstellung klassischer Autorität zurückzuführen (‚You’re fired!‘) – verbunden mit der Häme des Publikums für die losers, die den Anforderungen der televisualisierten Dog-Eat-Dog-Ökonomie nicht gewachsen sind.Footnote 28 Wenn Trump in einem Interview erklärt: „Part of the beauty of me is that I’m very rich“ (vgl. King Jr. 2011), dann hyperrealisiert er gewissermaßen die alte Karikatur des Zigarre rauchenden Millionärs.Footnote 29 Während die Logik des Cool Capitalism mit einem spezifischen downdressing korrespondiert, verkörpert Trump, mit Žižek gesprochen, das tautologische Faktum einer „unbeweglichen, obszönen, abstoßenden Präsenz“ (Žižek 1991: 101).

In anderer Hinsicht lässt sich gleichwohl auch der von Trump verkörperte ‚Uncool Capitalism‘ mit dem neuen Geist des Kapitalismus in Verbindung bringen. Denn auch Trump geht es um die Positionierung als anti-elitär und anti-establishment: als charismatischer Outsider, der working Americans gegen Karrieristen, Bürokraten und Globalisten in Schutz nimmt. Wenn auf Trumps rallies auf ritualisierte Weise immer wieder der Rolling-Stones-Song „You Can’t Always Get What You Want“ (1968) gespielt wird, dann kommt es auch hier zu einer gewissen Appropriation der Gegenkultur, d. h. der affektiven Aufladung seiner base mit den kulturellen Zeichen der Rebellion und des Protests. Dass ausgerechnet Trump die Empfindsamkeiten der weißen Unterschicht trifft, wenn er career politicians und the Washington establishment attackiert, lässt ihn gleichsam als bizarre Personifikation des von Hannah Arendt analysierten Bündnisses „zwischen Mob und Elite“ (Arendt 1998: 702–725) erscheinen: Trump redet zu sehr so, wie viele seiner unterprivilegierten Anhänger*innen selber gerne reden würden, als dass sie ihn als Repräsentanten der Oberschicht (und ihrer ökonomischen Interessen) erkennen könnten. Dass diese Logik aufgeht, ist zweifellos einem umfassenden Prozess der ‚Kulturalisierung‘ geschuldet, durch den die Frage der Klassenzugehörigkeit stets kulturell überschrieben wird (vgl. Frank 2005; Michaels 2006).Footnote 30 Dies sollte freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Trumps ‚Uncool Capitalism‘ weiterhin als Kapitalismus manifestiert, und dass sich der Bruch mit einigen Aspekten der neoliberalen Doktrin (Freihandel, Globalisierung) gut mit den Kontinuitäten in anderer Hinsicht (Deregulierung, Steuerpolitik, Plünderung des Sozialstaats) verträgt. Die Kompensation, die Trumps Unterstützer*innen aus der weißen Unterschicht erwarten können, ist daher auch nicht materieller, sondern rein affektiv-symbolischer Natur. Auch dies klingt im Soundtrack an, der auf Trumps elektrisierenden rallies läuft: „You Can’t Always Get What You Want“ markiert jene Massenveranstaltungen insofern nicht nur als protestgeladen und gegenkulturell, sondern erinnert deren Teilnehmer*innen zugleich daran, was sie (‚realistisch betrachtet‘) erwarten und erhoffen dürfen – und was eben nicht.

Lechts/Rinks

In einem einflussreichen Buch aus dem Jahr 2009 hat Mark Fisher sein Konzept des ‚kapitalistischen Realismus‘ formuliert. Was er darunter versteht, ist „das weitverbreitete Gefühl, dass der Kapitalismus nicht nur das einzig gültige politische und ökonomische System darstellt, sondern dass es mittlerweile fast unmöglich geworden ist, sich eine kohärente Alternative dazu überhaupt vorzustellen“ (Fisher 2013: 8). Anders gesagt: Die vielproklamierte ‚Alternativlosigkeit‘ der neoliberalen Hegemonie bleibt nicht auf die Sphären der Politik und der Ökonomie beschränkt, sondern macht auch vor Kultur, Subjektivität und Vorstellungskraft nicht halt. Als Beleg hierfür bezieht sich Fisher auf Beispiele aus der Populärkultur, so etwa auf das dystopische Genre des spätkapitalistischen Science-Fiction-Films, in dem sich Fredric Jamesons Diktum zu bestätigen scheint, dass es heute einfacher ist, „sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus“ (ebd.: 8).Footnote 31

