Epidemiologie

Frakturen des distalen Femur, entweder mit oder ohne Beteiligung der Gelenkfläche, entsprechen etwa einem Anteil von 6 % aller Femurfrakturen. Während bei jungen Patienten der auslösende Mechanismus häufig ein Hochrasanztrauma ist, gegebenenfalls auch mit einer begleitenden Verletzung der Nerven und Gefäße, handelt es sich bei den Patienten im höheren Lebensalter in der Mehrzahl um Frakturen mit wenig auslösender Energie und einem, durch Osteoporose, stark geschwächten Knochen.

Diagnostik

Die adäquate Diagnostik einer distalen Femurfraktur schließt die klinische Untersuchung, inklusive der Prüfung der peripheren Durchblutung, Motorik und Sensibilität ein. Die bildgebende Diagnostik umfasst zunächst konventionelle Röntgenaufnahmen in 2 Ebenen, sowie eine Computertomographie des distalen Femur und des Kniegelenkes. Bei fraglicher, ligamentärer Verletzung kann gegebenenfalls auch eine kernspintomographische Untersuchung indiziert sein, diese ist jedoch routinemäßig nicht durchzuführen.

Bei Korrektureingriffen ist eine multiplanare Rekonstruktion in jedem Fall zur operativen Planung erforderlich. Eine Klassifikation der Frakturen des distalen Femur erfolgt überwiegend nach der AO-Klassifikation (Abb. 1), wobei, in Bezug auf die operative Therapie, zunächst nach der groben Klassifikation extra- und intraartikulär, bzw. intraartikulär einfach und mehrfach, unterschieden werden kann.

Abb. 1
figure 1

AO-Klassifikation der distalen Femurfraktur [16]. (a–c Extraartikuläre, distale Frakturen, d–f partielle, distale Gelenkfrakturen; g–i distale, vollständige Gelenkfrakturen). a–c Femur distal, extraartikuläre Fraktur. a Einfach, b mit metaphysärem Keil, c metaphysär komplex. d–f Femur distal, partielle Gelenkfraktur. d Unikondylär lateral, sagittal, e unikondylär medial, sagittal, f Frontalebene. g–i Femur distal, vollständige Gelenkfraktur, g artikulär einfach, metaphysär einfach, h artikulär einfach, metaphysär mehrfragmentär, i mehrfragmentär

Operative Planung

Für die operative Planung reicht eine grobe Klassifikation zunächst aus, bei Korrektureingriffen ist eine entsprechend feinere Klassifikation, bis in die Untergruppen, vorzunehmen. Bezüglich der Operationstechniken gibt es eine Reihe von verschiedenen Möglichkeiten, auch die Auswahl der Implantate ist vielfältig.

Das Prinzip der Winkelstabilität ist, für die Versorgung der distalen Femurfrakturen, nicht erst mit Etablierung der minimalinvasiv und anatomisch vorgeformten Implantate realisiert worden, sondern hat schon eine längere Tradition. Sie ist schon Thema seit Einführung der sogenannten Klingenplatte und der dynamischen Kondylenschraube (DCS). Diesen beiden Implantaten ist gemeinsam, dass über das Implantat eine winkelstabile Verankerung der Femurkondylen gegenüber dem Femurschaft erreicht wird. Eine reine Plattenosteosynthese im klassischen Sinne stellt die Abstützplatte dar. Diese ermöglicht jedoch keinerlei winkelstabile Verankerung. Ein winkelstabile Verankerung über sogenannte Kopfgewindeschrauben, bzw. eine entsprechende Verankerung jeglicher Schrauben innerhalb des Plattensystems, erlaubt zum Beispiel das „less invasive stabilization system“ (LISS). Dieses bietet sowohl eine Winkelstabilität, wie auch den Vorteil eines minimalinvasiven operativen Zuganges durch die anatomische Präformierung und einen Zielbügel. Ein weiteres, sehr gut zu verwendendes, Implantat ist der retrograde Femurmarknagel. Als minimalinvasives, externes Verfahren ist der Fixateur externe zu erwähnen, der jedoch in der Regel nur noch als Notfallmaßnahme, oder als temporäre Überbrückung, z. B. bei Revisionseingriffen, in Betracht zu ziehen ist.

Ebenfalls selten angewendet wird der Hybridfixateur, in welchem das gelenktragende Fragment, z. B. durch einen Dreiviertelring, stabilisiert wird (Technik nach Ilizarov). Dieses Vorgehen stellt eine gute Alternative bei Korrektureingriffen im Vergleich zu internen Implantaten dar, wenn die Weichteile beispielsweise kein offenes Verfahren erlauben.

