Die inverse Hill-Sachs-Läsion

Mit einer Häufigkeit von 2–3 % aller Schulterluxationen ist die traumatische hintere Luxation eine selten vorkommende Verletzung des Schultergürtels, welche initial leicht übersehen werden kann [1]. Eine zeitlich verzögerte Diagnosestellung kann einen nicht unbedeutenden Einfluss auf eine evtl. notwendige chirurgische Intervention mit sich ziehen. Lässt sich eine traumatische hintere Schulterluxation nativradiologisch und klinisch nicht eindeutig ausschließen, sollte eine zeitnahe bilaterale Computertomographie (CT) der Schulterregion durchgeführt werden, um das Ausmaß der Verletzung zu detektieren und um eine rasche weiterführende Behandlung einzuleiten [2]. Da es im Rahmen einer traumatischen hinteren Schulterluxation nahezu immer (86 %) zu der Entstehung einer inversen Hill-Sachs-Läsion (anteromediale Humeruskopfimpressionsfraktur) kommt, ist diese mit ihrer variierenden Defektgröße und unterschiedlich vorkommenden Lage mitunter richtungsweisend für die weitere Behandlung [3, 4].

Als eine absolute Operationsindikation sollte das Auftreten eines Engagements gesehen werden. Das Engagement wird durch die Lage und Ausdehnung der inversen Hill-Sachs-Läsion in Bezug auf den posterioren Glenoidbereich in Abhängigkeit einer funktionellen Schulterposition (Adduktion und Innenrotation) definiert [57]. Zur operativen Behandlung der inversen Hill-Sachs-Läsion wurden sowohl anatomische wie auch nicht-anatomische und prothetische Verfahren beschrieben [812].

Nicht jedes dieser operativen Verfahren ist zu jedem Zeitpunkt der Verletzung anwendbar. Auch spielen die Defektgröße und -lage der inversen Hill-Sachs-Läsion eine wesentliche Rolle. So kann in der Frühphase (erste 2 Wochen nach dem Trauma) bei einer Humeruskopfimpressionsfraktur <40 % der anteromedialen Gelenkfläche meist eine erfolgreiche Imprimathebung mit anschließender autologer oder allogener Spanunterfütterung und zusätzlicher osteosynthetischer Fixierung durchgeführt werden. Bei einer sehr großen inversen Hill-Sachs-Läsion (>45 % der Gelenkfläche), einem länger verbleibenden Luxationszustand bzw. bei einer chronisch verhakten hinteren Schulterluxation (>4 Wochen) lässt sich diese operative Technik in der Regel nicht mehr erfolgreich umsetzen. In diesen Fällen erweist sich die Segmentrekonstruktion mit einem Allograft als eine gute Alternative [4, 13].

Allografts

Allografts (allogene Knochentransplantate) werden zur Behandlung von diversen traumatologischen und orthopädischen Verletzungen/Erkrankungen mit größerem Knorpel-/Knochensubstanzverlust eingesetzt [14, 15]. Deren Anwendung nahm über die letzten Jahre kontinuierlich zu [16]. Dies ist nicht nur auf die laufende Weiterentwicklung der Aufarbeitungs- und Lagerungsprozesse, sondern auch auf die verbesserte Verfügbarkeit durch den stetigen Ausbau der Knochenbanken und Drittanbietern zurückzuführen [17].

Die Verwendung von Allografts hat zum Ziel, den vorhandenen knöchernen Defekt dauerhaft zu ersetzen. Hierbei hat die Beschaffenheit des allogenen Knochentransplantats in Bezug auf seine Wirkweise eine entscheidende Bedeutung. Diese wird hauptsächlich durch die verschiedenen Aufbereitungs- und Lagerungsprozesse bestimmt [17]. Im Allgemeinen unterscheidet man zwischen „fresh“, „fresh-frozen“ und sterilisierten/bestrahlten Allografts. Betrachtet man deren biologische und biomechanische Eigenschaften, so weisen Fresh-Allografts das größte Potential an osteogenen, osteoinduktiven und osteokonduktiven Fähigkeiten sowie auch die höchste Anzahl an Chondrozyten auf. Fresh-frozen-Allografts hingegen besitzen keine osteogene Wirkung mehr, zeigen aber gegenüber sterilisierten Allografts noch eine klar vorhandene osteoinduktive und -konduktive Wirkung sowie eine fluktuierende Anzahl an Chondrozyten [18, 19].

