Auszug
Die römischen Kardinaltugenden lauten prudentia, sapientia, fortidudo und temperantia. Sie konditionieren auf das rechte Maß, auf Zurückhaltung und Einstandsbereitschaft, auf Urteilsfähigkeit und Verweigerungsschläue. Wenn Theorien Kardinaltugenden haben, dann liegen sie nicht in der Fähigkeit zur Feststellung sondern darin, drehen und wenden zu können. Handelt es sich um Amplifikationstheorien, dann können ihre Tugenden das Beobachtete plastischer machen und verstärken. Handelt es sich um Reflexionstheorien, machen ihre Tugenden beobachtete Impulse besser abwendbar. Man kann sich sowohl mit Amplifikations- als auch mit Reflexionstheorien dann irgendwie festlegen oder sich überlegen, ob man sich lieber doch nicht festlegen möchte. Die Kardinaltugenden der Theorie bereiten das vor, übernehmen es aber nicht. Das sind freilich sehr allgemeine Vorzüge, aber anhand einzelner Theorien lässt sich bestimmen, wie Kardinaltugenden konkret aussehen. Denn jede Theorie dreht und wendet die Dinge um bestimmte Punkte herum. Die Kardinaltugenden der Evolutionstheorie sind nicht ihre Grundlagen, es sind eher Formen teleonomisch fruchtbarer Polemik, die die Theorie so tugendhaft machen. Sie hängen mit einer Besonderheit in der Entwicklung des Begriffs der Autopoiesis zusammen, der über den Einfluss der Biologie ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre, vermittelt über die Systemtheorie und ihr Interesse an Evolution Eingang in die Rechtswissenschaft gefunden hat und seit dem mit dem Begriff der Autonomie konkurriert
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Literatur
Letzte umfassende Vertiefungsempfehlung: Teubner (Fn. 52).
Im engeren Sinne meint das zirkuläre Autopoiesis, Teubner (Fn. 52), 71: Zyklische Selbsterhaltung definiert die Toleranzgrenze für die Veränderung von Strukturen.
Fuchs, Die Psyche (2005), 77–115 m.w.N.
Zu dem Angriff: Sedlmayr, Verlust der Mitte (1948), 98 ff.
Voller Architektur noch im allgemeinen Teil Descartes, Discours de la méthode (1637/1997), 18–25; im besonderen Teil hingegen völlig in der Schwebe ders., Les Meteores (1637/2006).
Für zu offen halten wir auch die evolutionsbiologische Forschung, aus Neukantianismus und Bewusstseinsphilosophie kombinieren, wie Lampe (Fn. 14) oder diejenigen, die sog. offene Märkte mit Evolution gleichsetzen wie Wehmeier, Ein Europa — ein Markt — ein Recht. Eine verfassungsökonomische Analyse (1999); die Definition eines Marktes entspricht in der ökonomischen Evolutionstheorie zwar funktional der Lokalisierung von Selektionsdruck, überzeugt in den meisten Fällen aber nicht, weil die Austauschbeziehungen nicht nachvollziehbar begrenzt werden.
Vismann/ Koschorke (Fn. 27).
Teubner (Fn. 52), 74.
Luhmann (Fn. 63), 144.
Zu § 919 BGB [Grenzabmarkung] siehe Staudinger-Roth, Kommentar zum BGB (2002).
Allerdings mit ganz unterschiedlichen graduellen Ausformungen. Zurückhaltend Teubner (Fn. 52), 62; zuspitzend Aschke, der sogar eine stärkere Erdung der Systemtheorie, eine Besinnung auf Schlusssteine und selbsttragende kohärente Ordnungsideen fordert. (Fn. 164), 115–118.
Vesting (Fn. 20), 114 f. m.w.N.
Z.B. Aschke (Fn. 164), 111 behauptet, die falsche Fortschrittsgläubigkeit sei überwunden (zugunsten richtiger?).
Teubner (Fn. 195).
Oder zu kognitiven Modulen und ihren bereichsspezifischen Leistungen Grunwald, Kognitive Module und modulare Prozesse, in: Mühlmann (Fn. 46), VIII m.w.N.
Mayntz, Politische Steuerung und gesellschaftliche Steuerungsprobleme (1987), in: Soziale Dynamik und politische Steuerung (1997), 199.
Luhmann, Einige Probleme mit reflexivem Recht, ZfRSoz 6 (1985), 1–18; zu dem Gradualismus der biologischen Evolutionstheorie und einem Abgleich mit juristischen Gradualismus (im Ergebnis für ein punktualistisches Konzept, dass Härte und Gradualismus aufeinander bezieht) Amstutz (Fn. 186), 258–263.
Berman, Recht und Revolution (2002), 10/34.
U.A. Vico, De nostri temporis studium ratione (1708/1947), 30 f. würde empfehlen, nicht nur eine rationale Kritik des Wahren (verum), sondern auch komplementäre Standpunkte für Hülle und Fülle („copiosum“) bereit zu halten.
Lampe (Fn. 31) lokalisiert die Evolution juristischer Informationen in Bewusstsein und Gehirn, spricht aber auch von endosomatischen und exosomatischen Informationen.
Teubner (Fn. 52), 73; dazu kritisch unterstützend Amstutz (Fn. 186), 275–278, der i.E. ein Mehrphasenmodell von Boole’schen Netzwerken über adaptive Landschaften hin zu Ordnung am Rande des Chaos wählt.
Kein Wunder, daß Amstutz dem Teubner’schen Modell eine letzte Unbestimmtheit vorwirft.
Teubner (Fn. 52), 77; Was an sachlicher Härte des Entweder/Oder erzwungen wird, muss durch die Inanspruchnahme von Zeit, das heißt: von Verschiedenheit im Nacheinander, kompensiert werden. Luhmann, Das Rechts der Gesellschaft (1993), 173.
Zur kulturevolutionären Bedeutung des Tieropfers siehe Mühlmn (Fn. 46), 1–6.
BVerwGE 99,1 mit Hinweisen auf Wortlaut des Korans sowie auf sachverständige Äußerungen sunnitischer und schiitischer Stellen.
In weitere historischer Perspektive gibt es einige Evolutions schritte wechselnd zentralisierter Reproduktionsmedien, vgl. die Hinweise bei Ladeur/ Augsberg, Toleranz-Religion-Recht (2007), 15–28; Atran, In Gods we trust. The evolutionary landscape of religion (2004).
Dazwischen — über prozedurale Organisationsstrukturen — BVerwGE 112, 227.
Aschke (Fn. 164), 121 meint die Ausrichtung am Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften und den Umstand, dass die verfassungsrechtliche Integration die Muslime in ihrer Selbstidentifikation respektieren und unterstützen müsse.
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(2007). Kardinaltugenden der Evolutionstheorie. In: Gerechtigkeit als Zufall. TRACE Transmission in Rhetorics, Arts and Cultural Evolution. Springer, Vienna. https://doi.org/10.1007/978-3-211-71689-2_5
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