Zusammenfassung
Widmet man sich abschließend der Frage, wie der transzendentale Revisionismus sich zur wissenschaftsphilosophischen Diskussion der Gegenwart verhält, so ist zuallererst zu konstatieren, dass die Wahrnehmung der hier aufgezeigten Grenzen des Revisionismus sowohl im Falle Cassirers als auch im Falle Schlicks zu einer programmatischen Neuorientierung führte. Bei Schlick war es, wie zuletzt schon andeutungsweise gesehen, der im Kontext des Wiener Kreises sich entwickelnde logische Empirismus, der an die Stelle seines ursprünglich vertretenen kritischen Realismus trat. Diese, insbesondere auf den Einfluss Ludwig Wittgensteins zurückzuführende programmatische Neuorientierung ist ganz unterschiedlich beurteilt worden. Sahen die einen, wie zum Beispiel Herbert Feigl, in ihr eine regelrechte „Konversion“,1 so betrachteten andere, wie etwa Ludovico Geymonat, in dieser Neuorientierung nur die deutlichere Artikulation dessen, was Schlick auch schon im Kontext seines kritischen Realismus vertreten hatte.2 Wie dem auch sei, fest steht, dass die vom frühen — vor-Wiener — Schlick vertretene realistische Lesart des transzendentalen Revisionismus in inhaltlicher Hinsicht den Keim der Überwindung des transzendentalen Revisionismus (sowie des Kantianismus im Allgemeinen) von vornherein schon in sich trug. Schlicks Deutung des physikalischen Raumes als Domäne der Dinge an sich steht in zu starker Opposition zur transzendentalen Ãsthetik Kants, als dass man noch von einer inhaltlichen ‚Revision‘ sprechen könnte.
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Literatur
Vgl. Feigl 1981, 9f., 39 u. ö.
Vgl. Geymonat 1985, 25.
Dabei muss man, was die spätere, während der Wiener Zeit vertretene Raumauffassung Schlicks angeht, berücksichtigen, dass diese durch das Aufkommen der Quantenmechanik noch einmal eine gravierende Änderung erfahren sollte: Wie Schlick sehr deutlich erkannte, war die Methode der Koinzidenzen sowie das mit ihr verbundene Konzept der sich kreuzenden ‚Weltlinien ‘auf den allgemeinrelativistischen Kontext zugeschnitten und nicht — jedenfalls nicht ohne weiteres-auf den quantenmechanischen Kontext übertragbar. Näheres dazu v.a. in Schlick 1925, 442f. sowie in Schlick 1948, 51f.
Schlick 1930, 7.
Bezeichnenderweise ist Schlicks erstmals 1932 erschienener Aufsatz „The Future of Philosophy“ gleich als erster Beitrag in dem von Richard Rorty herausgegebenen Sammelband The Linguistic Turn abgedruckt (vgl. Schlick 1967).
Einen ganz ähnlichen Wandel hatte im Übrigen auch Carnap vollzogen, der sich spätestens ab den frühen 1930er Jahren von den (im Aufbau durchaus noch dominanten) Fragen der Erkenntnistheorie abwandte und für einen Übergang zur „Wissenschaftslogik“ plädierte. Siehe dazu v.a. Carnap 1936 sowie die Rekonstruktion in Richardson 1996 und in Friedman 2007, 11ff.
Michael Friedman spricht in diesem Zusammenhang von „a decisive break with Marburg Neo-Kantianism“ (Friedman 2000, 99). Ähnlich Krois 1987, 25.
Vgl. Krois 1987, 79. Erste Ansätze zu dem sich solcherart etablierenden Pluralismus symbolischer Formen sowie der durch sie sich erschließenden verschiedenen ‚Welten ‘finden sich schon im Schlusskapitel des Einstein-Buchs (vgl. Cassirer 1921, 116ff.).
Vgl. dazu im Einzelnen Cassirer 1923, Kap. III, Abschn. I; Cassirer 1929, Kap. III sowie Cassirer 1931; siehe ferner Friedman 2000, 104ff.
Vgl. Blumenberg 2008.
Cassirer, Nachlass; in typographisch leicht veränderter Form zitiert nach Krois 2000, 105.
Cassirer, Nachlass; in typographisch leicht veränderter Form zitiert nach Krois 2000, 111.
