Die Vielfalt des Lebens (Biodiversität) steht im Fokus der öffentlichen Diskussion und vieler Wissenschaftsdisziplinen. Das hat vor allem zwei Ursachen: Erstens wird das zunehmende Aussterben von Arten beklagt, besonders wenn es um sehr auffällige, „schöne“ oder wirtschaftlich bedeutende Arten geht. Zweitens wird diskutiert: Wenn es weniger Arten gibt, dann verringern sich ökologische Leistungen für den Menschen, z. B. die Produktion von Biomasse oder die Kohlenstoff- und Stickstoffbindung.

Die Öffentlichkeit setzt Biodiversität oft mit Artenvielfalt gleich. Biodiversität umfasst aber weit mehr: die genetische Vielfalt innerhalb von Arten und die Vielfalt physiologischer Leistungen und biologischer Wechselwirkungen, z. B. Nahrungsnetze, Konkurrenz und Symbiosen. Sie schließt auch die Vielfalt an Lebensgemeinschaften und Ökosystemen ein. Der Klimawandel beeinflusst alle Elemente der Biodiversität. Auf allen Organisationsstufen des Lebens, vom Biomolekül bis zur Biosphäre, findet man Reaktionen auf klimatische Veränderungen.

In diesem Beitrag werden die direkten Wirkungen des Klimawandels charakterisiert und den Hierarchiestufen des Lebens folgend dargestellt. Daneben gibt es indirekte Wirkungen des Klimawandels, wo beispielsweise der Mensch durch Veränderungen in der Landnutzung biologische Systeme beeinflusst. Diese indirekten Wirkungen werden hier nicht thematisiert und gehen in den meisten Fällen nicht nur auf Anpassungs- oder Klimaschutzmaßnahmen zurück, sondern haben komplexe Ursachen und Konsequenzen, wie z. B. die generelle Ressourcenverknappung.

1 Wandel der Biodiversität in Deutschland

Seit der Entstehung des Lebens auf der Erde hat sich die Vielfalt an biologischen Formen und funktionellen Typen der Lebewesen ständig verändert. Generell hat die biologische Vielfalt immer zugenommen. Im Verlauf der Erdgeschichte haben jedoch fünf bisher bekannte große Massensterben diese Entwicklung unterbrochen (Klotz et al. 2012). Dafür verantwortlich waren erdgeschichtliche Prozesse wie große Vulkanausbrüche, Meteoriteneinschläge und Kontinentaldrift. Mit der Vorherrschaft des Menschen auf der Erde setzte das sechste Massensterben ein – verursacht durch die massive Nutzung und Übernutzung natürlicher Ressourcen (Barnosky et al. 2011).

Im Unterschied zu den ersten fünf Massensterben wird das gegenwärtige Massensterben vom Menschen verursacht. Immer stärker nutzt die wachsende Weltbevölkerung Flächen und Ressourcen, sodass die aktuelle Aussterberate stark zugenommen hat.

Die Ursachen dafür sind weitgehend bekannt. Fünf Faktoren treiben den Biodiversitätswandel besonders an (Sala et al. 2000):

  • An erster Stelle steht die Landnutzung durch den Menschen, also die Umwandlung von natürlichen Lebensräumen und Ökosystemen in Nutzökosysteme.

  • Zweitens beeinflusst der Klimawandel direkt die Arten und Lebensräume.

  • Drittens verändern die zunehmenden Nährstoffeinträge (z. B. Nitrat) massiv bestehende Ökosysteme.

  • Vierte Triebkraft des Biodiversitätswandels ist die bewusste Einführung, Einschleppung und anthropogen bedingte Einwanderung (z. B. durch Bau von neuen Kanälen) von Arten in neue geografische Regionen und neue Lebensräume. Diesen Prozess bezeichnet man auch als „biologische Invasionen“ (Pyšek et al. 2004).

  • Fünftens steigt die globale CO2-Konzentration in der Atmosphäre – das beeinflusst Konkurrenzverhältnisse zwischen Organismen in Ökosystemen.

Letztlich verschärft der Klimawandel die kritische Situation – wie groß die Rolle des Klimawandels in der aktuellen Biodiversitätskrise ist, lässt sich aufgrund der vielen Einflüsse schwer abschätzen (Settele et al. 2014). Offen ist die Frage, welche Rolle der Klimawandel in der Zukunft haben wird. Aktuelle Annahmen gehen von einer deutlichen Zunahme des Einflusses auf die Biodiversität aus (Pompe et al. 2011).

Deutschlands Landfläche war zu über 90 % mit Wäldern bedeckt. Mit rund 30 % Wald und über 50 % landwirtschaftlicher Nutzfläche, bezogen auf die Landesfläche Deutschlands, haben sich die Bedingungen heute für viele Arten grundlegend geändert. Mit der Entwicklung der Landwirtschaft stieg zunächst die Artenzahl, denn viele Arten aus Süd- und Südosteuropa sowie Kleinasien fanden hier neue Lebensräume, beispielsweise Ackerwildkrautarten, aber auch an offene Landschaften angepasste Vögel wie das Rebhuhn.

