Fallpräsentation

Anfang Januar wurde eine 63-jährige Patientin am frühen Vormittag durch den Hausarzt wegen Verdachts auf ein Schädel-Hirn-Trauma nach Synkope in eine chirurgische Notaufnahme eingewiesen. Die Patientin verspürte seit zwei Tagen Gliederschmerzen und Übelkeit. Am Tag der Aufnahme hatte sie sich, um Erbrechen auszulösen, den Finger in den Rachen gesteckt, wurde kurzzeitig bewusstlos und stürzte auf den Kopf und die rechte Schulter. Zum Aufnahmezeitpunkt war die Patientin bezüglich Ort, Zeit und Person orientiert (Glasgow Coma Scale 15), die erhobenen Vitalparameter zeigten sich unauffällig (Herzfrequenz 88/min; Blutdruck 145/75 mmHg, O2-Sättigung 100% bei Raumluft). Vorerkrankungen und die regelmäßige Einnahme von Medikamenten wurden verneint. Am Vortag hatte sie wegen Kopfschmerzen einmalig Aspirin ohne Besserung der Beschwerdesymptomatik eingenommen. Im Aufnahmebefund wurde ein kleinfleckiges, nicht juckendes Exanthem am Rumpf dokumentiert, dessen Auftreten nicht konkretisiert werden konnte. Die weiteren körperlichen und neurologischen Untersuchungen waren unauffällig.

In der Blutuntersuchung ergaben sich Normalwerte für Hämoglobin, Elektrolyte und Nierenretentionsparameter. Auffällig waren eine Leukozytose (14.100/µl) und erhöhte Entzündungsparameter (CRP 7,8 mg/dl). Die Körpertemperatur wurde nicht erfasst. Im 12-Kanal-EKG zeigten sich Sinusrhythmus und terminal negative T-Wellen in den Ableitungen I, aVL und V1 bis V4. In der radiologischen Diagnostik ergab sich kein Hinweis für eine intrakranielle Blutung bzw. eine Fraktur im Schulterbereich. Die Patientin wurde nach der ambulanten Abklärung mit den Arbeitsdiagnosen situative (vasovagale) Synkope bei Würgen sowie Schädelprellung, Prellung der rechten Schulter und Distorsion der Halswirbelsäule in die weitere Betreuung des Hausarztes entlassen.

Sie stellte sich in den Folgetagen wegen einer weiteren Verschlechterung ihres Zustands beim Hausarzt vor und wurde deshalb 3 Tage später in ein Krankenhaus der Regelversorgung zur weiteren Diagnostik und Therapie eingewiesen. Von dort wurde sie mit der Diagnose einer schweren Sepsis auf die internistische Intensivstation einer Klinik mit höherer Versorgungsstufe verlegt. Trotz leitliniengerechter Therapie einschließlich einer empirisch kalkulierten Antibiotikatherapie, welche die Differenzialdiagnose der später nachgewiesenen Streptokokkeninfektion Gruppe A einbezog, verstarb die Patientin innerhalb von 24 h auf Intensivstation an einem streptokokkeninduzierten toxischen Schocksyndrom (Abb. 1). In der Nachanamnese ergab sich, dass die Patientin ihren Silvesterurlaub mit ihren Enkelkindern verbracht hatte, die an einer Streptokokken-Angina erkrankt waren.

Abb. 1
figure 1

Hauteffloreszenzen einer 63-jährigen Intensivpatientin mit schwerer Sepsis aufgrund einer Gruppe-A-Streptokokken-Infektion. Vier Tage zuvor hatte sie sich in einer Notaufnahme zur Versorgung einer Kopfplatzwunde nach situativer Synkope vorgestellt. Trotz leitliniengerechter Therapie verstarb sie innerhalb von 24 h an einem Toxic-Shock-Syndrom

Die Notaufnahme als Portal des Krankenhauses

Die seit nunmehr drei Jahrzehnten anhaltende Kostendämpfungspolitik im deutschen Gesundheitswesen bestimmt auch maßgeblich den Alltag im Krankenhaus. Die Indikationen zur stationären Aufnahme der Patienten werden regelmäßig durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen überprüft und stellen somit die Grundvoraussetzung für eine Vergütung der Krankenhausleistungen dar. Unter diesem ökonomischen Druck nehmen Notaufnahmen als Portal von Kliniken eine strategisch zentrale Position ein, da dort die Entscheidung getroffen wird, ob ein Notfallpatient stationär aufgenommen wird oder nach kurzer Evaluation und Risikobeurteilung eine ambulante Weiterversorgung möglich ist. Notaufnahmen nehmen damit eine wichtige Stellung als Visitenkarte einer Klinik ein. Der hier geschilderte Fall einer korrekt benannten vasovagalen Synkope, welche als benigne Form der Synkope gesehen wird [15], beleuchtet eindrücklich die Bedeutung dieser verantwortungsvollen Weichenstellung für das weitere Schicksal der betroffenen Patientin.

