Zusammenfassung
Als sich Britney Spears im Februar 2007 eine Glatze rasierte, war sich die publizierte Meinung schnell einig. Erstens: Dieser Mensch ist verrückt geworden. Zweitens: Ein Mensch ohne Haare ist keine begehrenswerte Frau, keine sorgende Mutter, höchstens eine verlorene Tochter. Der Akt der Rasur wurde diskursiv begleitet und verarbeitet, der Diskurs wurde wirkmächtig und produzierte neue Materialitäten: Innerhalb des folgenden Jahres wurde Spears in Krankenhaus und Psychiatrie zwangseingewiesen. Sie verlor für zwei Jahre das Sorge- und teilweise das Besuchsrecht für ihre beiden Kinder. Schließlich wurde die damals 26-Jährige auch im juristischen Sinne zum Mädchen: Ihr Vater erhielt die Vormundschaft und damit die Verfügungsgewalt über ihr Vermögen.
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- 1.
Ich schreibe Frau/Mann ohne Anführungszeichen, wenn ich mich auf Diskurse beziehe, welche Zweigeschlechtlichkeit (re-)produzieren und die soziale Konstruktion von Geschlecht außer Acht lassen.
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Dieser Zustand dauert zum Zeitpunkt des Artikels an (September 2011).
- 3.
Ein Ziel der Riot-Grrrl-Bewegung war es bspw., Körper so zu inszenieren, dass sie normative Geschlechterzuschreibungen und -praxen in Frage stellen. Das Färben der Haupthaare, das Nicht-Rasieren der Achsel- und Beinhaare sowie das Ankleben von Bärten spielten in den Inszenierungen eine wichtige Rolle (vgl. Wesemüller 2009a).
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Die in diesem Artikel dargestellten Performanzen und Rezeptionen von Haaren und Geschlecht möchte ich im Kontext gesellschaftlicher Machtverhältnisse – hier: feministischer Backlash unter neoliberalen Bedingungen – analysieren (vgl. McRobbie 2010). Dabei stimme ich mit den Herausgeber_innen dieses Sammelbandes in Bezug auf Engel überein, dass es kaum mehr Ausschließung und Verwerfung sondern differenzierte Integration von geschlechtlichen Identitäten gibt (vgl. Engel 2009). Ich verstehe diese Vervielfältigung jedoch nicht per se als subversiv oder emanzipativ, sondern auch als Teil der Macht, die sich über die Produktion und Ausbreitung von Sexualitäten stabilisiert (vgl. Foucault 1977). Trotzdem sind Mechanismen der Ausschließung und Verwerfung immer noch wesentlicher Bestandteil der diskursiven Produktion von Weiblichkeit, z. B. in Form von Pathologisierung und (Ent-)Sexualisierung, wie ich am Beispiel von Spears’ Glatze zeigen werde.
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Dass „Cyborg“ in der deutschen Übersetzung einen männlichen Artikel erhält, wird dem ihm eingeschriebenen Konzept der Aufhebung von Zweigeschlechtlichkeit nicht gerecht.
- 6.
Ich kann an dieser Stelle nicht auf andere Ungleichheitskategorien eingehen. Es sei deshalb nur angemerkt, dass den Haarträger_innen nicht nur über Geschlechter-, sondern auch über Klassendiskurse spezifische Charakteristika zugeschrieben werden. So titelt Bild: „Britney nur noch Proll“ und befürchtet, Spears würde „verlottern“ (Bild.de 2007a; b). Der Friseursalon war laut New Weekly ein „Billig-Friseur“ (New Weekly 2007, e. Ü.), am nächsten Tag trug Spears laut New York Magazine eine „billige Perücke“ (Stevens 2007, e. Ü.). Lady Gaga hingegen ist laut Süddeutsche Zeitung ein „kluger Superstar“, der nicht „so tumb ist wie Britney Spears“, „aus bestem New Yorker Hause“ stamme, Beethoven verehre, „jeden Tag“ Rilke lese und Andy Warhol zitiere (Rabe 2009; Fromme 2010).
- 7.
Der performative Akt ist laut Butler weder ein vereinzelter Akt, noch absichtsvoll/reflektiert oder individuell. Nicht das Subjekt verschafft sich über die Performativität Existenz sondern die Macht des Diskurses schafft das Subjekt. Performativität ist Zitatförmigkeit: Sie zitiert das Gesetz, welches die Ideale von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ ausstellt. Das Subjekt ist nicht der Urheber dieses Aktes – dies scheint nur so, weil das Zitat verborgen wird. Der performative Akt ist eine ständige Wiederholung, die die Konventionen verbirgt, die sie hervorbringt. Der Akt ist eine unfreie Aneignung, da er unter dem Zwang zur Heterosexualität stattfindet. Wenn ein Subjekt gegen diese Normen kämpft, sind es diese Normen selbst, die den Kampf ermöglichen. (vgl. Butler 1997: 35 ff.).
- 8.