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber gehen die Pflanzen- und Tierarten in Deutschland und Mitteleuropa massiv zurück. Die Menschen intensivierten die Landwirtschaft; Städte und Industrieflächen dehnten sich aus. Dadurch wurde Lebensraum zerstört oder fragmentiert, und die Nährstoffbelastung (Eutrophierung) der Landschaft stieg. Seit dem 16. Jahrhundert sind in Deutschland nach Angaben des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) 47 Pflanzenarten, 12 Säugetierarten, 14 Vogel- und 10 Fischarten ausgestorben (www.bfn.de). Oberflächlich betrachtet erscheinen diese Zahlen wenig alarmierend. Berücksichtigt man jedoch die Gefährdungsangaben in den verschiedenen Roten Listen und generell in der floristischen und faunistischen Literatur, ist der Artenschwund dramatisch. Früher häufig vorkommende und auffällige Arten sind aus vielen Landschaftsräumen verschwunden, oder es leben dort nur noch kleine Restpopulationen. Für viele Arten muss man von einem drastischen Rückgang in der Fläche ausgehen.

Grob geschätzt ist fast jede zweite Art in irgendeiner Form gefährdet oder zumindest auf dem Rückzug. Der durch den Menschen verursachte (anthropogene) Klimawandel verschärft diese schwierige Situation (Essl und Rabitsch 2013; Mosbrugger et al. 2014), und es ist damit zu rechnen, dass sich die Auswirkungen des Klimawandels künftig drastisch bemerkbar machen (Settele et al. 2014).

2 Biodiversität und Klima

Klimatische Faktoren bestimmen wesentlich die Verbreitung von Genotypen, Populationen, Arten, Ökosystemen und Großlebensräumen (Biome, z. B. die Laubwaldzone). Viele Verbreitungsgebiete von Pflanzen und Tieren zeichnen die Klimazonen nach, sind an bestimmte ozeanische oder kontinentale Klimabedingungen gebunden oder beschränken sich auf klar abgrenzbare Höhenstufen in den Gebirgen. Diese direkte Abhängigkeit vom Klima wird überlagert von den jeweiligen Ansprüchen an die Böden oder an die Lebensräume insgesamt. Dabei spielen abiotische wie biotische Faktoren eine Rolle. Biotische Einflüsse sind vor allem Konkurrenz, Symbiosen und Nahrungsnetze. Aufgrund gut bekannter klimatischer Abhängigkeiten dienen bestimmte Pflanzen und Tiere auch als Zeigerorganismen für die klimatischen Verhältnisse. In Deutschland und in Mitteleuropa eignen sich bei Gefäßpflanzen die Zeigerwerte nach Ellenberg: Mithilfe der Ansprüche der Pflanzen an Klima und Boden – etwa Temperatur, Kontinentalität und Feuchtigkeit – lässt sich auf klimatische Bedingungen an ihrem Standort schließen (Ellenberg et al. 1992). Ebenso sind die Klimaansprüche bestimmter Tiere gut bekannt. Vor allem mit den Untersuchungen zum Einfluss des Klimawandels auf die Biodiversität sind Indikatoren und Indikationssysteme entwickelt worden (vgl. Settele et al. 2008; Winter et al. 2013; Wiemers et al. 2013 und Abschn. 15.2.3). Das Klima bestimmt wesentlich auch die natürliche Ausdehnung der Ökosysteme und Großlebensräume.

Daher kann jede Form des Klimawandels einschneidende Konsequenzen für genetische Strukturen, das Verhalten und Vorkommen von Arten, biologische Wechselbeziehungen sowie die Struktur und Funktion von Ökosystemen haben – das betrifft dann auch die essenziellen Ökosystemdienstleistungen für den Menschen (MEA 2005). Für Deutschland und Mitteleuropa liegen zwei umfassende Darstellungen zum Einfluss des Klimawandels auf die Biodiversität vor (Mosbrugger et al. 2012; Essl und Rabitsch 2013), in denen zahlreiche Beispiele und Fallstudien im Detail erläutert werden.

2.1 Der Klimawandel als Selektionsfaktor – genetische Konsequenzen

Bei Arten mit großen oder fragmentierten Lebensräumen ist zu erwarten, dass sich ihre Populationen klimabedingt stärker aufgliedern: Populationen aus wärmeren Regionen sollten frostempfindlicher, Populationen aus kühleren Teilen des Verbreitungsgebiets hitzeempfindlicher sein. Populationen an den Arealrändern sind oft besser an klimatischen Stress angepasst (Bridle et al. 2010). Wenn Individuen einer Art wandern und sich ausbreiten können, werden sich bei Klimawandel die Lebensräume von Populationen verschieben. Dadurch dürften Arten mit einer weiten Temperaturtoleranz wahrscheinlich eine stärkere Populationsstrukturierung aufweisen. Populationen an den Rändern ihres Verbreitungsgebiets sind oft genetisch weniger heterogen als Populationen aus dem Zentrum (vgl. auch Eckert et al. 2008). Dennoch kann man nicht direkt von der Herkunft der Population oder des Ökotyps einer Art auf deren Klimaanpassungsfähigkeit schließen (Beierkuhnlein et al. 2011). Der weit verbreitete Glatthafer (Arrhenatherum elatius), eines der häufigsten Wiesengräser in Deutschland und Europa, zeigt interessante genetische Differenzierungen in Populationen mit unterschiedlichen Klimaansprüchen (Michalski et al. 2010). Dieses Beispiel verdeutlicht die praktischen Konsequenzen: Bei Renaturierung in Gebieten, in denen langfristig mit Klimaveränderungen gerechnet werden muss, sollten Pflanzen klimatisch angepasster Herkünfte ausgesät und gepflanzt werden. Für Renaturierungs-, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sollten also nicht nur lokale Populationen infrage kommen. Wenn weitere Forschungsergebnisse vorliegen, wird man die Auswahl der Saatgutherkünfte anpassen müssen.

