Zusammenfassung
Die Bürger in der EU wurden seit dem Ausbruch der Finanzkrise Ende 2007 und deren realwirtschaftlichen Folgen mit sich stark wandelnden ökonomischen Bedingungen konfrontiert. Diese Verschlechterung der ökonomischen Lage wurde nicht selten von politischen Eliten mit dem Euro in Verbindung gebracht, weshalb mit Folgen für die EU und ihre politische Unterstützung zu rechnen sein sollte. Vor diesem Hintergrund wird die Frage untersucht, wie die Determinantenmuster der politischen Unterstützung der EU auf die Veränderungen reagiert haben, wobei die Wirkungen nationaler und europäischer Identitäten den Analysefokus bilden. Die Resultate untermauern eine Reihe bekannter Erklärungsmuster. Eindeutige Trends sind im Zeitverlauf der „Euro-Krise“ kaum zu erkennen, wobei die Effekte nationaler Identitäten und Parteisignale im Zeitverlauf an Stärke hinzugewinnen. Die Wirkungen der restlichen Erklärungsfaktoren bleiben kurzfristig gesehen konstant.
Abstract
Since the outbreak of the financial crisis in late 2007 and the economic consequences, citizens of the EU have been confronted with dramatically changing economic conditions. Political elites and mass media have often linked these negative economic consequences to the euro. Lower support for the EU and its institutions may be one of its consequences. Within this context, the paper addresses the question of how the pattern of political support for the EU responds to the changes in contextual conditions. The analysis focuses on the effects of national and European identities. The results substantiate several familiar patterns. Clear trends throughout the “euro crisis” are barely distinguishable. The impact of national identities and party signals increases over time, whereas the explanatory power of other variables remains constant in the short term.
Notes
Sind Personen unzufrieden mit ihrer gegenwärtigen Identität oder haben soziale Vergleichsprozesse einen negativen Ausgang für die Eigengruppe, so existieren verschiedenen Strategien, dies zu verändern (Martiny et al. 2011, S. 697).
Die Unterscheidung in staatsbürgerlichen auf der einen und ethnischen oder kulturellen Nationalismus auf der anderen Seite stellt eine weitere und inhaltlich vergleichbare Konzeptualisierung nationaler Identitäten dar (Bruter 2004, S. 189), weshalb diese Terminologie nachfolgend synonym verwendet wird.
Es handelt sich um die elf Staaten, in denen im Jahre 1999 zuerst der Euro eingeführt wurde (Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien) sowie Griechenland, das 2001 die gemeinsame Währung einführte.
Fragetext: „Ist die Mitgliedschaft Deutschlands in der Europäischen Union Ihrer Meinung nach – Eine gute Sache, eine schlechte Sache oder weder gut noch schlecht?“
Fragetext nationale/europäische Identität (2006): „Man kann sich ja unterschiedlich stark verbunden fühlen mit seinem Dorf oder seiner Stadt, seiner Region, seinem Land oder mit Europa. Bitte sagen Sie mir, wie stark Sie sich verbunden fühlen mit DEUTSCHLAND/EUROPA? – Sehr verbunden, ziemlich verbunden, nicht sehr verbunden, überhaupt nicht verbunden“; (2009): „Denken Sie nun bitte über die Idee der geografischen Identität nach. Dazu gibt es ja verschiedene Ansichten. Leute können sich in unterschiedlichem Ausmaß als Europäer, Deutsche oder Einwohner einer bestimmten Region betrachten. Manche sagen auch, dass die Menschen sich durch die Globalisierung als ‚Weltbürger‘ immer näher kommen. Wie ist das bei Ihnen? In welchem Ausmaß fühlen Sie sich als DEUTSCHER/EUROPÄER – Voll und ganz, in gewissem Maße, nicht wirklich, überhaupt nicht“.
Die Modifizierung der Frageformulierung für 2009 erscheint problematisch, da das geografische Zugehörigkeitsgefühl wohl eher eine nachgeordnete Komponente von Identitäten darstellt. Somit werden von den beiden Items vermutlich verschiedene Komponenten nationaler Identitäten abgefragt. Darüber hinaus dürfte diese Frageformulierung die Angabe starker Identitäten begünstigen, da eine geografische Zugehörigkeit unter den Befragten weitaus öfter vorkommen dürfte, als ein kulturelles oder ethnisches Zugehörigkeitsgefühl.
