Als Mitherausgeber der Zeitschrift für Epileptologie werde ich immer wieder einmal mit Texten konfrontiert, die dem üblichen Format nicht entsprechen und die daher kaum oder nicht dem Profil einer strikt naturwissenschaftlichen Fachzeitschrift entsprechen. Es fällt immer schwer, diesen stets sehr ambitionierten Beiträgen die Publikation in der Zeitschrift für Epileptologie zu verweigern. Gerade die entsprechend abgelehnten Autoren wird vermutlich verärgern, dass ich mich entschieden habe, den nachfolgenden Beitrag von Rüdiger Lorenz zur Veröffentlichung anzunehmen, obwohl er gewiss nicht die formalen Anforderungen erfüllt, die den Informationen für Autoren entnommen werden können.

Der Beitrag durchlief auch kein Gutachterverfahren im üblichen Sinne. In diesem Einzelfall habe ich als Herausgeber entschieden, die Veröffentlichung zu befürworten, nachdem ich mich über Monate in einem intensiven Austausch mit Herrn Lorenz hinsichtlich seines Publikationsplans befunden hatte. Dies waren meine Gründe:

  1. 1.

    Dr. Lorenz ist ein außerordentlich verdienter neuropädiatrischer Kollege, der diese Arbeit nach Antritt des Ruhestands als ein Vermächtnis ansieht. Tatsächlich mischt sich in seinem Beitrag viel Weisheit, Erfahrung, Empathie mit einer anspruchsvollen Diktion, die über naturwissenschaftlichen Hintergrund hinaus bemerkenswerte philosophische, ästhetische und kunsthistorische Gedanken entfaltet. Die Publikation ist eine Verneigung des Herausgebers vor einem epileptologischen Lebenswerk, aber auch vor enormer Empathie und Anteilnahme an Menschen, die an einer Epilepsie erkrankt sind.

  2. 2.

    Das Einzwängen dieses Textes in die üblichen formalen Strukturen hätte seine Originalität zerstört. Gerade die biografischen Zitate und Passagen, die Querverweise und die vorsichtige, nachdenkliche, manchmal fast übertrieben zweifelnde Diktion machen ihn aus.

  3. 3.

    Wir stehen unmittelbar vor einer neuen Anfallsklassifikation. So notwendig eine praktikable Klassifikation auch ist, ihre Vereinfachung der Phänomenologie von Anfällen schmerzt dennoch, weil so viele faszinierende Facetten der iktualen Symptomatik verloren gehen. Ihnen widmet sich Lorenz intensiv und manchmal schwer verständlich, aber immer mit großem Wissen und enormer sprachlicher Kompetenz. Ich gebe zu, dass mich alleine die Notwendigkeit überzeugte, den Begriff und das Wesen der Aura zu bearbeiten, und das in einer Zeit, in der eine internationale Klassifikation ohne diesen Begriff auskommen will und die faszinierende Vielfalt der Anfälle mit verändertem Bewusstsein nur noch mit der Vokabel „awareness“ adressiert.