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Einleitung: Grundlegende Begriffe und Messprozesse

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Zusammenfassung

Die akustische Wirklichkeit plausibel oder authentisch reproduzieren zu können, ist schon seit Beginn der Schallaufzeichnung eine der wichtigsten Triebkräfte der technologischen Medienentwicklung gewesen – ein Ziel, das im Verlauf der Jahrzehnte seit Edisons Phonograph mit stets noch „realitätsgetreueren“ Aufnahme- und Wiedergabeverfahren zu erreichen versucht wurde. Uns stehen heute im Audiobereich hochentwickelte Systeme zur Verfügung, die hinsichtlich ihrer Wiedergabequalität, ihrer Interaktionsmöglichkeiten mit dem Benutzer und ihrer Kraft der Illusion kaum Wünsche offen lassen. Auf den ersten Blick scheint sich die vom Hörer empfundene Wiedergabequalität mit dem technischen Fortschritt über die Jahrzehnte hinweg erhöht zu haben. Auf den zweiten Blick jedoch ist dieser Zusammenhang zwischen Wiedergabetechnik und Qualitätsempfinden nicht so eindeutig: Betrachtet man die audiovisuelle Reproduktion im 20. Jh., so finden sich Kommentare von Zeitzeugen über die „naturgetreue“ Qualität historischer Wiedergabesysteme, deren klangliche Eigenschaften uns heute als Hörer in einer allgegenwärtig medialisierten und digitalisierten Welt allenfalls ein Lächeln entlocken. Das Qualitätsempfinden des Rezipienten hat sich über die Jahre offensichtlich immer wieder dem technischen Fortschritt angepasst: Die Langspielplatte beispielsweise, die noch Anfang der 1980er Jahre als High-Fidelity galt und bald darauf mit dem Einzug der digitalen Klangwiedergabe ins Wohnzimmer bestenfalls als Stilträger unter Audioenthusiasten gehandelt wurde, ist nur ein Beispiel dafür, wie sich Hörgewohnheiten mit der technischen Entwicklung verändern.

Es war ein strömendes Füllhorn heiteren und seelenschweren künstlerischen Genusses. Es war ein Musikapparat. Es war ein Grammophon. (…) Männliche Stimme entströmte dem Schrein, männlich, weich und gewaltig auf einmal (…): das herrliche Organ erscholl nach seinem vollen natürlichen Umfang und Kraftinhalt, und namentlich, wenn man in eines der offenen Nebenzimmer trat und den Apparat nicht sah, so war es nicht anders, als stände dort im Salon der Künstler in körperlicher Person, das Notenblatt in der Hand, und sänge.

Thomas Mann: Der Zauberberg (Fülle des Wohllauts)

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Notes

  1. 1.

    In diesem Buch wird im Allgemeinen darauf verzichtet, Begriffe jeweils in der Form beider Geschlechter zu nennen. Gemeint ist jedoch stets eine neutrale Bedeutung, wenngleich zur besseren Lesbarkeit die männliche Form verwendet wird.

  2. 2.

    Da wir es in Hörversuchen, in denen Stimulus und Referenz dargeboten werden, stets mit einer sequentiellen Darbietung zu tun haben, stellt sich hier strenggenommen die Frage, ab welcher Zeitspanne in der Abfolge von Stimulus und Referenz die Erinnerungsfähigkeit und damit die Vorerfahrung so relevant wird, dass wir eigentlich schon von einer „inneren Referenz“ sprechen müssten. Dieser Punkt wird hier nicht vertieft, da im Rahmen der hier durchgeführten Untersuchungen ein anderer Aspekt der Vorerfahrung im Vordergrund steht, nämlich konzeptionelle Eigenschaften der „inneren Referenz“ im Sinne eines Systems mehrerer Wahrnehmungsobjekte. Wir werden dies in Abschn. 1.4 und 2.5 genauer betrachten.

  3. 3.

    Vgl. a. Ausführungen zu perzeptiven Urteilen in Abschn. 1.3.2 sowie zu Messgrößen der Präsenzforschung in Abschn. 1.3.3.

