Zusammenfassung
Die Prävalenz von Persönlichkeitsstörungen bei Straftätern ist erhöht, und die Kriminalprognose von persönlichkeitsgestörten Straftätern ist gruppenstatistisch ungünstiger. Diese Aussagen sind jedoch zu schwach, um daraus für die Einzelfallprognose Schlussfolgerungen abzuleiten. Deshalb wird gefordert zu untersuchen, wie sich eine Persönlichkeitsstörung im konkreten Fall auswirkt. Es wird geprüft, ob die Angewandte Kriminologie mit ihrer Methode der idealtypisch-vergleichenden Einzelfallanalyse (MIVEA) für die Bewältigung dieser Aufgabe geeignet ist. Im Teil II dieses Beitrags wird anhand einzelner Persönlichkeitsstörungen illustriert, wie die MIVEA durch Hervorhebung der kriminorelevanten Aspekte die kriminalprognostische Einschätzung im Einzelfall verbessern kann.
Abstract
Many studies have shown that there is an elevated prevalence of personality disorders in criminal offenders in addition to the statistically higher probability of becoming repeat offenders. This article highlights the method of Applied Criminology which explains how this method can help to detect the relevance of personality disorders when applied to an individual case. In a second part of this article the personality disorders are examined and also how this method facilitates the risk assessment process by allowing case managers to highlight the aspects that are prevalent to predict future criminal behavior.
Notes
Die folgende Darstellung orientiert sich am DSM-IV-TR, wobei die Ausführungen mutatis mutandis auch für die ICD-10 Geltung beanspruchen können.
In einer systematischen Übersicht über 62 Studien mit insgesamt 22.790 Strafgefangenen [15] zeigte sich, dass bei 65 % der männlichen und 42 % der weiblichen Inhaftierten eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wurde. In einer deutschen Studie mit 90 Strafgefangenen fanden Frädrich und Pfäfflin eine Prävalenz der Persönlichkeitsstörungen von 50 % [18]. In der Hallenser Angeklagtenstudie betrug die Prävalenz von Persönlichkeitsstörungen in der Gruppe der Angeklagten 43,8 %, in der Vergleichsgruppe der Nichtstraffälligen hingegen nur 2,5 % ([35], S. 70 ff., [44], S. 387 ff.). Eine Fortführung dieser Untersuchung mit faktorenanalytischen Betrachtungen findet sich bei Ullrich und Marneros [52]. Einen Überblick über mehrere Untersuchungen gibt Nedopil ([41], S. 188).
Vergleiche Nachweise wie in der vorigen Fußnote. Im systematischen Überblick von Fazel und Danesh wird berichtet, dass im Durchschnitt 47 % aller männlichen und 21 % aller weiblichen Inhaftierten eine antisoziale Persönlichkeitsstörung aufwiesen. In der Untersuchung von Frädrich und Pfäfflin [15] fand sich bei 36,7 % der Gefangenen eine antisoziale Persönlichkeitsstörung. In der Hallenser Angeklagtenstudie wiesen 35,2 % der Angeklagten und keiner aus der Vergleichsgruppe eine dissoziale Persönlichkeitsstörung auf. Am Rande soll bemerkt sein, dass (lediglich) ungefähr die Hälfte aller Personen mit der Diagnose „antisoziale Persönlichkeitsstörung“ kriminell auffällig wird ([11], m. w. N.).
Allgemein zur Problematik, ob es sich bei dieser Persönlichkeitsstörung um ein psychopathologisches Störungsbild im engeren Sinn handelt: Kröber und Wendt ([30], Rn. 58 f.), Saß [45] sowie Herpertz und Saß [25]. Zu weiteren Problemen bei der Heranziehung dieser Diagnose im forensischen Kontext: Cunningham und Reidy [10].
Ausgeklammert werden Untersuchungen zu (forensisch-)psychiatrischen Stichproben, um eine Konfundierung mit diese Personen kennzeichnenden Besonderheiten zu vermeiden (Einschlägige sind beispielsweise Bonta et al. [7], Coid et al. [9], Lund et al. [34] sowie Phillips et al. [42].) Außerdem werden deliktsgruppenspezifische Untersuchungen aus der Betrachtung ausgenommen (beispielsweise für Sexualstraftäter: Hanson und Bussière [23] sowie Långström et al. [31]).
Grann et al. [22] schreiben zutreffend: „Nevertheless, most current risk assessment tools utilize information on the presence or absence of a diagnosis of major mental illnesses, personality disorder, and substance use disorders as factors to help stratify the risk of re-offending, despite the paucity of data on what extra information is actually provided by measurement of these factors“.
Dies erkennt man v. a. an den beiden Synopsen, die das Verhalten im Zusammenhang mit der Erziehung und das Verhalten in der Schule betreffen ([4], S. 149).
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Unter dem Titel „Die Kriminalprognose bei persönlichkeitsgestörten Straftätern – Teil II: Konkretisierung anhand einzelner Persönlichkeitsstörungen“ erscheint im nächsten Heft die Fortsetzung dieses Beitrags. Beide müssen als Einheit gesehen werden.
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Brockmann, M., Bock, M. Die Kriminalprognose bei persönlichkeitsgestörten Straftätern. Forens Psychiatr Psychol Kriminol 7, 133–140 (2013). https://doi.org/10.1007/s11757-013-0205-8
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