Zusammenfassung
Internationalisierungsprozesse im Bildungssystem haben in den letzten Jahrzehnten eine immer größere Bedeutung gewonnen. Das Feld der Schulen allerdings, die sich als international bezeichnen, ist vielfältig. In diesem Beitrag nehmen wir schulische Konstruktionen von Internationalität im Bereich der höheren schulischen Bildung in Deutschland empirisch in den Blick. Dafür kontrastieren wir zwei höhere Schulen mit internationalem Profil: eine traditionsreiche International School in einer westdeutschen, städtisch-metropolitanen Region und ein neugegründetes internationales Gymnasium in einer ostdeutschen, städtisch-ländlichen Region. In der institutionellen Analyse arbeiten wir zentrale Gemeinsamkeiten und Differenzen der Schulkulturen mit einem Fokus auf Internationalität heraus. Die schulkulturelle Analyse wird auf der Grundlage von schülerbiografischen Interviews um die Rekonstruktion von drei Mustern der biografischen Bedeutung von Internationalität und der habituellen Passung von Schülerinnen und Schülern zu diesen internationalen Schulen erweitert. Aus diesen Ergebnissen folgern wir, dass sich in diesen regional unterschiedlichen Formen der Internationalität im Feld der höheren Bildung in Deutschland Hinweise auf eine horizontale Stratifizierung und Hierarchisierung im Feld der höheren Bildung zeigen lassen.
Abstract
During the last decades, the education system has been marked by distinct processes of internationalisation. In the field of higher education, there are numerous and varied schools with different international profiles. This paper focuses on processes of internationalisation in the German sector of higher education. We contrast two higher secondary schools with international profiles: one international school in a West German metropolitan region with a long tradition and a younger internationally-profiled school located in the periphery of an East German urban centre. This institutional analysis presents school cultural similarities and differences with regard to different claims and concepts of internationality. This analysis is complemented by a reconstruction of three patterns of biographical meaning examining the internationality of pupils and their respective habitual fit to these internationally-profiled schools. We draw on qualitative data, consisting mainly of interviews with head teachers and pupils of these two schools. We argue that these differing regional forms of internationalisation indicate a stratification and hierarchisation in the field of higher education in Germany.
Notes
Vgl. ausführlicher http://www.zsb.uni-halle.de/forschungsprojekte/mechanismen_der_elitebildung/.
Auch die schulischen Homepages sowie für das Vogdberg-Gymnasium ethnographische Protokolle der Auswahlgespräche flossen in die institutionelle Analyse mit ein. Aufgrund der unterschiedlichen Erhebungszeitpunkte der Schülerinterviews in den Einzelprojekten (in Klasse acht beziehungsweise zehn), handelt es sich um Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Alterskohorten. Nichtsdestotrotz, und obgleich die Frage nach Konzepten von Internationalität nicht im Fokus der Auswertung beider Projekte steht, konnten im Rekonstruktionsprozess Bezüge der Schülerinnen und Schüler auf Internationalität herausgearbeitet und drei Muster analysiert werden.
Obwohl das Vogberg-Gymnasium in einer ostdeutschen Region angesiedelt ist, weist es aufgrund seines Gründungszeitpunktes und der Ausrichtung der Elterninitiative keine direkten Bezüge zur Tradition der Spezialschulen mit Fremdsprachenprofil in der ehemaligen DDR auf.
Der IB-Dachverband bietet für verschiedene Jahrgangsstufen Programme an, für die die Schule in mehrjährigen Zyklen evaluiert wird.
Die Anforderungen in den AbiBac-Prüfungen sind Ländersache, wobei sie die des regulären Abschlusses in dem jeweiligen Land nicht übersteigen sollen (KMK 2013, S. 78).
Die Schülerin Julia trägt in weiteren Veröffentlichungen des DFG-Projektes „Distinktion im Gymnasialen? Prozesse der Habitusbildung an ,exklusiven’ höheren Schulen“ den Namen Rebekka.
Im Unterschied zur International School wird das Vogdberg-Gymnasium auch von Schülerinnen und Schülern besucht, für die Internationalität in keiner Weise eine Rolle spielt.
Wir zeichnen hier nur die Linie einer Bildungsprivilegierung durch Internationalisierung nach, wohl wissend, dass es migrationsspezifische Internationalisierungsprozesse im Schulsystem gibt, die eher diskriminierende Züge zeigen (vgl. Zymek 2009).
Natürlich lassen sich in den beiden Bildungsregionen, in bundeslandesspezifischen Varianten, auch die Überformungen des deutschen Schulsystems durch global agierende Bildungsakteure – etwa in Form von PISA, IGLU, Vergleichsarbeiten, je spezifischen Konstellationen „neuer Steuerung“ etc. erkennen (vgl. Fuchs 2003; Zymek in diesem Band). In diesem Sinne gibt es keine Bildungsregion in Deutschland – und sei sie noch so peripher – die nicht von Globalisierung beeinflusst ist (vgl. zu Globalisierung grundlegend Giddens 1996, 2000). Das kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die Ausdrucksgestalten der Globalisierung in beiden Regionen deutliche Unterschiede aufweisen. Dies dokumentiert sich insbesondere in der konkreten Ausgestaltung, der Durchdringung und den Anschlüssen internationaler Institutionen, der Akteurinnen und Akteure sowie Bezügen, die in den Regionen sehr unterschiedlich ausgeformt sind.
Dabei stoßen wir hier nicht einfach auf Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland (vgl. oben). Vielmehr überlagern sich hier West-Ost-Differenzierungen mit großstädtisch-metropolitanen (westdeutsche Region) und städtisch-ländlich eher peripheren (ostdeutsche Region) Räumen.
In einer anderen westdeutschen, großstädtischen Region konnten wir zudem feststellen, dass die dort erfolgende Neugründung einer International School wettbewerbsorientierte internationale Profilierungen – etwa die Einführung des IB-Abschlusses an einem anderen Gymnasium – in der Region erzeugte (vgl. Helsper et al. 2015b).
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Helsper, W., Krüger, HH., Dreier, L. et al. International orientierte höhere Schulen in Deutschland – Zwei Varianten von Internationalität im Wechselspiel von Institution und Schülerbiografie. Z Erziehungswiss 19, 705–725 (2016). https://doi.org/10.1007/s11618-016-0715-1
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DOI: https://doi.org/10.1007/s11618-016-0715-1
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