Stephan Kühl und Manfred Moldaschl postulierten als Herausgeber des Sammelbandes „Organisation und Intervention – Ansätze für eine sozialwissenschaftliche Fundierung von Organisationsberatung“ (2010), dass sich die Organisationsberatung heute in einer Krise befindet. Das Feld ist derzeit in drei unterschiedliche Milieus mit den entsprechenden konzeptionellen „Glaubenssätzen“ segmentiert:

(1) Auf der einen Seite finden sich seit mindestens zwei Jahrzehnten die klassischen Strategieberater von McKinsey, Boston Consulting, Berger usw. Sie stellen fraglos den Löwenanteil von Organisationsberatung und bringen in Unternehmen, zunehmend auch in Behörden und soziale Dienstleistungssysteme ihr Expertenwissen ein. Dieses gründet sich auf Überzeugungen einer betont konventionellen Betriebswirtschaftslehre, die sich nur mit den formalen, d. h. bürokratischen Mustern von Organisationen befasst. Aufgrund von spezifischen Indikatoren „verpassen“ diese Berater nämlich einer Organisation lediglich eine neue formale Struktur. Allein durch ihr Auftreten in schwarzen oder dunkelblauen Anzügen mit weißen oder hellblauen Hemden, was Frauen und Männer wie geklont erscheinen lässt, flößen sie ihren Kunden Hochachtung ein, zumal sie von Montag bis Donnerstag jeweils bis in die Nächte hinein tätig sind. Führungskräfte, besonders die entscheidungsschwachen unter ihnen, wissen solchen Gott-ähnlichen Beratern nichts entgegenzusetzen. Im Gegenteil, allein die Tatsache ihres Engagements im jeweiligen System versetzt das Topmanagement in einen Zustand von Erhabenheit, denn nun glauben sie sich ja von den renommiertesten – und teuersten – Beratern der Welt unterstützt. Dieser Stolz wird bislang auch nicht durch Berichte von desaströsen Misserfolgen solcher Expertenberatung gemindert. In manchen Organisationen hinterließ sie nämlich regelrechte Schlachtfelder, die nicht nur wirtschaftliche, sondern auch menschliche Katastrophen nach sich zogen. Solche Erscheinungen führten aber in der Regel nur zu minimalen geschäftlichen Einbrüchen der entsprechenden Beratungsfirmen.

(2) Der bis heute andauernde Erfolg der Strategieberatungsfirmen stößt vor allem bei Kennern des „Handwerks“ auf Erstaunen, hat sich doch bereits seit Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts eine breite Front von Autoren formiert, die wie etwa Likert (1975) oder Schein (1980) alternative Formen von Organisationsberatung propagiert haben. Diese wurde nun als „Organisationsentwicklung“ bezeichnet. Besonders durch Phänomene von „resistance to change“, die sich angesichts traditioneller Unternehmensberatung bei den Mitarbeitern zum Teil in turbulenten aggressiven Akten manifestierte, gelangten diese Autoren zu der Überzeugung, dass organisatorische Veränderung prinzipiell unter Mitbeteiligung der Mitarbeiter zu geschehen habe. Zwar hatte Argyris (1975) schon aus individueller Perspektive postuliert, dass sich Menschen eigentlich nur unter Mühe in formale bzw. bürokratische Strukturen integrieren können/wollen. Das seien nämlich „Prokrustes-Betten“, in denen viele menschliche Möglichkeiten nicht zu realisieren sind. Andere Autoren dieser sogenannten Human Ressources Bewegung propagierten aber nun, dass das Mismatching zwischen Mensch und Organisation durch moderierte Dialoge zwischen Führungskräften und Mitarbeitern zu mildern sei. Edgar Schein kreierte als angemessene Weise für solche Dialoge seine „Prozessberatung“, für die er sich auf das Menschenbild und die Interaktionsformen der klienten-zentrierten Gesprächspsychotherapie von Rogers (1973) berief. Likert dagegen entwickelte unter Bezugnahme auf die angewandte Gruppendynamik der Lewin-Schule ein Beratungskonzept, in dem Mitarbeiter in kleinen Gruppen, danach in Abteilung übergreifenden Gruppierungen ermuntert werden sollten, ihre Vorstellungen und Bedürfnisse im Hinblick auf organisatorische Veränderungen einzubringen. Diese zutiefst demokratie-orientierte humanistische Bewegung, die in Deutschland durch Trebesch (2008) repräsentiert wurde, ist heute kaum noch präsent. Den Führungskräften waren ihre Ziele oft zu vage, weil sie sich ja erst im Verlauf des Beratungsprozesses ergeben. Außerdem schien ihnen nie sicher, ob dieses Beratungsformat auch auf wirtschaftliche Effizienz abzielte. Und die Protagonisten dieser Bewegung sind heute meistens eher als Coach tätig, weil sie nämlich doch noch eingestehen mussten, dass Organisationen immer nur von den Führungskräften selbst – und zwar von der hierarchischen Spitze aus – zu verändern sind. Coaching unterstützt dann die Führungskräfte für ihre Handlungsstrategien. Und diese Coaches gehen dann davon aus, dass durch Coaching Effektivität und Humanität gleichermaßen zu fördern sind.

