1 Einleitung

Die Suche nach einer „richtigen“ – im Sinne einer erfolgreichen – Strategie ist zugleich immer die Suche nach den richtigen Mitteln zur Erreichung von bestimmten Zielen und dem diesen übergeordneten Zweck. Unser heutiges Verständnis von Theorie und Praxis ist grundlegend durch unsere Kenntnis von Wissenschaften geprägt, deren theoretische Einsichten sich unmittelbar in Handlungsanweisungen übersetzen lassen. Theorien sollen sich an der Praxis messen lassen können und ihre Gültigkeit ergibt sich aus ihrer Bewährung und Überlebensfähigkeit in der Praxis. Gleiches gilt für militärtheoretische Konzeptionen und Vorschriften und ihre Anwendung auf konkrete Einsatzräume sowie ihre jeweiligen spezifischen Bedingungen. Dies schließt die Notwendigkeit der Vermittlung und Kommunikation des Vorgehens gegenüber der eigenen Bevölkerung und den Medien ein.

Die vor allem in den deutschen Medien geführte Diskussion über den Einsatz in Afghanistan und den Ausgang der Mission ist insgesamt von einer eher negativen Tendenz geprägt. In der medialen Berichterstattung überwiegen üblicherweise dramatische Berichte über negative Ereignisse; tiefgründigere Analysen entdeckt man hingegen selten. Zweifelsohne geht der Einsatz derzeit in eine kritische Phase. Der nachstehende Beitrag stellt ein Führungs- und Beratungsinstrument des kommandierenden Generals in Afghanistan in einem hochkomplexen und komplizierten Einsatzumfeld vor, um insgesamt ein tieferes Verständnis für den Gesamteinsatz und dessen Vielschichtigkeit zu vermitteln.

