Zusammenfassung
Nick Kratzer und Knut Tullius analysieren die Legitimitätsansprüche Hochqualifizierter Beschäftigter. Sie untersuchen Legitimitätsansprüche im Betrieb, die sich aus Gerechtigkeits- und Rationalitätsansprüchen zusammensetzen. Im Ergebnis stellen die Autoren fest, dass Ungerechtigkeitserfahrungen hochqualifizierter Beschäftigter vor allem aus begrenzten Beteiligungsmöglichkeiten und aus eingeschränkten Freiräumen bei der Gestaltung der Arbeits- und Leistungsbedingungen erwachsen, die dann von den Beschäftigten als problematische Bedingungen für den eigenen Leistungsanspruch gewertet werden. Mit Erstaunen stellen die Autoren fest, dass dabei die traditionelle Beitragsorientierung weitgehend konfliktlos mit einer neuen Marktorientierung einhergeht, die die Grundlagen sowohl für tatsächliche Beteiligungsmöglichkeiten als auch für hochwertige Beiträge zum Unternehmenserfolg untergräbt.
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Notes
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So etwa das „Institut für Demoskopie Allensbach“ im November 2013: „Vom Jahr 1964 bis Anfang der 1990er Jahre hielten sich die Anteile derjenigen, die sagten, die Verhältnisse seien gerecht, und die Zahl derer, die sie für nicht gerecht ansahen, ungefähr die Waage. Seitdem aber steigt – von kurzfristigen Schwankungen abgesehen – der Anteil der Befragten, die die Verhältnisse für nicht gerecht halten, kontinuierlich an. Heute liegt er bei 65 %. Nur noch 18 % widersprechen ausdrücklich“ (IDA 2013, S. 3 f.).
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Die im Folgenden dargestellten Überlegungen und Befunde sind (Teil-)Ergebnisse des von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojektes „Brüchige Legitimationen – neue Handlungsorientierungen? Gerechtigkeitsansprüche und Interessenorientierungen in Arbeit und Betrieb vor dem Hintergrund von Krisenerfahrungen“. Das Projekt wird gemeinsam von SOFI Göttingen und ISF München durchgeführt. Zum Projektteam gehören neben den Verfassern dieses Artikels noch Harald Wolf und Berthold Vogel vom SOFI Göttingen sowie Wolfgang Menz, Sarah Nies und Dieter Sauer vom ISF München. Die hier präsentierten Überlegungen und Befunde geben einen Ausschnitt der gemeinsamen Arbeit wieder, die in einem Mitte 2015 erscheinenden Buch zusammenfassend vorgestellt wird (vgl. auch bereits: Menz 2014; Wolf 2014; Menz et al. 2013, 2014; Tullius und Wolf 2012).
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Subjektivierte Arbeit findet sich in vielen Branchen, Berufs- und Tätigkeitsfeldern und ist keineswegs auf das Feld der Dienstleistungen oder auf die Arbeit von Hochqualifizierten oder „Wissensarbeitern“ beschränkt, wie die intensive Forschung um die „Subjektivierung von Arbeit“ zeigt (vgl. etwa Matuschek 2010; Moldaschl und Voß 2002).
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Entsprechend lauten die im Weiteren verwendeten Kürzel zur Kennzeichnung der in diesen Konstellationen geführten Interviews: „Auto“, „Elektro“, „MaBau“, „UnDL“ sowie „Bau“, gefolgt vom Fallkennzeichen (A, B, …) sowie der Interviewnummer.
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Unser empirisches Material hat gezeigt, dass der „Anspruchshorizont“ sich als komplexer erweist, als wir ursprünglich mit der Gegenüberstellung von Outputlegitimität oder Verteilungsgerechtigkeit (d. h. der ergebnisbezogenen Legitimation von Erwerbsarbeit) einerseits und Ansprüchen auf Inputlegitimität oder Beteiligungsgerechtigkeit (d. h. Erwartungen von und Ansprüche auf Beteiligung an Entscheidungsprozessen und damit der beteiligungsbezogenen, letztlich demokratischen Legitimation von Erwerbsarbeit) andererseits, vermutet haben.
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Dubet (2008) unterscheidet die Gerechtigkeitsprinzipien „Leistung“, „Autonomie“ und „Gleichheit“, wir sprechen statt von „Autonomie“ vom „Selbstverwirklichungsprinzip“ und ersetzen „Gleichheit“ durch das „Beteiligungsprinzip“, weil wir meinen, dass wir mit dieser Begriffswahl die (auch bei Dubet z. T. gemeinten) empirisch vorzufindenden Sachverhalte besser treffen.
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Von uns im Rahmen der Untersuchung befragte Industriearbeiter würden eine solche Fremdzuschreibung ihrerseits allerdings scharf zurückweisen, entspricht sie doch keineswegs mehr ihrem Selbstverständnis und ihren Ansprüchen an Beteiligung und Eigenverantwortung in der Arbeit.
Literatur
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Kratzer, N., Tullius, K. (2016). Legitimitätsansprüche Hochqualifizierter. In: Haipeter, T. (eds) Angestellte Revisited. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-11233-2_5
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