Der Vorteil in der Verwendung von Allografts gegenüber Autografts liegt in der meist deutlich größeren Menge an Transplantatmaterial, der fehlenden Entnahmemorbidität und der verkürzten Operationszeit. Demgegenüber stehen ein äußerst geringes Risiko der Übertragung einer Infektionskrankheit (1:1,6 Mio. bei der Verwendung von allogenen Knochentransplantaten; bei Blutkonserven 1:450.000) und das vernachlässigbare Risiko einer lokalen Keimübertragung. Eine mögliche verspätete Transplantateinheilung bzw. -abstoßung auf Basis von immunologischen Prozessen wird diskutiert [1921].

Ziel dieser Arbeit war es, die Segmentrekonstruktion mit autologen und allogenen Knochentransplantaten bei Humeruskopfimpressionsfrakturen mit einem Defektwinkel α > 40° der anteromedialen Gelenkfläche nach traumatischen hinteren Schulterluxationen an einem hausinternen Patientengut zu evaluieren. Als Zielparameter wurden ein 12-monatiges Follow-up mit einem erhobenen Constant-Murley-Score (CS) und einer nativradiologischen Verlaufskontrolle definiert.

Material und Methodik

Alle Patienten, die zwischen 2010 und 2015 an der Universitätsklinik für Unfallchirurgie Innsbruck mit einer traumatischen hinteren Schulterluxation vorstellig wurden und mit einer autologen oder allogenen Segmentrekonstruktion operativ versorgt wurden, wurden für diese retrospektiv Arbeit evaluiert.

Als Einschlusskriterien wurden folgende Parameter definiert:

  • isolierte akute und chronische, uni- oder bilaterale traumatische hintere Schulterluxationen/-luxationsfrakturen,

  • Segmentrekonstruktion mittels Auto- oder Allograft,

  • klinisch/nativradiologisches Follow-up von mindestens 12 Monaten.

Folgende Ausschlusskriterien wurden definiert:

  • Teilnehmer einer anderen klinischen Studie,

  • Begleitpathologien (Glenoidfraktur, akute Rotatorenmanschettenruptur).

Insgesamt konnten 5 Patienten eingeschlossen werden. Diese Patienten wurden alle von Unfallchirurgen mit Schwerpunkt in der Schulterchirurgie operativ versorgt.

Präoperativ wurde eine ausführliche klinische und radiologische Diagnostik (True-a. p.-view- und Outlet-view-Röntgen, bilaterales Schulter-CT) durchgeführt (Abb. 1). Mögliche neurologische Schädigungen wurden initial abgeklärt. Regelmäßige postoperative Verlaufskontrollen wurden von den Patienten eingehalten.

Abb. 1
figure 1

Multiplanare Rekonstruktion (a axial, b koronar, c sagittal) eines bilateralen CT der Schulterregion. Darstellung der anteromedialen Humeruskopfimpressionsfraktur und deren Größen- (Winkel α) und Lagebestimmung (Winkel β) anhand der axialen Ebene

Behandlungsalgorithmus

Bei Vorliegen einer großen (γ-Winkel >90° oder α -Winkel >50°) bis sehr großen (γ-Winkel >115° oder α -Winkel >70°) inversen Hill-Sachs-Läsion mit einhergehendem Engagement bei Adduktion und Innenrotation des Oberarmkopfes sowie bei verhakten und chronisch verhakten Formen (>4 Wochen) wurde die Operationsindikation gestellt. Die inverse Hill-Sachs-Läsion wurde mittels Segmentrekonstruktion entweder mit einem autologen Knochenspan oder einem Allograft versorgt [10, 11].