Mit der Wahl Trumps ist es zwar weder leichter geworden, das Ende des Kapitalismus zu imaginieren, noch führt sein Bruch mit dem neoliberalen Status quo zu einer wirklichen Reaktivierung utopischer (d. h. nicht lediglich retrotopischer) „Impulse“ (Jameson 1988: 284). Dennoch kann es durchaus als blamabel empfunden werden, dass das Motto der linken Globalisierungskritik – ‚Eine andere Welt ist möglich‘ – heute scheinbar eher von rechts als von links beim Wort genommen wird. Gerade die parlamentarische Sozialdemokratie (Gerhard Schröders ‚Neue Mitte‘ oder Tony Blairs ‚New Labour‘) und die Demokraten in den USA (Bill Clinton) hatten sich in den 1990er Jahren mit dem neoliberalen ‚Ende der Geschichte‘ arrangiert und viele der Deregulierungs-, Privatisierungs- und Prekarisierungsinitiativen sogar eigenständig auf den Weg gebracht. Wenn heute auf beängstigende Weise von rechten Populisten demonstriert wird, dass eine Politik jenseits des post-politischen Konsenses in der Tat denkbar ist, dann sollte die Ursache für diese Entwicklung nicht zuletzt auch im Scheitern der Linken sowie in der allgemeinen Verkopplung von politischem Liberalismus und ökonomischem Neoliberalismus gesucht werden.

Indes wird deutlich, dass der Trump-Effekt bereits zu einer Reihe von ideologischen Verschiebungen und Rollenwechseln geführt hat. Insofern das Geschäft der Systemkritik heute in erster Linie von Rechtspopulisten betrieben wird, agiert die Linke zunehmend defensiv und gebiert sich als Verteidigerin der Institutionen und des alten Status quo. Diese Dynamik ist insbesondere in den USA zu beobachten, wo potenziell linke Themen von Trump, dem großen Disruptor, systematisch rechts überschrieben werden: Kritik am Irakkrieg, an Auslandseinsätzen des Militärs, an den Medien, den Geheimdiensten, am Freihandel, am ‚Globalismus‘. Die meisten Demokraten dagegen stellen sich auf die Seite des FBI, verteidigen die NATO, NAFTA und andere Freihandelsabkommen oder bemängeln Trumps ‚unamerikanische Rhetorik‘ (‚This is not what America stands for!‘). Ihr Optimismus beruht weniger auf der eigenen Programmatik als darauf, dass der Sonderermittler Robert Mueller – ein eingetragener Republikaner und von George W. Bush berufener ehemaliger FBI-Direktor – Trump und seinem Wahlkampfteam ‚collusion with Russia‘ nachweisen wird.Footnote 32 Die von Slavoj Žižek geäußerte Hoffnung, die Wahl Trumps könne einen Heilungsprozess innerhalb der Demokratischen Partei anstoßen (vgl. Žižek 2017), erweist sich vor diesem Hintergrund als frommer Wunsch.Footnote 33

Was bei aller ideologischen Polarisierung im Trump-Amerika zum Ausdruck kommt, ist weniger die Proliferation neuer politischer Debatten und Diskurse als das Gefühl einer post-politischen Stasis. So verlaufen die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern nach einem routinierten Reiz-Reaktions-Schema, dessen talking points stets nur innerhalb der eigenen bubble Glaubwürdigkeit beanspruchen. Die Taktik, die kaum jemand so gut beherrscht wie Trump, besteht darin, den Gegner zu einer Reaktion zu zwingen, die diesen quasi selbst entlarvt. Etwa provoziert Trump die liberalen Medien durch seine permanenten Attacken und Invektiven dazu, den Schleier der Objektivität („CNN – The Most Trusted Name in News“) abzustreifen und auf scheinbar einseitige Weise Trump-kritisch zu berichten. Der Effekt ist eine allgemeine Delegitimierung vermeintlich überparteilicher Institutionen, was jeden Maßstab tilgt, an dem sich die eigenen Proklamationen und Behauptungen noch messen lassen müssten. Wie noch zu zeigen sein wird, ist es nicht damit getan, die ‚Lügen‘ zu entlarven, auf denen jene Politik des Post-Faktischen (vgl. Schleusener 2018b) beruht. Denn diese ist mit einer Affektökonomie verkoppelt, die – zumindest bis zu einem gewissem Grad – ‚an sich selbst‘ (d. h. an ihren unmittelbaren Effekten) zu beurteilen ist.