Regionale klimatische Unterschiede im Gesamtareal einer Art haben die Populationen bereits in der Vergangenheit genetisch differenziert. Klimaveränderungen können zudem mikroevolutionäre Prozesse in Gang setzen, z. B. bei der Taufliege (Drosophila melanogaster): Aufgrund neuer klimatischer Bedingungen kamen innerhalb von 20 Jahren bestimmte Genvarianten (Allele) häufiger vor, andere weniger häufig (Umina et al. 2005). Experimente mit erhöhtem Kohlendioxidgehalt der Luft auf Schweizer Bergwiesen ergaben genetische Anpassungen (Leadley et al. 1999). So sind beim Kleinen Wiesenknopf (Sanguisorba minor) durch Mikroevolution veränderte Populationen entstanden: Als Folge erhöhten CO2-Gehalts der Luft nimmt die Zahl der Blätter zu. Diese Eigenschaft bleibt bei Verpflanzung erhalten, auch wenn die CO2-Konzentration nicht mehr erhöht ist (Wieneke et al. 2004) – es hat sich also die genetische Konstitution verändert. Auch Tiere zeigen genetische Veränderungen aufgrund schnellen Klimawandels (Karell et al. 2011; Ozgul et al. 2010; Durka und Michalski 2013). Der Klimawandel ist ein wesentlicher Selektionsfaktor. Gleichzeitig dürften mikroevolutionäre Anpassungen weiter verbreitet sein als bisher belegt. Dies hat Konsequenzen für Verbreitungsmodelle, die bisher von genetischer und ökologischer Konstanz der Arten ausgehen.

2.2 Veränderung in der Physiologie und im Lebensrhythmus von Tier und Pflanze

Auf den Klimawandel reagieren Arten mit physiologisch-anatomischen und morphologischen Veränderungen: z. B. mehr Behaarung als Schutz gegen erhöhte UV-Strahlung und Austrocknung (Beckmann et al. 2012). Arten mit großer Flexibilität ihres Erscheinungsbildes können besser auf den Klimawandel reagieren.

Viel auffälliger erscheinen jedoch die Veränderungen im Lebensrhythmus von Pflanzen und Tieren. Besonders hervorzuheben sind die phänologischen Untersuchungen an Pflanzen, das heißt die Erfassung der Entwicklungsstadien wie zum Beispiel Blühbeginn, Beginn der Blattentfaltung usw. Die besten Messnetze haben die nationalen und internationalen Wetterdienste. Die Daten ermöglichen, global die Vegetationsphasen abhängig vom Klima räumlich und zeitlich gut aufgelöst zu erfassen (de Jong et al. 2013). Diese nationalen und globalen Daten bestätigen eindeutig die Verlängerung der Vegetationsperiode in Mitteleuropa. Mithilfe sogenannter phänologischer Gärten beobachten sie seit den 1970er-Jahren die Entwicklung von Wild- und Kulturpflanzen im Jahresverlauf. Regelmäßige phänologische Beobachtungen gibt es in Deutschland aber schon seit 1951 (www.dwd.de/phaenologie). Erfasst werden bestimmte Merkmale bei ausgewählten Arten der Gefäßpflanzen, z. B. Beginn der Blüte, Blattentfaltung, Reife von Früchten und Herbstfärbung. Die Daten dieser Messungen korrelieren in vielen Fällen hochgradig signifikant mit Veränderungen bestimmter klimatischer Parameter, was als Beleg für direkte Auswirkungen des Klimawandels auf die Phänologie der beobachteten Pflanzenarten gewertet wird (vgl. Menzel et al. 2006).

Auch der Lebensrhythmus von Tieren verändert sich. Das Tierbeobachtungsprogramm (http://zacost.zamg.ac.at/phaeno_portal/anleitung/tiere.html) sammelt seit 1951 Informationen etwa zum Reinigungs- und Sammelflug der Honigbiene (Apis mellifera), zum Kleinen Fuchs (Aglais urticae) und Zitronenfalter (Gonepteryx rhamni), aber auch zum ersten Kuckucksruf (Cuculus canorus).

Viele Veröffentlichungen belegen Veränderungen im Lebensrhythmus von Tieren: Zugvögel kommen früher zurück (Stervander et al. 2005; Huntley et al. 2007; Lemoine et al. 2007; Baierlein und Hüppop 2009; Sudfeldt et al. 2010), die Eiablage beginnt früher (Crick et al. 1997), oder Verhaltensmuster verändern sich generell (Schaefer et al. 2007). Bei Fischen wurde eine frühere Laichzeit nachgewiesen (Wedekind und Küng 2010); verschiedene Insekten haben andere Flugperioden (Hassall et al. 2007; Dell et al. 2005). Neue Lebensrhythmen zeigen nicht nur den Klimawandel an, sondern können auch die Wechselbeziehungen zwischen Organismen verändern (Abschn. 15.2.4).

