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Religion bei Carl Mennicke: Autobiografische und sozialpädagogische Perspektiven

Carl Mennicke on religion: Autobiographic and socialpedagogic perspectives

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Soziale Passagen Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Der Beitrag stellt die autobiografischen, historischen und sozialpädagogischen Perspektiven von Carl Mennicke auf Religion(en) dar. Autobiografisch beschreibt Mennicke seine Entwicklung von einer pietistisch-christlichen Erfahrungsreligion zu einem religiösen Bewusstsein der gesellschaftlichen Verantwortung, das er in der Emigration ins existentielle Philosophieren transformiert und säkularisiert und zu einer Metaphysik der Freiheit erweitert. Diese Metaphysik der Freiheit wird zur Grundlage seiner antinationalsozialistischen, sozialpädagogischen Überlegungen, die er 1937 in der Emigration veröffentlichte. Mennicke diskutiert darin auch die historischen Religionen des Calvinismus und Luthertums, ihr Verhältnis zur Moderne und ihren Beitrag zur sozialpädagogischen Praxis. Seine Metaphysik der Freiheit ist in dieser Perspektive eine Antwort auf das Versagen des Luthertums in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Religion sieht Mennicke in der Tradition Ernst Troeltschs als anthropologische Tatsache, die ihre substantiellen Inhalte transformieren, säkularisieren und kontextualisieren kann.

Abstract

The paper discusses Carl Mennickes thinking about religious matters in its biographical, historical and social horizons. Mennicke describes his own religious development beginning with his pietistic-christian experiences and ending with its transformation in metaphysical freedom. When in 1937 in the emigration Mennicke publishes his Sozialpädagogik this methaphysik of freedom is becoming a social theory against nationalsocialism. Mennicke regards in his Sozialpädagogik calvinism and lutherism, their relations to modernity and their enabling or not enabling of democratic practice. Religion in Mennickes thinking is an anthropological fact with different meanings for invarious christian issues.

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Notes

  1. In seiner Schilderung des Bekehrungserlebnisses lautet die entsprechende Passage: „Und da man es ernst meint und aufrichtig darum bemüht ist, sich ganz aufzugeben, um wahrhaftig von Neuem geboren zu werden, quält man sich eine Zeit lang, bis die Stunde kommt, in der man fühlt, daß man angenommen wurde und zur Schar derer gehört, denen ewige Seligkeit verheißen ist“ (Mennicke 1995, S. 27).

  2. Die „Blätter für den religiösen Sozialismus“ erschienen von 1920–1927. An den „Neuen Blättern des religiösen Sozialismus“, die seit 1930 erschienen, arbeitete Mennicke nicht mehr mit.

    Zum Kairos-Kreis um den Theologen Tillich gehörten als feste und regelmäßige Diskussionspartner neben Mennicke die Ökonomen Adolf Löwe, Alexander Rüstow, Eduard Heimann und Arnold Wolfers (vgl. Mennicke 1995). Es gab noch weitere Gruppen des religiösen Sozialismus in der Weimarer Republik, die sich zum Bund der religiösen Sozialisten zusammengeschlossen hatten. Zu den Differenzen zum Kairos-Kreis vgl. Picht (2008, S. 383–407).

  3. An späterer Stelle formuliert er sie etwas abstrakter und bezieht auch seine Ideen der Wesenskonzentration bzw. Besinnung mit ein; hier nennt er als biblischen Bezugspunkt die Propheten (Mennicke 1995, S. 148).

  4. Zum Beispiel formulierte Eduard Heimann eine soziale Theorie des Kapitalismus, in der er wirtschaftliche Reformen, die der Würde des Arbeiters entsprechen, entwickelte (Heimann 1929; Nachdruck der Erstauflage 1980).

  5. Bereits in seinen Aufsätzen 1926 und 1931 diskutiert er die Freiheit als dialektischen Prozess und als gesellschaftliche Aufgabe, ohne sie metaphysisch bzw. religiös zu verorten (Mennicke 1926, S. 322 f., 1931, S. 12 f. und 16 ff.). Auch Ernst Troeltsch könnte ihn beeinflusst haben, der das Thema Freiheit im Kontext des Protestantismus und des religiösen Bewusstseins herausstellt (z. B. Troeltsch (1911): Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt.).

  6. Mennicke kannte Troeltschs „Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen“, die 1912 in der Erstauflage erschienen waren, und weist in seiner Autobiografie auf die große Bedeutung hin, die das „sozialpsychologische und soziologische Wissen“ das er damals erwarb, für ihn hatte (Mennicke 1995, S. 68).

  7. Als ein Theologe der strukturelle Ähnlichkeiten zu Mennicke zeigt und die ethischen und politischen Konsequenzen mystischer Weltenthobenheit herausstellt, ist der liberale Theologe Otto Baumgarten zu nennen, der sich auch politisch für die Weimarer Republik engagiert hat (vgl. Graf 2011). Baumgarten lud 1920 als Präsident des evangelisch-sozialen Kongresses die religiösen Sozialisten Tillich und Mennicke zu Vorträgen ein.

  8. In diese Präsenz des Religiösen in den Anfängen der zwanziger Jahre und ihre verhängnisvolle Veränderung in den dreißiger Jahren geben Siegfried Kracauers Feuilletons in der Frankfurter Zeitung einen guten Einblick (vgl. Bauschulte 2007).

  9. Einen Eindruck von der Vielfalt der Gruppen im Protestantismus und ihren Publikationsorganen findet sich bei Grunewald und Puschner (2008).

  10. Dieses antihistorische/antihistoristische Denken mit einer antiliberalen Stoßrichtung zeigte sich z. B. auch in der dialektischen Theologie von Karl Barth und in Friedrich Gogartens Theologie der Schöpfungsordnung (vgl. Doering-Manteuffel 2007). Antihistorisches Denken wurde zudem zu einem wichtigen Charakteristikum der intellektuellen Avantgarde der zwanziger Jahre.

  11. Auch den anglo-amerikanischen Calvinismus diskutiert Mennicke unter den Stichworten Gemeindeautonomie und Toleranz, die er jedoch durch die Bedeutung des religiösen/christlichen Bewusstseins und seine religiöse Energie ergänzt, die zum „Träger des modernen wissenschaftlichen Denkens“ werden (Mennicke 2001, S. 165 f.).

  12. Mannheim hat auch Mennickes Überlegungen zu einer synthetischen Weltanschauung beeinflusst (vgl. Bender-Junker, 2012).

  13. Eine Kenntnis Durkheims durch Mennicke lässt sich leider nicht nachweisen.

Literatur

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Bender-Junker, B. Religion bei Carl Mennicke: Autobiografische und sozialpädagogische Perspektiven. Soz Passagen 8, 173–183 (2016). https://doi.org/10.1007/s12592-016-0220-7

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