In den letzten Jahrzehnten hat eine Moralisierung des Alltagskonsums stattgefunden. Während sich die Konsumenten in den Nachkriegsjahren zumeist an Preis und Qualität, später in den 1980er- und 1990er-Jahren an Marken und Lebensstilkriterien orientierten, scheinen heute zunehmend ökologische, soziale und politische Charakteristika von Produkten an Bedeutung zu gewinnen (Stolle und Micheletti 2013). In Deutschland haben sich die Pro-Kopf-Ausgaben für fair gehandelte Produkte von 62 Cent im Jahre 2001 auf knapp 5 Euro im Jahr 2010 verachtfacht (Fairtrade International 2011; TransFair 2001). Im gleichen Zeitraum stiegen die Pro-Kopf-Ausgaben für Bio-Produkte von 31 auf 73 Euro, was 2010 einem Marktanteil von knapp 3,5 % aller Ausgaben für Lebensmittel entsprach (Willer und Kilcher 2012).

Obwohl die ethische Dimension des Konsums aktuell an Relevanz gewonnen hat, ist dies kein völlig neues Phänomen. Sowohl die „Buy Empire Goods“-Kampagne britischer Hausfrauen in den 1930er-Jahren zur Unterstützung des Handels mit den ehemaligen Kolonien als auch der Montgomery-Bus-Boykott als ein Auslöser der „Civil Rights Movements“ in den USA belegen die historische Dimension der Moralisierung des Markthandelns. Aber auch der gewöhnliche Konsum ist keineswegs per se amoralisch und kann durch Normen und Werte angeleitet sein. Familienmitglieder berücksichtigen durchaus das Wohlergehen ihrer Angehörigen beim gemeinsamen Lebensmitteleinkauf. Neben diesen Alltagsmoralen des Konsumierens haben aber in den letzten Jahrzehnten die ethischen und politischen Dimensionen des Konsums unbestreitbar an Aufmerksamkeit und dementsprechend ein höheres Gewicht bei den Kaufentscheidungen gewonnen (Barnett et al. 2005).

Über die Zeitdiagnose einer zunehmenden Moralisierung der Märkte hinausgehend verstehen manche Autoren den ethischen Konsum sogar als eine neue Form der politischen Partizipation. Im Unterschied zu klassischen institutionalisierten Formen des politischen Handelns wie der Beteiligung an einer Wahl oder der Mitgliedschaft in einer Partei stelle der ethische oder politische Konsum – ähnlich wie die Teilnahme an Demonstrationen oder die Unterstützung von Petitionen – eine auf einen konkreten Anlass oder ein konkretes Problem bezogene Form politischer Partizipation dar. Gemäß dieser Logik stimmt der Konsumenten-Bürger nicht mehr länger nur mit dem Wahlzettel an der Wahlurne, sondern mit dem Portemonnaie an der Supermarktkasse ab.

So vielseitig das Phänomen ist, so verschieden sind die Definitionen ethischen Konsums. Die Autoren des vorliegenden Themenheftes verstehen darunter übergreifend all jene Kaufentscheidungen von Konsumenten, bei denen die moralischen oder politischen Konsequenzen des Kaufs bestimmter Waren explizit Berücksichtigung finden. Bei den moralischen Konsequenzen geht es meist um das Wohl von Dritten oder der Allgemeinheit, bei den politischen Konsequenzen um bestimmte politische Ziele, die die Konsumenten als erstrebenswert bewerten und unterstützen wollen.

Wie lässt sich erklären, warum Bürger zunehmend Markt und Moral verbinden und ethische oder politische Überzeugungen und Motive in ihr Kaufverhalten einfließen lassen? Im Folgenden skizzieren wir kurz wichtige theoretische Zugänge und empirische Befunde zum Thema „Ethischer Konsum“ und gehen dabei auf bestehende Forschungslücken ein. In diesen Überblick ordnen wir die Beiträge des Schwerpunktes ein und erläutern, was sie zur Schließung dieser Lücken beizutragen vermögen.

Die disziplinär stark zersplitterte Forschung zum ethischen Konsum ist häufig konzeptionell orientiert und eher deskriptiver Natur. Erklärende Beiträge, die über die Feststellung von sozio-demografischen Merkmalen ethischer Konsumenten hinausgehen, finden sich erst in jüngerer Zeit. Die theoretischen Ansätze reichen von Konzepten zum Statuskonsum, zur Identitätsfunktion, zu sozialen Bewegungen über kritische Theorien bis hin zu Rational-Choice-Ansätzen. Andere Konzepte nehmen bestimmte soziale Kontexte oder gesamtgesellschaftliche Prozesse wie z. B. die Globalisierung oder die Modernisierung in den Blick, um die Ausbreitung des ethischen Konsums zu erklären. Das Spektrum der Ansätze lässt sich grob in akteurszentrierte und kontextzentrierte Beiträge unterscheiden.