Diese beiden Indikatoren wurden zu zwei Dummy-Variablen rekodiert, in denen jeweils Personen, die eine sehr gute oder ziemlich gute persönliche oder nationale Lage wahrnehmen, eine Eins zugewiesen bekamen.
Für 2009 wird auf eine Dummy-Variable zurückgegriffen, die enthält, ob der Befragte tendenziell an Politik interessiert ist oder nicht.
Diese Datensätze enthalten u. a. die von Experten eingeschätzten Parteipositionen auf der Links-Rechts-Dimension (Skala: 0–10) und die entsprechenden Bewertungen der europäischen Integration (Skala: 1–7). Für die Befragten aus Luxemburg enthalten die CHES-Daten keine Informationen, weshalb für diese Befragten auf die Comparative Manifestos Projekt-Daten (CMP) zurückgegriffen wurde, um vergleichbare Werte bereitzustellen. Die festgestellten Positionen wurden anschließend als Parteisignal auf einer siebenstufigen Skala den Befragten entsprechend ihrer Links-Rechts-Selbsteinstufung zugewiesen, sodass die Anhänger europafreundlicher Parteien hohe Werte und jene europaskeptischer Parteien niedrige Werte aufweisen.
Die Befragten der Gruppe mit niedriger formaler Bildung, die im späteren Modell die Referenzkategorie darstellen, beendeten ihre Ausbildung bis zum 17. Lebensjahr oder lassen einen Bildungsabschluss grundsätzlich vermissen. Die Gruppe mit mittlerer Bildung beinhaltet Bürger, die ihre schulische Ausbildung mit 18 bis 20 Jahren abschlossen. Jene mit hoher Bildung sind Studierende sowie Individuen, welche das Bildungssystem mit 21 oder mehr Jahren verlassen.
Da angenommen wird, dass das Niveau politischer Unterstützung der EU in den Ländern in der Stichprobe variiert, wurden Random-Intercept-Modelle berechnet. Für genauere Informationen zur Spezifikation der Berechnungen besteht die Möglichkeit, auf Nachfrage beim Autor die Syntax einzusehen.
Auf eine tabellarische Dokumentation der Ergebnisse der Nullmodelle wurde aus Platzgründen verzichtet.
Die Koeffizienten aller Modelle sind im Anhang in Tab. 3 zusammengestellt. Zusätzlich zu den drei Modellen wurde zur Überprüfung der Robustheit der Befunde ein viertes Modell ohne Interaktionseffekte geschätzt. Da sich inhaltlich nichts an den Befunden ändert, wurde auf die Dokumentation der Koeffizienten verzichtet.
Somit zeigt sich auch in den Resultaten dieser Studie, dass zwischen Personen ohne und Bürgern mit europäischem Zugehörigkeitsgefühl eine entscheidende Trennlinie verläuft, wobei die Stärke dieser Gruppenzugehörigkeit nachrangig ist. Grundsätzlich erscheint jedoch für die getroffenen Kausalannahmen auch eine Art Zirkelschluss denkbar. Einerseits sind starke europäische Identitäten tief in der menschlichen Psyche verwurzelt und damit langfristige und stabile Prädispositionen, die der politischen Unterstützung, die vor allem als spezifische outputorientierte Unterstützung kurz- und mittelfristig veränderbar ist, kausal und zeitlich vorgelagert sein sollten. Andererseits kann jedoch auch eine dauerhafte politische Zustimmung zur EU mit dem supranationalen System überhaupt erst zu einer Identifikation mit der EU führen.
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Runge, P. Nationale und europäische Identitäten und politische Unterstützung der Europäischen Union im Kontext der Wirtschafts- und Finanzkrise. Z Vgl Polit Wiss 8 (Suppl 2), 55–78 (2014). https://doi.org/10.1007/s12286-014-0207-8
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