Fragestellungen am Lebensende sind komplex und reichen über den medizinischen Kontext hinaus. Dieses Themenheft der wiener medizinischen wochenschrift verweist auf die aktuellen Themen eines Österreichischen Diskurses zu Fragen am Lebensende innerhalb der bestehenden strukturellen Bedingungen des Gesundheitssystems.

Weber et al. [1] beziehen sich in ihrem Artikel zu schwierigen Entscheidungen in der Herzchirurgie unter Hochrisikobedingungen. In einem Prozess des shared-decision-making angesichts einer Grenzsituation der Machbarkeit und Nützlichkeit ziehen sie erstmals das von Strasser [2] für die Onkologie entwickelte 7-p-Modell zur Bewertung von invasiven medizinischen Maßnahmen für eine konkrete kardiochirurgische Fragestellung heran. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Entscheidungen am Lebensende außerhalb der Onkologie komplexer sind, da auch die Bedürfnisse der betroffenen PatientInnen und die Güterabwägung im Rahmen der Indikationsstellung heterogener sind. Hier berühren die Autoren die brennenden Bedingungen, die bei vielen Menschen zur Übertherapie am Lebensende führen. Die bestehende Rechtskultur Österreichs hat eine bahnende bzw. begünstigende Wirkung hinsichtlich Übertherapie am Lebensende.

Riedl et al. [3] stellen mit ihrem Fallbericht dar, dass eine Schmerztherapie aufgrund der aktuellen strukturellen Bedingungen Österreichs unwirksam sein kann. Komplex erkrankte Patienten werden von mehreren ÄrztInnen und an mehreren Institutionen behandelt. Die Autoren zeigen, dass das Fehlen einer für alle TherapeutInnen zugänglichen Dokumentationsplattform zu patientenseitigen Schäden führen kann. Sie verweisen auf funktionierende elektronische Datenerfassungssysteme anderer Gesundheitssysteme mit den Vorteilen von Transparenz und Nachvollziehbarkeit für alle Beteiligten. Mit diesem Artikel liegt erstmals ein nationaler Beleg vor, der die Gefährdung der Patientensicherheit aufgrund der bestehenden Strukturen dokumentiert.

Porstner et al. [4] sind nach bestem Wissen die ersten Autorinnen, welche die Inanspruchnahme von hospizlich-palliativen Strukturen durch eine Patientin mit einer artifiziellen Störung und Borderlinestörung – ohne vorliegende lebenszeitverkürzende Erkrankung – belegen. Damit adressieren sie ein Thema zur Fehlversorgung, welche mit den in Österreich neuen Versorgungsangeboten von Hospizen und Palliativstationen möglich geworden ist. PatientInnen mit artifiziellen Störungen und anderen psychischen Erkrankungen finden mit den neuen Angeboten eine besondere Resonanz auf ihre speziellen Bedürfnisse, schließen die Autorinnen. Damit wird auf die besondere Verantwortung auf Leitungsebene verweisen, dass die palliativ-hospizlichen Versorgungsangebote entsprechend ihres Versorgungsauftrages zu verwenden sind. Maßnahmen, die den Zugang entsprechend der Indikation, Prognose und Bedürftigkeit überprüfen sollen, werden bereits etabliert.

Gärtner et al. [5] beziehen sich auf das eminent wichtige Thema der Suizidalität am Lebensende und Faktoren, welche hinter diesem Phänomen stehen. Anhand eines konkreten und dramatischen Fallberichts weisen sie auf die typischen Grundbedingungen der Suizidalität unter lebensbedrohenden Erkrankungen hin: Verlust von Autonomie, Angst vor Würdeverlust, die Gefühle von Abhängigkeit und Hilflosigkeit. Sie sprechen Zentralthemen der Palliativmedizin an, durch die auch erkennbar wird, dass die Versorgung von Sterbenden über den Auftrag der Medizin hinausgeht und andere Berufsgruppen – auch im ambulanten Bereich unter Wohnortbedingungen braucht. Typische Grundbedingungen Österreichsicher Versorgungsmodalitäten werden adressiert, die letztlich dazu beitragen, dass am Lebensende häufig stationäre Einweisungen erfolgen.

Schur et al. [6] betrachten das psychoexistenzielle Leiden am Lebensende und die notwendigen Rechtfertigungsgründe für eine kontroversiell diskutierte medizinische Therapie, die Palliative Sedierungstherapie. Auch in diesem Fallbericht wird die Komplexität eines Betreuungssettings unter Extrembedingungen erörtert, das andere ExpertInnen als MedizinerInnen erfordert. Die AutorInnen verweisen auf die Notwendigkeit von Leitlinien zur Anwendung einer Therapieoption, deren Grenzen zu ärztlich assistiertem Töten verschwimmen können, wenn nicht der Prozess zur Entscheidung und die Indikationsstellung sorgfältig getroffen und nachvollziehbar dokumentiert sind.

Mit den vorliegenden Arbeiten werden die aktuellen palliativmedizinische Problemstellungen Österreichs illustriert, einem Land, dass sich 2002 im parlamentarischen Allparteienentscheid zu einer flächen- und bedarfsdeckenden Versorgung mit hospizlich-palliativen Strukturen entschlossen hat und das 2014 in der parlamentarischen Enquete „Würde am Ende des Lebens“ dem ärztlich assistierten Suizid eine Absage erteilt hat. In einem 51-Punkte-Programm wurde am 23. Juni 2014 der Ausbau der notwendigen Strukturen beschlossen [7].

Davon ist bis heute – eineinhalb Jahre später – nicht ein Punkt umgesetzt.

Dietmar Weixler

FormalPara Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.