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Allein die Masse macht’s nicht – Antwort auf die Replik von Merkel et al. zu unserer Kritik am Demokratiebarometer

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Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft Aims and scope Submit manuscript

Wissenschaftlicher Fortschritt ist auf diskursive Prozesse und kritisch-konstruktive Auseinandersetzungen angewiesen. Mit unserem Beitrag zum Demokratiebarometer (Jäckle et al. 2012) wollten wir einen solchen produktiven Diskussionsprozess anstoßen, indem wir mögliche Defizite und Verbesserungspotentiale dieses Demokratiemaßes herausarbeiteten. Wir haben es daher auch mit großer Freude zur Kenntnis genommen, dass Wolfgang Merkel und seine Kollegen auf unseren Artikel reagiert und ihre Sicht auf unsere Kritikpunkte in einer Replik dargelegt haben (Merkel et al. 2013). Allerdings scheint unsere Kritik doch primär auf- statt angeregt zu haben (Merkel et al. 2013, S. 75). Bekanntlich lässt sich über stilistisches Empfinden vortrefflich streiten, gleichwohl halten wir eine Rückbesinnung auf die Auseinandersetzung um den Messansatz selbst an dieser Stelle für zielführender. In dieser Hinsicht hat die Replik bisweilen erhellt, in weiten Teilen vermochten uns die vorgebrachten Punkte jedoch nicht dahingehend zu überzeugen, dass wir unsere Position bezüglich des Demokratiebarometers (DB) grundlegend zu ändern hätten. An mancher Stelle scheint es, als seien unsere Argumente nicht verstanden bzw. anders als intendiert interpretiert worden. Wir danken daher den Herausgebern der ZfVP, dass sie uns die Möglichkeit einräumen, in aller Kürze auf den Beitrag von Merkel et al. zu antworten, und uns damit ermöglichen, jenseits jeglicher verbaler Hochrüstung solche Missverständnisse zu klären. Die Gliederung unseres Beitrags orientiert sich erneut an den drei von Munck und Verkuilen (2002) vorgeschlagenen Ebenen der Konzeptionalisierung 1), der Operationalisierung 2) und der Messung 3).

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Notes

  1. So halten wir den Punkt, dass es keinen optimalen Erfüllungsgrad der Demokratieprinzipien geben kann, da „ein Optimum entweder erreicht ist oder nicht“ (Kaina 2008, S. 522), für eine in erster Linie semantische Argumentation, die inhaltlich nicht sonderlich weiterführt.

  2. Gleichwohl dürfte der Fall der negativen gegenseitigen Beeinflussung, wie wir ihn in unserer ursprünglichen Kritik angenommen hatten, schon eher die Regel sein, insbesondere wenn man die Bereiche mit vergleichsweise höheren Merkmalsausprägungen betrachtet. Laut Bühlmann et al. ist nämlich „eine gleichzeitige Maximierung aller neun Demokratiefunktionen aufgrund eines gewissen Spannungsverhältnisses zwischen den Prinzipien ‚Freiheit‘ und ‚Gleichheit‘ kaum möglich“ (Bühlmann et al. 2012, S. 144).

  3. An dieser Stelle hätten wir auch eine Antwort auf unsere viel allgemeinere Frage erhofft, inwiefern es ein Problem für die Messung demokratischer Qualität darstellt, wenn ein Indikator sowohl in ‚gut funktionierenden‘ autokratisch regierten Systemen als auch in ‚gut funktionierenden Demokratien‘ ähnliche Ausprägungen annimmt. Kann ein Indikator als Maß für die Qualität entwickelter Demokratien also problemlos verwendet werden, wenn er gleichzeitig keine Unterscheidung zu autokratischen Systemen ermöglicht? In ihrer Replik scheinen uns Merkel et al. hier nicht richtig verstanden zu haben. Keineswegs geht es uns darum, normativ die Qualität autokratischer Staaten über die in diesen vorherrschende Mordrate zu bestimmen, vielmehr sehen wir die Gefahr, dass hier ein Indikator herangezogen wird, bei dem fraglich ist, ob er als Teilmaß für demokratische Qualität wirklich geeignet ist. Zudem schreiben Merkel et al., dass unsere diesbezüglichen Überlegungen sowieso nicht zutreffen, da sie das DB „explizit und unübersehbar für Demokratien entwickelt haben“ (Merkel et al. 2013, S. 79). Allerdings stellt schon Munck fest, dass die Autoren des DB „focus solely on ‚established democracies‘ in their empirical work but nonetheless suggest, if somewhat unclearly, that they could ‚measure degrees of democratic qualities even in not fully-fledged democracies‘ (Bühlmann, Merkel, Müller, Giebler and Wessels 2011: 9–10)” (Munck 2012, S. 15). Insofern fragen wir uns, welcher Schwellenwert es ist, der die von Merkel et al. zu bemessenden Demokratien von solchen teildemokratischen Staaten trennt, in denen die Mordrate wiederum eher als ein Ausweis gut funktionierender autokratischer Tendenzen interpretiert werden könnte?

