Wann ist die Behandlung einer Erkrankung eine gute Behandlung? Wenn die Funktionsfähigkeit der geschädigten Organe wieder gänzlich hergestellt werden kann? Wenn bei einer Krebserkrankung ein entartetes Zellgewebe vollständig entfernt wurde und keine Metastasen festgestellt werden können? Spielt es eine Rolle, welche Nebenwirkungen zunächst auftreten? Mit dem Wandel in der Medizin vom rein biomedizinisch ausgerichteten Blick auf den Patienten zu einem biopsychosozialen haben sich auch die Kriterien für den Behandlungserfolg geändert. Neben den „harten“ Daten wie Überlebensrate bekommen auch „weiche“ Kriterien wie psychische Belastungen, Schmerzfreiheit oder soziale Teilhabe am Leben zunehmend Bedeutung. Vor diesem Hintergrund wirken die eingangs genannten Fragen banal: Jedem dürfte klar sein, dass bei einer Prostatakrebsbehandlung nicht nur die Entfernung des Primärtumors, sondern auch das Körpererleben sowie die Vermeidung von Inkontinenz oder Erektionsstörungen den Behandlungserfolg mitbestimmen. Die Lebensqualität des Patienten während und nach der Behandlung ist also neben der Überlebensrate und dem weitgehenden Erhalt der Funktionsfähigkeit der Organe ebenso ein Kriterium für die Qualität einer Behandlung.

Zur Erfassung der Lebensqualität werden gute Fragebögen benötigt

Will man erfahren, welche Auswirkungen eine Therapie auf die Lebensqualität der Patienten hat, benötigt man gute Fragebögen. „Gut“ heißt in diesem Fall zum einen, dass der Bogen so kurz wie möglich, aber auch so genau und umfassend wie nötig ist. Die Patienten sollen durch die Länge des Fragebogens nicht abgeschreckt werden. Andererseits kann sich die Lebensqualität aber auch in verschiedenen Bereichen verbessern oder verschlechtern, weshalb der Kliniker möglichst alle relevanten Bereiche abfragen möchte. Ein weiteres Qualitätsmerkmal ist, dass der Bogen bei verschiedenen Patientengruppen einsetzbar sein soll, d. h. sowohl bei alten als auch bei jungen Menschen, bei hoch- und wenig gebildeten usw. Alle Patienten sollten den Bogen akzeptabel finden und die Fragen verstehen. Da seit den letzten Jahren zunehmend multinationale Studien durchgeführt werden, muss der Bogen auch gut übersetzbar (oder möglichst schon übersetzt) sein und in den verschiedenen Sprachen und Kulturen in ähnlicher Weise von den Patienten verstanden werden, damit die Ergebnisse am Ende vergleichbar sind bzw. überhaupt zusammengefasst werden können. Und letztlich sollte der Bogen auch ermöglichen, klinisch relevante Unterschiede der Lebensqualität tatsächlich abzubilden. Das bedeutet, wenn eine Therapie die Patienten weniger stark belastet als die andere oder wenn sich das Befinden im Therapieverlauf bessert, sollte sich das auch im Fragebogen widerspiegeln.

Entspricht ein Fragebogen diesen Merkmalen, nennt man ihn gemeinhin reliabel, valide, objektiv, änderungssensitiv und ökonomisch. Dies ist nur durch eine sorgfältige und mitunter aufwendige Entwicklung sicherzustellen. Die Arbeitsgruppe Quality of Life (QLG) der European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC) erarbeitet seit vielen Jahren Fragebögen zur Erfassung von gesundheitsbezogener Lebensqualität bei Krebspatienten, die genau diesen Merkmalen entsprechen sollen.

Die Erstellung der Bögen orientiert sich an Leitlinien, die regelmäßig aktualisiert werden. Diese sind frei verfügbar unter http://groups.eortc.be/qol/manuals.