Operationstechnik

In Rückenlage und leichter Oberkörperhochlagerung wurde über den „deltopektoralen Zugang“ zum Schultergelenk eingegangen. Die Osteotomie des Tuberculum minus wurde vergleichbar dem anterioren Zugang in der Schulterendoprothetik durchgeführt und die Gelenkkapsel eröffnet, um einen freien Zugang zum Schultergelenk zu erlangen. Im Rahmen der Osteotomie des Tuberculum minus wurde die lange Bizepssehne abgesetzt und an den oberen Rand der Pectoralis-major-Sehne tenodesiert (Weichteiltenodese). Je nach Verletzungsmuster erfolgte die offene Reposition bei einer verhakten Luxation, chronisch verhakten Luxation oder zur Luxation zusätzlichen Oberarmkopffraktur. Dies wurde in der Regel durch eine verstärkte Innenrotation, Adduktion und Flexion unter angemessenem Längszug erreicht. Es wurde darauf geachtet, dass eine ausreichende Relaxation vor der Durchführung des Repositionsmanövers vorhanden war, um iatrogenen Schäden vorzubeugen. Der knöcherne Defekt an der anteromedialen Gelenkfacette des proximalen Humerus wurde in weiterer Folge inspiziert. Abhängig von der Luxationsdauer, dem Knorpelstatus und der Defektgröße/-lage wurde entweder ein autologer Beckenspan oder ein Allograft zur Defektfüllung verwendet. Bei rezenten Luxationen mit gutem Knorpelstatus des Imprimats und einem γ‑Winkel <115° wurde dieses mit einem Meißel und Raspatorium mobilisiert und gehoben. Die entstandene Defekthöhle wurde mit einem autologen Beckenspan der ipsilateralen Seite unterfüttert (Abb. 2a, b). Um eine ausreichende Stabilität der intakten Knorpeloberfläche und des darunter liegenden autologen Knochentransplantats zu erlangen, erfolgte eine Schraubenfixierung. Bei Vorliegen einer chronisch traumatischen Schulterluxation oder sehr großen inversen Hill-Sachs-Läsion (γ-Winkel >115°) wurde ein Allograft verwendet. Als allogenes Transplantat dienten Fresh-frozen-Spenderhüftköpfe aus einer hauseigenen Knochenbank. Das Allograft wurde nach gründlichem Débridement dem knöchernen Defekt entsprechend anmodelliert. Dabei wurde versucht, eine dem Defekt möglichst kongruente Form, vergleichbar mit einer Orangenspalte, zu erlangen (Abb. 3). Bei regelrecht anmodelliertem Allograft wurde dieses implantiert (Abb. 4).

Abb. 2
figure 2

a Imprimathebung (*) nach Tuberculum-minus-Osteotomie; die Defekthöhle ist einsehbar. b Fixierung des Imprimats (*) mit zwei Schrauben und zusätzlicher temporärer Fixierung des autologen Beckenspans

Abb. 3
figure 3

Scheibenförmig präpariertes osteochondrales Allograft

Abb. 4
figure 4

Operationssitus mit bereits anmodelliertem und eingepasstem osteochondralem Allograft (*). Destruierter Knorpel des angrenzenden intakten Humeruskopfes

Mithilfe eines Bildwandlers wurde das Transplantat in Bezug auf die Größe und Lage kontrolliert. Ein über oder unter Niveau korrigiertes Transplantat sollte vermieden werden, um einer Arthrose Entstehung vorzubeugen. Bei guter Passform und gutem Sitz wurde das Allograft mit zwei Schrauben definitiv fixiert. Die verwendeten Schrauben sollten mit den Schraubenköpfen unter Knorpel-/Kortikalisniveau versenkt werden, um mögliche Gelenkdestruktionen zu verhindern. Das osteotomierte Tuberculum minus wurde zur Refixation mit nichtresorbierbaren Fäden horizontal umstochen und transossär refixiert. Die Bohrkanäle hierfür wurden einerseits ventral am Tuberculum minus und andererseits lateral des Sulcus intertubercularis platziert. Eine zusätzliche Sicherung erfolgte mittels Schrauben. Das dorsale Labrum wurde bei keinem der 5 Patienten refixiert. Ein Patient erlitt neben einer sehr großen inversen Hill-Sachs-Läsion (Defektwinkel α‑Winkel 87,3°, γ‑Winkel 141,7°) zusätzlich eine proximale Humerusfraktur (2 Teile), welche vor der Defektfüllung mit einem Allograft unter Bildwandlerkontrolle reponiert und mit einer Plattenosteosynthese fixiert wurde.