Datenreihen zur Phänologie eignen sich hervorragend, den Einfluss des Klimawandels auf lebende Organismen zu erkennen. Gemessen wird dabei nicht der Klimawandel selbst, sondern die unterschiedlichen Auswirkungen auf bestimmte Organismen werden ermittelt. Der Wandel hat Konsequenzen für die Landwirtschaft, z. B. bei Aussaat- und Erntezeiten, aber auch für den Naturschutz, wenn Managementmaßnahmen geplant werden. Nach den Ergebnissen des Weltklimaberichts gehören die veränderten Lebensrhythmen zu den wenigen Umweltveränderungen, die größtenteils dem Klimawandel zuzuschreiben sind (Settele et al. 2014). Bei fast allen anderen Phänomenen – etwa bei Veränderungen der Verbreitung oder dem Aussterben von Arten – kommen meist viele weitere Faktoren hinzu.

2.3 Veränderungen in den Verbreitungsmustern

Historische Daten zeigen, wie sich die Verbreitung bestimmter Arten in Deutschland verändert hat – besonders gut dokumentiert bei Gefäßpflanzen. Natürlich ist nicht jede Änderung klimabedingt. Viele Faktoren beeinflussen die Verbreitung, beispielsweise die Landnutzung, der Nährstoffeintrag und die Einschleppung fremdländischer Arten. Dennoch lassen sich einige Arealveränderungen auf den Klimawandel zurückführen, gerade wenn es sich um sehr klimaempfindliche Arten handelt. Wärmere Winter führen dazu, dass aus klimatisch stärker durch den Atlantik bestimmten nordwestlichen Gebieten Deutschlands Arten weiter nach Nordosten vordringen und gleichzeitig Arten aus Süddeutschland ihr Verbreitungsgebiet weiter nach Norden ausdehnen (Walther et al. 2001a, 2001b, 2002). Zum Beispiel dringt die im Westen Deutschlands heimische Stechpalme (Ilex aquifolium) weiter nach Norden und Osten vor, und das Affen-Knabenkraut (Orchis simia) breitet sich weiter nach Norden aus. Viele fremdländische Pflanzen, die als Zierpflanzen nach Deutschland kamen, profitieren von der Klimaerwärmung. Besonders immergrüne Arten (Pompe et al. 2011), etwa die Lorbeerkirsche (Prunus laurocerasus) und der Meerfenchel (Crithmum maritimum). Auch andere Arten, die relativ kalte Winter ertragen, profitieren von hohen Sommertemperaturen. In urbanen Ballungsräumen findet man neue, wärmeangepasste Arten zuerst, da hier zusätzlich das Stadtklima wirkt (Gutte et al. 1987; Wittig et al. 2012).

Auch viele Tierarten breiten sich klimabedingt weiter aus, so etwa einige Libellenarten und Tagfalter (Trautmann et al. 2012). Dagegen lassen sich Rückgänge von Pflanzen- und Tierarten in Deutschland bisher meist nicht eindeutig dem Klimawandel zuordnen (Trautmann et al. 2012; Pompe et al. 2011; Rabitsch et al. 2013b). Zwar haben viele feuchtigkeitsliebende Arten deutliche Verluste in verschiedenen Regionen und Lebensräumen zu verzeichnen, verursacht allerdings meist durch veränderte Landnutzung. Da jedoch Aussterbeprozesse nicht sofort nach Veränderung der Lebensbedingungen, sondern oft verzögert einsetzen, ist das zunehmende Aussterben von Arten aufgrund der Klimaveränderung erst in der Zukunft zu erwarten.

Mit sogenannten Nischenmodellen, die Klimawandelszenarien nutzen und das aktuelle Verbreitungsgebiet einer Art abhängig von den aktuellen Umweltbedingungen berücksichtigen, lassen sich Projektionen künftiger Verbreitungsgebiete erstellen. Demnach besteht erhebliche Aussterbegefahr. Würde die Temperatur um 4 °C steigen, wird etwa ein Fünftel der (550 modellierten) Pflanzenarten Deutschlands bis 2080 mehr als drei Viertel der heute geeigneten Gebiete nicht mehr besiedeln (Pompe et al. 2008). Diese Angaben sind Ergebnisse von Berechnungen auf der Basis von verschiedenen Klimaszenarien. Modellberechnungen können jedoch generell mögliche genetische Anpassungen (vgl. Abschn. 15.2.1) von Arten derzeit nicht berücksichtigen. Aktuelle Nischenmodelle schließen jedoch neben dem Klima zunehmend auch andere abiotische und anthropogene Umweltkenngrößen ein (Kühn et al. 2009; Heikkinen et al. 2006; Hanspach et al. 2011). Mit zunehmend besser werdenden Kenntnissen zur Biologie und Ökologie von Arten, oft aus Experimenten resultierend, werden die Nischenmodelle detaillierter.