Notaufnahmen nehmen in der Klinik eine strategisch zentrale Position ein

In den seit Langem etablierten Emergency Departments der angelsächsischen Länder gilt die Vermeidung der fehlerhaften Entlassung eines Patienten als ein wichtiges Qualitätsmerkmal einer Notaufnahme. Dieses ist als erneute Vorstellung wegen gleicher Symptomatik bzw. der unerwartete Todesfall innerhalb von 7 bis 30 Tagen nach Erstvorstellung in der Notaufnahme definiert [18].

Für klinische Notfallmediziner ist es deshalb wichtig, die zugrundeliegenden Muster von Fehlern in der Notfallmedizin zu kennen.

Nur so können Arbeitsprozesse und -inhalte am Arbeitsplatz Notaufnahme so gestaltet werden, dass die im Fallbeispiel genannten Situationen korrekt erkannt, die indizierte Standarddiagnostik durchgeführt und damit Fehleinschätzungen vermieden werden. An dem für die tägliche Arbeit in der Notaufnahme klinisch relevanten Leitsymptom Synkope mit seinem meist benignen Verlauf und der häufigen Unklarheit von relevanter Diagnostik und Therapie soll der für die klinische Notfallmedizin wichtige Aspekt der „medical errors“ in der Notaufnahme dargestellt und diskutiert werden.

„Medical errors“ in der Notaufnahme existieren!

Bezogen auf medizinisch-fachliche Schwächen und Fehler stellt die Notaufnahme einen äußerst sensiblen Bereich im Krankenhaus dar. Im folgenden Abschnitt wird eine Übersicht über die Häufigkeit von „medical errors“ (medizinische Fehler) in Notaufnahmen gegeben und die klinische Bedeutung von unerwünschten Ereignissen bei Notfallpatienten einschließlich möglicher Fehlerursachen diskutiert.

Eine Analyse von Fan et al. zeigt, dass das Risiko, nach Entlassung aus der Notaufnahme innerhalb von 3 Tagen wegen medizinischer Fehler auf eine Intensivstation aufgenommen zu werden, bei etwa 0,02% liegt [4]. Das bei Vorliegen medizinischer Fehler in der Notaufnahme um das 3,9-fach erhöhte Risiko, auf Intensivstation zu versterben, ergibt in Notaufnahmen mit 20.000–90.000 Patientenkontakten pro Jahr immerhin 4–18 vermeidbare Intensivbehandlungen und Todesfälle [4]. Eine weitere Studie untersuchte die Prävalenz des harten Endpunkts „Tod innerhalb von 7 Tagen“ nach Entlassung aus der Notaufnahme und kommt auf eine Ereignisrate von etwa 10 Todesfällen pro 100.000 Patienten [25]. Im untersuchten Kollektiv waren 60% aller unerwarteten Todesfälle, die im Zusammenhang mit der Behandlung in der Notaufnahme standen, zumindest möglicherweise auf medizinische Fehler zurückzuführen [25]. Sklar et al. analysierten typische Muster dieser Fehler mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit des Notaufnahmearztes auf diese Ursachen zu lenken: So werden auffällige Vitalzeichen und Laborwerte sehr häufig dokumentiert, aber entweder nicht medizinisch erklärt oder aus dieser Konstellation keine relevanten Folgerungen abgeleitet [25]. Diese Tatsache wird von einer weiteren Studie von Schiff et al. bestätigt, nach welcher fehlerhafte Interpretationen häufig im Umfeld von diagnostischen Tests auftreten [23]. Weiterhin trägt die akute Verschlechterung von bekannten chronischen Erkrankungen oder die atypische Präsentation einer seltenen Erkrankung zu einer Erhöhung der Fehlerinzidenz und der unerwünschten Ereignisse bei. Auch vorliegende psychiatrische Erkrankungen oder Verständigungsprobleme der Notfallpatienten begünstigen das Auftreten medizinischer Fehler ([25]; Tab. 1).

Tab. 1 Häufige Ursachen von Fehlern in der Notaufnahme: 4 Muster, die mit einer erhöhten Inzidenz medizinischer Fehler und dem ungünstigen Outcome „Tod nach Entlassung aus der Notaufnahme innerhalb von 7 Tagen“ einhergehen. (Mod. nach [25])

Kommunikationsschwierigkeiten betreffen besonders die Erhebung der Anamnese und Durchführung der körperlichen Untersuchung mit der Folge einer erhöhten Fehlerrate [23]. Durch Standardisierungen bei diagnostischen Handlungsabläufen kann diese gesenkt werden. Mit einer strukturierten, vollständigen Anamnese und körperlichen Untersuchung kann aber nicht nur die Qualität der Diagnose verbessert werden, sondern es können auch Ressourcen eingespart werden [26], da die apparative Diagnostik zielgerichteter erfolgen kann bzw. unnötige Untersuchungen vermieden werden.