Prinzip der EORTC-Fragebögen

Um die Lebensqualität von Patienten mit spezifischen Erkrankungen zu erfassen, folgen die EORTC-Module einem einfachen Prinzip. Dem multidimensionalen Lebensqualitätsverständnis der EORTC-Forschergruppe folgend wird zum einen der eher allgemein gehaltene Kernfragebogen EORTC QLQ-C30 eingesetzt. Dieser umfasst 30 Items und erfragt neben dem allgemeinen Gesundheitsstatus auch körperliche Funktionsfähigkeit, emotionales Befinden, allgemeine Symptome und finanzielle Belastungen. Zusätzlich zu diesem „core questionnaire“ kommt ein krankheitsspezifisches Modul zum Einsatz, das die Erfassung der Lebensqualität bei den konkreten Tumorleiden oder Syndromen, wie dem krankheitsbegleitenden Fatigue-Syndrom, ermöglicht.

Die krankheitsspezifischen Module werden in 4 Phasen entwickelt. Dabei ist der EORTC-QLG die Einbeziehung der Patienten besonders wichtig, diese werden von Beginn an in die Entwicklung integriert. In Phase 1 werden neben der Literaturrecherche halbstrukturierte Interviews mit Patienten sowie Ärzten, Therapeuten, Psychologen oder Pflegekräften durchgeführt, um jeweils spezifische Belastungen und betroffene Lebensqualitätsbereiche zu erfragen. Diese Interviews werden in Phase 2 genutzt, um eine Itemliste zu erstellen und in verschiedene Sprachen zu übersetzen. Für die Patienten relevante sowie psychometrisch belastbare Items werden in Phase 3 einem Pretest des Fragebogens unterzogen, bevor es in Phase 4 zur Feldtestung und Validierung sowie schließlich zur Freigabe des Fragebogens kommt.

Die spezifischen Module sind in der Praxis nutzbar, sobald sie Phase 3 durchlaufen haben. Für akademische Nutzer ist der Einsatz der Fragebögen kostenlos, lediglich eine Registierung auf der EORTC-Seite (http://groups.eortc.be/qol/) ist nötig.

Derzeit liegen für 11 Krebserkrankungen spezifische Fragebögen vor

Derzeit liegen für 11 der 13 weltweit wichtigsten Krebserkrankungen spezifische Fragebögen vor. Der Kernfragebogen C30 wurde bisher in 85 Sprachen übersetzt, auch die spezifischen Fragebögen werden ständig in weitere Sprachen übertragen. Das 23 Items umfassende Brustkrebsmodul ist beispielsweise in 57 Sprachen verfügbar. Im vergangenen Jahr sind dabei u. a. die Sprachen Sotho oder Hausa für das Brustkrebsmodul hinzugekommen, das aus 20 Items bestehende Modul zum multiplen Myelom wurde zuletzt in Hindi, Gujarati und Tamil übersetzt. Insgesamt wurde im Jahr 2012 an 75 Übersetzungen für die verschiedenen Module gearbeitet.

Verfügbare Fragebögen

Das Repertoire an verfügbaren validierten Fragebögen wird ständig erweitert. Derzeit liegen 17 Fragebögen vor, die alle 4 Validierungsphasen durchschritten haben. Zuletzt neu hinzugekommen sind Module zur Erfassung der Lebensqualität bei Leberkrebs und bei Knochenmetastasen. Neu überarbeitet werden mit dem Head-and-Neck-Modul und dem Fragebogen zu Lungenkrebs derzeit zwei Fragebögen. Weitere 13 Fragebögen stehen derzeit kurz vor dem Abschluss und können bereits in Studien eingesetzt werden. Für 9 Bereiche werden neue Module erarbeitet.