Der Eindruck des Statischen rührt zudem daher, dass die beiden Lager nicht nur aufeinander angewiesen sind, sondern sich auch vollständig zu neutralisieren scheinen. So antwortet auf jede liberale Kommentatorin, die ‚Russian collusion!‘ ausruft, garantiert ein Trump-Anhänger mit dem Hinweis: ‚But Hillary’s emails…!‘ Auf diese Weise entsteht eine vollkommen zirkuläre Dynamik, eine Kreisbewegung, die sich aus sich selbst heraus anzutreiben scheint. Beispielsweise macht Trump eine herabsetzende Bemerkung über illegale Einwanderer (‚hordes‘, ‚rapists‘); die Demokraten und die liberalen Medien stürzen sich darauf und werfen Trump Rassismus vor; Trump erklärt, er habe keinesfalls per se von Einwanderern gesprochen (‚who are fine people‘), sondern lediglich von potenziell gewalttätigen, illegalen Migrant*innen; die Demokraten entgegnen daraufhin, dass Trumps Xenophobie durch zahlreiche Beispiele belegt sei, und dass sein autokratisches Verhalten gegenüber den rechtsstaatlichen Institutionen beweise, dass es ihm gar nicht um das Problem der Legalität oder Illegalität gehe; woraufhin Trumps Anhänger*innen antworten, dass man sich in der Frage der Rechtsstaatlichkeit nicht von den Demokraten belehren lasse, da deren Akzeptanz illegaler Einwanderung hinlänglich zeige, dass ihre open door policies Rechtsstaatlichkeit ganz und gar ausschlössen. Und so weiter, ad infinitum…

Die Logik einer solchen Auseinandersetzung ist nicht in erster Linie auf das bessere Argument gemünzt, sondern eher darauf, den politischen Gegner der Illegitimität oder des Verrats zu überführen. Genau hierauf zielte schon der birtherism ab, d. h. die (nicht zuletzt auch von Trump lancierte) verschwörungstheoretische Behauptung, Barack Obama sei kein amerikanischer Staatsbürger, sondern ein in Kenia geborener Muslim. Das liberale Spiegelbild dieser Behauptung manifestiert sich heute in dem Vorwurf, Donald Trump sei durch die Hilfe Putins an die Macht gelangt und sei somit quasi ein ‚russischer Agent‘. Im letzten Rededuell zwischen Trump und Hillary Clinton kam diese Logik der gegenseitigen Delegitimierung in einem denkwürdigen Schlagabtausch zum Ausdruck: Clintons Vorwurf an Trump, er sei eine Marionette Russlands (Putin „would rather have a puppet as president of the United States“), pariert dieser, indem er ausruft: „No puppet. No puppet. You’re the puppet!“ (vgl. Blake 2016).

Was sich hier letztlich artikuliert, ist im Falle beider Lager eine zwar unterschiedliche, aber gleichermaßen ‚organische‘ Konzeption Amerikas. So basieren die politischen Logiken sowohl der Republikaner als auch der Demokraten auf einer je verschiedenen Variante des ‚echten Amerikas‘, die mit einer jeweils anderen Form von Exzeptionalismus korrespondiert (vgl. Pease 2009). Folglich kommt es zur Bezichtigung der politischen Gegner*innen, die Werte und Grundsätze dieser als fundamental begriffenen ‚imaginierten Gemeinschaft‘ zu missachten oder zu verraten, das organische Gleichgewicht (die nativistische Vision eines Amerikas unter WASP-Vorherrschaft oder das multikulturelle Ideal der USA als nation of all nations) aus der Balance zu bringen. In gewisser Weise erinnert diese Konstellation an Deleuzes Beschreibung des klassischen amerikanischen Films, dessen Verklammerung von Kinematografie und Nationalmythologie durch den Begriff der ‚organischen Repräsentation‘ markiert wird:

„Ein starkes ethisches Urteil muß die Ungerechtigkeit der ‚Dinge‘ anprangern, das Mitleid erregen und von der heraufkommenden neuen Zivilisation künden, kurzum: immer wieder Amerika entdecken…um so mehr, als von Anfang an strikt darauf verzichtet worden ist, nach den Ursachen zu forschen. Der amerikanische Film begnügt sich damit, die Erschlaffung einer Zivilisation (auf der Ebene des Milieus) und das Eingreifen eines Verräters (auf der Ebene der Handlung) anzuführen“ (Deleuze 1989: 206).

