Auszug
Vor nicht allzu langer Zeit war ich an einer Analyse über die von 2000 bis 2006 in Frankfurt am Main errichteten Wohnungsbauten beteiligt. Ein Vergleich der aktuellen Grundrisse mit denen des in der 2. Hälfte des 19. Jh. und im 20. Jh. errichteten Massenwohnungsbaus machte mir deutlich, wie wenig Grundsätzliches sich in einem Jahrhundert verändert hat. Allein ein neues Rollenverständnis zwischen Mann und Frau hat in den letzten Jahren zu Veränderungen der Grundrisskonfigurationen geführt. Die funktionale Trennung zwischen Speisenzubereitung und Nahrungsaufnahme ist nun aufgegeben. Die Wohnküche, eine Errungenschaft des Siedlerhauses des frühen 20. Jh., wird ausgeweitet und bezieht jetzt den ganzen Wohnraum mit ein, was auch auf ein neues Verständnis von Geselligkeit schließen lässt. Überraschenderweise hat jedoch die Nutzung audio-visueller Medien ebenso wie der Gebrauch von Informationstechnologien in der Grundrissgestaltung aktuell keinen Niederschlag gefunden. Blickt man in diverse publizierte Grundrisssammlungen über die Volumenmärkte des Wohnungsbaus der letzten Jahre, so zeigt sich, dass diese Beobachtungen genauso gut auf andere deutsche Städte, wenn nicht sogar auf ganz Mitteleuropa übertragen werden können. Auch dort findet man bei Neubauten bestenfalls gestalterische Modifikationen bekannter Muster wie das Reiheneinfamilien- oder Doppelhaus, das Mehrfamilienhaus als Zwei-, Drei- oder Vierspänner, Laubengang-und Maisonettetypen. Dabei werden Größe und Erschließungstyp von den Finanzierungsbedingungen des Marktes oder staatlichen Förderungen bestimmt. Auch private Investoren setzen in aller Regel auf ein bekanntes Grundthema, dem sie, aufgrund ihrer Berufserfahrung persönlich interpretiert, die besten Verkaufschancen einräumen. Eigentlich braucht nicht erwähnt zu werden, dass auch über 100 Jahre alte Altbauten aus der Gründerzeit ihren Markt finden. Obwohl durch überhohe Raumhöhen energetisch obsolet und mit Unfunktionalitäten des Sanitärbereichs behaftet, bieten sie ihren Bewohnern einen individuellen Gestaltungsrahmen, der allein von deren finanziellen Möglichkeiten bestimmt wird. Ähnliches gilt für die in Gewerbebrachen implantierten Lifestyle Lofts. Eine schlüssige Antwort auf die brennenden Fragen unserer Gesellschaft wie zunehmende Individualisierung, Alterung und kostengünstiges Bauen geben auch sie nicht. So stellt sich für mich die Frage, lebt der Wohnungsbau nur von der Reproduktion überkommener und erprobter Typen, die sich dem Diktat der Marktwirtschaft oder staatlichen Förderrichtlinien unterordnen? Oder ist da noch etwas?
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Burgard, R., Gutmann, R. (2008). Wohngruppen für Fortgeschrittene?. In: Burgard, R. (eds) Standards der Zukunft — Wohnbau neu gedacht. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-211-74814-5_9
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