Liebe Leserinnen und Leser,

Kenntnisse der kulturhistorischen Wurzeln sportlicher Wettkämpfe, ihrer besonderen gesellschaftlichen Bedingungen wie auch der verbindenden Elemente einzelner Felder kulturell-schöpferischen Handelns (Theater, Spiele) sind für das Verständnis der gegenwärtigen Bedeutung Olympischer Spiele sowie der Entwicklung der olympischen Bewegung zweifellos von zentraler Bedeutung (Kaiser & Wolfram, 2012, S. 110). Bereits in der Antike bestand eine wichtige (profane) Funktion der Spiele in der symbolischen Repräsentation politischer, sozialer und kultureller Ideen. Die Körper der Athleten sowie ihr Wettstreit waren Ausdruck der Werte und des Selbstkonzepts der griechischen Stadtstaaten (Poleis) und damit nicht zuletzt ein Spiegel ihrer Macht (Stuttard, 2012). Eine solche Inanspruchnahme für sportfremde, politische Ziele hat freilich, im Zuge der Globalisierung sowie durch Medialisierung und Kommerzialisierung der Olympischen Spiele der Neuzeit, zunehmend an Bedeutung gewonnen. Ihre (erwartete) sozioökonomische Relevanz für die jeweiligen Bewerber, bzw. die Frage, welche direkten und indirekten Wirkungen mit einer Ausrichtung verbunden sein werden, spielt eine wesentliche Rolle im Vergabeprozess und bestimmt zudem regelmäßig den öffentlichen Diskurs. Damit einher geht auch die zunehmende Politisierung der betroffenen Sportorganisationen, unter Ausweitung ihres Handlungsfelds in diverse sportfremde Gesellschaftsbereiche. Mit Blick auf den olympiapolitischen Prozess beschreibt Güldenpfennig (2008, S. 10) dies als eine Doppelbewegung: „politische Instrumentalisierungs- und Übermächtigungsversuche von außerolympischen Mächten bei gleichzeitiger politischer Selbstüberhebung der olympischen Institutionen selbst“. Damit sei die funktionale Autonomie des Sports im doppelten Sinne gefährdet (ebd., Kaiser, 2014).

Das mit dem vorliegenden Heft behandelte Schwerpunktthema erweist sich als komplex und ist von hoher gesellschaftlicher Relevanz, weit über den Sport hinaus: Sportgroßveranstaltungen wie die Olympischen Spiele spiegeln soziale Entwicklungen, sie haben aber auch enormes Gestaltungspotenzial. Aktuelle Ereignisse wie das (aus Sicht der Befürworter) gescheiterte Olympia-Referendum in Hamburg offenbaren zudem einmal mehr ihr soziales Konfliktpotenzial. Sie verweisen nicht zuletzt auf eine besondere Herausforderung der Zukunft, nämlich die Einbeziehung einer durch soziale Dysfunktionen und aktuelle Skandale sensibilisierten und (zu Recht) kritischen Öffentlichkeit.

Vor dem Hintergrund ihrer hohen und steigenden sozioökonomischen Bedeutung und im Spannungsfeld zwischen Autonomie des Sports und Instrumentalisierung durch sportfremde Akteure bilden die Olympischen Spiele eine Vielzahl von Bezugspunkten für Fragen der Sportentwicklungsplanung, Sportgeschichte, Sportpolitik, Sportsoziologie, Sportökonomie u. v. a. m. Ihr besonderer Charakter verlangt dabei eine – neben Beiträgen aus den betreffenden Fachdisziplinen – vermehrt interdisziplinäre bzw. disziplinübergreifende Herangehensweise. Die Autorinnen und Autoren der hier vorliegenden Ausgabe der Sportwissenschaft nehmen aktuelle sozioökonomische Fragestellungen Olympischer Spiele in den Blick und leisten mit ihrer Forschung einen wichtigen Beitrag zur betreffenden Fachdiskussion.

Ich wünsche allen, die einen wertvollen Beitrag zu diesem Heft geleistet haben, im Namen des gesamten Herausgeberteams, dass sie eine breite Leserschaft – über die Grenzen einzelner sportwissenschaftlicher Disziplinen hinaus – finden und Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, viel Freude und spannende Einsichten bei der Lektüre!

Ihr

Sebastian Kaiser