2 Bevölkerungszentrierte Aufstandsbekämpfung als Teil der Vernetzten Sicherheit

Wenngleich sich die Bundeswehr mit der Bezeichnung schwer tut, gibt es derzeit erste konzeptionelle Überlegungen zum Thema Aufstandsbekämpfung (counterinsurgency, COIN). So arbeitet etwa die Führungsakademie der Bundeswehr zusammen mit der Universität Kiel an einer entsprechenden Studie..In wesentlichen Dienstvorschriften existieren zwar mehr oder weniger vereinzelte und für sich stehende Anhaltspunkte und Verhaltenshinweise, aus denen sich zum Teil entsprechende Ableitungen herauslesen lassen. Dennoch verfügen die Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland bislang über keine verbindliche Vorschrift, die diesen Gegenstand hinreichend behandelt. Eine umfassende Grundlage für diese in ihrer Komplexität und Sensibilität schwierige und vielschichtige Einsatzaufgabe ist somit keinesfalls gegeben. Die ISAF-Kräfte operieren in Afghanistan nach den Grundsätzen der amerikanischen Counterinsurgency-Vorschrift (FM 3-24) (United States Department of the Army 2007), welche in ihrer aktuellen inhaltlichen Ausgestaltung ganz maßgeblich auf General David Petraeus zurückgeht, von diesem vor dem Hintergrund des Irak-Kriegs 2003 entwickelt und später auch auf Afghanistan übertragen wurde. Der wesentliche innovative Gedanke dieser Vorschrift ist – im Gegensatz zu klassischen Ansätzen der Kriegführung –, dass nicht der Gegner im Zentrum der militärischen Betrachtung steht, sondern dass es sich um einen bevölkerungszentrierten Ansatz handelt. Das bedeutet, dass bei jeder Maßnahme und Handlung die Auswirkungen auf die Bevölkerung zu beurteilen sind. Feindschädigende Unternehmungen sind zu unterlassen, auch wenn dadurch ein militärischer Vorteil nicht ausgenutzt wird, wenn unter Umständen die Auswirkungen auf die Lage der Bevölkerung und das zivile Meinungsbild negativ sein könnten. Diese Einschränkungen gehen also weiter als die völkerrechtlichen Regelungen zum Schutze der Zivilbevölkerung. Sie haben gleichzeitig eine andere Wirkdimension als das weiterhin uneingeschränkt geltende Feindschädigungsrecht. Der hier zum Tragen kommende Grundgedanke entspricht dennoch herkömmlichen militärischen Grundsätzen: Das Ausnutzen eines möglichen taktischen Erfolges ist dann zu unterlassen, wenn dadurch absehbar, unmittelbar oder auch nur mittelbar, eine schädigende Wirkung von strategischer Bedeutung eintritt. Eine weitere grundlegende Überlegung der FM 3-24 ist es zudem, dass Aufstandsbekämpfung zwar Teil der Kriegführung ist, dass aber zur Aufstandsbekämpfung prinzipiell zivile Maßnahmen der humanitären Nothilfe, des zivilen Wiederaufbaus, der Entwicklungshilfe und der Entwicklungszusammenarbeit sowie der Staats- und Regierungsbildung wie auch des administrativen und des polizeilichen Bereichs grundsätzlich unerlässlich sind und den militärischen Maßnahmen in ihrer Wertigkeit und Bedeutung für den Erfolg voranstehen. Somit entspricht dieser Ansatz dem Prinzip der Vernetzten Sicherheit als Ausfluss des umfassenden Sicherheitsbegriffs, wie er auch in verschiedenen sicherheitspolitischen Grundlagendokumenten der Bundesrepublik Deutschland manifestiert ist, und der im internationalen Umfeld englischsprachig als comprehensive approach bezeichnet wird. Militärische Maßnahmen treten daher grundsätzlich gegenüber zivilen – nicht zwingend in der chronologischen Abfolge – als subsidiär zurück. Ein militärisches Engagement bedeutet in einem solchen Umfeld, dass man für Erfolge im Sicherheitssektor in der Regel einen langen Atem, viel Zeit und Geduld braucht, verbunden mit einer überzeugenden Kommunikation, und vor allem die Fähigkeit, sich von den irregulären Kämpfern nicht dazu hinreißen zu lassen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten (Vad 2011, S. 591). Es kommt also nicht allein darauf an, mittels massivem militärischem Auftreten und kinetischer Operationen die möglicherweise dann doch nur zeitlich befristete Präsenz und somit entsprechend begrenzte Überlegenheit im Raum herzustellen. Allerdings darf kein Zweifel darüber bestehen, dass kinetische Operationen, also militärische Kampfhandlungen, zur Befriedung bzw. Sicherung eines Raumes durchaus Voraussetzung für alles andere sein können und der Einsatz von Spezial- und spezialisierten Kräften ebenso das „scharfe Ende“ einer Operation darstellen kann (Freudenberg 2011, S. 423). Der grundlegende Unterschied zur klassischen konventionellen Kriegführung liegt in der besonderen Kontextbeziehung dieses in seiner Zusammenfassung innovativen und modernen Gesamtansatzes. Die FM 3-24 geht über den Ansatz einer klassischen Ausbildungsvorschrift hinaus, welche konkrete Handlungsverfahren und -abläufe für das taktische Verhalten vermitteln will. Sie leistet vielmehr einen Brückenschlag zwischen strategischen und operativen Überlegungen, welche auf die Wirkung im operativen Gesamtumfeld und konkrete taktische Ansätze zu deren Umsetzung abzielen. Dass die Operationsführung nicht in allen Einsatzgebieten unbedingt von durchschlagendem Erfolg gekrönt zu sein scheint, muss nicht zwingend darin begründet sein, dass die FM 3-24 dem Grunde nach fehlerhaft ist. Es könnte auch daran liegen, dass die Lehren im Hinblick auf die entsprechenden Operationsgebiete nicht ausreichend umgesetzt bzw. nicht von allen Beteiligten in der notwendigen Tiefe durchdrungen und in entsprechender Abstimmung umgesetzt werden. Es kommt also – hier genauso wie in jedem anderen Krieg – ganz besonders darauf an, dass die Doktrin nicht im Sinne einer Routine eingesetzt wird (Beckmann 2011, S. 222). Eine weitere wesentliche Voraussetzung zu einer erfolgreichen Umsetzung ist der Faktor Zeit. Der Counterinsurgency-Ansatz ist in seiner Gesamtheit auf langandauernde Wirkungen und deren Nachwirkung angelegt. Erfolge können nicht unbedingt nur mit kurzfristig angesetzten und rasch durchgeführten Operationen (quick impact) erzielt werden. Das Handeln in diesem Ansatz setzt letztendlich die grundsätzliche Akzeptanz und Unterstützung einer breiten Mehrheit der Bevölkerung voraus.