Eine große Zahl der akteurszentrierten Studien stützt sich auf die aus der Sozialpsychologie stammende Theorie des geplanten Verhaltens. Diese Theorie führt jedes Handeln auf eine Handlungsintention zurück, die wiederum eine Funktion der Einstellung zum Verhalten, der subjektiven Norm und der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle ist. Deirdre Shaw (2005) hat dieses Modell um die Aspekte „ethische Identität“ und „ethische Bedenken“ erweitert, um der moralischen Dimension der Kaufentscheidungen für Fair-Trade-Produkte Rechnung zu tragen. In anderen Studien zeigte sich, dass die wahrgenommenen Schwierigkeiten bei der Beschaffung solcher Produkte z. B. in Form von Verfügbarkeitsbeschränkungen oder hohen Preisen die Absicht zum Kauf von Fair-Trade-Gütern mindern (Becchetti und Rosati 2007). Georg Sunderer und Jörg Rössel (2012) konnten in ihrer Untersuchung die Ergebnisse anderer Studien bestätigen, dass sowohl die wahrgenommenen Restriktionen als auch die moralischen Motive einen Einfluss auf den Fair-Trade-Konsum haben. Darüber hinaus können aber auch von nicht-moralischen Überzeugungen positive Effekte auf ethische Konsumentscheidungen ausgehen. Das gilt z. B. für den Glauben an eine bessere Qualität, einen besseren Geschmack oder die größere Gesundheitsförderlichkeit von Bioprodukten im Vergleich zu herkömmlichen Produkten (Hughner et al. 2007). Zudem gingen entscheidungstheoretische Studien der Frage nach, inwiefern Unsicherheit die Kaufentscheidung beeinflusst. Die Untersuchungsergebnisse deuten auf eine positive Wirkung des Vertrauens in den fairen Handel und des Wissensstandes der Konsumenten hin (Castaldo et al. 2009).

Insgesamt belegen fast alle Studien den relativ konsistenten Einfluss von bestimmten moralischen Orientierungen oder postmaterialistischen Werten auf einen ethischen Konsum sowie die Wichtigkeit bestimmter wahrgenommener oder faktischer Restriktionen (Andorfer und Liebe 2012). Das Zusammenspiel von moralischen Überzeugungen und Restriktionen wird jedoch selten analysiert.

Die kontextzentrierten Ansätze nehmen vor allem die sozialen Zusammenhänge auf der Meso- oder Makroebene in den Blick, in die die Akteure eingebettet sind. In ihrem Buch über politischen Konsum unterscheidet Michele Micheletti (2003) vier makrotheoretische Erklärungen für die Entstehung und die nationalen Unterschiede ethischen Konsums: (1) Veränderungen der Governance-Strukturen, (2) die Post-Modernisierung, (3) die ökologische und (4) die reflexive Modernisierung.

Aus der Sicht des Governance-Ansatzes stellen neue politische Instrumente wie z. B. Öko-Kennzeichnungssysteme Versuche dar, in einer komplexen globalisierten Welt eine neue Steuerungsfähigkeit zu schaffen (Boström und Klintman 2008). Nach dem Konzept der Post-Modernisierung hat der zunehmende wirtschaftliche Wohlstand zu einem gesellschaftlichen Wertewandel vom Materialismus hin zum Postmaterialismus geführt, der auch eine steigende Nachfrage für umweltfreundliche und fair produzierte Waren und Dienstleistungen nach sich zog (Copeland 2014). Das Konzept der ökologischen Modernisierung begreift die Umweltzerstörung als einen immanenten Bestandteil der Modernisierung, die jedoch zur Entstehung einer neuen Umweltpolitik führt, die wirtschaftliche und ökologische Ziele für miteinander vereinbar hält und auf das aufgeklärte Eigeninteresse der Verbraucher und Unternehmen setzt (Mol 2001). Die These Ulrich Becks (1997) von der reflexiven Modernisierung geht wiederum von einer Subpolitisierung auch des privaten Konsums aus. Die Verbraucher reagieren auf die globalisierungsbedingte demokratische Entmachtung, indem sie ihre Kaufkraft zur Artikulation ihrer politischen Interessen verwenden.