Allgemeine operative Strategien

Bei der primären Versorgung richtet sich die Wahl des Implantates und des operativen Zuganges nach dem Frakturtyp Schweregrad und Lokalisation der Fraktur. Bei der sekundären Korrektur ist hierbei die geplante Lokalisation und Höhe der gegebenenfalls vorzunehmenden Korrekturosteotomie ausschlaggebend. Im Rahmen der primären Versorgung sollte nach Möglichkeit ein minimalinvasiver Zugang gewählt werden. Dieses ist sowohl für die retrograde Marknagelung, als auch für die modernen winkelstabilen Implantate (LISS), welche über einen entsprechenden Zielbogen eingebracht werden, möglich. Beschrieben ist eine minimalinvasive Technik aber auch für die Klingenplatte und die dynamische Kondylenschraube. Die retrograde Femurmarknagelung empfiehlt sich besonders für extraartikuläre Frakturen des distalen Femur, unabhängig davon, ob es sich um eine mehrfragmentäre metaphysäre, oder um eine einfache metaphysäre Fraktur handelt [12, 14]. Unter den intraartikulären Frakturen erscheinen auch die C1-Frakturen für die Stabilisierung mit einem distalen Femurmarknagel noch geeignet.

Bei den A‑Frakturen ist die Reposition geschlossen möglich. Es reicht eine Reposition, die die Länge, die Achse und die Rotation berücksichtigt. Da es sich um eine direkte, axiale Stabilisierung handelt, ist gerade die intramedulläre Marknagelung für den älteren Patienten geeignet, da hier, in Abhängigkeit von den Schmerzen, relativ schnell eine Vollbelastung möglich ist (Abb. 2).

Die Marknagelung ist insbesondere auch für pathologische, distale Femurfrakturen geeignet, da die Heilung hierbei häufig nicht absehbar ist, und dennoch unmittelbar eine Belastbarkeit des Femur besteht (Abb. 3). Auch winkelstabile Plattensysteme haben bei pathologischen Frakturen, gegenüber nicht winkelstabilen Plattensystemen, den Vorteil der unmittelbaren, axialen Belastungsmöglichkeit [8, 11].

Abb. 2
figure 2

A-Fraktur des distalen Femur, versorgt mittels geschlossener Reposition und intramedullärer Marknagelung

Abb. 3
figure 3

Die Marknagelung der distalen Femurfraktur ermöglicht eine unmittelbare Belastbarkeit des Femur

Bei den intraartikulären Frakturen B1–C3 sind in der Regel eine direkte Visualisierung der Fraktur und eine offene Reposition der Fragmente erforderlich. Die Fixation des Kondylenmassivs gegenüber dem Schaft kann wiederum minimalinvasiv erfolgen. Bei den B‑Frakturen des distalen Femur kommt vorzugsweise eine kombinierte Schrauben- und Plattenosteosynthese in Betracht. Neben winkelstabilen Plattensystemen können bei den B‑Frakturen ausnahmsweise auch herkömmliche Abstützplatten angewandt werden. Bei C‑Frakturen sollte, nach der anatomischen Reposition der Femurkondylen, eine Stabilisierung gegenüber dem Schaft mit einem winkelstabilen Plattensystem, z. B. der LISS, erfolgen. Diese sollte in den Schaftanteil minimalinvasiv eingebracht werden. Eine minimalinvasive Implantatpositionierung kann auch mit der dynamischen Kondylenschraube und mit der Winkelplatte [9, 15] gelingen.

Spezielle operative Strategien

Die schon erwähnte Abstützplatte hat bei einer Trümmerzone im Bereich der Metaphyse einen deutlichen Nachteil gegenüber der DCS, der Klingenplatte und insbesondere auch gegenüber den modernen, winkelstabilen Plattensystemen. Sie sollte bei mehrfragmentären B‑ und C‑Frakturen heute nicht mehr verwendet werden. In einer vergleichenden Studie zur Stabilität der Abstützplatte, wie auch der Klingenplatte und der DCS, zeigte sich die Abstützplatte nachteilig, da es hier zu einem schnellen Verschleißen und einem Korrekturverlust im Bereich der Fraktur kommt [13]. In Bezug auf die Ausreißfestigkeit bietet beispielsweise die LISS nochmals einen signifikanten Vorteil gegenüber der DCS und der Klingenplatte [6].

Problematisch bei der Versorgung von distalen Femurfrakturen ist häufig die Stabilisierung der medialen Kortikalis.