3 Das Counterinsurgency Advisory and Assistance Team

Im Rahmen seines umfassenden bevölkerungs- und nicht feindzentrierten Grundgedankens in Afghanistan richtete General Stanley McChrystal 2009 als Oberkommandierender ISAF-Befehlshaber in seinem Hauptquartier in Kabul einen ca. vierzigköpfigen Berater-Stab zur Unterstützung der Wahrnehmung und Durchsetzung des COIN-An-satzes ein: das Counterinsurgency Advisory and Assistance Team. Der Stab wird von einem amerikanischen Oberst geführt, ist multinational zusammengesetzt und besteht aus militärischen Spezialisten sowie zivilen COIN-Beratern, zumeist ebenfalls mit militärischer Erfahrung. Im Anschluss an die Einrichtung dieses Stabes im Hauptquartier dislozierte General McChrystal entsprechende Teams unterschiedlicher personeller Stärke in die einzelnen Regionalkommandos (RC). Somit bestehen das Counterinsurgency Advisory and Assistance Team und in dessen Nachfolge das COMISAF Advisory and Assistance Team (s. Kapitel 4) – beide werden CAAT abgekürzt – aus einer Abteilung im ISAF-Hauptquartier (CAAT HQ) und Teams, welche in die Regionalkommandos disloziert sind (z. B. im Regionalkommando Nord: CAAT RC (N)). Der ursprüngliche Auftrag des Counter-insurgency Advisory and Assistance Teams war es, die COIN-Aktivitäten der NATO im Einsatzraum zu beobachten und festzustellen, welche sich als Best Practices bewährten oder aber weniger zweckmäßig (Worst Practices) waren. Gleichzeitig sollten die Teams die entsprechenden militärischen Führer auf allen taktischen Ebenen in der Planung und Durchführung von effektiven Counterinsurgency-Operationen beraten und assistieren. Aber auch Netzwerke zu allen anderen Akteuren in den jeweiligen Regionalkommandos galt es aufzubauen und deren Wissen und Erfahrungen auszutauschen sowie einander zugänglich zu machen.

