Zusammenfassung
Die Heterogenität von Verbänden steht im Mittelpunkt dieses Beitrags. Beate Kohler-Koch gibt einen Einblick in den Facettenreichtum des Verbandssystems der deutschen Industrie, zeigt die typischen Konstellationen innerverbandlicher Interessenkonflikte auf und beleuchtet, wie Verbände strategisch mit dem Dilemma umgehen, das sie als intermediäre Akteuren haben: Sie brauchen eine breite Mitgliederbasis, um politisch einflussreich zu sein. Doch jede Ausdehnung der Mitgliedschaft bedroht die Verbandsidentität und macht es schwieriger, die Mitgliederinteressen zu bündeln und gezielt nach außen zu vertreten.
Abstract
This contribution puts the heterogeneity of business interest groups in focus. It is the first systematic and comprehensive analysis of the diversity of the German associations of industry. It explores the main reasons for conflicts. Beate Kohler-Koch analyses how associations address a crucial dilemma: large numbers of members make for political influence. At the same time, they weaken straight advocacy. Associations strive to adapt their organisation to meet this dilemma. They seek to incorporate both the logic of influence and the logic of membership.
Notes
Statistisches Bundesamt (2008); die WZ-Klassen sind seit der Reform von 2008 identisch mit der NACE Klassifizierung von EUROSTAT. Es wurde mit den vierstelligen WZ-Klassen gearbeitet. Von den angegebenen WZ-Klassen wurden nur solche berücksichtigt, die vom Verband mit über 70 % als der eigenen Domäne zugehörig angegeben wurden.
Alle Daten beziehen sich auf 2013.
BDI sowie 208 im BDI direkt bzw. indirekt vertretene Branchen- bzw. Fachverbände und weitere 141 Industrieverbände ohne BDI-Anbindung.
Erfasst wurden alle Fachverbände, die sich im zurückliegenden Jahrzehnt reorganisiert hatten und eine Auswahl von nicht-reorganisierten Verbänden im gleichen Wirtschaftsfeld.
Im Jahr 2015 waren es 35 Vollmitglieder und fünf weitere Mitglieder, die in einer „Arbeitsgemeinschaft Industriengruppe“ zusammengefasst sind.
In 2015 vertreten sie insgesamt über hundert Fachverbände.
Die Aussage von Sebaldt und Straßner, es sei „jeder Industrieverband (Branchenverband) wiederum als Dachverband mehrerer Fachverbände für fast jeden Industriezweig konzipiert“ (2004, S. 104), geht völlig an der Wirklichkeit vorbei.
Zum Wandel der deutschen Industrieverbände ausführlicher Kohler-Koch (2016).
Dies gilt für 22 Fachverbände der im BDI im Jahr 1999 vertretenen 35 Branchenverbände.
Die Zahlenangabe stützt sich auf die Angaben zu „sonstige Industrien“ in Oeckl online; nicht berücksichtigt wurden Gütegemeinschaften, Plattformen und Foren, Brüsseler Büros, nationale Vertretungen von EU Verbänden und Förderinstitutionen; http://www.oeckl-online.de/kategorie/4955-sonstige-industrien (19.04.2015).
Nur diese sind in Abb. 1 dargestellt.
Seit 2003 sind fünf Verbände der „industrienahen Dienstleister“ dem BDI beigetreten. Dazu zählen die Verbände der Tourismuswirtschaft (BTW), der Beratenden Ingenieure (VBI), der TÜV Unternehmen (VdTÜV), der Immobilienwirtschaft (ZIA) und der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister (Agv MoVe).
Bei den verbandlichen Entscheidungsverfahren wird den Größenunterschieden meist durch ein gestaffeltes Stimmrecht Rechnung getragen.
Aus Gründen der Vergleichbarkeit wurden im Falle von BITKOM nur die Tätigkeitsbereiche und Wirtschaftsleistungen der Hardware produzierenden Unternehmen berücksichtigt.
2015 sind fünf Verbände Mitglied; sie vertreten die Automaten- (VDAI), die Dental- (VDDI), die Kunststoff- (WVK), die Leder- (VDL) und die Schmuck-, Uhren-, Silberwaren und verwandten Industrien (BV Schmuck).
Die fünf Verbände wurden in der Vergleichsuntersuchung nicht weiter berücksichtigt.
Der Umfang des Tätigkeitsspektrums, gemessen an der Zahl der von einem Verband vertretenen NACE Unterkategorien, reicht von 1 bis 32.
Außer den erwähnten Verbände der Zucker- (VdZ) und Zigarettenindustrie (DZV) zählen hierzu auch die der Kali- und Salzindustrie (VKS), der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) sowie die der Erdöl- und Erdgasgewinnung (WEG).
Es sind die Verbände der Automobil- (VDA), der Chemie- (VCI), der Ernährungs- (BVE), der Stahl- und Metallverarbeitungsindustrie (WSM), der Verbundwirtschaft (VDV) und der bereits erwähnten E&E Industrie (ZVEI) und des Maschinenbaus (VDMA).
Interviews mit den Verbänden der Arbeitsgemeinschaft Industriengruppe und dem BDI.