Postoperative Nachbehandlung

Postoperativ erfolgte die Anlage eines dezenten Abduktionskissens mit einhergehender Neutralrotation des Arms. Dieses war auf 4 Wochen befristet. Ab der 5. postoperativen Woche wurde mit passiven Bewegungsübungen mit einer maximalen Flexion von 90°, Abduktion von 70°, Außen- und Innenrotation von 30° begonnen. Ab der 7. postoperativen Woche wurde mit aktiv assistierten Bewegungsübungen gestartet. Eine Sport- und Belastungskarenz galt für 3 Monate; für 6 Monate waren Hochrasanzsportarten, Kontaktsportarten, Überkopfsportarten und Wurfsportarten untersagt.

Auswertung und Beurteilung

Die Ausdehnung der inversen Hill-Sachs-Läsion wurde anhand der Technik nach Moroder et al. [7, 22] unter der Verwendung des α‑ (Defektausdehnung), β‑ (Defektlokalisation) und γ‑Winkels (Summe aus α und β) bestimmt (Abb. 1). Anhand des abschließenden Follow-up wurde das durchgeführte Röntgen (true-a. p., Outlet, axial) auf arthrotische Veränderungen und Dezentrierung des Humeruskopfes untersucht. Eine mögliche Abflachung bzw. ein möglicher Kollaps des Auto- oder Allografts wurde nativradiologisch in Relation zu den intraoperativen Röntgenbildern evaluiert. Der CS wurde als klinischer Parameter 12 Monate postoperativ erhoben [23].

Ergebnisse

Insgesamt wurden 5 männliche Patienten mit einem Altersdurchschnitt von 44 (28–72) Jahren ausgewertet. Alle bis auf einen Patienten (Fahrradsturz) erlitten die traumatische hintere Schulterluxation aufgrund eines epileptischen Anfallsgeschehens. Bei 2 Patienten mit einem epileptischen Anfallsgeschehen waren beide Schultern betroffen, wobei nur jeweils eine Seite operativ versorgt werden musste. Insgesamt wurde die Segmentrekonstruktion 2‑mal an der rechten Seite und 3‑mal an der linken Seite durchgeführt. Im Mittel erfolgte die operative Versorgung 10 (0–28) Tage nach dem Unfallgeschehen. Ein Patient wurde mit einer chronisch verhakten hinteren Schulterluxation nach einer Verweildauer von 28 Tagen operativ versorgt. Ein anderer Patient erlitt neben einer sehr großen inversen Hill-Sachs-Läsion (γ-Winkel 141,7°) auch eine proximale Humerusfraktur (2 Teile) und musste zusätzlich mit einer Plattenosteosynthese versorgt werden. Eine bestehende Bewegungseinschränkung in allen drei Ebenen sowie eine milde Schmerzsymptomatik führten zu einem schlechteren klinischen Outcome verglichen mit den anderen Patienten. Drei der Patienten mussten offen reponiert werden, bei 2 Patienten gelang eine gedeckte Reposition. Die Segmentrekonstruktion mit einem Allograft wurde 2‑mal und mittels autologer Spanplastik 3‑mal angewendet. Der γ‑Winkel der 2 mittels Allograft versorgten Patienten betrug 84,6° und 141,7°. Jene Patienten versorgt mit autologer Spanplastik wiesen einen γ‑Winkel von 104°, 105,8° und 111,9° auf (Tab. 2). Nativradiologisch zeigten alle Patienten nach einem Jahr eine knöcherne Einheilung des Allografts oder Autografts. Bei einem der beiden mit einem Allograft versorgten Patienten wurde dieses knapp unter Niveau fixiert. In weiterer Folge kam es postoperativ zu einer nicht revisionsbedürftigen Graftsinterung. Frühzeitige arthrotische Veränderungen oder eine Dezentrierung des Humeruskopfes waren nativradiologisch bei keinem der Patienten vorhanden (Abb. 5a, b). Keiner der Patienten erlitt im angegebenen Zeitraum, weder an der operierten noch an der nicht operierten Schulter, eine Reluxation oder Subluxation. Der CS der operierten Seite der 2 Patienten versorgt mittels Allograft betrug 50 (Gegenseite 83) und 90 (Gegenseite 90) Punkte. Der Patient mit dem besseren CS war derjenige mit einer partiellen Allograftresorption. Die 3 mit einem Autograft versorgten Patienten erreichten einen CS an der operierten Seite von 93 (Gegenseite 95), 95 (Gegenseite 98) und 98 (Gegenseite 98) Punkten (Tab. 1 und 2).