Eine vollständige Anamnese verbessert die Qualität der Diagnose

In unserem Fallbeispiel traten die von Sklar et al. [25] identifizierten Muster auf. Die Patientin wurde mit pathologisch veränderten Entzündungswerten und auffälligem EKG ohne Verlaufskontrolle bzw. weitere Diagnostik aus der Notaufnahme entlassen. Pathologische Laborwerte wurden keiner weiteren Bewertung unterzogen. Wahrscheinlich spielte auch die atypische Präsentation eines in diesem Alter seltenen Krankheitsverlaufs (Gruppe-A-Streptokokken-Infektion) bei der fehlerhaften Entlassung der Patientin eine Rolle. Die im Fallbeispiel vorliegende Infektion hätte bereits zum Zeitpunkt der Erstvorstellung in der Notfallaufnahme erkannt werden können. Sowohl Anamnese als auch körperliche Untersuchung waren lückenhaft dokumentiert. Diese sind damit vermutlich nicht vollständig durchgeführt worden (keine dokumentierte Temperaturmessung und keine Information über die Erkrankung der Angehörigen). Zusammenfassend wurde möglicherweise im konkreten Fall durch einen symptom- und fachlimitierten Tunnelblick die Komplexität dieses scheinbar banalen Falls verkannt. Neben den genannten latenten Fehlern unterstreicht dieser Fall die Notwendigkeit einer breiten, interdisziplinären Notfallkompetenz auf Seiten der Behandelnden. Hier könnten spezifische Weiterbildungscurricula für die Notaufnahme nach internationalem Vorbild hilfreich sein.

Bei Symptomen wie der Synkope (s. Fallbeispiel) mit begleitendem Sturz auf den Kopf wird häufig eine Computertomographie (CT) des Schädels durchgeführt. Dies bindet personelle und ökonomische Ressourcen und scheint im Einzelfall durch Verwendung von evidenzbasierten Algorithmen durchaus vermeidbar [14]. Die diagnostische Aussagekraft eines Schädel-CT bei banalem Sturz auf den Kopf im Rahmen einer Synkope ist gering [8]. Wird hingegen eine vollständige und gründliche Anamnese durchgeführt, so können mit hoher Treffsicherheit vasovagale Synkopen oder Synkopen benigner Ätiologie identifiziert [24] und durch Nutzung von Entscheidungsalgorithmen bei „minor head injury“ unnötige Großgeräteuntersuchungen vermieden werden [14]. Dies entbindet den Mediziner selbstverständlich nicht von der Pflicht, bei neurologischen Symptomen oder einem Verdacht auf z. B. eine kranielle Blutung die entsprechend indizierte bildgebende Diagnostik durchzuführen. Neben der Kostenersparnis wird die nicht zu vernachlässigende Strahlenbelastung reduziert.

Wie unser Fallbeispiel zeigen auch die genannten Studien, dass medizinische Fehler sowohl aus organisatorischen als auch aus individuellen menschlichen Schwächen im Alltag der Notaufnahme vorkommen. Die Fehler treten aber häufig nicht, wie man vermuten könnte, bei der Anwendung oder Unterlassung moderner technischer Untersuchungsmethoden (High-Tech-Medizin), sondern bei grundlegenden ärztlichen Tätigkeiten wie der Erhebung von Anamnese und körperlicher Untersuchung auf.

Die „basic skills“ der ärztlichen Diagnostik werden häufig zu Gunsten von teuren, oftmals nicht indizierten und präventiv durchgeführten Funktionsuntersuchungen vernachlässigt.

Um die Behandlungsqualität bei Notfallpatienten zu verbessern, sollte daher ein höherer Stellenwert auf grundlegende ärztliche Fähigkeiten, wie die Erhebung der Krankengeschichte und die körperliche Untersuchung, gelegt werden.

Fehler in Medizin und klinischer Notfallmedizin

In den USA hat sich die breite Öffentlichkeit mit dem Thema „medizinische Fehler“ auseinandergesetzt, nachdem 1999 das Buch „To err is human“ erschienen war. Basierend auf Daten von 1997 wurde errechnet, dass in den USA jährlich zwischen 44.000 und 98.000 Menschen aufgrund medizinischer Fehler in Krankenhäusern sterben. Damit lag der Tod durch Behandlungsfehler in den USA auf Rang 8 der Todesursachen [11]. Für Deutschland liegen zwar keine vergleichbaren Daten vor, aber bei 17 Mio. stationären Behandlungen wäre statistisch mit etwa 170.000 Behandlungsfehlern zu rechnen. Es wird geschätzt, dass jährlich etwa 15.000 Menschen in Deutschland direkt oder indirekt aufgrund von vermeidbaren unerwünschten Ereignissen sterben [22]. Aus diesen Gründen erscheint es legitim, das Thema „klinisches Risikomanagement“ am Beispiel von US-amerikanischen Hypothesen und Entwicklungen zu beleuchten und Rückschlüsse auf die deutsche Situation zu ziehen. Die Agency for Healthcare Research and Quality hat den Begriff des medizinischen Fehlers prägnant und eindeutig definiert [17]:

„Medical errors happen when something that was planned as a part of medical care doesn’t work out, or when the wrong plan was used in the first place“

Nach dieser Definition ist ein medizinischer Fehler als ein Ereignis definiert, das aus falscher Durchführung eines richtigen Planes oder der Durchführung eines falschen Plans resultiert. Dieser Begriff muss von unerwünschten Ereignissen im medizinischen Sinne getrennt werden, bei denen immer ein Schaden am Patienten impliziert ist [29]. Fehler können zwar einen Schaden verursachen, sie können aber ebenso gut folgenlos für den Patienten bleiben [29]. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat in seinem Gutachten „Kooperation und Verantwortung – Voraussetzungen einer zielorientierten Gesundheitsversorgung“ im Jahr 2007 eine „epidemiologisch-orientierte Nomenklatur“ vorgestellt, die den Weg vom Behandlungsergebnis zum Behandlungsfehler illustriert und somit den Zusammenhang der Begriffe näher definiert ([22]; Abb. 2).