In der Nachfolge General McChrystals und dessen Protegés General David Petraeus sieht sich General John Allen seit Juli 2011 in einem schwierigen geopolitischen Umfeld mit Mächten im Raum (vor allem Pakistan, Iran, China, Russland) und deren eigenen geostrategischen Interessen mit der Aufgabe konfrontiert, die ISAF-Streitkräfte in Afghanistan bis 2015 signifikant zu reduzieren und die Sicherheitsverantwortung bis dahin sukzessive vollständig und irreversibel in afghanische Hände zu geben. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass Afghanistan wieder in einen Bürgerkrieg zurückfällt und noch einmal zu einer sicheren Ausbildungs- und Operationsbasis für terroristische Organisationen, wie auch zum Spielball interessierter Mächte in einem neuen „Great Game“ wird. Konzepte, welche die Erfahrungen bestimmter Nationalstaaten oder auch der internationalen Gemeinschaft, beispielsweise aus dem Libanon, dem Irak oder gar aus Somalia, schablonenhaft über Afghanistan legen wollen, müssen vor dem Hintergrund einer völlig anders gearteten Gesellschaft und Kultur und deren besonderen Historie scheitern. Daher bedarf es speziell für Afghanistan eines Konzeptes, welches gewährleistet, dass die Sicherheitsverantwortung behutsam in afghanische Hände übergeht und die Koalitionskräfte nicht überstürzt das Land verlassen. Dieser als Transition bezeichnete Prozess der Übergabe der Sicherheitsverantwortung beinhaltet zwei wesentliche Handlungslinien: Zum einen erfordert es den Aufbau und die Befähigung der afghanischen Sicherheitskräfte (Afghan National Security Forces, ANSF), hierbei vor allem Militär (Afghan National Army, ANA) und verschiedene Polizeien. Die zweite wesentliche Handlungslinie der Transition, welche gleichzeitig ablaufen muss, ist der Aufbau eines von einer breiten Bevölkerungsmehrheit akzeptierten Regierungs- und Verwaltungsapparates. Mithin entsteht zahlenmäßig eine Schere zwischen anwachsenden und zunehmend zum selbstständigen Agieren befähigten Sicherheitsakteuren auf der einen Seite, und auf der anderen Seite einer sich stetig reduzierenden Anzahl von Kräften der Koalitionstruppen, welche diesen assistieren. Die zentrale Herausforderung hierbei ist es, dies in einem sehr kurzen Zeitfenster zu leisten. Der Faktor Zeit ist hier wiederum von besonderer strate-gischer Bedeutung. Zudem entsprechen die politischen Entscheidungsprozesse der strate-gischen Ebene, also der daran beteiligten Staatengemeinschaft, in ihrer Taktung nicht dem militärischen Planungs- und Führungsprozess, welcher für die Umsetzung der politischen Vorgaben im Operationsgebiet zuständig ist. Dabei liegt die politische Verantwortung zunächst bei der afghanischen Regierung. Diese wird gemäß dem Mandat der ISAF von den nationalen Regierungen der Truppensteller unterstützt, welche wiederum die eigene nationale politische Verantwortung tragen. Die Aufgabe des Militärs ist es, entsprechend der politischen Vorgaben der internationalen Staatengemeinschaft und der nationalen Regierungen das militärisch Verantwortbare umzusetzen. Gerade angesichts der kurzen Zeitlinie bis 2015 muss dabei vollkommen klar sein, dass die Bewertungsmaßstäbe für die verlangte Leistungsfähigkeit der ANSF nicht die gleichen sein können, wie man sie beispielsweise für westliche Sicherheitskräfte anwenden würde; und auch die Bewertung einer guten Regierungsbildung, also einer durchsetzungsfähigen Zentralregierung unter Einbindung regionaler und lokaler Akteure und Machtstrukturen, ist nicht an einer lehrbuchmäßigen good governance westlichen Standards zu messen. Der Reintegration von (ehemaligen) Insurgenten und Talibankämpfern, insbesondere von Führern der unteren und mittleren Ebenen, kommt hierbei eine zentrale Bedeutung zu. Dabei kann es nicht nur einseitig um die Resozialisierung dieser Menschen gehen, sondern es geht auch um die Wiedereingliederung und Integration von Gewaltakteuren in die lokalen Gemeinschaften, welche ihrerseits unter den zu „Reintegrierenden“ zu leiden hatten. Mithin ist dies ein mehr- und wechselseitiger Prozess, der in einer Gesellschaft, die seit über dreißig Jahren durch Krieg und Bürgerkrieg geprägt ist und in der Gewalterfahrungen das „Weltbild“ mehrerer Generationen zu einem großen Teil bestimmen, den Menschen sehr viel abverlangt. Das ist zugleich ein Thema, welches nicht nur landesweit und zentral gesteuert abzuarbeiten ist, sondern sich vor allem auf der lokalen Basis vor Ort entscheidet. Bestimmte historische Erfahrungen müssen bei der Umsetzung dieser Prozesse in der afghanischen Gesellschaft unter Umständen ebenso Berücksichtigung finden wie tradiertes und kulturadäquates Verhalten. Der bevölkerungszentrierte Ansatz der Vernetzten Sicherheit soll dabei zum Erfolg führen.