Besonders stark bedroht sind insektenbestäubte Arten, weniger windbestäubte (Hanspach et al. 2013), weil erstere von zum Teil spezialisierten Bestäubern abhängen. Auch die Verbreitung von Tagfaltern könnte sich ändern: Simulationen zufolge geht der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling (Maculinea nausithous) stark zurück (Settele et al. 2008). Der Große Feuerfalter (Lycaena dispar) hingegen scheint sich, wie in Freilandbeobachtungen bestätigt wurde, auszubreiten. Die Entwicklungen, wie sie für eine Vier-Grad-Welt projiziert wurden, sind für beide Arten in Abb. 15.1 dargestellt.

Abb. 15.1
figure 1

Klimatischer Nischenraum für den Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläuling (Maculinea nausithous) (a) und den Großen Feuerfalter (Lycaena dispar) (b), in einer Vier-Grad-Welt für 2080 im Vergleich zum Jahr 2000; deutlich sind die Verluste für M. nausithous und die Gewinne für L. dispar in Deutschland. (Aus Settele et al. 2008)

Wie empfindlich ist die deutsche Tierwelt gegenüber dem Klimawandel? Eine Analyse von 500 ausgewählten Arten ergab (Rabitsch et al. 2010): Für 63 dieser Arten bedeutet der Klimawandel ein hohes Risiko. Am stärksten betroffen sind Schmetterlinge, Weichtiere (z. B. Schnecken) und Käfer. Besonders viele klimasensible Arten finden sich im Süden, Südwesten und Nordosten des Landes. Auch Säugetiere sind durch den Klimawandel gefährdet (Rabitsch et al. 2010). Wenngleich sich keine generelle Bilanz der Artenverluste und -gewinne durch klimabedingtes Aussterben oder Einwanderung ziehen lässt, ist ein größerer Artenwandel zu erwarten.

2.4 Klimawandel und biologische Interaktionen

Der Klimawandel beeinflusst die Wechselwirkungen zwischen Organismen wie Bestäubung, Konkurrenz, Parasitismus, Pflanzenfraß und Räuber-Beute-Beziehungen. Am meisten weiß man über Einflüsse auf die Bestäubung. Der Klimawandel greift in die Verhältnisse zwischen Pflanze und Bestäuber ein. Denn er verändert die Entwicklungsphasen der Pflanzen, und diese sind wiederum für die Bestäuber wichtig. Die zentrale Frage ist: Wie sehr entkoppeln sich die Pflanzenentwicklung sowie die Entwicklung und Aktivität der Bestäuber (vgl. Hegland et al. 2009)? Wenn Pflanzen deutlich vor der Aktivitätsperiode ihrer Bestäuber blühen, kommt es seltener zu Bestäubung und Befruchtung, und es entstehen weniger Früchte und Samen. Bei Kulturpflanzen führt das zu erheblichen Ernteausfällen – mehr als ein Drittel der Kulturpflanzen und gut zwei Drittel der Wildpflanzen werden von Insekten bestäubt (Kearns et al. 1998). Damit hängt die Populationsentwicklung dieser Arten davon ab, ob deren Bestäuber zur selben Zeit am selben Ort sind wie die zu bestäubenden Pflanzen. Oder umgekehrt: Entwickeln sich die Bestäuber im Jahreslauf schneller als die Pflanzen, dann sind hoch spezialisierte Bestäuber gefährdet, weil ihnen die spezielle Nahrung fehlt. Diese zeitliche Diskrepanz in der Entwicklung von Pflanzen und Bestäubern wurde an zahlreichen Beispielen nachgewiesen (Schweiger et al. 2010). Zudem verringern höhere Temperaturen die Nektarproduktion, sodass es bestimmten Bestäubern an Nahrung mangelt (Petanidou und Smets 1996). Veränderungen im Pflanze-Bestäuber-Verhältnis beeinflussen also direkt die Populationsentwicklung von Pflanzen und ihren Bestäubern.

Konkurrenzverhältnisse zwischen Arten werden beeinflusst, wenn aufgrund von Klimaveränderungen (Caplat et al. 2008; Harvey et al. 2010):

  • neue Arten in das Konkurrenzgeschehen eingreifen,

  • die Vitalität von Arten in den Lebensräumen geschwächt wird,

  • die Vitalität von bereits in den Lebensgemeinschaften vorkommenden Arten gestärkt wird,

  • durch Aussterben Konkurrenten entfallen.

Generell stehen die Untersuchungen dazu noch am Anfang. Bekannt ist bei Vögeln die Konkurrenz um Insektennahrung: Wenn durch mildere Winter die Populationen der überwinternden Vogelarten weniger reduziert werden, stehen für zurückkehrende Zugvögel weniger Nahrungsressourcen zur Verfügung (Visser et al. 2006).

Bei höheren Temperaturen kann der Parasitenbefall von Organismen steigen (z. B. Møller et al. 2011). Hauptsächlich beeinflussen jedoch Veränderungen im Lebensrhythmus das Wirt-Parasit-Verhältnis. Wie bei der Bestäubung kann es zur Entkoppelung von Wechselbeziehungen kommen, oder völlig neue Wirt-Parasiten-Kombinationen können entstehen.

Früher beginnende oder verlängerte Vegetationsperioden beeinflussen direkt pflanzenfressende Tiere. Generell kann man zwar von einer besseren Verfügbarkeit von Ressourcen ausgehen, aber bei hoch spezialisierten Pflanzenfressern kann die Verschiebung der Phänologie der Nahrungspflanzen zur zeitlich bedingten Verringerung der Ressourcen führen. Außerdem können sich Pflanzenfresser bedingt durch veränderte Klimabedingungen auch neue Nahrungspflanzen erschließen.