  4. Allein der komparative Vergleich mit allen prominenten Demokratieindizes (Freedom House Index, Politiy IV, Bertelsmann Transformations Index BTI, Vanhanen Index, Democracy and Dictatorship (DD), Index of Democracy) sollte die Autoren etwas selbstkritischer werden lassen: Das Demokratiebarometer verwendet mit deutlichem Abstand die meisten Indikatoren.

  5. Ausführlicher hierzu siehe Fußnote 2. Ein ähnliches Problem sehen wir bei der Regierungsfähigkeit, die auch in autokratischen Staaten wie Singapur oder den VAE durchaus hoch sein kann.

  6. Die drei weiteren Subindikatoren, allesamt auf einer Skala von 1–10 gemessen, sind: Akzeptanz bzw. Entschuldbarkeit von Steuervermeidung, Betrug und dem Erschleichen von Sozialleistungen.

  7. Augenfällig ist dies beispielsweise bei den vom DB durchgeführten Imputationen fehlender Werte, bei denen immer wieder die Governance Indicators der Weltbank herangezogen werden, welche über Faktoranalysen selbst stets aus einer großen Masse an zum Teil auch vom DB verwendeten Indikatoren gebildet werden.

  8. Laut Merkel et al. sollen „alle Elemente auf derselben Aggregationsstufe […] gleich wichtig“ (Merkel et al. 2013, S. 81) sein. Bereits die ungleiche Anzahl an Indikatoren, aus denen die 18 Komponenten aufgebaut sind, bedeutet jedoch, dass Indikatoren wie der Corruption Perception Index, der mit drei weiteren Indikatoren zusammen die Subkomponente „no secrecy“ konstituiert, letztlich stärker gewichtet werden als Indikatoren wie die Wahlbeteiligung, die mit fünf anderen die entsprechende Subkomponente „equality of participation“ ausmacht (vgl. Bühlmann et al. 2011).

  9. Diese Aussage verblüfft. Gingen wir doch bislang davon aus, dass der klare theoretische Rahmen das gesamte Konzept des DB umfasst, bis hin zu den einzelnen Indikatoren.

  10. Aus dieser Warte betrachtet möchten wir auch unseren Vergleich mit dem arithmetischen und geometrischen Mittel verstanden wissen. Unser Anliegen war es dabei in erster Linie den Effekt, den die Arkustangensformel hat, plastisch im Vergleich zu diesen beiden bekannten Mittelwerten darzustellen. Zudem mögen die Leser für sich entscheiden, ob das geometrische Mittel wirklich so weit vom grundlegenden theoretischen Konzept entfernt ist, wie Merkel et al. uns in ihrer Replik vorwerfen, nur unter Verweis auf die Tatsache, dass es den abnehmenden Grenznutzen nicht wie der Arkustangens implementiert und die Substituierbarkeit weniger stark begrenzt. Wir halten diesen Malus im Vergleich zum Vorteil der deutlich nachvollziehbareren Aggregation für vergleichsweise gering.

  11. An dieser Stelle möchten wir auf die Abschlussarbeit von Johannes Steiniger aus Mannheim hinweisen, der eine einfache, aber in unseren Augen durchaus bedenkenswerte Alternative zur Aggregation mittels Arkustangens aufzeigt: Er schlägt vor, über die Flächen der Netzdiagramme, die das DB bereits zu Zwecken der Deskription verwendet, die Demokratiequalität zu bestimmen (Steiniger 2012, S. 52–53). Auch wenn die Anordnung der neun Funktionen die Fläche der Neunecke mit beeinflusst und man entsprechend auf Rochaden in der Anordnung kontrollieren müsste, böte dieser Ansatz ein intuitiv verständliches Maß für Demokratie, bei dem allerdings weder die begrenzte Substituierbarkeit noch der abnehmende Grenznutzen mit implementiert wäre.

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Jäckle, S., Wagschal, U. & Bauschke, R. Allein die Masse macht’s nicht – Antwort auf die Replik von Merkel et al. zu unserer Kritik am Demokratiebarometer. Z Vgl Polit Wiss 7, 143–153 (2013). https://doi.org/10.1007/s12286-013-0148-7

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