Zusammenfassung
Dass die Dinge gleichermaßen zur Selbsttätigkeit wie zum Nachvollzug einer kulturellen Praxis anregen, ist elementarer Bestandteil vieler bildungstheoretischer Konzepte. In der frühen Kindheit gewinnt dabei, anknüpfend u. a. an Pestalozzis „Wohnstube“, das Wohnen in den Dingen und die Habitualisierung ihrer sozialen Zwecke besondere Bedeutung. Es versinnbildlicht sich in den Spielwohnungen, die sich in Kindergärten tradiert haben. An ihnen und der Raumerfahrung des kleinen Kindes lässt sich exemplarisch zeigen, dass die Dinge nicht in ihren Zwecken aufgehen, sondern eine Nicht-Identität enthalten. In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, ob pädagogisches Denken aus seiner eigenen habituellen Verflochtenheit heraus dazu neigt, Differenzen in der Begegnung des Kindes mit den Dingen zu übergehen. Welche Bedeutung könnten diese für ein Verstehen von Anfängen der Bildung haben?
Abstract
The thesis that things encourage both self-directed activity and the reproduction of a cultural practice is an elementary component of many educational concepts. In early childhood, as with Pestalozzi’s “living room” (Wohnstube), living among things and becoming familiar with their social purposes take on a special significance. This is symbolised in the play houses that have become a traditional element of nursery schools. They and the small child’s experience of space can be taken as an example of the fact that things are not coextensive with their purpose, but have a non-identity. This paper investigates the question as to whether, due to its own habitual complexity, educational thinking does not tend to overlook differences in the encounter between children and things. What significance might things have for our understanding of early education?
Notes
Im Rahmen dieses Textes ist keine genauere seriell-ikonografische Fotoanalyse, wie von Pilarczyk und Mietzner entwickelt, möglich. Gerade die Spielwohnung in den verschiedensten historischen wie aktuellen Darstellungen in pädagogischer Fachliteratur, Werbung, etc. würde sich hierfür anbieten. Die Darstellungen dienen deshalb lediglich dazu, Anfragen zu formulieren, die eine weitere Erforschung anregen.
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Stieve, C. Differenzen früher Bildung in der Begegnung mit den Dingen. Z Erziehungswiss 16 (Suppl 2), 91–106 (2013). https://doi.org/10.1007/s11618-013-0408-y
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