Butler stellt die These auf, dass Körper, weil sie als natürlich gelten, zum Schauplatz von dissonanten und ent-naturalisierten Performanzen werden können, die den performativen Statusdes Natürlichen selbst enthüllen (vgl. Butler 1991). Dabei sei es nicht die Aufgabe, eine Position außerhalb der konstruierten Kategorie Frau/Mann zu suchen, sondern an Parodie und Wiederholungen der Performanz teilzunehmen, um so die Vorstellung von Ursprünglichkeit herauszufordern. In einem kurzen Absatz gibt Butler jedoch auch die Bedingungen und Beschränkungen – den Kontext und die Rezeption – der Subversion zu bedenken: „Die Parodie an sich ist nicht subversiv. Also muss es eine Möglichkeit geben zu verstehen, wodurch bestimmte Formen parodistischer Wiederholung wirklich störend bzw. wahrhaftig verstörend wirken und welche Wiederholungen dagegen gezähmt sind und erneut als Instrumente der kulturellen Hegemonie in Umlauf gebracht werden. Eine Typologie der Akte wäre hier eindeutig nicht ausreichend, weil die parodistische Verschiebung, das parodistische Gelächter von dem Kontext und der Rezeption abhängen, die die parodistische Verwirrung zu fördern vermögen.“ (Butler 1991: 204).
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Zum Diskurs über derangierte Haare und sexualisierte Gewalt vgl. Künzel 2004.
- 10.
Rasierte Haare werden in der Literatur oft als Metapher für die Shoah unter der besonderen Betrachtung von Geschlechterverhältnissen gebraucht (vgl. Paul Celan, Elfriede Jelinek). Laut Nickening wird hier die Roland Barthes’sche These der Mythenbildung – die Verwandlung von Geschichte in Natur – umgedreht: Natur entpuppt sich als historische Gewalttat (vgl. Nickening 2008: 218).
- 11.
In einem Aufsatz für die Universität schrieb sie in Auseinandersetzung mit Montaignes „Über eine Missgeburt“: „Wenn wir etwas als gegensätzlich zur Gewohnheit ansehen, schreiben wir ihm eine monströse Qualität zu. […] Es ist möglich, dass wir in unserer Nacktheit, in unserer Deformiertheit nicht nur unsere Verletzlichkeit offenbaren, unsere Haut, unsere Narben, unsere Makel und unsere Genitalien. Wir offenbaren auch unsere Geheimnisse.“ (Germanotta 2004, e. Ü.).
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Der Schock muss nicht zur Subversion führen. So beschreibt Benjamin aus psychoanalytischer Sicht die „Verarbeitung“ eines Schocks durch die „Schockabwehr“, die dem Schock-auslösenden Vorfall einen Platz im Bewusstsein zuweise, wobei der Inhalt des Schocks verloren gehe (vgl. Benjamin 1977: 190 f.). Daran anschließend zitiert Bürger Untersuchungen über die Rezeption von Dada-Kunstwerken, in denen sich der Schock als erstens nicht von Dauer und zweitens als unspezifisch zeigte: So war eine mögliche Reaktion auf den Schock blinde Wut, die den vor handenen Einstellungen Anlass gab, sich manifest zu äußern und sich somit zu verstärken (vgl. Bürger 1974: 108).
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„Ja, ich habe beides, männliche und weibliche Genitalien, aber ich sehe mich selbst als Frau. Es ist nur ein ganz kleiner Penis und er stört mich nicht wirklich in meinem Alltag. Der Grund, warum ich bisher nicht darüber geredet habe, ist, dass es keine große Sache für mich ist. Es ist ja nun nicht so, dass wir alle rumlaufen und über unsere Vaginas reden. Ich denke, dass es eine großartige Möglichkeit ist, dazu beizutragen, dass andere, vielfältig gegenderte Menschen sich mit ihren Körpern wohler fühlen. Ich bin sexy, ich bin heiß. Ich habe beides: eine Muschi und einen Pinkelmann.“ (Gone Hollywood 2009, e. Ü.).
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Auf die Frage einer Viva-Moderatorin, ob sie einen Penis habe, sagte sie: „Meine wunderschöne Vagina ist sehr beleidigt von dieser Frage.“ (Peter 2009).
- 15.
„Ich bin keine Feministin.“ (Waechter 2009).
- 16.
„Für mich ist das sehr einfach: Ich werde niemandem erlauben, mich in einer Weise zu porträtieren, die seiner Idee davon entspricht, was er denkt, dass ich bin.“ (Barber 2009, e. Ü.)
- 17.
Selbst wenn die Referenzen leer wären, müsste mensch sich fragen, ob das im Kontext einer patriarchalen Gesellschaft ein feministischer Erfolg wäre. Diese Gleichsetzung wird jedoch in den analysierten Artikeln nicht hinterfragt.
Literatur
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Bürger, Peter (1974): Theorie der Avantgarde, 15. Aufl., Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Burkart, Günter (2000): Zwischen Körper und Klasse. Zur Kulturbedeutung der Haare, in: Koppetsch, Cornelia (Hg.): Körper und Status. Zur Soziologie der Attraktivität, Konstanz: Universitätsverlag, 61 – 98.
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Butler, Judith (1997): Körper von Gewicht, Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
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Junkerjürgen, Ralf (2009): Haarfarben. Eine Kulturgeschichte in Europa seit der Antike, Wien: Böhlau.
Künzel, Christine (2004): „So soll sie laufen mit gesträubtem Haare …“: Zur Bedeutung der Auflösung der Frisur im Kontext der Darstellung sexueller Gewalt, in: Janecke, Christian (Hg.): Haar tragen. Eine kulturwissenschaftliche Annäherung, Köln: Böhlau, 121 – 138.
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Wesemüller, E. (2012). Blonde Lippen. In: Villa, PI., Jäckel, J., Pfeiffer, Z.S., Sanitter, N., Steckert, R. (eds) Banale Kämpfe?. Geschlecht und Gesellschaft, vol 51. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-18982-6_15
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