Die vielleicht prominenteste Weiterführung des durch die Philosophie der symbolischen Formen begründeten Konzepts eines durch die Sprache vermittelten pluralen Weltzugangs stellt, was den Kontext der analytischen Philosophie angeht, Nelson Goodmans Ways of Worldmaking (1978) dar. Siehe dazu auch Gabriel 2000.
Vgl. etwa Zimmerman 2004, Williamson 2007, Esfeld 2008.
Vgl. beispielsweise Esfeld 2008, 7: „Nicht die Sprachphilosophie, sondern die Metaphysik ist heute wiederum die prima philosophia.“ Siehe unmittelbar dazu auch Neuber 2008.
Vgl. etwa Nozick 2001, Brading/Castellani 2003, Debs/Redhead 2007.
Vgl. etwa Chakravartty 2003, Lyre 2006, van Fraassen 2006, Esfeld/Sachse 2010.
Esfeld 2008, 7.
Siehe, was die naturphilosophische Diskussion der Gegenwart betrifft, paradigmatisch Esfeld 2008 und 2009. Zu den historischen Hintergründen des Übergangs von ‚klassischer ‘hin zu ‚moderner ‘Naturphilosophie siehe Schiemann 1997, insbes. Kap. IV. Esfeld und Schiemann stimmen darin überein, dass der Aspekt der Hypothetizität als das Kennzeichen moderner Naturphilosophie zu betrachten ist. So heißt es bei Schiemann: „Unter einer ‚modernen Naturphilosophie ‘verstehe ich eine szientistisch legitimierte Naturphilosophie, die sich zur Begründung ihres Geltungsanspruchs auf Aussagen der modernen Naturwissenschaft beruft. Die Modernität dieser Wissenschaft zeichne ich durch den spezifisch hypothetischen Geltungscharakter ihrer propositionalen Gehalte aus, der sich auf naturphilosophische Aussagen überträgt.“ (Schiemann 1997, 137) Und Esfeld schreibt: „The new metaphysics of nature distinguishes itself from the older essays in speculative metaphysics by being close to science: metaphysical claims are based on scientific theories. Consequently, the metaphysical claims about nature are as hypothetical as our scientific theories: there is no more certainty to be gained in metaphysics than there is in science. In other words, scientific knowledge claims are fallible and metaphysics, insofar as it draws on those claims, is as fallible as science“. (Esfeld 2009, 341)
So auch die Kernaussage in Cao 2003.
Esfeld/ Sachse 2010, 53.
Vgl. Esfeld/ Sachse 2010, 54ff. Siehe ferner Sparber 2006.
Vgl. Esfeld/ Sachse 2010, 65f.
Vgl. Esfeld/ Sachse 2010, 86f. Ähnlich Bartels 1996, 37f.
Siehe dazu Bartels 1994, 303 und Cao 2003, 67.
Es ist interessant zu sehen, dass der spätere (Wiener) Schlick in seiner (bislang nur sehr spärlich rezipierten) Naturphilosophie von 1925 im Grunde tatsächlich recht nah an die in der heutigen Diskussion vertretenen strukturenrealistischen Positionen herankommt. Siehe in diesem Zusammenhang v.a. Schlick 1925, 426–430. Auffällig ist auch, dass seine 1948 posthum erschienene Naturphilosophie eine recht ausführliche „Kritik des Konventionalismus“ (vgl. Schlick 1948, 39ff.) enthält. Und auch schon in seinen 1920 erschienenen „Naturphilosophische[n] Betrachtungen über das Kausalprinzip“ charakterisiert er das das Gravitationsfeld und auch Atome als kausal wirksame „reale Prozesse“ (vgl. Schlick 1920, 470–472). All dies wird unter dem Gesichtspunkt eines intendierten Realismus aber dadurch entwertet, dass der Wiener Schlick die Realismus-Frage als solche für nicht weiter einschlägig hält, da er mittlerweile der Auffassung ist, dass alle philosophischen Fragen in ‚Fragen des sprachlichen Ausdrucks ‘aufgelöst werden können (was sich mit dem Vorhaben einer ernst zu nehmenden Naturphilosophie nach meiner Einschätzung aber gerade nicht in Einklang bringen lässt).
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Neuber, M. (2012). Der Revisionismus und seine Grenzen. In: Die Grenzen des Revisionismus. Schlick, Cassirer und das ‚Raumproblem‘. Schlick-Studien, vol 2. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-7091-0966-3_6
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