Die Plattensysteme werden in der Regel lateral angebracht, so dass es unter Umständen zu einer verzögerten Frakturheilung auf der medialen Seite kommen kann, und nachfolgend auch zu einer sich entwickelnden Fehlstellung. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Möglich ist beispielsweise die zweizeitige Versorgung distaler, supradiakondylärer Femurfrakturen (C1-Fraktur), die, nach einer primären Stabilisierung mit einer DCS, noch medialseitig mit einem trikortikalen Span stabilisiert werden (Abb. 4). Dieser wurde als biologische Platte über einen separaten medialen Zugang zum Femur mit drei Kortikalisschrauben angelegt. Hierbei kam es zu einer komplikationslosen Ausheilung der Fraktur. In einem weiteren Beispiel einer ähnlichen Versorgung stellte sich ebenfalls medialseitig eine verzögerte Frakturheilung ein, wobei das Problem nicht ein knöcherner Defekt war, sondern eine mangelnde Stabilisierung medialseitig (Abb. 5). Hier wurde im Verlauf die DCS durch eine etwas längere LISS ausgewechselt, unter der es im weiteren Verlauf zu einer adäquaten Frakturheilung gekommen ist. Auch unter Verwendung einer LISS kann das Problem der fehlenden medialen Abstützung und verzögerter Frakturheilung auftreten. Eine solche Situation erfordert gegebenenfalls eine lokale Spongiosaplastik und eine zusätzliche Stabilisierung durch eine Plattenosteosynthese, die entweder einzeitig oder zweizeitig vorgenommen werden können, wie im weiteren Fallbeispiel gezeigt (Abb. 6). Eine solche Maßnahme kann insbesondere dann angezeigt sein, wenn es sich um einen osteoporotisch veränderten Knochen handelt, und eine Mobilisierung des Patienten nur unter nahezu voller Belastung des betreffenden Beines möglich erscheint. In dem gezeigten Fallbeispiel wurde dieses Vorgehen zweizeitig realisiert, da die Weichteilsituation bei der Patientin ein einzeitiges Vorgehen unmöglich machte. Bei Beurteilung der Fraktur war aber von Beginn an eine Doppelplattenosteosynthese indiziert. Auch in der Literatur finden sich zu diesem Vorgehen entsprechende Empfehlungen [7].

Abb. 4
figure 4

Zweizeitig versorgte, distale, supradiakondyläre Femurfraktur, die nach primärer Stabilisierung mit einer DCS im weiteren Verlauf mit einem trikortikalen Span stabilisiert wurde

Abb. 5
figure 5

a, b Verzögerte Frakturheilung nach DCS, die durch eine LISS ersetzt wurde, unter der es im weiteren Verlauf zu einer adäquaten Frakturheilung kam

Abb. 6
figure 6

Distale Femurfraktur; zweizeitige mediale Stabilisierung mittels Plattenosteosynthese und Spongiosaplastik, nach primärer Stabilisierung mittels LISS

Bei weit distal gelegenen und zugleich intraartikulären Femurfrakturen, insbesondere im höheren Lebensalter bei osteoporotischen Knochen, empfiehlt sich ausschließlich die Stabilisierung mit einem winkelstabilen Plattenosteosynthesesystem, wie z. B. der LISS [1, 3, 4]. Das hier gezeigte Fallbeispiel (Abb. 7) zeigt eine weit distal gelegene, intraartikuläre Femurfraktur mit Stabilisierung über eine sehr lange LISS, bei gleichzeitiger, primär anatomischer Reposition der Femurkondylen. Sollte es dabei zu einer Dislokation, bzw. zu einem knöchernen Zusammenbruch kommen, so kann es zur schnellen Mobilisierung der Patienten notwendig werden, einen kompletten prothetischen Gelenkersatz vorzunehmen. Aufwendige, und häufig zeitraubende, osteosynthetische Erhaltungsversuche des Kniegelenkes zur Mobilisierung der Patienten enden häufig eher frustrierend. In dem gezeigten Fallbeispiel (Abb. 8) wurde ein distaler Femurersatz mit einer Tumorprothese durchgeführt [2]. Knapp 4 Wochen nach der Osteosynthese kam es zu einem kompletten Ausreißen des Plattensystems. Es handelte sich um eine peripher gelegene Fraktur, so dass ein prothetischer Gelenkersatz angestrebt wurde, ohne einen erneuten Versuch zur Plattenosteosynthese.