Fehler sollten nicht als solitäre Ereignisse in der Verantwortlichkeit von einzelnen Personen gesehen werden, sondern als das Ende einer Ereigniskette [20].

Abb. 2
figure 2

Systematische Klassifikation von Behandlungsfehlern und unerwünschten Ereignissen auf der Grundlage der „epidemiologisch orientierten Nomenklatur“ des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen dar. (Mod. nach [22])

Insbesondere bei schweren unerwünschten Ereignissen („critical incidents“) ist meist eine Kombination von akkumulierten latenten und aktiven Fehlern wirksam [20]. Latente Fehler häufen sich in komplexen Systemen wie Notaufnahmen mit vielen unvorhersehbaren und vorhersehbaren Interaktionen und führen dort häufig zu unerwünschten Ereignissen [16]. Isolierte latente Fehler führen meist alleine nicht zu einem unerwünschten Ereignis, sondern sie ebnen diesem den Weg. Daher werden sie auch als stumpfes Ende der Fehlerkette bezeichnet. Sie richten keinen direkten Schaden an, tragen aber trotzdem wesentlich zu Katastrophen (Schäden) bei [20]. Oft beschreiben sie Systemmängel wie z. B. Konstruktionsfehler, schlechte Einrichtung (von Systemen), organisatorische Mängel und Schwächen in der Personalausstattung einer Abteilung oder an Schnittstellen. In der Medizin ist die gleichzeitige oder sukzessive Zusammenarbeit verschiedener Gesundheitsberufe am Patienten eine häufige Fehlerquelle, weil interdisziplinäre Arbeitsanweisungen oder Übergabeprotokolle fehlen. Ein Beispiel aus der Notfallmedizin ist der Verlust von relevanten medizinischen Informationen [3] bei der Übergabe vom Notarzt an das klinische Notfallteam. Eine Arbeitsgruppe in Großbritannien identifizierte unter Einbeziehung des Eindhoven Classification Model organisatorische Ursachen (beispielsweise Schwierigkeiten bei der Verlegung von Notfallpatienten in stationäre Betten) und fehlerhafte Steuerung durch das Management (beispielsweise mangelnde Personalausstattung und -steuerung) als die häufigsten Gründe für unerwünschte Ereignisse [30]. Alle organisatorischen Ursachen sind im Hinblick auf die Fehlertheorie nach Reason als latente Fehler einzustufen [1].

Aktive Fehler sind letzte, auslösende Handlungen, welche unmittelbar zu einem kritischen (unerwünschten) Ereignis führen. In der Regel treten diese Fehler im direkten Patientenkontakt auf und stellen daher das spitze Ende der Ereigniskette dar. Diese Fehler lösen zwar einen Schaden aus, sind hierfür jedoch nicht solitär ursächlich [20]. Ein Beispiel hierfür ist die Injektion einer falschen Substanz aufgrund unklarer Beschriftung der Ampulle. Hier ist die auslösende Handlung zwar die Injektion selbst, allerdings hat die Tatsache, dass mehrere Ampullen ähnlich beschriftet sind, maßgeblich zur Entstehung des Schadens beigetragen. Aus juristischer Sicht handelt es sich hierbei um einen Behandlungsfehler. Trotzdem sollte bei der Aufarbeitung keinesfalls nur der aktive Fehler betrachtet werden, da er nur eine Komponente der Ereigniskette darstellt.

Fehler und deren Entstehung werden häufig modellhaft mit dem Eisbergmodell bzw. der Fehlerkette nach James Reason analysiert. Zur quantitativen Auswertung von Fehlern ist das Eisbergmodell gut geeignet [27]: Nur ein kleiner Teil der negativen Ereignisse wird an der Oberfläche als Schaden sichtbar. Durch die Identifizierung und Aufarbeitung der unsichtbaren Ereignisse im Hintergrund können Schäden in der Zukunft vermieden werden. Reason hat die Dynamik von latenten Fehlern zusammen mit aktiven Fehlern in Form des Schweizer-Käse-Modells [19] als Fehlerkette visualisiert (Abb. 3). Die Käsescheiben symbolisieren dabei Sicherheitsschichten, die von Fehlern durchdrungen werden müssen, damit es zum Schaden kommt. Die Löcher im Käse stellen latente und aktive Fehler in den Sicherheitsschichten von Systemen dar, die einem Schaden den Weg bereiten.

