Die Sicherung der Daseinsvorsorge ist in der Forschung wie auch in politischen Debatten zu ländlichen Räumen ein zentrales Thema. Die angespannte Situation öffentlicher Haushalte, demographische Alterung und Schrumpfung, aber auch technologische Innovationen und Änderungen des Nutzerverhaltens führen zu einem Anpassungsdruck auf Infrastrukturen, der in ländlichen Regionen besonders ausgeprägt ist. Bestehende Konzepte der Raum- und Infrastrukturplanung können auf viele drängende Fragen nur eingeschränkt Antworten liefern:

  • Wie kann die Infrastrukturversorgung in ländlichen Räumen nicht nur gesichert, sondern auch an veränderte Bedürfnisse und Möglichkeiten angepasst oder sogar qualitativ weiterentwickelt werden?

  • Wie kann die Leistungsfähigkeit und Attraktivität der zentralen Orte gesteigert werden, um auch künftig die Daseinsvorsorge sichern zu können?

  • Welche Möglichkeiten bestehen hinsichtlich der technologischen wie organisatorischen Verknüpfung verschiedener Infrastrukturleistungen?

  • Wie kann die Berücksichtigung demographischer Entwicklungen mit einer ökologischen Neuausrichtung von Infrastruktursystemen verbunden werden?

Die Realisierung gleichwertiger Lebensbedingungen im gesamten Bundesgebiet ist damit ganz wesentlich mit dem Erhalt und der Weiterentwicklung ländlicher Infrastrukturen verknüpft.

Unzureichende finanzielle und personelle Ressourcen, Fehlplanungen in der Vergangenheit, aber auch die verschiedenen, teilweise konkurrierenden Ansprüche an ländliche Räume, die vom Agrarproduktions- über den Energie- bis hin zum Ruhe- und Erholungsraum reichen, erschweren dabei die Bewältigung der anstehenden Herausforderungen für ländliche Infrastrukturen. Zudem: Gehen die Anpassung und der Umbau von Infrastrukturen mit komplexen Wechselwirkungen und Rückkopplungseffekten einher, gestalten sich die Lösungsversuche entsprechend schwierig (Tietz/Hühner 2011) und erfordern teilweise heftig umstrittene politische Grundsatzentscheidungen (Canzler/Knie 2009). Insgesamt lassen sich in der aktuellen Entwicklung ländlicher Infrastrukturen drei Trends beobachten:

  1. 1.

    Infrastruktureller Abbau: Demographischer Wandel, knappe öffentliche Haushalte und ein Paradigmenwechsel in Regionalplanung und -politik führen zu einer Reduzierung der Infrastrukturversorgung vor allem in strukturschwachen und dünn besiedelten ländlichen Räumen (Winkel 2008). Schulen und Kindergärten schließen, Angebote des ÖPNV werden ausgedünnt und Einrichtungen des Einzelhandels sind fast nur noch in den Mittelzentren vorhanden. Der Zustand zahlreicher ländlicher Infrastrukturen muss als prekär bezeichnet werden (Barlösius/Keim/Meran et al. 2011). Die Einschränkungen bei der Infrastrukturversorgung gelten als wesentliches Element beim Prozess der Peripherisierung ländlicher Räume, die immer stärker von den von Metropolregionen ausgehenden Entwicklungsimpulsen abgekoppelt werden, wodurch sich bestehende räumliche Ungleichheiten verfestigen und verstärken (Beetz/Huning/Plieninger 2008; Naumann/Reichert-Schick 2012).

  1. 2.

    Innovationen: Im Zuge technologischer Neuerungen und umweltpolitischer Anforderungen wurden gerade in ländlichen Räumen zahlreiche neue Infrastruktursysteme realisiert. Hierzu zählen die vielfältigen Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energieträger (Kanning 2011), dezentrale Formen der Abwasserbeseitigung (Naumann 2009), aber auch neue Formen der medizinischen Versorgung oder multifunktionale Einrichtungen von Einzelhandel und anderen Dienstleistungen (Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. 2006). Ländliche Räume können somit auch „Labore“ für die Erprobung neuartiger Infrastrukturlösungen darstellen.

  1. 3.

    Zivilgesellschaftlicher Protest: Sowohl die Schließung infrastruktureller Einrichtungen wie auch die Errichtung neuer Infrastrukturen sind mit zunehmenden Widerständen konfrontiert (Woods 2010). Hierfür stehen Ablehnung von Windkraft-, Biogas- oder Solaranlagen, Proteste gegen den Ausbau der Stromnetze oder Bürgerinitiativen für den Erhalt von Dorfschulen. Es werden neue Formen der Bürgerbeteiligung eingefordert, und es entstehen aus der Zivilgesellschaft heraus neue Träger der Infrastrukturversorgung wie etwa Bioenergiedörfer oder freie Schulen. Zu den Debatten um den Zustand und die Entwicklung ländlicher Infrastrukturen gehören somit auch Fragen von Partizipation und lokaler Demokratie (Woods 2006).

Im Diskurs um die Infrastrukturversorgung ländlicher Räume sind damit grundsätzliche Fragen von Peripherisierung und Möglichkeiten einer Revitalisierung berührt, von gesellschaftlichen Naturverhältnissen und ihrem historischen Wandel sowie auch Fragen der sozialen Inklusion und Exklusion (Hansen 2007). Vor diesem Hintergrund enthält das vorliegende Schwerpunktheft von „Raumforschung und Raumordnung“ Beiträge zu unterschiedlichen Facetten des Wandels ländlicher Infrastrukturen sowie zu deren gesellschaftlichen Hintergründen. Das Themenheft geht auf die Fachsitzung „Ländliche Infrastrukturen zwischen Abbau, Ökologisierung und zivilgesellschaftlichem Protest“ auf dem Deutschen Geographentag im Oktober 2013 in Passau zurück. Einige Beiträge aus dieser Sitzung finden sich im aktuellen Heft wieder und wurden um weitere Texte ergänzt.