Vielleicht ist es kein Zufall, dass der vorliegende Aufsatz mit einer Parallele zwischen Trumps Schockpolitik und der (quasi avantgardistischen) Kinematografie des Zeit-Bilds begann, nun jedoch eine Analogie zum Bewegungs-Bild und den generischen Codes des konventionellsten amerikanischen Kinos aufzeigt. Denn der Trumpismus ist ganz wesentlich eine Hybridkonstruktion, deren affektive Ausdrucksform in deutlicher Diskrepanz steht zu seiner ideologischen Inhaltsform. Anders gesagt: Im Herzen populistischer Schockpolitik verbirgt sich letztlich ein retrotopisches, national-nativistisches Idyll.Footnote 34 So korrespondiert auch der Schockfaktor von Trumps Mauer (ihre Durchstreichung demokratischer Offenheit und Gastfreundschaft) mit der idyllischen Logik des Schutzwalls als natürlicher Grenze zwischen innen und außen. Mit dem Bau dieser Mauer wird Amerika aller Sorgen ledig sein

Populistische Affekte

Eines der Ziele des vorliegenden Aufsatzes bestand darin, die aktuelle ‚Krise der Demokratie‘ – die sich in kaum einem Ereignis so anschaulich manifestiert wie in der Wahl Trumps zum amerikanischen Präsidenten – nicht allein dem Aufstieg des Rechtspopulismus zuzuschreiben, sondern diesen stattdessen als symptomatisch für eine tiefer gehende Krise zu verstehen, die sich mit Begriffen wie ‚Postdemokratie‘ (Crouch 2008), ‚neoliberale Hegemonie‘ (Mouffe 2018) oder ‚Politik der Alternativlosigkeit‘ (Fisher 2013) benennen lässt. Dass sich der in ganz Europa und den USA spürbare Rechtsruck zu einer Zeit ereignet hat, die von postdemokratischen Tendenzen, den allzu offensichtlich gewordenen Diskrepanzen der Globalisierung und der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seit den 1920er und 1930er Jahren geprägt war, sollte nicht als zufällig begriffen werden. Vor diesem Hintergrund scheint es nicht abwegig, als ursächlich für den Aufschwung rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen auch das tendenzielle Scheitern der Linken zu sehen, der es offensichtlich nicht gelungen ist, die verbreitete Unzufriedenheit mit dem neoliberalen Status quo und dem postdemokratischen Konsens für ‚emanzipatorische‘ Zwecke nutzbar zu machen. Diese Analyse ist freilich nicht neu – und das Walter Benjamin zugeschriebene Bonmot, „dass jeder Aufstieg des Faschismus von einer gescheiterten Revolution zeugt“ (Žižek 2015: 14), ist wohl selten so oft zitiert worden wie in den letzten Jahren.Footnote 35

Die Richtung dieses Arguments für glaubwürdig zu halten, sollte gleichwohl nicht zu einer allzu vereinfachenden Komplexitätsreduktion führen. Genauer gesagt: Die ökonomische Dimension der Krise der Demokratie zu betonen, heißt nicht zwangsläufig, einen simplen ‚Ökonomismus‘ zu vertreten. So ist Trump keinesfalls allein von Wähler*innen aus der Arbeiter*innenklasse oder der Unterschicht gewählt worden, sondern – relativ gleich verteilt – von Amerikaner*innen aus sämtlichen Einkommensschichten. Was die Klassendimension indes relevant macht, ist die Tatsache, dass sich die ausschlaggebendsten Verschiebungen im Wahlverhalten in den unteren Einkommensgruppen ereignet haben, wo es zu massiven Zugewinnen im Lager von Trump und den Republikanern kam. Es stellt sich folglich die Frage, weshalb Wähler*innen, die sich als left out oder forgotten begreifen, die nicht von tax cuts for the rich oder der Abwicklung von Obamacare profitieren, in so großer Zahl für Trump gestimmt haben. Was konstituiert Trumps Attraktivität in dieser Konstellation? Und welche Mechanismen der politischen Imagination ermöglichen diese Dynamik?