4 Das COMISAF Advisory and Assistance Team (CAAT)

Um ein direktes Instrument des ISAF-Oberkommandierenden zu werden, wurde der Auftrag des CAAT im September 2011 modifiziert und die Organisation in COMISAF Advisory and Assistance Team umbenannt. Der Auftrag des CAAT ist es nun, als „geführtes Teleskop“ für den Oberkommandierenden der ISAF in Afghanistan (COMISAF) in die RCs hineinzuschauen und Ereignisse und Entwicklungen wahrzunehmen, die für seinen strategischen Planungs- und Führungsprozess relevant sein könnten. Damit ist der Auftrag noch weiter als zuvor gefasst; das Ziel ist es, den Erfolg von ISAF-Operationen zu maximieren. Nun wirken die CAATs in den einzelnen RCs quasi als Sensoren und können den COMISAF frühzeitig über entsprechende Beobachtungen auf kurzem Wege informieren und beraten. Gleichzeitig können die Teams den Führern auf der taktischen Ebene frühzeitig Impulse zur Operationsführung und Auftragserfüllung im Sinne der strategischen Absicht des COMISAF geben sowie entsprechendes Wissen über die Grenzen der einzelnen Verantwortungsbereiche und RCs verbreiten und damit Entwicklungen gemäß dem bevölkerungszentrierten Ansatz lokal, RC-weit oder im gesamten Operationsgebiet wirkungsorientiert und zielführend beeinflussen. Dazu binden sich die CAATs der einzelnen RCs gegebenenfalls in einzelne Operationen ein, phasenweise oder auch komplett vom initiierten Planungsprozess bis zur Abschluss- und Nachbesprechung, und dislozieren sich im Laufe der Operationen auf verschiedenen Ebenen und zu verschiedenen (Teil-) Einheiten, um ein möglichst komplettes Lagebild zu erfassen. Das Augenmerk gilt hier weniger den Koalitionstruppen, sondern vor allem den „verbundenen/angegliederten“ und „unverbundenen/nicht angegliederten“ bzw. „betreuten“ und „nicht betreuten“ Einheiten der ANSF und ihrem (Zusammen-) Wirken im gesamten COIN-Spektrum. Die CAAT-Organisation versteht sich dabei als objektives und ungefiltertes „geführtes Teleskop“, um für den COMISAF und in dessen Auftrag Expertenanalysen zu erstellen. Die Idee des „geführten Teleskops“ als solches ist hingegen nicht wirklich neu: Gerne wird hier auf historische Beispiele großer Feldherren – beispielsweise Alexander den Großen, Julius Caesar, Napoleon Bonaparte oder auch Feldmarschall Montgomery und General Patton auf alliierter Seite im Zweiten Weltkrieg – verwiesen. Die Bezeichnung desselben geht hingegen wohl auf Generalfeldmarschall von Moltke zurück, welcher das Instrument während des Ersten Weltkriegs auf deutscher Seite nutzte.

Das Regionalkommando im Norden Afghanistans

Das von einem deutschen Zweisternegeneral geführte Regionalkommando Nord (RC(N)) ist sowohl von der räumlichen Ausdehnung als auch vom Bevölkerungsanteil her gesehen das größte Regionalkommando in Afghanistan. Zugleich ist dieses Gebiet wegen seiner autochthonen Bevölkerungsstruktur sowie ethnischen Verwerfungen der jüngeren Vergangenheit uneinheitlich gegliedert und besiedelt. Die im RC(N) vertretenen Truppen repräsentieren 18 verschiedene Nationen mit ihren jeweils eigenen nationalen Interessen und Vorbehalten. Doch ist Komplexität ein Merkmal, das nicht nur das Ziel- und Wirkungsspektrum im Einsatzland bestimmt. Auch sind die von Deutschland geführten Provincial Reconstruction Teams (PRT) von vier verschiedenen Ressorts der Bundesregierung (Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), Auswärtiges Amt (AA), Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie Bundesinnenministerium) besetzt, wobei auch hier die Führung sukzessive von der zivil-militärischen Doppelspitze (AA, BMVg) ganz auf die zivile Seite übergeht. In Badakhshan, der östlichsten Provinz Nordafghanistans, ist das bereits im Dezember 2011 mit der Übergabe des PRT in Feyzabad geschehen; das PRT Kunduz, im Zentrum des Regionalkommandos, wird lageabhängig im Verlauf des Jahres 2012 folgen.