Abb. 3
figure 3

Fehlerkette und Schweizer-Käse-Modell nach James Reason. Das Modell zeigt die Flugbahn eines negativen Ereignisses, welches unter Berücksichtigung vorhandener latenter Fehler (Käselöcher) mehrere Sicherheitsebenen durchschlagen muss, um als kritisches Ereignis sichtbar zu werden. (Adaptiert nach [19])

Die Theorie der Fehlerentstehung von Reason lässt sich auf unser Fallbeispiel anwenden: Die latenten Fehler und vorhandenen Defizite in den Sicherheitsschichten (mangelnde Aufmerksamkeit des Behandlungsteams) haben in der Summe zu einer fehlerhaften Beurteilung der pathologischen EKG-Veränderungen und Laborparameter beigetragen und zum Schaden geführt (Tab. 2). Insgesamt war die Diagnose der vasovagalen Synkope im vorliegenden Fall zwar korrekt, allerdings wurden die klinischen Umstände, die mit dem Auftreten der vasovagalen Synkope assoziiert waren, nicht gründlich untersucht. Zu einer vollständigen Evaluation der Synkope nach Leitlinien wäre im Fallbeispiel die Temperaturmessung sowie selbstverständlich die vollständige körperliche Untersuchung notwendig gewesen. Da die Symptomatik auf den ersten Blick als wenig komplex erschien, wurde die komplette Untersuchung des Patienten zugunsten einer zu starken Konzentration auf das Symptom Synkope vernachlässigt. Wie Untersuchungen speziell zum Symptomenkomplex Synkope zeigen, ist die Wahrscheinlichkeit für unerwünschte Ereignisse zwischen dem ersten und dem dritten Tag nach Entlassung aus der Notaufnahme am höchsten. Erst am 7. Tag erreicht die Wahrscheinlichkeit wieder die Grundlinie [6]. Die Mediziner müssen folglich auch bei Patienten mit offensichtlich banaler vasovagaler Synkope wachsam für mögliche Komplikationen und Komorbiditäten sein (s. oben).

Tab. 2 Klassifikation von medizinischen Fehlern im Fallbeispiel nach dem Fehlermodell von James Reason [20]

Medizinische Fehler treten durch die Kombination von fehlerhaften Strukturen mit fehlerhaften Handlungen auf. Obwohl meist kein direkter Schaden am Patienten entsteht, lohnt es sich, die Hintergründe dieser Fehler zu analysieren, weil sie Hinweise auf Schwachstellen in den Sicherheitssystemen liefern können. Außerdem sind Schäden und unerwünschte Ereignisse Hinweise auf suboptimal ablaufende Prozesse, deren Verbesserung positive Resultate auf allen Ebenen der Patientenbehandlung einschließlich ökonomischer Aspekte aufweist [10].

Vermeiden von Fehlern in der Notaufnahme

Zur Vermeidung von Fehlern in der Notaufnahme schlagen wir die Implementierung von Maßnahmenbündeln vor, die Elemente aus den Kategorien Prozessstruktur, Arbeitskultur und Qualitätsmessung enthalten sollten (Abb. 4). Nach Einführung dieser Maßnahmen in einer Abteilung kann die Fehlerkultur zu einer systematischen Betrachtung entwickelt werden und somit den Einstieg in eine systematische Sicherheitskultur ermöglichen. Aus jeder der Kategorien des vorgeschlagenen Gesamtpakets werden im Folgenden einige Elemente vorgestellt, um die Interdependenzen der einzelnen Elemente zu verdeutlichen.

Abb. 4
figure 4

Maßnahmenpaket zur Weiterentwicklung der Fehlerkultur in medizinischen Notaufnahmen. Vorschläge zur Implementierung von Maßnahmenbündeln mit dem Ziel der Vermeidung von Fehlern

Qualitätsmessung

Um die Qualität der innerklinischen Notfallbehandlung zu beschreiben, mangelt es noch an etablierten Indikatoren. Dormann et al. stellten erstmals in Deutschland mögliche Kennzahlen und Qualitätsindikatoren einer medizinischen Notaufnahme vor. Sie haben anhand der Kodierungen im Klinikinformationssystem den Grad der Übereinstimmung von Aufnahme- und Entlassungsdiagnose analysiert und daraus einen Performance-Indikator entwickelt [2]. Das Ausmaß der diagnostischen Übereinstimmung soll indirekt eine Beurteilung der Qualität von Anamnese, körperlicher Untersuchung und von Basismaßnahmen in der Notaufnahme ermöglichen [2]. Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigten u. a. eine diagnostische Übereinstimmung von 71%. Allerdings hängt die Validität des Indikators im Einzelfall von der Kodierqualität und generell von den jeweils anzuwendenden Kodierrichtlinien ab [2]. Das Einbeziehen der Krankenhaushauptdiagnose würde diesen Indikator auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten interessant machen, weil diese für die Zuordnung des Falls zu einer DRG-Fallpauschale und für die spätere Abrechnung maßgeblich ist. Derartige Kennzahlen können für die Analyse von Fehlern allerdings nur orientierend sein, da von diagnostischer Übereinstimmung nur schwer auf medizinische Fehler rückgeschlossen werden kann. Das Werkzeug wäre allerdings gut für die Überwachung von Qualität im Rahmen der Notfallbehandlung geeignet. Wenn diese Kennzahlen für Notaufnahmen einheitlich und flächendeckend erhoben und publiziert werden würden, ließen sich möglicherweise Rückschlüsse auf die Versorgungsqualität ziehen. Damit würde vermutlich auch eine höhere Sensibilität für die betrieblichen Abläufe und täglichen Herausforderungen in der Notaufnahme geschaffen. Gleichzeitig sollten die vorgestellten Indikatoren als Anregung dienen, die eigenen Abläufe zu hinterfragen und weitere Indikatoren zu entwickeln, um die Abläufe und speziell die eingesetzten diagnostischen Maßnahmen in einer Notaufnahme möglichst transparent darstellen zu können.

