Zusammenfassung
Knapp eine halbe Million Zuschauer haben Andreas Dresens Halbe Treppe (D 2002) im Kino gesehen. Sowohl beim Publikum als auchbei der Filmkritik erntete er einhelliges Lob und gewann zahlreiche Preise bei nationalen und internationalen Festivals. Erstaunt über das außergewöhnliche Wirkungspotential des Films fragt Jan Schulz-Ojala in seiner Rezension zur Uraufführung: „Wie kommt man zu einer so gewöhnlichen Geschichte, bei der dem Zuschauer […] die Luft wegbleibt vor lauter Leben ?“ (2002) In seiner Antwort führt Schulz- Ojala als eine Erklärung die Inszenierungsstrategie Dresens an, vor allem die bewusste Einschränkung der Produktionsbedingungen: kleines Team, kein Drehbuch, Einheitslohn für alle am Film Beteiligten, Dreh mit einer digitalen Handkamera und Improvisation von Handlung und Dialogen. Dresen selbst beschrieb die Regeln für den Filmdreh in einem Interview mit Christina Nord folgendermaßen: „Es gab ein Arbeitskonzept, das festlegte, wie das Team strukturiert ist und wie man die Dreharbeiten aufb aut. Außerdem gab es eine Vorgabe für die Biografien der vier Figuren und einen losen Plot: […] Dialoge oder konkretere szenische Vorgaben hatt en wir nicht, wir haben sie im Verlauf der Dreharbeiten gemeinsam entwick elt.“ (zit. n. Nord 2002) Hierauf beruhte die Arbeitsweise während des gesamten Produktionsprozesses. Einen möglichen Erklärungsansatz für die starke Wirkung des Films sehen einige Kritiker in diesem Regelwerk per se: Das Aufstellen bestimmter Regeln vor und während des filmischen Prozesses bildet einerseits eine Einschränkung, andererseits entsteht in dem engen Rahmen ein hohes Maß an Kreativität. Die sichdaraus ableitenden authentischen und wirklichkeitsnahen Aspekte von Andreas Dresens Inszenierung sind unter anderem darauf zurück zuführen. Ohne Zweifel führt der Regisseur die Figuren in seinen Filmen mit feinem Gespür durchderen alltägliche Lebensweltund ermöglicht dem Zuschauer mitt els ihrer minuziösen Zeichnung eine Art ‚kritisches Miterleben‘ der dargestellten Situationen. In Dresens Filmen spieltdieses Erleben und Mitfühlen eine besondere Rolle. Durchseine spezielle Art der Inszenierung, die eng mit dem Entstehungsprozess des Films verbunden ist, liefert er dem Zuschauer zahlreiche Ansatzpunkte, die Handlung und die dargestellten Figuren auf eine für Dresens Filme typische Art zu erfahren. Dochlässt sichdie Wirkung von Halbe Treppe allein vor dem Hintergrund bestimmter Rahmenbedingungen bei den Dreharbeiten erklären ? Und wie wirkt sichdieser gemeinsame Erlebnis- bzw. Erfahrungsraum, der während des Filmdrehs entsteht, auf die Zuschauer aus ?
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Räder, A. (2011). Aufführung einer gewöhnlichen Geschichte. In: Schick, T., Ebbrecht, T. (eds) Kino in Bewegung. Film, Fernsehen, Medienkultur. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92804-3_13
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