Auch Räuber-Beute-Verhältnisse verändern sich mit dem Klimawandel. Da der Siebenschläfer (Glis glis) seinen Winterschlaf früher beendet, ist ein höherer Räuberdruck auf verschiedene Singvögel entstanden (Adamik und Kral 2008). Zudem beeinflussen Veränderungen der Lebensphasen die Räuber-Beute-Verhältnisse. Abb. 15.2 zeigt modellhaft die Möglichkeiten der Veränderungen ökologischer Beziehungen einschließlich Entkoppelung und neuer Wechselbeziehungen (Schweiger et al. 2010).

Abb. 15.2
figure 2

Fundamentale Klimanischen sind der Klimabereich, in dem eine Art (Spezies) theoretisch überleben kann. Gezeigt sind hier die Klimanischen von drei Arten (Sp. 1–3; dargestellt als farbige Ellipsen: blau, rot, grün). Die transparenten Ellipsen zeigen die gegenwärtigen (a, c) und künftigen Klimabedingungen (b, d). Wo sich Klimanischen überlappen, sind Wechselbeziehungen zwischen zwei Arten möglich. Zwei Arten können nur dann interagieren, wenn deren Klimanischen innerhalb der gegebenen Klimabedingungen überlappen. Art 1 (blau) hat zwar das Potenzial, mit zwei Arten (Art 2, rot und Art 3, grün) zu interagieren, kann aber aufgrund der momentan herrschenden Klimabedingungen nur mit Art 2 interagieren (c). Bei Verschiebung der Klimabedingungen (Änderung der beiden Klimavariablen auf der x- und y-Achse) kann die evtl. lang etablierte Interaktion mit Art 2 nicht mehr stattfinden, wohingegen eine neue mit Art 3 möglich wird (b). Ob neue Wechselbeziehungen entstehen, hängt allerdings vom Grad der Spezialisierung ab. Generalisten mit einer breiteren Klimanische und einem größeren Potenzial zu Interaktionen werden seltener relevante Interaktionen verlieren (a, b), wohingegen Spezialisten mit enger Nische und geringem Potenzial zu Interaktionen diese ganz verlieren können (c, d). (Verändert nach Schweiger et al. 2010, 2013).

2.5 Biologische Invasionen

Die Verbreitungsgebiete vieler Arten haben sich im Verlauf der Erdgeschichte ständig verlagert. Aussterben und Neueinwanderung sind natürliche Prozesse, die auch ohne direkten und indirekten Einfluss des Menschen geschehen. Neu ist jedoch, dass der Mensch auf vielfältige Weise heute ganz maßgeblich die Ausbreitung beeinflusst. Der vom Menschen verursachte Transport von Arten, ihre Etablierung und Ausbreitung außerhalb ihres bisherigen Verbreitungsgebietes heißt „biologische Invasion“ (Auge et al. 2001; Pyšek et al. 2004). Im Unterschied zur natürlichen Ausbreitung verlaufen biologische Invasionen bedeutend schneller und in einem deutlich größeren geografischen Ausmaß. Natürliche Barrieren wie Ozeane und Gebirgsmassive werden absichtlich oder unabsichtlich durch Maßnahmen des Menschen überwunden. Das globale Transport- und Handelsnetz (Schifffahrts- und Fluglinien, neue Straßen, Kanäle und Schienenwege) wird immer größer und dichter, erleichtert den Ferntransport – sogar über Kontinente hinweg. Nicht nur Nutztiere, Kultur- und Zierpflanzen werden global ausgebreitet, sondern auch unerwünschte Begleiter gelangen in neue Regionen. Diese sogenannten Transportbegleiter befinden sich entweder in den Handelsgütern, in Erden, anderen Schüttgütern oder in Verpackungen. Große Schiffe werden durch Ballastwasser stabilisiert – viele Arten reisen darin auf allen Weltmeeren mit. Zudem verbinden neue Kanäle bisher getrennte Gewässer.

Biologische Invasionen begannen erstmals in größerem Umfang in der Jungsteinzeit, als der Mensch landwirtschaftlich tätig wurde und damit Arten sowohl gezielt als auch unbewusst (Transportbegleiter wie z. B. Verunreinigungen im Saatgut) ausbreitete. Gleichzeitig entstanden neue Lebensräume (Agrarökosysteme auf den landwirtschaftlichen Flächen, Brachflächen an den dauerhaften Siedlungsplätzen). Der Artenaustausch und neue anthropogene Lebensräume sind wichtige Ursachen für Invasionen. Dieser Prozess hat sich bis heute verstärkt – besonders augenfällig derzeit in Städten.

Der Invasionsprozess verläuft in vier Phasen (Williamson 1996):

  1. 1.

    Absichtlicher oder unabsichtlicher Transport von Arten in ein neues Verbreitungsgebiet.

  2. 2.

    Etablierung der Arten im neuen Gebiet.

  3. 3.

    Vermehrung und Aufbau stabiler Populationen.

  4. 4.

    Massenvermehrung und Ausbreitung, verbunden mit gesundheitlichen, ökonomischen und/oder ökologischen Auswirkungen.