Das Zahlenverhältnis bei den Mitgliedsverbänden des BDI unter Einbeziehung der AG Industriengruppe ist 25 (reine Unternehmensmitgliedschaft) zu 8 (reine Verbandsverbände) zu 7 (gemischte Mitgliedschaft).
Chi-Quadrat = 26.563 (df = 6); p < 0,000.
Die enge Bindung an den jeweiligen Fachverband wurde in Interviews sowohl mit der Hauptgeschäftsführung als auch mit Geschäftsführern der Abteilungen und mit Unternehmen bestätigt.
So die lebensmittelzeitung.net vom 06.07.2000, bestätigt in Interviews 2015.
Die Gesamtheit der Unternehmensstimmen ist auf 40 % festgelegt; die in 2015 eingeschriebenen 22 Mitgliedsverbände haben ein Stimmengewicht von insgesamt 60 %.
Hierzu zählen sechs der im BDI vertretenen Verbände: Agv MoVe, BDE, BVKI, HDB, VdZ, VKS sowie vier weitere Branchenverbände ohne BDI-Mitgliedschaft: BVDM, HDS/L, BdZ und HDH.
Die empirischen Befunde sind der EUROLOB II Studie entnommen (Kohler-Koch und Quittkat 2016).
Bestätigt in den Interviews mit den großen Branchenverbänden und Vertretern des BDI.
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Danksagung
Mein herzlicher Dank gilt Jana Anzlinger für ihre professionelle Unterstützung bei der Datenrecherche und die statistische Aufarbeitung wie auch Christine Quittkat und zwei anonymen Gutachtern für ihre kritischen und hilfreichen Anmerkungen.
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Authors and Affiliations
Corresponding author
Abkürzungen
- Agv MoVe
-
Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister e. V.
- BBS
-
Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden e. V.
- BDE
-
Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e. V.
- BDG
-
Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie e. V.
- BDI
-
Bundesverband der Deutschen Industrie e. V.
- BDL
-
Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft e. V.
- BDLI
-
Bundesverband der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie
- BDSV
-
Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e. V.
- BdZ
-
Bundesverband der Zigarrenindustrie e. V.
- BITKOM
-
Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V.
- BPI
-
Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V.
- BTW
-
Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft e. V.
- bvdm
-
Bundesverband Druck und Medien e. V.
- BVE
-
Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e. V.
- BVGlas
-
Bundesverband Glasindustrie e. V.
- BVKI
-
Bundesverband Keramische Industrie e. V.
- BVSchmuck
-
Bundesverband Schmuck, Uhren, Silberwaren und verwandte Industrien e. V.
- DZV
-
Deutscher Zigarettenverband e. V.
- figawa
-
Bundesvereinigung der Firmen im Gas- und Wasserfach e. V.
- GDI
-
Gesamtverband Dämmstoffindustrie e. V.
- HDB
-
Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V.
- HDH
-
Hauptverband der Deutschen Holzindustrie und Kunststoffe verarbeitenden Industrie und verwandter Industrie- und Wirtschaftszweige e. V.
- HDS/L
-
Bundesverband der Schuh- und Lederwarenindustrie e. V.
- IWM
-
Industrieverband Werkmörtel e. V.
- KMU
-
Kleine und mittelständische Unternehmen
- MWV
-
Mineralölwirtschaftsverband e. V.
- SET
-
Wirtschaftsverband Stahlbau und Energietechnik e. V.
- t + m
-
Gesamtverband textil + mode
- VBI
-
Verband Beratender Ingenieure e. V.
- VCI
-
Verband der Chemischen Industrie e. V.
- VDA
-
Verband der Automobilindustrie e. V.
- VDAI
-
Verband der Deutschen Automatenindustrie e. V.
- VDDI
-
Verband der Deutschen Dental-Industrie e. V.
- VDL
-
Verband der Deutschen Lederindustrie e. V.
- VDMA
-
Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V.
- VDP
-
Verband Deutscher Papierfabriken e. V.
- VdTÜV
-
Verband der TÜV e. V.
- VdV
-
Verband der deutschen Verbundwirtschaft e. V.
- VdZ
-
Verein der Zuckerindustrie e. V.
- vfa
-
Verband Forschender Arzneimittelhersteller e. V.
- VKS
-
Verband der Kali- und Salzindustrie e. V.
- VRB
-
Vereinigung Rohstoffe und Bergbau e. V.
- WEG
-
Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung e. V.
- WPV
-
Wirtschaftsverbände Papierverarbeitung e. V.
- WSM
-
Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung e. V.
- WVK
-
Wirtschaftsvereinigung Kunststoff e. V.
- WVM
-
Wirtschaftsvereinigung Metalle e. V.
- WVStahl
-
Wirtschaftsvereinigung Stahl e. V.
- ZIA
-
Zentrale Immobilien Ausschuss e. V.
- ZVEI
-
Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e. V.
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Kohler-Koch, B. Deutsche Industrieverbände: Studie zur Heterogenität der Verbandswirklichkeit. Z Politikwiss 26 (Suppl 2), 53–74 (2016). https://doi.org/10.1007/s41358-016-0042-3
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DOI: https://doi.org/10.1007/s41358-016-0042-3