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Ties, stories and events. Plädoyer für eine prozessuale Netzwerktheorie

Ties, stories and events. Arguments for a process-related network theory

Ties, stories and events. Plaidoyer pour une théorie processuelle des réseaux

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Zusammenfassung

Netzwerke und Prozesse – diese beiden soziologischen Konzepte wie die ihnen zugeordneten Theorien stehen in einem enormen Spannungsverhältnis. Werden Netzwerke meist als synchrone Relationen von „ties“ konzipiert, so Prozesse als diachrone Phänomene, die in der Form von „stories“ repräsentiert werden. In jüngerer Zeit haben sich aus den Reihen der Netzwerktheorie bzw. der relationalen Soziologie jedoch Versuche ergeben, „ties“ und „stories“ miteinander zu verbinden. Diesbezüglich sind insbesondere die Konzeptionen von Harrison C. White und von Charles Tilly zu nennen. Der Aufsatz analysiert diese beiden Ansätze und diagnostiziert vor allem in Gestalt einer fehlenden zeittheoretischen Fundierung der beiden Konzeptionen eine ihnen gemeinsame Problemstelle.

Abstract

Networks and processes—two sociological concepts that stand in a relationship of tension to each other. While networks are mostly conceived as synchronic relations between “ties”, processes—as diachronic phenomena—are represented in the form of “stories”. More recently, attempts have been made from within the ranks of network theory or relational sociology to combine these “ties” and “stories”. In this respect, the conceptions of Harrison C. White and Charles Tilly need to be mentioned in particular. The present paper offers an analysis of both approaches and points out that their missing time-theoretical foundation is a problematic issue concerning both conceptions.

Résumé

Réseaux et processus – ces deux concepts sociologiques ainsi que les théories qui s’y rapportent sont diamétralement opposés. Tandis que les réseaux sont généralement conçus comme des relations synchrones se présentant sous forme de „liens“ (ties), les processus sont conçus comme des phénomènes diachroniques représentés sous forme d’«histoires» (stories). Récemment, cependant, diverses tentatives ont été entreprises dans les rangs de la théorie des réseaux et notamment de la sociologie relationnelle de combiner «liens» et «histoires». Il convient à ce titre de citer les théories de Harrison C. White et de Charles Tilly. Cet article analyse ces deux approches et identifie une difficulté commune à ces deux théories, à savoir l’absence d’ancrage dans une théorie du temps.

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Notes

  1. Der Ausdruck „stories“ wird im Werk von White in einer sehr breiten Weise verwendet. Er bezieht sich nicht nur auf Erzählungen oder Narrationen im genuinen Sinn, sondern auf alle Aussagen, die einen temporalen Skopus haben. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, ihn unübersetzt zu lassen.

  2. Diese Aussage bezieht sich wohlgemerkt auf die Deskription, nicht auf die Explanation sozialer Relationen. Hier ist man sich unter ihren Vertretern unsicher, ob die Netzwerktheorie mit dem explanativen Potenzial von methodologisch-individualistischen, -kollektivistischen oder -relationistischen Ansätzen zu verbinden ist (vgl. hierzu Schützeichel 2012).

  3. Sophie Mützel und Jan Fuhse (2010, S. 10) sprechen sich für eine verstärkte Orientierung der Netzwerkforschung an der Makroebene aus. Dem ist nur zuzustimmen. Was sind Funktionssysteme anderes als „gleichsinnig“ (Max Weber), also mit einem hochgeneralisierten, aber ebenfalls hochspezifischen binären Code operierende Netzwerke?

  4. Selbst die wichtigen jüngeren Untersuchungen im Rahmen der Soziologie der Zeit schmälern ihre diagnostische Kraft dadurch, dass sie grundsätzliche Überlegungen hinsichtlich der Temporalität der sozialen Phänoneme, denen sie beispielsweise „Beschleunigung“ (Rosa 2005) unterstellen, vermeiden und Zeit als eine reine Strukturkategorie auffassen. Das heißt, sie beschreiben zwar in einer empirisch dichten Weise die Veränderungen von Zeitstrukturen in Moderne und Postmoderne, aber sie halten das zentrale Problem, was denn eigentlich soziale Zeit ist und wie und mit welchen temporalen Entitäten sich soziale Zeit bilden kann, für eine im Rahmen der derzeitigen soziologischen Theorie nicht beantwortbare und von daher derzeit auch nicht zu thematisierende Frage (vgl. ebd., S. 23).

  5. „To be is to be the value of a variable.“ (Quine 1948) Dies ist das zentrale Axiom dieser Theorie. Sie formuliert damit eine andere Position gegenüber ontologischen Annahmen als diejenigen, die in der deutschsprachigen Soziologie vorherrschend sind. Hier werden ontologische Diskussionen mit dem Verweis auf deren vermeintlich erkenntnisunkritische Haltung und deren metaphysische, vorwissenschaftliche Annahmen für obsolet erklärt. Typisch ist die Position von Luhmann, der sich an der ursprünglich von Schnädelbach (1991) stammenden und an Comte erinnernden Formulierung der drei Stadien von Ontologie, Bewusstseinsphilosophie und Sprachphilosophie als den zentralen methodologischen Paradigmen orientiert. Die Auffassung von Quine steht quer dazu – er setzt Theorie voraus und fragt nach den ontologischen Annahmen, die in Theorien vorausgesetzt werden.

  6. Die Diskussionen zwischen „endurantism“ und „perdurantism“ und verschiedenen Mischformen beziehen sich auf das Problem der Persistenz und Identität von Dingen über die Zeit. Endurantisten behaupten, dass Dinge keine zeitlichen Teile aufweisen, sondern sich in der Zeit als solche erhalten, während Perdurantisten davon ausgehen, dass Dinge zeitliche Teile aufweisen. Vgl. zu dieser Unterscheidung insbesondere Hawley 2001.

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Schützeichel, R. Ties, stories and events. Plädoyer für eine prozessuale Netzwerktheorie. Berlin J Soziol 22, 341–357 (2012). https://doi.org/10.1007/s11609-012-0191-2

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