Zusammenfassung
In diesem Beitrag wird der Effekt eines türkischen Migrationshintergrundes auf die Wahrscheinlichkeit einer Rückstellung von der Einschulung untersucht, wobei neben der sozialen Herkunft auch generelle und aufnahmelandspezifische individuelle Kompetenzen berücksichtigt werden. Wir nehmen an, dass von diesen individuellen Kompetenzen sowohl direkte als auch indirekte Effekte auf die Einschulungsentscheidung ausgehen können. Die Analysen werden mit Daten des Längsschnittprojektes „Erwerb von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen von Migrantenkindern in der Vorschulzeit und der Übergang in die Grundschule“ (ESKOM-VG) durchgeführt, in dem insgesamt ca. 1000 Eltern von Vorschulkindern, jeweils zur Hälfte mit türkischem Migrationshintergrund und ohne Migrationshintergrund, interviewt wurden. Mit den Kindern wurden darüber hinaus Entwicklungstests in verschiedenen Kompetenzbereichen durchgeführt. Unter Kontrolle der Kompetenzen hat ein türkischer Migrationshintergrund keinen eigenständigen Effekt auf die Wahrscheinlichkeit einer Rückstellung. Eine Zerlegung des indirekten Effekts des Migrationshintergrundes mittels eines khb-korrigierten logistischen Regressionsmodells zeigt, dass den größten Anteil an diesem Effekt Unterschiede in kulturellen Kompetenzen und Rechenfähigkeiten ausmachen.
Abstract
This article analyses the effect of a Turkish migration background on the risk of delayed school entry. Besides the social background, we control general and host country specific individual skill levels of the child. We assume that children’s individual skills can affect the school entry decision both directly and indirectly. We use data of the longitudinal project “Preschool education and educational careers among migrant children” (German acronym ESKOM VG). About 500 German parents and 500 Turkish-origin parents were interviewed in this study. Standardized developmental tests were conducted with the children in various domains. We find that the Turkish migration background does not have an independent effect on the probability of delayed school entry when the social background and individual skills are controlled. We furthermore disentangle the indirect effect of the Turkish migration background using the khb method. The results indicate that mathematic skills and cultural knowledge have the largest contribution on this indirect effect.
Notes
Zugunsten der Lesbarkeit werden im Folgenden Kinder mit türkischem Migrationshintergrund auch als „türkischstämmige Kinder“ bezeichnet. Beides meint Kinder, von denen mindestens ein Eltern- oder Großelternteil in der Türkei geboren wurde.
Dies gilt auch für das hier betrachtete Stichprobengebiet zum Zeitpunkt der Erhebung.
Die Regelungen unterscheiden sich zwischen den Bundesländern teilweise stark. In den meisten Bundesländern werden die Eltern zwar in die Entscheidungsfindung mit einbezogen, die endgültige Entscheidung obliegt unter Hinzuziehung der schulärztlichen Gutachten allerdings in den meisten Bundesländern den Schulen.
Die Modelle wurden zum Vergleich auch mit der jeweils höchsten Bildung der Eltern berechnet, was zu keinen grundlegenden Unterschieden in den Ergebnissen geführt hat.
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Die Erstellung dieses Beitrags wurde gefördert durch die LOEWE-Initiative der Hessischen Landesregierung.
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Tuppat, J., Becker, B. Sind türkischstämmige Kinder beim Schulstart im Nachteil?. Köln Z Soziol 66, 219–241 (2014). https://doi.org/10.1007/s11577-014-0255-8
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