Andere Autoren greifen auf Theorien sozialer Bewegungen oder das Konzept der politischen Opportunitätsstrukturen zurück, um die ethische Mobilisierung der Konsumenten zu erklären. So hat Philip Balsiger (2010) am Beispiel der „Clean Clothes Campaign“ in der Schweiz die Bedeutung von Framing-Strategien zur Mobilisierung von Konsumenten aufgezeigt, und Sebastian Koos (2012) konnte die nationalen Unterschiede politischer Konsummuster anhand der in den jeweiligen Ländern existierenden politischen, ökonomischen und kulturellen Opportunitäten erklären.

Es bestehen aber weiterhin empfindliche Forschungslücken. Zum einen mangelt es an Studien zur Erklärung der deutlichen Länderunterschiede beim ethischen Konsum. Diese Leerstelle greifen die Beiträge von Patrick Schenk, Georg Sunderer und Jörg Rössel sowie von Sebastian Koos in diesem Heft auf, indem sie sich die Erklärung der nationalen Unterschiede im Fair-Trade-Konsum zum Ziel setzen. Im Gegensatz zu „large-N“-Studien, in denen viele Länder berücksichtigt werden, fokussiert die Studie von Schenk, Sunderer und Rössel auf einen Vergleich zwischen Deutschland und der Schweiz, wodurch auf sehr detaillierte Informationen zum Fair-Trade-Konsum in beiden Ländern zurückgegriffen werden kann. Zum anderen berücksichtigt die Forschung kaum die Dynamik des ethischen Konsums über längere Zeiträume. Die meisten Studien erfassen die Konsummuster nur zu einem bestimmten Zeitpunkt. Zudem wird durch den dominanten Fokus auf individuelle Akteure oder makrostrukturelle Voraussetzungen die Rolle von NGOs, Unternehmen oder Verbraucherorganisationen ausgeblendet, die ebenfalls einen erheblichen Einfluss auf das Konsumverhalten haben. Sebastian Nessel arbeitet in seinem Beitrag die Rolle der Verbraucherorganisationen und der Verbraucherpolitik bei der Förderung eines nachhaltigen Konsums heraus. Sebastian Koos zeigt in seiner ländervergleichenden Analyse, dass insbesondere die Vermarktlichungsstrategien der Organisationen im Bereich des Fairen Handels zu einer erfolgreichen Verbreitung von fairen Konsumpraktiken geführt haben.

Wie in anderen Themenfeldern der Soziologie auch, gibt es bei der Erforschung des ethischen Konsums die bekannten Vor- und Nachteile der quantitativen und qualitativen empirischen Zugänge. Die Stärke der vornehmlich explorativ angelegten qualitativen Studien liegt einerseits in ihrem Fokus auf neue Aspekte und Erscheinungsformen des Konsums, die von der bisherigen Forschung vernachlässigt wurden, und andererseits in der Rekonstruktion der nuancierten Bedeutungen des ethischen Konsums, die oftmals durch das grobmaschige Netz standardisierter Befragungen fallen. So haben qualitative Studien grundlegende Einsichten in die Wertebasis des Fair-Trade-Konsums (Shaw et al. 2005), die unterschiedlichen Nutzenerlebnisse beim politischen Konsum (Atkinson 2012) oder die Identitätskonstruktion durch ethischen Konsum geliefert (Varul 2009).

Allerdings werfen diese qualitativen Studien aufgrund ihrer begrenzten Fallzahlen Probleme der Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse auf. Doch auch viele standardisierte Erhebungen zum ethischen Konsum beruhen nicht auf repräsentativen Bevölkerungsbefragungen. Seit Ende der 1990er-Jahre liegen jedoch auch erste international angelegte Befragungen vor, die u. a. Informationen über den ethischen Konsum bereitstellen. Diese Daten ermöglichen eine international vergleichende Untersuchung der Verbreitung dieser Konsumpraktiken unter Berücksichtigung von nationalen Kontextfaktoren. Allerdings können die Determinanten des Konsums in der Regel nicht so spezifisch erfasst werden, wie das in thematisch fokussierten, aber häufig auf ein Land begrenzten Studien der Fall ist. Der Beitrag von Schenk, Sunderer und Rössel stellt einen Versuch dar, diese Problematik zu umgehen. Auf der Grundlage eines „most similar design“ werden mithilfe einer Befragung in der Schweiz und in Deutschland sehr detailliert mögliche Prädiktoren des fairen Konsums gemessen. Die zukünftige Forschung sollte sich stärker der Verbindung von Kontextinformationen und detaillierten Individualinformationen widmen.