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Elektronische Erfassung

Neben der klassischen Papier-und-Bleistift-Methode können die Fragebögen zunehmend auch elektronisch erfasst werden. Innerhalb der Arbeitsgruppen der EORTC-QLG wurden dabei mehrere Methoden entwickelt und erprobt. Das von der Innsbrucker Arbeitsgruppe um Dr. Bernhard Holzner entwickelte CHES (Computer-based Health Evaluation System) ist dabei nach etwa 3-jähriger Entwicklung am weitesten fortgeschritten. Mehrere Module wurden bereits in die Software integriert, die internetbasierte Verwaltung ermöglicht einen internationalen Vergleich und multizentrische Studien. Mittlerweile ist CHES in einigen Kliniken in Österreich, Deutschland, Großbritannien und der Schweiz in die klinische Routine integriert.

In Großbritannien wird zudem das ePOCS-System (Electronic Patient-reported Outcomes from Cancer Survivors) entwickelt, das eine Verlinkung zu existierenden Krebsregistern herstellt. In den Niederlanden setzt PROFILES (Patient Reported Outcomes Following Initial treatment and Long-term Evaluation of Survivorship registry) den Schwerpunkt auf psychosoziale Aspekte bei Krebsüberlebenden. Ebenfalls in den Niederlanden entwickelt wurde OncoQuest, ein Computerprogramm, das mittels Touchscreen die Lebensqualitätsdaten der Patienten aufnimmt.

Die Vorteile dieser digitalen Datenerfassungsmethoden liegen auf der Hand: Schnellere Dateneingabe, Verringerung von Eingabefehlern, schnellerer Zugriff auch auf größere Datenbanken und damit bessere Einordnung der Ergebnisse und schließlich geringere Kosten (für Dateneingabe, -sammlung, -archivierung, Druck von Fragebögen).

Praktisch sieht der Einsatz, hier am Beispiel CHES, so aus: Zunächst füllt der Patient die Fragebögen an einem Tablet-PC aus. Danach werden die Daten automatisch in der Datenbank der Klinik abgelegt. Die Datenauswertung und -aufbereitung erfolgt automatisiert. Im Anschluss daran wird – ebenfalls automatisch – ein grafisches Ergebnisprofil generiert, das Behandlern mit entsprechender Berechtigung an ihren PCs unmittelbar zur Verfügung steht und damit in das Arzt-Patient-Gespräch eingebunden werden kann.

Home Monitoring ist ein wichtiger Schritt zur vollständigen Therapieevaluation

Die aktuellste Version der Software schließt nun eine Internetplattform mit ein, die es Patienten ermöglicht, auch von zu Hause aus an den Erhebungen teilzunehmen. Diese als Home Monitoring bezeichneten Erhebungen machen es möglich, die Symptombelastung und die Einschränkungen, denen ein Patient durch Erkrankung und Behandlung ausgesetzt ist, umfassender bzw. lückenloser abzubilden. Diese Form der Befragung ist damit ein wichtiger Schritt in Richtung vollständige Therapieevaluation. Außerdem lässt sich dadurch das Symptomscreening verbessern.

In Zukunft wird die elektronische Datenerfassung in klinischen Studien der EORTC-QLG vermutlich immer stärker eingesetzt. Es ist sogar denkbar, dass künftig die gesamte Datenerfassung elektronisch über Software wie CHES, OncoQuest oder ePOCs erfolgen wird.