So könnte nach dem Muster des Projekts „Qualitätsverbesserung in der postoperativen Schmerztherapie“ (QUIPS) ein Benchmarking mit anderen Krankenhäusern aufgebaut werden, das es ermöglicht, die Leistungen und Ergebnisse einzelner Abteilungen zu vergleichen [13]. Die verwendeten Qualitätsindikatoren müssen dabei Schlüsselprozesse der Notaufnahme abbilden und vergleichbar sein [5]. Diese Herausforderung ist aufgrund der historisch gewachsenen Heterogenität der deutschen Krankenhäuser besonders groß.

Vor dem Hintergrund steigender Patientenzahlen von Notaufnahmen in Deutschland wäre ein überregionaler Vergleich im Sinne eines Benchmarking wünschenswert.

Weitere Möglichkeiten liegen in der Erhebung von Patientensicherheitsindikatoren (z. B. Verbrauch von Händedesinfektionsmittel, Todesrate bei DRGs mit niedriger Mortalität oder iatrogener Pneumothorax) wie auch die Durchführung von Patientenbefragungen (Abb. 4).

Die Qualitätsmessung kann auf das eingangs genannte Fallbeispiel unter Berücksichtigung verschiedener Qualitätsdimensionen angewandt werden. Mithilfe einer Messung der Prozessqualität, z. B. durch den Einsatz von Monitoringprotokollen, wären die auffälligen Vitalparameter der Patientin wahrscheinlich entdeckt und richtig interpretiert worden. Nur dann hätten auch die möglicherweise lebensrettenden weiteren Maßnahmen in die Wege geleitet werden können.

Prozessstruktur

Maßnahmen im Bereich der notfallmedizinischen Prozessstruktur beschäftigen sich beispielsweise mit der Verbreitung von Standards und Checklisten. Angesichts steigender Fallzahlen wäre es wünschenswert, wenn 80% der Fälle in Notaufnahmen nach Standards behandelt werden könnten, so dass möglichst viele Ressourcen für die verbleibenden komplexen und individuellen Fälle eingesetzt werden können.

Die Einführung von Standards stößt bei ärztlichen Mitarbeitern häufig auf reflexartige Ablehnung. Die Initiativen werden als Kochbuchmedizin abgelehnt und deshalb nicht praktiziert [28]. Die Gründe hierfür können im Irrglauben liegen, ein Standard bedeute, dass immer entsprechend einer bestimmten Vorschrift gehandelt werden müsse. Tatsächlich ist jedoch eine Abweichung von der vereinbarten Vorgehensweise bei entsprechender Indikation möglich und nötig. Der Standard ist vor allem deshalb hilfreich, weil er für häufige Probleme den Konsens innerhalb des Teams vermittelt und somit insgesamt die Variabilität verringert. Abweichungen vom Standard müssen in den Behandlungsunterlagen mit Angabe von Gründen dokumentiert werden, um die individualisierte Vorgehensweise nachvollziehbar zu machen. Dies gibt dem Arzt Sicherheit bei seinen Entscheidungen und bildet gleichzeitig die Basis für die Evaluation von Standards. Dadurch ist es nicht nur möglich, deren Einhaltung zu kontrollieren, sondern auch Prozessinnovationen einzuführen [12]. Die alleinige Einführung von Standards und Checklisten wird nicht ausreichend sein, eine Prozessverbesserung in die Praxis einzuführen. Ein konsequentes Prozesscontrolling durch sorgfältig ausgewählte Kennzahlen muss die klinische Routine auswertbar machen, um auf Verbesserungsmöglichkeiten der Versorgungsprozesse aufmerksam zu machen. Die Belegungskurve der Notaufnahme im Tagesverlauf [2] ist beispielsweise ein Prozessindikator, mit dem rasch auf Veränderungen im Patientenzustrom reagiert werden kann.

Selbst die besten Standards verändern nichts, wenn sie im klinischen Alltag unzureichend akzeptiert und eingesetzt werden. Eine beträchtliche Anzahl wissenschaftlicher Untersuchungen unterstreicht nachhaltig, dass Standards die medizinischen Prozesse verbessern. Nur die gemeinsame Verständigung über die gegenwärtige Diagnostik- und Behandlungsmethode (Standard) erlaubt, die Wertigkeit von Innovationen oder neuen Behandlungsmethoden zu bewerten [28]. Checklisten als Mittel der Standardisierung existieren für sehr viele Abläufe und Krankheitsbilder, zum Beispiel für die Operationsvorbereitung (als internationale Kampagne von der WHO propagiert). Obwohl der Nutzen bereits vor Jahren demonstriert werden konnte, werden sie in Deutschland nur zögerlich in die Behandlungspraxis implementiert [9]. Standards dürfen keine starren Gebilde sein, sondern müssen fortlaufend anhand neuer Evidenz evaluiert und aktualisiert werden. Somit bilden sie das Bindeglied zwischen der konkreten, alltäglichen Arbeit am Patienten und den wissenschaftlichen Leitlinien (Abb. 4).