Der Klimawandel beeinflusst biologische Invasionen sowohl direkt als auch indirekt, z. B. durch die Anpassung der Landnutzung an den Klimawandel. Er wirkt auf alle Phasen des Invasionsprozesses. Durch Klimaveränderungen können Extremereignisse wie Hochwasser und Stürme zunehmen und so den Transport von Arten beschleunigen. Südliche Arten etwa können sich leichter in einem nunmehr wärmeren Gebiet ansiedeln, da sich die Lebens- und Wuchsbedingungen für sie verbessert haben. Neue Klimabedingungen steigern die Erfolgsraten bei der Vermehrung und Etablierung von Arten. Weiterhin wird die Konkurrenzkraft von fremdländischen Arten durch den Klimawandel begünstigt. Dadurch können sich die Arten leichter in neuen Lebensräumen ausbreiten (Walther et al. 2009).

Die Entwicklung von Flora und Fauna in Städten gibt Hinweise, wie der Klimawandel generell Flora und Fauna beeinflusst. Denn die städtische Wärmeinsel kann man als Vorwegnahme künftiger Entwicklungen in der offenen Landschaft im Zuge des Klimawandels ansehen. Viele Studien haben belegt: Urbane Räume fungieren für fremdländische Arten als nach Norden vorgeschobene Arealinseln (Kowarik 2010). Beispielsweise leben viele wärmeliebende Insekten in Gebäuden, aber auch auf städtischen Freiflächen. Typische Pflanzen städtischer Wärmeinseln in Deutschland sind die Feige (Ficus carica) und der Götterbaum (Ailanthus altissima).

Anpassungen an den Klimawandel können Invasionen begünstigen. Hierzu zählt besonders der Anbau von fremdländischen Energiepflanzen, z. B. des China-Schilfs (Miscanthus chinensis). Nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip ändern sich auch Lebensgemeinschaften (Auge et al. 2001). Ursprüngliche Arten leiden unter dem Klimawandel, verlieren an Vitalität, können sich weniger gut gegenüber Konkurrenz behaupten oder sterben sogar aus. Diese Nischen können dann neue Arten besetzen – also der neue Schlüssel passt in das veränderte Schloss.

Invasive Arten können ökologische und ökonomische Konsequenzen haben. Oder sie führen sogar zu Gesundheitsgefahren für den Menschen. Die Asiatische Tigermücke (Stegomyia albopicta) etwa kann sich durch den Klimawandel weiter ausbreiten und die Erreger der Dengue-Krankheit, das West-Nil-Virus und das Gelbfiebervirus übertragen (Kowarik 2010). Andere vom Klimawandel profitierende fremdländische Arten wiederum haben keinen negativen Einfluss, sondern stabilisieren sogar geschädigte Lebensräume. Global, europaweit und national werden Maßnahmen zur Prävention und zum Management invasiver Arten geplant und durchgeführt (Kowarik 2010; Rabitsch et al. 2013a). Doch sind eben nicht alle fremdländischen Arten negativ zu betrachten, vor allem dann nicht, wenn sie aus benachbarten Regionen stammen. Diese Frage wurde auch international intensiv diskutiert (Walther et al. 2009). Auch ist der Klimawandel normalerweise nicht die Ursache der Invasion, trägt aber entscheidend zu deren Erfolg bei (Settele et al. 2014).

2.6 Veränderung von Ökosystemen und Konsequenzen für den Naturschutz

Für Deutschland gibt es eine Übersicht über die Gefährdung von Schutzgebieten und ihren wichtigen Lebensgemeinschaften und Ökosystemen (Vohland et al. 2013). Wie stark der Klimawandel ein Ökosystem gefährdet, ist viel schwieriger einzuschätzen als die Gefährdung einzelner Arten oder ökologischer Wechselbeziehungen. Denn zu viele weitere Faktoren bestimmen, wie sich ein Ökosystem zusammensetzt und wie leistungsfähig es ist. Noch schwieriger sind Schwellenwerte oder Kipppunkte (tipping points) zu bestimmen – also Bereiche, in denen ein Ökosystem umkippt (Essl und Rabitsch 2013). Dazu gibt es nur wenige Untersuchungen von einzelnen Ökosystemen. Am meisten weiß man noch über Gewässer.

Anhand der erwarteten Dynamik der betroffenen Arten lässt sich die Gefährdung von Lebensräumen analysieren. Unberücksichtigt bleiben dabei aber die Wechselbeziehungen in einem Ökosystem. Deshalb liefern diese Analysen zwar wertvolle Hinweise, erlauben aber nur eingeschränkt Aussagen zu den Ökosystemen (Hanspach et al. 2013). Die wesentlichen entscheidenden Umweltfaktoren für bestimmte Ökosystemtypen sind jedoch bekannt, sodass man auf deren Basis die Empfindlichkeit von Ökosystemen oder Habitaten einschätzen kann. Besonders empfindlich sind in Deutschland Ökosysteme der Hochgebirge, verschiedene Typen von Feuchtgebieten, Moore, Dünen, stehende Gewässer und Fließgewässer sowie Feucht- und natürliche Nadelwälder. Wie genau sich ein Ökosystem verändert, ist bisher nicht bekannt. Zuerst werden sich Mengenverhältnisse von Arten untereinander verschieben: Besonders empfindliche Arten sterben aus, neue Arten dringen in das System ein. Dabei erwarten wir neue Ökosysteme, die nur bedingt mit den gegenwärtigen Systemen vergleichbar sein werden (Hobbs et al. 2009). Jedoch werden die Übergänge eher fließend sein, da voraussichtlich der Prozess relativ langsam ablaufen wird. Kommen jedoch Änderungen der Landnutzung, z. B. auch durch Klimaanpassungs- oder Schutzmaßnahmen (Biomasseanbau) oder Stickstoffeinträge dazu, werden die Auswirkungen schneller und drastischer sein. Dieser Wandel der Ökosysteme sowie die Einflüsse des Klimawandels auf die Genetik, auf die Lebensphasen von Arten und auf deren Verbreitung fordern den Naturschutz heraus.