Natürlich weisen auch Survey-Daten mögliche Verzerrungen durch eine soziale Erwünschtheit des Antwortverhaltens auf. Empirische Studien haben auf die Diskrepanz zwischen dem in Befragungen berichteten ethischen Kaufverhalten und den tatsächlichen Marktanteilen ethischer Produkte hingewiesen (vgl. Devinney et al. 2010). Es ist daher zu prüfen, ob die Qualität der Messung des Konsumverhaltens durch andere Erhebungstechniken wie z. B. Vignettenbefragungen oder Verfahren zur Messung der Zahlungsbereitschaft verbessert werden kann. Eine weitere Möglichkeit bieten nichtreaktive Beobachtungsverfahren im Rahmen von feldexperimentellen Studien, wie sie in dem Beitrag von Ulf Liebe, Veronika A. Andorfer und Heiko Beyer angewandt werden.

Experimentelle Verfahren bieten zudem den Vorteil, dass mit ihrer Hilfe systematisch die kausale Wirkung unterschiedlicher Determinanten überprüft werden kann und sie einen strengeren Test der theoretisch postulierten Kausalmechanismen erlauben. Experimentelle Studien haben z. B. den Einfluss von Preisen (Arnot et al. 2006), Produktinformationen (Stratton und Werner 2013), sozialen Normen (d’Astous und Mathieu 2008), von Statussignalen (Hudson et al. 2013) oder die Bedeutung der Geschmackswahrnehmung von Produkten mit ethischen Qualitätseigenschaften (Lotz et al. 2013) aufgezeigt. Ein Nachteil solcher Experimentalstudien ist es jedoch, dass sie zumeist keine Informationen zu den individuellen handlungsleitenden Überzeugungen der Konsumenten liefern. Durch ihren Fokus auf beobachtetes Verhalten kommen sie zum Teil jedoch zu wirklichkeitsnäheren Einsichten als surveybasierte Studien. Der Beitrag von Liebe, Andorfer und Beyer versucht, durch eine systematische Triangulation von feldexperimentellen und interviewbasierten Daten validere Erkenntnisse über das Entscheidungsverhalten der Konsumenten zu gewinnen.

Ein lohnendes Untersuchungsfeld für die weitere Forschung sind zudem die innergesellschaftlichen Debatten um ethische und unethische Konsumpraktiken, um die Folgen dieser Praktiken für die Umwelt, für die Gesellschaft und für die Konsumenten selbst sowie um die globalen Wertschöpfungs- und Müllketten, in denen die Konsumprodukte hervorgebracht und die Abfallberge entsorgt werden. Der den Schwerpunkt beschließende Beitrag von Jörn Lamla und Stefan Laser greift diese Aspekte auf, indem er den Auseinandersetzungen um nachhaltige Konsummuster am Beispiel des politischen Umgangs mit den global produzierten Unmengen an Elektroschrott in Indien nachgeht. Die Frage nach einer ethisch angemessenen, sozial gerechten und ökologisch tragfähigen Konsumweise ist längst zu einer politisch brisanten globalen Frage geworden, um die in vielen Handlungsarenen heftig gestritten wird (Bartley et al. 2015).

Im offenen Teil des Heftes präsentieren wir einen Debattenbeitrag von Martin Höpner und Alexander Spielau zum Euro. Der Euro ist in der Krise, oder er führt seine Mitgliedsländer in die Krise. Was als finales Integrationsmedium intendiert war, hat sich längst zu einem regelrechten Spaltpilz entwickelt. Deutschland müsste aufwerten können, während es für die Wirtschaft der Südländer besser wäre abzuwerten, um ihre Ökonomien in Gang zu bringen. Genau das ist mit einer einheitlichen Geldpolitik für den gesamten Euroraum nicht mehr möglich. Was tun? Es könnte sich lohnen, einen Blick zurückzuwerfen auf die Zeit vor dem Euro. Höpner und Spielau tun in ihrem Beitrag genau das und analysieren das Europäische Wirtschaftssystem zwischen 1979 und 1998. Anhand der Geschichte dieses Währungssystems mit 62 Wechselkursanpassungen zu 17 Zeitpunkten demonstrieren sie die Flexibilität und geschmeidige Anpassungsfähigkeit der „Währungsschlange“, wie sie seinerzeit genannt wurde. Tatsächlich konnte man rasch auf Ungleichgewichte reagieren, noch bevor sie wirtschaftliche Schäden angerichtet hatten. Also zurück zur „Währungsschlange“ in einem EWS-II-System? So weit wollen die Autoren nicht unbedingt gehen, denn sie weisen auch auf die enorme politische Energie hin, die diese Anpassungsprozesse erfordert haben. Dennoch zeigt ihr Beitrag auf, dass sich der historische Rückblick lohnt, denn er könnte der Politik flexiblere Interventionsinstrumente an die Hand geben, als es die sture Einheitslösung für den gesamten Euroraum gegenwärtig erlaubt.