Tab. 1 Zusammenfassung der Ergebnisse
Tab. 2 Darstellung der gemessenen Winkel zur Größen- und Lagebestimmung der inversen Hill-Sachs-Läsion anhand axialer CT-Schichtena
Abb. 5
figure 5

Nativradiologisches Ausheilungsbild in a. p.- (a) und axialer (b) Projektion 12 Monate nach dem operativen Eingriff mittels Autograft. Die artikulierende Zirkumferenz des Humeruskopfes zeigt sich komplett intakt bei regelrecht zentriertem Glenohumeralgelenk und fehlenden Arthrosezeichen

Diskussion

Zur operativen Behandlung einer inversen Hill-Sachs-Läsion werden diverse anatomische, nicht-anatomische und prothetische Verfahren angewendet. Die Segmentrekonstruktion mit einem autologen Knochenspan oder einem Allograft zeigt in der vorliegenden Arbeit gute klinische und nativradiologische Ergebnisse während eines 12-monatigen Nachuntersuchungszeitraums.

Gerber und Lambert [10] berichteten 1994 über die Segmentrekonstruktion mit knöchernen Allografts bei sehr großen inversen Hill-Sachs-Läsionen (>40 % der Gelenkfläche) nach traumatischen hinteren Schulterluxationen. Die 4 eingeschlossenen Patienten erreichten einen CS von 72,5 Punkten im Mittel (67–77 Punkte). Die Luxationsdauer betrug zwischen einem und 12 Monaten. Ein Transplantatversagen oder eine Dezentrierung des glenohumeralen Gelenks wurden nativradiologisch nach einer mittleren Untersuchungsdauer von 68 Monaten nicht beobachtet. Ein Patient erlitt 7 Jahre nach operativer Versorgung eine avaskuläre Humeruskopfnekrose.

In einer Folgearbeit von Gerber et al. [4] mit 22 eingeschlossenen akut und chronisch verhakten traumatischen hinteren Schulterluxationen und einer deutlich längeren Nachuntersuchungszeit (im Mittel 128, 60–294 Monate) konnten die primär publizierten Ergebnisse bestätigt werden. Von den eingeschlossenen Patienten wurden 17 mit einem Allograft (mittlere Defektgröße 46 %) und 5 mit einem autologen Beckenspan (mittlere Defektgröße 35 %) versorgt. Insgesamt mussten 3 der 22 Patienten mit einer Schulterprothese revidiert werden, 2 frühzeitig aufgrund einer posterioren Subluxation und eine Patientin nach 15 Jahren aufgrund einer fortgeschrittenen Arthrose. Das Auftreten einer fortgeschrittenen Arthrose wurde bei 4 und das einer milden Arthrose bei weiteren 4 von 17 Patienten beobachtet. Im Durchschnitt erreichte die operierte Seite einen CS von 77 Punkten.

In einer weiteren Arbeit mit 13 Patienten zeigen sich ähnlich gute Ergebnisse nach Segmentrekonstruktion mittels osteochondralen Allografts bei einer Defektgröße zwischen 25–50 %. Der Nachuntersuchungszeitraum betrug im Mittel 54 Monate. Ein durchschnittlicher CS von 87 Punkten wurde an der operierten Seite erreicht. Lediglich ein Fall mit einer Defektgröße von 50 % und Luxationsdauer von 9 Monaten erreichte nur 43 Punkte im CS aufgrund einer entstandenen avaskulären Nekrose des Oberarmkopfes einhergehend mit einem Kollaps des osteochondralen Allografts [13].

In der vorliegenden Arbeit erreichten bis auf einen Patienten (50 Punkte im CS) alle anderen > 89 Punkte im CS an der operierten Seite. Der Patient mit dem mäßig guten klinischen Ergebnis erlitt neben der großen inversen Hill-Sachs-Läsion (γ-Winkel 141,7°) auch eine Oberarmkopffraktur (2 Teile) und musste zusätzlich mit einer Plattenosteosynthese versorgt werden.