  4. 4.

    Um das Antwortverhalten von Probanden experimentell zu analysieren, existieren einzelne Untersuchungsmethoden, mit denen zwischen Reizausprägung und Antwortneigung differenziert werden kann – beispielsweise mit Hilfe von Signalentdeckungsexperimenten. An dieser Stelle wird auf zunächst eine Diskussion von Antwortneigungen verzichtet, da wir uns im Folgenden mit der Beschaffenheit der Referenz befassen werden. In Abschn 1.3.3, und 3.2.4 werden wir jedoch auf einzelne Aspekte dazu zurückkommen.

  5. 5.

    Vgl. hierzu auch DIN 1319-1:1995-01, S. 6, Ziffer 2.1.4: „Prüfung“.

  6. 6.

    Nach ITU-R BS. 1116-1, 1997, Übersetzung des Autors.

  7. 7.

    DIN 55350, Teil 11, Nr. 5.

  8. 8.

    DIN 55350, Teil 11, Nr. 2.

  9. 9.

    An dieser Stelle ist es auch möglich, den Prüfprozess als ein zweistufiges Verfahren aus dem zuvor beschriebenen Messprozess zu entwickeln: Zunächst wird in einem Messprozess auf der Basis eines Normals ein Messwert ermittelt, der anschließend in einem Prüfprozess mit einem Erfordernis verglichen wird, um zum Qualitätsprüfungsergebnis zu gelangen. Diese genauere Betrachtung ist jedoch für die nachfolgend beschriebene Systematik nicht von Bedeutung, so dass es hier hinreichend ist, von der Definition nach DIN 1319, Abschn. 1.3.3 Gebrauch zu machen und den Prüfprozess in einer einstufigen Messung zusammenzufassen.

  10. 10.

    Vgl. DIN 1319-1.

  11. 11.

    Die Betrachtung wird sich im Rahmen dieser Untersuchungen auf behaviorale Zusammenhänge der Wahrnehmung beschränken. Neurophysiologische Betrachtungen werden nicht durchgeführt.

  12. 12.

    Jekosch (2000, S. 20).

  13. 13.

    Jekosch (2000, S. 20).

  14. 14.

    Die hier dargestellte Differenzierung von Qualitätsmerkmalen und Referenzgrößen wird aus Sicht des Autors in der Literatur oftmals nicht vorgenommen, weil Eigenschaften beider Parameter (Qualitätsmerkmal und Referenz) nur über dieselbe Art der experimentellen Beobachtung bestimmt werden können. Wir werden auf diesen Umstand und die experimentelle Unterscheidung beider Größen in den Kap. 3 und 4 zurückkommen.

  15. 15.

    Vgl. Regenbrecht (2000).

  16. 16.

    dto.

  17. 17.

    In diesem Zusammenhang wird in der Präsenz-Literatur auch der Begriff „Plausibilität“ verwendet, allerdings mit anderer Bedeutung als in der hier vorliegenden Betrachtung. Plausibilität bezieht sich beispielsweise in Sheridan (2009) auf die Beurteilung von Interaktionen des Nutzers mit Objekten oder anderen Subjekten innerhalb der VU. Für die Beurteilung, inwieweit die VU visuell, auditiv und haptisch der Erwartungshaltung des Nutzers entspricht, werden in diesem Kontext eher die von Lessiter et al. (2000) und Schubert et al. (2001) genannten Begriff wie naturalness und realness verwendet. Vgl. hierzu Begriffsdefinitionen in Abschn 1.2

  18. 18.

    Zitiert in Regenbrecht (2000).

  19. 19.

    Vgl. Definitionen in Abschn 1.2.

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© 2012 Springer-Verlag Berlin Heidelberg

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Kuhn-Rahloff, C. (2012). Einleitung: Grundlegende Begriffe und Messprozesse. In: Realitätstreue, Natürlichkeit, Plausibilität. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-22072-2_1

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