Das CAAT im Regionalkommando Nord

Das CAAT im Regionalkommando Nord besteht aus einem deutschen Oberstleutnant als Führer, einem amerikanischen Oberstleutnant oder Major als Stellvertreter sowie jeweils einem deutschen und amerikanischen Ober- bzw. Stabsfeldwebel als COIN-Assistenten. Dazu kommen ein so genannter Senior-COIN-Berater und weitere zivile COIN-Berater, welche zum Teil über eine besondere – teilweise wissenschaftliche – Expertise in bestimmten Spezialbereichen des COIN-Ansatzes verfügen, zum Beispiel Regierungsaufbau- und Entwicklungszusammenarbeit oder auch Informationsoperationen. All diese zivilen Vertragsnehmer haben zudem eine militärische Vergangenheit in unterschiedlichen Spezialeinheiten oder spezialisierten Verbänden der US-Streitkräfte und sind teilweise bereits seit 2001 immer wieder im Einsatzland. Dazu besteht außerdem die Möglichkeit, auf Expertise und Erfahrungen der Experten im CAAT-Hauptquartier wie auch der CAATs in den anderen RCs zurückzugreifen und einen Austausch zu gewährleisten. Der Ansatz des CAAT RC(N) ist es, in partnerschaftlicher und kameradschaftlicher Zusammenarbeit mit den Führern aller Ebenen und Vertretern der zivilen Seite im Sinne der Absicht des COMISAF und der gemeinsamen Auftragsdurchführung sinnstiftende Hinweise zu geben sowie Verknüpfungen und Netzwerke zu bilden und zu unterstützen, um ziel- und wirkungsorientierte Beiträge im gesamten COIN-Spektrum zu leisten.

5 Zusammenfassung und Schluss

Insgesamt ist das CAAT also eine Organisation, welche dem COMISAF unmittelbar untersteht und als sein „geführtes Teleskop“ ganz gezielt und auf bestimmte Fragestellungen fokussiert in die einzelnen Regionalkommandos Afghanistans hineinschauen kann, um diese für ihn ungefiltert zu analysieren und zu bewerten. Durch die Gliederung und Dislozierung der Organisation in die einzelnen RCs ist dies besonders schnell möglich. Damit wirkt das CAAT gleichzeitig als Sensor. Zudem können durch die CAATs bestimmte Problemstellungen in den einzelnen RCs vor dem Hintergrund der jeweiligen unterschiedlichen Einsatzbedingungen vor Ort zeitgleich untersucht werden. Der Erfahrungsaustausch zwischen den CAATs in den einzelnen RCs kann somit dazu beitragen, Hinweise für zweckmäßiges Handeln zu geben und unzweckmäßiges, möglicherweise für die taktische, aber insbesondere für die strategische Ebene schädliches Verhalten zu unterlassen. Zugleich ist das CAAT ein Werkzeug, um Botschaften und Sichtweisen der taktischen Ebene verständlich zu machen und gegebenenfalls ungefiltert auf die strategische Ebene zu transportieren. Somit entsteht eine umfassende Grundlage für eine differenzierte Entscheidungsfindung. Weiterhin ist durch die Zusammenführung und Aufbereitung der jeweiligen Einzelergebnisse eine ganzheitliche Gesamtbewertung möglich. Folglich kann das CAAT als „geführtes Teleskop“ ziel- und wirkungsorientierte Untersuchungsergebnisse und gegebenenfalls konkrete Lösungsansätze für den strategischen Entscheidungsprozess des COMISAF liefern. Damit ist das „geführte Teleskop“ CAAT ein strategisches Instrument des COMISAF.