Der Einsatz von Standards und Checklisten verbessert medizinische Prozesse

Bei dem vorliegenden Fallbeispiel ist es besonders schwer, den Prozess zu standardisieren, da einer Synkope verschiedene Ursachen zugrunde liegen können. Dennoch haben die Europäische Gesellschaft für Kardiologie sowie die Deutsche Gesellschaft für Neurologie Leitlinien zum interdisziplinären Management der Synkope entworfen, mit deren Hilfe sich der Prozess an verschiedenen Stellen unterstützen ließe. So kann eine Checkliste die Anamnese unterstützen und obligate Maßnahmen der Diagnostik klarstellen. Durch eine Beschränkung der Indikationen für bestimmte Funktionsuntersuchungen kann deren unnötiger und redundanter Einsatz eingedämmt werden.

Fehlerkultur

Eine positive Fehlerkultur ist ein Schlüsselelement für eine neue systematische Sicherheitskultur. „Critical Incident Reporting Systems“ oder „Mortality and Morbidity Conferences“ (M&M) sind gut zur Erkennung von latenten Fehlern geeignet. Allerdings ist trotz der scheinbaren Anonymität eine positive Einstellung in der Abteilung notwendig, damit Fehler und unerwünschte Ereignisse überhaupt gemeldet werden. Dass keine Fehler gemeldet werden, muss nicht bedeuten, dass keine gemacht wurden, sondern es kann auch darauf hinweisen, dass die Mitarbeiter negative Folgen befürchten und daher keine unerwünschten Ereignisse melden (sog. „reporting bias“; [29]). Die genannten Instrumente sind dabei weniger gut zur Erkennung aktiver Fehler einsetzbar. Hierfür sollte in der Abteilung eine offene Fehlerkultur herrschen, die auch gegen die Hierarchie gerichtete sachliche Kritik im Sinne eines konstruktiven Feedbacks erlaubt und deshalb gefördert werden sollte. Das vorliegende Fallbeispiel muss offensiv aufgearbeitet werden, um die Mitarbeiter für mögliche Fehlerquellen und Ursachen zu sensibilisieren. Die Besprechung des konkreten Falls in einem Qualitätszirkel oder einer M&M-Konferenz zusammen mit der Theorie von Fehlern nach James Reason werden das Bewusstsein für Fehler und Sicherheit in der Notaufnahme unterstützen. Bezogen auf das vorliegende Fallbeispiel könnten die fachlichen Fähigkeiten der Mitarbeiter zur Beurteilung von EKGs durch Maßnahmen der Fort- und Weiterbildung als Elemente der Arbeitskultur geschärft werden. Weiterhin kann durch die Sensibilisierung für Fehler und kritische Ereignisse bei allen Beteiligten das Bewusstsein einer positiven Kommunikationskultur gestärkt werden, wodurch Unklarheiten bei der EKG-Interpretation offen zwischen Kollegen diskutiert werden können.

Bei der Einführung von Maßnahmen zur Fehleranonymisierung oder zum Auffinden latenter Fehler sollte die Entwicklung einer No-Blame-Kultur in ihren Grundzügen auch in Deutschland unterstützt werden. Trotzdem dürfen einzelne Mitarbeiter, die aktiv gegen bestehende Leitlinien oder Standards agieren, nicht aus ihrer persönlichen Verantwortung genommen werden. Die Balance zwischen individueller Verantwortlichkeit und systematischer Fehlerkultur zu finden, stellt eine zentrale Herausforderung und Führungsaufgabe für die Notaufnahmen der Zukunft dar [21]. Die individuelle Behandlungsfreiheit wiegt in Deutschland augenblicklich mehr als Leitlinien oder Behandlungsstandards. Dieser Zustand ist nicht nur negativ zu betrachten, sollte aber auch nicht einer kategorischen Ablehnung jeder Art von Standardisierung den Weg bereiten.

Sich in der gefühlten Behandlungsfreiheit einschränken zu lassen, fällt vielen ärztlichen Mitarbeitern/-innen in Deutschland, aber auch anderen Ländern, schwer. Unwissenheit über die Verwendung und den Nutzen von Standards und/oder individuelle Unwilligkeit zur Veränderung sind mögliche Gründe für die mangelnde Implementierung von Standards. Wir schlagen deshalb die Etablierung von Mechanismen vor, welche die Entscheider am Ende der Handlungskette in die Verantwortung nehmen.

Betrachtet man hierzu beispielsweise die Häufigkeit der hygienischen Händedesinfektion in den USA, die trotz diverser Kampagnen noch immer nur zwischen 30 und 70% liegt [21], so wird vermutet, dass es sich hierbei nicht mehr um ein Problem des Systems, sondern vielmehr um ein Problem der Verantwortlichkeit handelt [7]. Es liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen, routinemäßig die Händedesinfektion durchzuführen. Um dies flächendeckend sicherzustellen ist auch in Zukunft viel Überzeugungsarbeit notwendig. Diese kann nicht allein durch organisatorische Maßnahmen erreicht werden, sondern muss auch durch persönliche Verantwortung der individuell Handelnden sowie durch beispielhaftes Agieren der Vorgesetzten erzielt werden.