Annett Steinführer befasst sich am Beispiel von drei In­frastruktursektoren im Harz – allgemeinbildende Schulen, Breitbandinternet und Freiwillige Feuerwehren – mit veränderten Akteursrollen bei der Daseinsvorsorge in ländlichen Räumen. Mit „Responsibilisierung“ wird dabei die neue Rolle der Bürger beschrieben, die stärker als bisher in die Verantwortung für die Infrastrukturversorgung genommen werden, die diese Verantwortung aber auch aktiv einfordern, um infrastrukturelle Verschlechterungen zu verhindern.

Frank Meyer und Judith Miggelbrink gehen in ihrem Beitrag der Frage nach, welche Rolle infrastrukturelle Veränderungen in der subjektiven Wahrnehmung von Menschen spielen, welche Reaktionen mit Schrumpfungsprozessen verbunden sind und welche diskursiven Zuschreibungen damit einhergehen. Am Beispiel des Landkreises Altenburger Land in Thüringen untersuchen sie die Rolle von „Kulturförderung“ und „Infrastrukturförderung“ bei Wanderungsentscheidungen von Bürgern und leiten daraus konzeptionelle Folgerungen für die Migrationsforschung ab.

Ludger Gailing und Andreas Röhring greifen in ihrem Beitrag den massiven Ausbau von Energieinfrastrukturen in ländlichen Räumen auf. Die zunehmende Dezentralität der Energieversorgung ist mit ambivalenten Folgen verbunden. Die Schaffung von „Installationsräumen“, die nur die Flächen für die Anlagen der Strom- bzw. Wärmeerzeugung bereitstellen, stößt häufig auf Proteste. Demgegenüber steht der Ansatz von „regionalen Gestaltungsräumen“ für eine Beteiligung der lokalen Akteure und eine Orientierung an Gemeinwohlzielen.

Patrick Küpper und Christian Scheibe thematisieren den Einzelhandel mit Waren des täglichen Bedarfs und vergleichen Ansätze zur Sicherung der Nahversorgung in ländlichen Räumen Deutschlands und Südtirols. Ausgehend von dem Befund, dass in Südtirol – im Gegensatz zur Bundesrepublik – eine kleinteilige Versorgungsstruktur erhalten werden konnte, werden die Vor- und Nachteile der jeweils eingesetzten planerischen Instrumente und deren mögliche Übertragbarkeit diskutiert.

Elisabeth Sanglhuber und Gerda Schneider analysieren in ihrem Forschungsbericht das EU-Projekt „Betreutes Wohnen am Bauernhof“. Das Projekt versuchte in Oberösterreich neue Wege der sozialen Infrastrukturversorgung einzuschlagen, indem bäuerliche Hofwirtschaften ein betreutes Wohnen für ältere Menschen anbieten.

Auch die Buchbesprechung in dieser Ausgabe schließt an den Schwerpunkt „Ländliche Infrastrukturen“ an. Andrea Bues behandelt in ihrer Rezension des Bandes „Die Mitmachfalle. Bürgerbeteiligung als Herrschaftsinstrument“ von Thomas Wagner eine kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen von Partizipation. Vielfach, so die Argumentation von Thomas Wagner, lässt Bürgerbeteiligung keine wirklichen Änderungen mehr zu, sondern dient nur der Legitimation von bereits getroffenen Entscheidungen.

Die Beiträge des Schwerpunktheftes verdeutlichen die räumliche Dimension, aber auch die unterschiedlichen Aspekte der Entwicklung und Planung von ländlichen Infrastrukturen. Die Besonderheiten der einzelnen Infrastruktursektoren wie auch der jeweilige regionale Kontext bestimmen maßgeblich Problemlagen und Handlungsmöglichkeiten. Bei allen Unterschieden zeigen die Beiträge die Notwendigkeit, sich gegenüber neuen und teilweise experimentellen Lösungen jenseits der bekannten technologischen und institutionellen Pfade der Infrastrukturversorgung zu öffnen. Eine zentrale Herausforderung ist hierbei die Partizipation der betroffenen Bürger, die dem Anspruch einer wirklichen Beteiligung an Entscheidungen gerecht wird. Eine solche Beteiligung kann durchaus der Ermächtigung der Menschen und der Identifikation mit ihrer Region dienen.

Darüber hinaus werden weitergehende Fragen für die Forschung zu und Planung von Infrastrukturen aufgeworfen. Wie sind verschiedene Infrastruktursysteme miteinander verflochten? Welche Möglichkeiten ihrer Kopplung und von Synergien bestehen? Wie wirken Entscheidungen unterschiedlicher räumlicher Maßstabsebenen zusammen – wie können lokale Infrastrukturplanungen auf den globalen Wandel reagieren? Was sind die Grenzen bürgerschaftlichen Engagements bei der Infrastrukturversorgung? Diese Fragen stellen sich nicht nur, aber im besonderen Maße, für ländliche Infrastrukturen.

Eine gut ausgebaute Infrastrukturversorgung ist entscheidend für die Entwicklung ländlicher Räume, jedoch macht Infrastruktur allein den ländlichen Raum noch nicht zu einem lebenswerten (Wohnstand-)Ort. Die Betrachtung ländlicher Infrastrukturen kann aber dazu beitragen, an einem konkreten Gegenstand politische Vorstellungen zur Zukunft ländlicher Räume transparent zu machen, zu hinterfragen und hinsichtlich möglicher Alternativen zu prüfen. In diesem Sinne wünschen wir unseren Leserinnen und Lesern eine anregende Lektüre des Schwerpunktheftes.