(3) Ein anderer Teil der Human Ressources Bewegung mündete – wie etwa Wimmer (1994) propagiert – in die „systemische Prozessberatung“. Hierbei handelt es sich um Interventionsstrategien, durch die ein System in seinem Bestand irritiert werden soll. Grundannahme ist, dass eine Organisation im Verlauf ihrer Entwicklung vielfältige dysfunktionale Muster anlagert, die von den Organisationsmitgliedern aber nicht als solche erkannt und beseitigt werden können. Der Berater hat dann aus exzentrischer Position die Parameter des Systems in Frage zu stellen und dadurch Irritation zu erzeugen. Vertreter der systemischen Prozessberatung verwenden nun einige Mühe darauf, ihre Handlungsstrategien konzise aus Versatzstücken verschiedener Systemtheorien abzuleiten. Soziologen, die mit den Schriften des Systemtheoretikers Niklas Luhmann gut vertraut sind, melden allerdings Skepsis an bei den konzeptionellen Fundierungsversuchen dieses Beratungsformats. Vielfach rekurrieren einschlägige Autoren auch auf familientherapeutische Ansätze der Mailänder Schule von Selvini-Palazzoli et al. (1988), wodurch dann sogar die Analogie zwischen Organisation und Familie bemüht wird. Das ergibt zwar für Familienbetriebe bis zu einem gewissen Grad Sinn, für andere Systemtypen aber nicht.

Letztlich bleiben, wie Kühl (2010) anmerkt, bei jeder Beratung von Organisationen, ganz gleich, mit welchem Ansatz gearbeitet wird, immer etliche „Rationalitätslücken“. Das heißt, jedes System in seinem jeweiligen Umfeld stellt an Berater so vielfältige und unterschiedliche konzeptionelle Anforderungen, die gedanklich kaum vollständig zu fassen sind. Deshalb tut man gut daran, die Beratung unterschiedlicher Anlässe und Systemtypen immer wieder neu zu justieren. Und von solcher vielgestaltigen Beratungsarbeit enthält das vorliegende Heft von OSC einige Kostproben.

Im ersten Fachaufsatz präsentieren Margarete Boos, Christina Grubendorfer und Dorothea Mey von der Universität Göttingen eine neuartige Form der Unternehmensberatung. Dabei geht es um die Entwickelung einer Marketingstrategie für Hochschulen. Diese soll allerdings nicht einer Marktpositionierung nach außen dienen, sondern als interne Strategie der Hochschule, um deren Identität im Innenraum zu schärfen. Dafür skizzieren die Autorinnen zehn Schritte eines Konzepts der Markenpositionierung für Hochschulen.

Sebastian Kunert und Stephan Bedenk von der Berliner Humboldt Universität thematisieren in ihrem Beitrag „die Professionalisierung der Organisationsberatung und die Rolle der Wissenschaft“. Die Autoren beschreiben unterschiedliche Möglichkeiten, d. h. den Wissens- und Methodenkanon der etablierten Wissenschaften, auf den sich potenziell zurückgreifen lässt. Sodann setzen sie sich mit deren Wert für die Organisationsberatung kritisch auseinander.

Mit dem nachfolgenden Beitrag begeben wir uns in einen größeren Rahmen von Organisationsberatung. Dabei geht es nämlich um die Entwicklung ländlicher Kommunen. Nicole Hüttner berichtet von der „Zukunftswerkstatt Lichtenberg“, einer Stadt in Franken, in der sich Bürger im Rahmen von drei Pilotprojekten umfassend für ihre Stadt engagieren.

Im Beitrag von Brigitte Schigl, einer Autorin aus dem Umfeld der Donau-Universität in Krems, geht es um Fehler in der Beratung. Die Autorin fragt: „Wie gefährlich kann Supervision sein? Perspektiven in ein Dunkelfeld“. Dabei geht es nicht nur um die Beratung von Einzelnen oder Gruppen, sondern als „Teamsupervision“ auch um die Beratung von organisatorischen Einheiten. Und dabei lauern, wie die Autorin anhand von qualitativen und quantitativen Daten zeigt, etliche Gefahren für Supervisanden/Klienten.

Philipp Stahl beschreibt in seinem Praxisbericht, dass der wirtschaftliche Druck auf soziale Dienstleistungssysteme heute zunimmt, weshalb auch kleine Einrichtungen immer häufiger Organisationsberatung in Anspruch nehmen. Das ist hier besonders wichtig, weil in diesen Milieus wirtschaftliche Kompetenzen rar sind. Im Praxisbericht von Andreas Schulz wird deutlich, dass es im sozialen Dienstleistungsbereich auch an organisatorischen Kompetenzen mangelt. Wenn es dem Berater einer organisatorischen Einheit gelingt, den Klienten/Supervisanden deutlich zu machen, dass manche ihrer Beunruhigungen durch organisatorische Strukturveränderungen verursacht sind, kehrt oft schon Befriedung ein. Im dritten Praxisbericht zeigt Patrik Kramer, dass sich gesellschaftliche Phänomene auch in der Telefonseelsorge niederschlagen.

In seinem Diskurs mit dem Titel: „Glück in der Arbeit durch eine beglückende Beratung in Muße“ präsentiert uns Ferdinand Buer seine Sichtweise fürs Life-Coaching im Rahmen von vier Neuerscheinungen, die sich mit Glück aus soziologischer, ökonomischer. psychologischer und philosophischer Perspektive befassen. Der Autor meint, Muße sollte in der heutigen Arbeitsgesellschaft eine große Rolle spielen.

In eigener Sache: Herr Prof. Dr. Ferdinand Buer hat sich – aus Altersgründen – aus dem Kreis der Mitherausgeber dieser Zeitschrift verabschiedet. Wir danken ihm für sein Engagement und hoffen, dass er uns gelegentlich als Autor erhalten bleibt.

Wir begrüßen herzlich Herrn Prof. Dr. Siegfried Greif, den wir als neuen Mitherausgeber gewinnen konnten. Wir freuen uns auf eine anregende Zusammenarbeit.