Noch bestehen erhebliche Unsicherheiten über die Auswirkungen des Klimawandels. Wichtige Trends gelten zwar als sicher, dennoch bleiben große Wissenslücken – vor allem auf der Ebene von Ökosystemen. Um diese Lücken zu verkleinern, scheint deshalb der Aufbau klimaorientierter Monitoringsysteme wichtig zu sein (Dröschmeister und Sukopp 2009; Wiemers et al. 2013; Winter et al. 2013).

Trotz Unsicherheiten muss der staatliche und ehrenamtliche Naturschutz jedoch handeln. Die Dynamik, die der globale Wandel erzeugt, erfordert flexible und dynamische Konzepte, u. a. damit sich die Resilienz erhöht. Viele Jahrzehnte galt der bewahrende oder konservierende Naturschutz als gesetzt. Den neuen Anforderungen wird dieser Ansatz aber nicht gerecht. Eine ganz wesentliche Antwort auf die gegenwärtigen und zukünftigen Probleme ist der Prozessschutz – ein Ansatz, der in den 1970er-Jahren im Naturschutz aufkam (Riecken 2006; Doyle und Ristow 2006). Demnach benötigen wir verschiedene Typen von Schutzgebieten und müssen gleichzeitig die Bedeutung neu entstehender Systeme bewerten.

Großflächiger Naturschutz in Nationalparks und Biosphärenreservaten sichert den Bestand wichtiger Arten und Ökosysteme. Diese Gebiete sind auch wesentliche Quellen von Arten, die durch Genaustausch Populationen in kleineren Schutzgebieten stabilisieren können. Kleinere Schutzgebiete kombiniert mit linearen Landschaftselementen wie Feldrainen, Hecken und Gräben gewährleisten, dass die Landschaft für klimabedingtes Weiterwandern von Arten durchlässig bleibt. Sogenannte Biotopverbundkonzepte und das Konzept „Grüne Infrastruktur“ der Europäischen Union erlangen also zusätzlich Bedeutung.

Um klimabedingte Veränderungen in Habitaten zu kompensieren, sind neue Managementverfahren notwendig. Wird etwa die Mahd der Wiesen angepasst, ändert sich unter Klimawandel das Mikroklima nicht so schnell wie das Makroklima. Das schützt z. B. den gefährdeten Maculinea-Ameisenbläuling.

3 Kurz gesagt

Der Klimawandel wirkt sich heute und künftig auf vielfältige Weise auf die Biodiversität aus. Betroffen sind alle Organisationsstufen des Lebens, Physiologie und Genetik der Organismen sowie Lebensrhythmus und Verbreitung der Arten. Auch die Wechselwirkungen zwischen Organismen wie Konkurrenz, Räuber-Beute-Beziehungen und Parasitismus können sich klimabedingt verändern, biologische Invasionen beschleunigt werden. Sehr wahrscheinlich wird der Klimawandel neue Ökosysteme hervorbringen und damit Funktionen und Dienstleistungen von Ökosystemen für den Menschen verändern. Dadurch werden Lebensgemeinschaften wichtige Stoff- und Energiekreisläufe stärker beeinflussen. Da mehrere anthropogene Triebkräfte die Biodiversität gefährden, ist der Klimawandel nur ein – aber ein besonders wichtiger – Faktor der aktuellen Biodiversitätskrise. Wenn sich Krankheitserreger und ihre Überträger stärker ausbreiten, berührt das den Menschen ebenso wie die Veränderungen von Ökosystemen, wenn sich deren Leistungen und ihre Produktivität verringern.

Wer kann auf die Veränderungen der Biodiversität durch den Klimawandel reagieren? Einflussmöglichkeiten haben sowohl die hauptsächlichen Landnutzer, insbesondere die Land- und Forstwirtschaft, als auch der Naturschutz. Nutzungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen müssen stärker auf die Sicherung der Stabilität bzw. Resilienz der Systeme gegenüber klimatischen Extremen ausgerichtet werden. Das kann durch neue Bewirtschaftungsverfahren und durch die Nutzung besser angepasster Tier- und Pflanzenarten erfolgen. Der Naturschutz muss stärker die Dynamik der Systeme bei der Definition seiner Ziele berücksichtigen. Insbesondere ist es wichtig, durch eine effektive grüne Infrastruktur Artenvielfalt nicht nur in isolierten Schutzgebieten, sondern generell in den Kulturlandschaften zu sichern.