Wie bereits beschrieben, haben große inverse Hill-Sachs-Läsionen und eine zusätzliche proximale Humerusfraktur einen negativen Einfluss auf das klinische und radiologische Outcome [4, 24]. Allgemein zeigen Luxationsfrakturen der Schulter mäßig gute Ergebnisse nach offener Reposition und osteosynthetischer Versorgung und sind mit einem erhöhten Risiko, eine avaskuläre Kopfnekrose zu entwickeln, vergesellschaftet. Bevorzugt wird diese Kombinationsverletzung daher prothetisch versorgt [2426]. Bei dem genannten Patienten zeigte sich nativradiologisch weder ein Transplantatkollaps noch eine avaskuläre Humeruskopfnekrose. Ergebnisse einer solchen Kombinationsverletzung, in derselben Art und Weise versorgt, wurden bisher noch nicht publiziert. Aufgrund der spärlich vorhandenen Literatur fehlen wegweisende Informationen für alternative Verfahren und deren Outcome.

Neben der Segmentrekonstruktion werden bei Defektgrößen meist < 45 % auch nicht-anatomische Operationsverfahren wie das „McLaughlin-Procedure“ oder der Tuberculum-minus-Transfer nach Neer angewendet [24]. Trotz einer möglichen Einschränkung der Innenrotation zeigen sich auch hier gute klinische und radiologische Ergebnisse [27, 28]. Die Reluxationsrate erweist sich als gering. Bei länger anhaltenden Luxationszuständen und großen bis sehr großen anteromedialen Humeruskopfimpressionsfrakturen (40–50 % der Gelenkfläche) kommt es jedoch zu einem vermehrten Auftreten von rezidivierenden Luxationen [9, 24]. Eine Reluxation nach Segmentrekonstruktion mittels Autograft oder Allograft wurde in dieser Arbeit bei keinem der 5 Patienten beobachtet. In der Literatur wurde jedoch über eine Reluxation und vereinzelt auch über Subluxationen in Zusammenhang mit Destruktionen der Gelenkoberfläche des Oberarmkopfes und des Allografts berichtet [4, 11, 13]. Dies könnte auf chronische Luxationen mit sehr großen inversen Hill-Sachs-Läsionen, bereits vorbestehenden degenerativen Veränderungen und einer chronischen Dezentrierung zurückzuführen sein.

In dieser Arbeit wurde eine nicht revisionsbedürftige Graftsinterung bei einer Rekonstruktion mit einem Allograft beobachtet, wobei schon im initialen postoperativen Röntgenbild eine Fixierung des Transplantats leicht unter Niveau erkennbar war. Trotzdem erwies sich die operative Versorgung als stabil und resultierte in einem guten klinischen Outcome (CS von 90 Punkten an der operierten Seite). Bei den restlichen 4 Patienten verlief die Transplantateinheilung unauffällig. Allgemein gesehen weisen Allografts, verwendet bei Frakturen oder in der Endoprothetik, am proximalen Humerus eine gute Transplantatinkorporation auf [2931].

Limitationen

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit einer selten auftretenden Entität und weist daher eine geringe Fallzahl auf. Aufgrund des Nachbeobachtungszeitraums von einem Jahr ist die Beurteilung in Bezug auf eine posttraumatische Arthroseentwicklung nur bedingt aussagekräftig. Vor- oder Nachteile eines Auto- oder Allografts lassen sich anhand dieser Arbeit nicht benennen. Aufgrund der relativen Homogenität der zeitnah versorgten inversen Hill-Sachs-Läsionen gegenüber nur einer verspätet versorgten inversen Hill-Sachs-Läsion wurden Unterschiede in Bezug auf den Operationszeitpunkt in dieser Arbeit nicht untersucht.

Fazit für die Praxis

  • Allgemein gesehen erzielt das richtig indizierte operative Verfahren in Anbetracht der Schwere der Verletzung durchwegs gute bis sehr gute klinische und radiologische Ergebnisse.

  • Es sollte zudem bedacht werden, dass die Segmentrekonstruktion bei sehr großen inversen Hill-Sachs-Läsionen eine prothetische Versorgung umgehen bzw. verzögern könnte.

  • Auch im Revisionsfall nach einer Segmentrekonstruktion mittels Auto- oder Allograft könnte der Vorteil darin liegen, dass der „bone stock“ in aller Regel wiederhergestellt wurde, ohne anatomische Strukturen im Schultergelenkbereich transferiert zu haben.