Abb. 7
figure 7

Distale, intraartikuläre Femurfraktur mit Stabilisierung über LISS, bei gleichzeitiger anatomischer Reposition der Femurkondylen

Abb. 8
figure 8

Distale Femurfraktur, versorgt mit einer Tumorprothese nach Ausreißen der Plattenosteosynthese

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass für operative Eingriffe, bei Frakturen des distalen Femur, nach wie vor ein großes Repertoire an Implantaten zur Verfügung steht und auch Anwendung findet. Hierzu zählen auch die konventionellen, überwiegend nicht komplett winkelstabilen, Implantate. Das Therapieregime wird von jedem Operateur individuell festgelegt, je nachdem mit welchem Implantat die besten Erfahrungen gemacht wurden. Grundsätzlich ist für die Frakturversorgung die Therapie erlaubt, die zur komplikationslosen Ausheilung der Fraktur führt. Entscheidend ist, bezüglich der Ausheilung, die winkelstabile Verankerung zwischen den Femurkondylen und dem Femurschaft. Dieses Prinzip ist auch bei der Klingenplatte und der Kondylenplatte gegeben. Keine Winkelstabilität besteht bei der Abstützplatte, diese sollte daher nicht mehr verwendet werden.

Für eine erfolgreiche Ausheilung ist die mediale Abstützung, in Höhe der Metaphyse, von maßgeblicher Bedeutung. Dieses gilt auch für die winkelstabilen Plattensysteme. Sobald die mediale Abstützung als gefährdet erscheint, kann einzeitig oder auch zweizeitig, eine mediale, zusätzliche Plattenosteosynthese erfolgen, gegebenenfalls mit einer Spongiosaplastik. Auch durch einen kortikospongiösen Span kann eine mediale Abstützung erreicht werden.

Kommt es zu einem Versagen der Osteosynthese, ist zunächst die Ursache hierfür zu klären. Es kann sich um einen Zusammenbruch der Weichteile mit einem Weichteildefekt handeln, z. B. im Rahmen einer offenen Fraktur, oder bedingt durch eine Infektion bzw. eine präoperative Morbidität. Dies geht mit einer nicht ausreichenden Durchblutungssituation des Beines einher. Es kann ebenfalls zu einem Zusammenbruch des Knochens kommen, entweder durch eine begleitende Deperiostierung bei offener Fraktur, durch eine Osteitis bei einem tiefen Weichteilwundinfekt, oder aber durch eine vorbestehende Osteoporose [5]. Ist bei einer fehlgeschlagenen Osteosynthese die Ursache identifiziert, stellt sich zunächst die Frage, ob eine Reosteosynthese möglich und sinnvoll ist. Bei einem jüngeren Patienten sollte in jedem Fall stets eine Reosteosynthese angestrebt werden. Hierzu ist ein Verfahrenswechsel erforderlich, z. B. von einem retrograden Marknagel auf eine winkelstabile Platte, oder umgekehrt, je nach Ursache der ausgebliebenen Frakturheilung, und der operativen Strategie, die zur definitiven Knochenausheilung verfolgt wird. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls über die Notwendigkeit eines Knochenaufbaus und die Anwendung biologischer, knochenheilungsfördernder Mediatoren zu entscheiden. Ist eine Reosteosynthese nicht möglich, bzw. in Anbetracht des Patientenzustandes nicht sinnvoll, bleibt nur der Gelenkersatz.

Dieser kann im einfachsten Fall durch eine konventionelle Kniegelenksprothese erfolgen, die auch bei einer Gonarthrose verwendet wird, entweder kreuzbanderhaltend oder kreuzbandersetzend. In der Mehrzahl der Fälle gelingt die Behandlung einer nicht verheilten, distalen Femurfraktur mit einer konventionellen Knieprothese nicht. Stattdessen muss eine Revisionsknieprothese mit entsprechendem Ersatz des distalen Femur eingesetzt werden. Meistens handelt es sich hierbei um eine gekoppelte Kniegelenksprothese.

Wenn das Versagen der Osteosynthese auf eine ausgedehnte Infektion zurückzuführen ist, muss auch an eine Arthrodese gedacht werden. Bis zur Ausheilung des vorliegenden Infektes ist das Gelenk, nach einem knöchernen Debridement, mit einem gelenkübergreifenden Fixateur externe und gegebenenfalls mit einem Zementspacer zu stabilisieren. Im weiteren Verlauf kann ein intramedulläres, versteifendes Implantat eingebracht werden. Bei nichtinfizierten Knochen und Weichteilen kann eine Arthrodese, unter Verwendung eines entsprechenden Implantates, auch einzeitig durchgeführt werden.

Fazit für die Praxis

  • Eine fehlgeschlagene Osteosynthese sollte immer als zweite Chance genutzt werden.

  • Bei jungen Patienten bleibt das Ziel weiterhin die definitive Frakturheilung und der Erhalt des Kniegelenkes.

  • Bei älteren Patienten ist die schnelle Mobilisation vorrangig. Statt einer Reosteosynthese ist der prothetische Gelenkersatz, durch eine entsprechende Revisionsprothese, bei fehlgeschlagener Osteosynthese das Vorgehen der Wahl. [10].