Vielleicht sollte der Begriff der Ideologie hier nicht allzu pauschal verworfen werden. So erwähnt Arlie Russell Hochschild z. B. das ‚große Paradox‘ (Hochschild 2016: 1–82), dass der Widerstand gegen Bundeshilfen, staatliche Sozialprogramme und ökonomische Umverteilung genau dort am größten ist, wo diese Maßnahmen am nötigsten wären – etwa in den verarmten Staaten des amerikanischen Südens, die ausnahmslos in der Hand der Republikaner sind. Ohne Kenntnisnahme der systematisch betriebenen ökonomischen Desinformation in konservativen Milieus und durch rechte Medien (Fox News, talk radio usw.) lässt sich dieses Phänomen kaum adäquat erfassen (vgl. Schleusener 2014: 321–324). Der Begriff der Ideologie greift allerdings zu kurz, wenn es nicht lediglich um die Entlarvung von Täuschungsmanövern gehen soll, sondern zugleich um das Verständnis von Operationen, die laut Deleuze und Guattari „kein Verkennen, keine Mißverständnisse sind, sondern vollkommen reaktionäre unbewußte Besetzungen“ (Deleuze/Guattari 1997: 331). Was Trump diesbezüglich eher vermag als ideologisch-argumentativ zu ‚überzeugen‘, ist die Mobilisierung und Modulation der Affekte seiner Anhänger*innenschaft.Footnote 36 Hierzu schreibt Hochschild:

„Trump is an ‚emotions candidate‘. More than any other presidential candidate in decades, Trump focuses on eliciting and praising emotional responses from his fans rather than on detailed policy prescriptions. His speeches – evoking dominance, bravado, clarity, national pride, and personal uplift – inspire an emotional transformation. […] Not only does Trump evoke emotion, he makes an object of it, presenting it back to his fans as a sign of collective success“ (Hochschild 2016: 225).

Hochschild, die über einen Zeitraum von fünf Jahren Interviews mit konservativen Tea-Party-Anhänger*innen in Louisiana geführt hat, beschreibt in dem daraus resultierenden Buch ein unter den Befragten vorherrschendes Gefühl des Verlusts, der Entfremdung und des (ökonomischen wie kulturellen) Abgehängtseins. Ein wesentlicher Baustein dieser ideologisch-affektiven Formation ist die Tatsache, dass sich die Verbitterung hier weniger auf die ökonomische Elite als auf das liberale Establishment bezieht, von dem man sich zu Unrecht zu rückschrittlichen „rednecks“ (ebd.: 23) degradiert fühlt. Analog dazu, wie der von Hillary Clinton lancierte Begriff der ‚deplorables‘ von Trump-Anhänger*innen – durch einen klassischen Akt postmoderner Resignifikation (vgl. Zak 2017) – in eine Auszeichnung verwandelt wurde, kommt es insbesondere auf Trumps rallies zu einer ‚affektiven Umwandlung‘. Anstatt sich dafür zu schämen, dass man die vom Establishment verordnete ‚politisch korrekte‘ Sprache nicht beherrscht, mündet Trumps öffentlich zur Schau gestellte Überschreitung der Grenzen politischer Korrektheit in ein nahezu kathartisches Gemeinschaftsgefühl – eine Art der ‚kollektiven Efferveszenz‘, wie Hochschild in Anlehnung an Durkheim erklärt (Hochschild 2016: 225).

Trumps rallies sind in diesem Sinne mehr als simple Wahlkampfveranstaltungen, vielmehr sind sie Orte einer konkreten Retrotopie. Sachfragen und spezifische politische Vorschläge sind ebenso nebensächlich wie der Wahrheitswert von Trumps Parolen. Dass hier aber jemand öffentlich sagt, was man stets dachte, nicht sagen zu dürfen, ist die Grundlage von Trumps affektiver Ökonomie. Anstatt zu materieller Kompensation, für deren reelle Einforderung man über kein geeignetes Instrumentarium verfügt, kommt es immerhin zu einer Art von ‚emotionaler Kompensation‘: einer affektiven Umverteilung in der unmittelbaren Gegenwart. Diese performativ operierende Affektmaschine – und ihre Umwandlung von Scham in Stolz, von Neid in Spott, von Angst vor sozialem Abstieg in Hass auf illegale Einwanderer – sollte freilich nicht als apolitisch oder unschuldig begriffen werden. Sie korrespondiert mit einem Programm, das eine ‚Politik der Angst‘ (vgl. Woodward 2018) mit der Aussicht auf grenzenloses Wirtschaftswachstum verkoppelt – eine Konstellation, deren innere Diskrepanzen sich als ‚affektive Dissonanz‘ bemerkbar machen.Footnote 37 So überlagert sich die hymnische Verkündung von ‚jobs, jobs, jobs‘ mit einer nahezu dystopischen Panik bezüglich ‚illegal aliens‘, ‚sanctuary cities‘, ‚drug cartels‘, ‚the deep state‘ und ‚the fake news media‘. Es mag sich die Frage stellen, ob der Affekt hier noch als Teilaspekt der politischen Auseinandersetzung fungiert, oder nicht vielmehr als deren Ersatz: als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.