Computeradaptives Testen

Eine wesentliche Neuentwicklung im Bereich von Fragebögen ist das computeradaptive Testen. Was verbirgt sich dahinter? Ausgangspunkt dieser Neuentwicklung war die Überlegung, dass Fragebögen immer sowohl schwere als auch leichte Beeinträchtigungen erfassen müssen, um Decken- und Bodeneffekte zu minimieren. Dies bringt aber einige Schwierigkeiten mit sich, denn es bedeutet, dass Patienten häufig für sie ungeeignete Fragen beantworten müssen, die dem Forscher außerdem keine zusätzlichen Informationen liefern. Angenommen, ein Patient antwortet auf die Frage: „Bereitet es Ihnen Schwierigkeiten, einen längeren Spaziergang zu machen?“ mit „überhaupt nicht“. Dann ist die Antwort dieses Patienten auf die im Fragebogen folgende Frage: „Bereitet es Ihnen Schwierigkeiten, eine kurze Strecke außer Haus zu gehen?“ schon völlig klar – er wird hier auch keinerlei Probleme haben. Der Patient ärgert sich womöglich, eine Frage praktisch doppelt beantworten zu müssen. Zumindest ist der Erkenntnisgewinn für den Forscher gleich null. Wenn aber andererseits ein Patient auf die Frage „Bereitet es Ihnen Schwierigkeiten, eine kurze Strecke außer Haus zu gehen?“ mit „sehr“ antwortet, dann muss die Frage: „Bereitet es Ihnen Schwierigkeiten, einen längeren Spaziergang zu machen?“ nicht mehr gestellt werden.

Wünschenswert wäre also ein Fragebogen, der zunächst mit einer mittleren Schwierigkeit (bzw. mittleren Beeinträchtigung in der Lebensqualität) beginnt und dann, abhängig von der Antwort des Patienten und damit adaptiv, weitere Fragen bietet. Technisch ist dies mithilfe von Computern leicht umsetzbar. Die Kunst der Fragebogenentwickler besteht nun darin, einen Pool von Fragen zu erarbeiten, die möglichst alle Schwierigkeitsgrade einer Dimension (z. B. körperlich sehr leistungsfähig bis körperlich stark eingeschränkt) gut abdecken und dies dann durch umfangreiche Befragungen von Patienten zu kallibrieren.

Die EORTC-QLG ist dabei, für ihr Kernmodul, den Fragebogen C30, eine solche computeradaptive Version zu erarbeiten.

Fazit und Ausblick

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit dem C30-Lebensqualitätsfragebogen der EORTC und den krankheits- bzw. syndromspezifischen Erweiterungen international akzeptierte und vor allem in Europa weitverbreitete Verfahren zur Erfassung der Lebensqualität in der Onkologie vorliegen. Eine Stärke der Fragebögen ist neben der starken Einbeziehung von Patienten die multizentrische Entwicklung aus einer breit gefächerten internationalen Studiengruppe heraus. Die Bemühungen der EORTC-QLG, die Instrumente ständig in neue Sprachen zu übersetzen, ermöglicht die Erfassung lebensqualitätsspezifischer Daten bei Krebserkrankungen auch in bisher eher „unterbeforschten“ Gebieten. Zudem erlauben die sehr gut ausgeprägte internationale Zusammenarbeit und die zahlreichen Übersetzungen die Durchführung großer multinationaler Studien. Auch Forscher aus dem nordamerikanischen Sprachraum, wo derzeit das FACT (Functional Assessment of Cancer Therapy) das am häufigsten eingesetzte Instrument zur Erfassung der Lebensqualität bei an Krebs Erkrankten ist, konnten in den vergangenen Jahren in die EORTC-QLG eingebunden werden.

Einer Verbesserung der medizinischen Versorgung von Krebspatienten Rechnung tragend wird die EORTC-Studiengruppe in Zukunft neben den Akuterkrankten auch stärker die Langzeitüberlebenden und ihre spezifischen Probleme in die Lebensqualitätsforschung einbeziehen. Zudem werden bereits vorliegende Module ständig auf ihre Validität und Reliabiltät überprüft und ggf. einer Revision unterzogen. Des Weiteren werden zukünftig Formen der elektronischen Datenerhebung und des adaptiven Testens stärker einbezogen.

Die EORTC-QLG trifft sich halbjährlich zum Austausch, das nächste Arbeitsgruppentreffen findet am 11./12. April in Amsterdam statt. Mehr Informationen dazu unter http://groups.eortc.be/qol/events.