Ausblick

Wir sind überzeugt, dass die Voraussetzung für jegliche Veränderung der Sicherheitskultur in der Medizin im Allgemeinen und in der Notaufnahme im Speziellen die Schaffung von Transparenz auf allen Ebenen der Patientenversorgung ist. Damit ergeben sich sekundär weitere Perspektiven zur Qualitätsverbesserung. Warum werden in deutschen Notaufnahmen nicht routinemäßig Qualitätsindikatoren gemessen, evaluiert und transparent gemacht? Offensichtlich liegen Werkzeuge in Form von Literatur und Leitlinien vor, deren Nutzen nachgewiesen werden konnte. Es stellt sich für den Außenstehenden die berechtigte Frage, warum gerade im sensiblen Bereich der Notaufnahme die Thematik Risiko- und Fehlermanagement bisher ein Schattendasein führt.

Wie in einem Leitartikel pointiert formuliert, werden zur Zeit wertschöpfende Prozesse in der Medizin im Allgemeinen und der Notfallmedizin im Speziellen noch nach vorindustriellen Mustern bearbeitet [28]. Die positive Wandlung von Arbeitsprozessen außerhalb des Gesundheitswesens hat bisher nur eingeschränkt Einzug in die professionelle Versorgung von Patienten gehalten und wird wegen einer vermeintlich fehlenden Individualität als Kochbuchmedizin negativ bewertet [28]. Prozessoptimierung und Benchmarking sind in der Industrie seit Jahrzehnten wichtiger Motor von Wettbewerb und Optimierung und zwischenzeitlich aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Die Projekte des Aktionsbündnisses Patientensicherheit e.V. und das Patientensicherheits-Optimierungs-System für Anästhesie, Intensivtherapie, Notfallmedizin und Schmerztherapie (PaSOSains) sind erste Schritte im deutschen Gesundheitswesen, die allerdings noch nichts über den Durchdringungsgrad im Alltag deutscher Notaufnahmen aussagen. Die Verbesserungen durch Qualitätsmanagement und „best practice“ müssen allerdings im klinischen Alltag wirksam werden. Nur wenn die in der Notaufnahme tätigen Ärzte den Stellenwert von Basismaßnahmen wie Anamnese und körperlicher Untersuchung verinnerlicht haben und diagnostische Maßnahmen zielgerichtet dort gesetzt werden, wo sie notwendig sind, ist die Qualitäts- und Prozessverbesserung beim Patienten angekommen. Hierfür erscheint eine strukturierte Fort- und Weiterbildung in klinischer Notfallmedizin, welche eine breite Notfallkompetenz ermöglicht und in angelsächsischen und einigen europäischen Ländern zwischenzeitlich Standard ist, unabdingbar.

Eine strukturierte Fort- und Weiterbildung in klinischer Notfallmedizin ist unabdingbar

Eine Grundvoraussetzung für die Optimierung von Abläufen und die Verbesserung der Versorgungsqualität in Notaufnahmen ist die Einführung und Erfassung geeigneter Indikatoren und Kennzahlen, denn was nicht gemessen wird, kann auch nicht verbessert werden. Im zweiten Schritt ist das Vergleichen im Sinne von Benchmarking die Voraussetzung, um Qualitätsunterschiede von Notaufnahmen transparent zu machen und das Potenzial der Qualitätsverbesserung zu definieren. Sehr wahrscheinlich werden in naher Zukunft die externen Anforderungen hinsichtlich der Messung medizinischer Fehler an Bedeutung gewinnen: Sich in angelsächsischen Ländern aufzeigende Veränderungen in der Abrechnungsstruktur werden vor Deutschland nicht halt machen. Gemessene Leistung wird in nicht allzu ferner Zukunft auch Voraussetzung für die Vergütung sein („pay for performance“). Notaufnahmen als Portal von Krankenhäusern sollten sich dieser Anforderung stellen, um die medizinisch-fachliche Sicherheit der ihnen anvertrauten Notfallpatienten zu verbessern.

Fazit für die Praxis

  • Die Notaufnahme ist die Visitenkarte einer Klinik. Sie ist im Hinblick auf menschlich-fachliche Schwächen und Fehler ein Hochrisikobereich.

  • Fehler dürfen nicht als solitäre Ereignisse gesehen werden, sondern sind nahezu immer das Ergebnis des Zusammenspiels von latenten und aktiven Fehlern.

  • Die Fehlerkultur in deutschen Notaufnahmen sollte gefördert und durch den Einsatz von Maßnahmenpaketen auf eine systematische Ebene überführt werden.

  • Maßnahmenbündel sollten als eine Kombination von Elementen aus den Bereichen Arbeitskultur, Qualitätsmessung und Prozessstruktur eingesetzt werden, damit sie wirksam werden können.

  • Durch diesen multidimensionalen Ansatz können Synergieeffekte genutzt und die Transparenz sowie das Fehlerbewusstsein in der Notaufnahme gestärkt werden.

  • Das mittelfristige Ziel bezüglich der Sicherheit in der Notaufnahme sollte eine präventiv funktionierende systematische Sicherheitskultur sein, die sich auf mögliche Ursachen von Fehlern konzentriert, bevor diese entstehen.