Zusammenfassung
Der grosse Tag, der 26. Februar, ist vorüber. Das Concert zum Besten des Orchester-Pensions-Instituts ist verrauscht, aber „die Resultate desselben haben tiefe Wurzeln geschlagen, die Folgen werden unermesslich sein!“ – Das möchte man uns gern glauben machen; aber es glaubt’s Niemand. Den bekannten kleinen Kreis von gescheiterten Componisten und unmusicalischen Literaten ausgenommen, haben höchstens einige Enthusiasten die Sache für Ernst gehalten; für die ganze übrige musicalisch gebildete leipziger Welt war es ein interessanter Spass, der weder kunstgefährliche noch kunstfördernde Folgen haben wird, sondern gar keine. Heutzutage ist bei den meisten Dingen der Rumor, der vorher gemacht wird, die Hauptsache; kommt das Ding endlich selbst zum Vorschein, so verpufft es, und einige Tage darauf weiss man kaum noch, dass es da gewesen. Auch bei uns waren die Leute weit mehr gespannt und bewegt, als die Sache verdient. Jetzt sind die Aufgeregten meist ernüchtert und haben sich von dem, was die Vernünftigen längst wussten, ebenfalls überzeugt, dass nämlich bei den Orchester-Compositionen von Franz Liszt von dem Aufleuchten einer neuen grossen Wahrheit, von dem Durchbruche einer die Tonkunst neu gestaltenden Idee gar keine Spur vorhanden ist. Was von seinen symphonischen Dichtungen bis jetzt gedruckt vorliegt, ist nichts Anderes als instrumentirte Claviermusik in Form der modernen so genannten Clavier-Phantasie, d. h. ungefähr eben so viel, als ohne alle Form. Wie man diesen Compositionen gegenüber mit scheinbarem Ernste von einem „ganz neuen Genre“, von „Erschaffung einer selbstständigen Form“, von einer „künstlerischen Erscheinung ersten Ranges“, von der „Gewalt des Genie’s“ sprechen kann, ist einem Unbefangenen geradezu unbegreiflich. Es sind Transscriptionen, weiter nichts; der Verfasser ist des Uebertragens der Lieder-, Opern- und Sinfonie-Musik auf das Clavier überdrüssig und transscribirt nun am Clavier gedachte Musik für das Orchester.
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von Roth, D., Roesler, U. (2020). Nr. 102 | Anonym, „Aus Leipzig. (Liszt-Concert – 19. Abonnements-Concert – Euterpe – Kammermusik.)“, in: Niederrheinische Musik-Zeitung 5 (1857), Nr. 11 (14. März), S. 85–87.. In: von Roth, D., Roesler, U. (eds) Die Neudeutsche Schule – Phänomen und Geschichte. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04923-0_102
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-04923-0_102
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-04922-3
Online ISBN: 978-3-476-04923-0
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