Zusammenfassung
Oberarmschaftbrüche gelten als gutartige Frakturen und werden auch heute noch häufig konservativ behandelt. Indikationen zur operativen Versorgung stellen die offenen Frakturen, die geschlossenen Frakturen mit schwerem Weichteilschaden, komplizierte Frakturen mit Gefährdung von Muskulatur, Gefäßen oder Nerven dar. Ebenso werden Oberarmschaftfrakturen im Rahmen eines Polytraums heute zumeist operativ versorgt. Als Standardversorgungsoptionen gelten die geschlossene Reposition mit Marknagelung in ante- oder retrograder Ausführung und die konventionelle oder auch winkelstabile Plattenosteosynthese nach offener Reposition. Revisionsgründe nach operativ versorgten Frakturen sind einerseits die Radialisschädigung und andererseits die Pseudarthrose. Während die primäre Radialisschädigung in über 90 % der Fälle zu einer spontanen Remission neigt und somit nicht operativ revidiert werden muss, sollten postoperativ aufgetretene, sekundäre Schädigungen möglichst zeitnah operativ revidiert werden. Eine Pseudarthrose, die mit einer Häufigkeit von 2–8 % nach konservativer und 6–15 % nach operativer Versorgung einer Oberarmschaftfraktur auftritt, sollte möglichst offen chirurgisch revidiert und nach Verfahrenswechsel mit einer Spongiosatransplantation versehen werden. Distale Humerusfrakturen werden als Gelenkfrakturen obligat offen operativ angegangen und heutzutage mit einer winkelstabilen Doppelplattenosteosynthese zur Versorgung des radialen und ulnaren Pfeilers stabilisiert. Die notwendige postoperative Beübung der Patienten erfordert eine stabile Frakturversorgung. Trotz aller Bemühungen und radiologisch hervorragender Ergebnisse sind Bewegungseinschränkungen aber dennoch häufig verbleibend. Daher sollte insbesondere bei geriatrischen Patienten frühzeitig, ggf. sogar primär an eine Ellbogenprothese gedacht werden.
Abstract
Shaft fractures of the humerus are considered to be benign fractures and are still treated conservatively even today. Indications for operative procedures are open fractures, closed fracture types with severe soft tissue damage or complicated fractures which compromise muscles, blood vessels or nerves. Further indications for operative treatment are patients with multiple injuries including humeral shaft fractures. The standard techniques for stabilization of shaft fractures of the humerus are closed reduction with antegrade or retrograde nailing and open reduction and stabilization with locking or non-locking plates. The reasons for revision after operative treatment are radial nerve palsy and the development of pseudarthrosis. In 90 % of cases primary palsy of the radial nerve undergoes spontaneous remission without further operative treatment but secondary palsy of the radial nerve following surgery should be promptly treated. After conservative treatment pseudarthrosis occurs in 2–8 % and after operative treatment in 6–15 % of the cases. After open surgical resection of the pseudarthrosis and changing the type of osteosynthesis, stabilization should be completed with cancellous bone transplantation. Distal humeral fractures, often comminuted or complex fracture types, must be fixed by anatomical reconstruction and stabilization with 90° or 180° locking compression plates to stabilize the ulnar and radial axis of the elbow. The necessity of postoperative physiotherapy for the patient requires high stability of the osteosynthesis used. Even with the best radiological and anatomical results movement restrictions often remain after surgical treatment of the distal humerus; therefore, it should be borne in mind that a total elbow replacement is a primary option particularly for geriatric patients.
„Der Oberarmschaftbruch ist unter allen Schaftbrüchen der langen Röhrenknochen der gutartigste. Er kann bei entsprechender Verbandtechnik, von ganz seltenen Ausnahmen abgesehen, fast immer auf einfachste Weise konservativ behandelt werden. Man muss nur wissen, dass das Erzeugen einer entsprechenden Verkürzung von 1–10 mm die wichtigste Aufgabe der Knochenbruchbehandlung ist und dass zum Beispiel bei Querbrüchen Verschiebungen um volle Schaftbreite mit Verkürzung funktionell und kosmetisch belanglos sind, wenn keine nennenswerte Achsenknickung und Verdrehung besteht.“ (Zitat nach Lorenz Böhler in: „Gegen die operative Behandlung von frischen Oberarmschaftbrüchen“, Wien 1964) [1]
Dieser Leitsatz gilt auch heute noch, Oberarmschaftfrakturen können häufig konservativ behandelt werden, wohingegen distale Humerusfrakturen als Gelenkfrakturen operativ stabilisiert werden müssen.
Ätiologie und Klassifikation
Ursächlich für Schaft- und distale Humerusfrakturen kommen neben den Hochrasanztraumen im Rahmen von Verkehrsunfällen auch der direkte Sturz auf den ausgestreckten Arm z. B. im Rahmen eines Fahrradsturzes infrage [2, 3]. Drehbrüche des Schaftes werden nicht selten bei gegenläufigen Verdrehungen von Schulter und Ellbogen gesehen, z. B. im Rahmen von „Armdrückwettbewerben“ oder durch sog. „Polizeigriffe“. Zur Klassifikation der Schaft- und distalen Humerusfrakturen wird das ABC-Schema der AO International angewendet.
Therapie der Humerusschaftfraktur
Die Therapie der Oberarmschaftfraktur wird konservativ und operativ durchgeführt. Obwohl schon lange bekannt ist, dass Achsabweichungen bis 30° und Verkürzungen nicht zu wesentlichen Beeinträchtigungen des Patienten führen, sollte wie bei anderen Schaftfrakturen auch auf das Prinzip Länge – Achse – Rotation geachtet werden. Bei der konservativen Therapie wird nach initialer Einrichtung der Fraktur durch Längszug und Innenrotation eine Schulter-Arm-Bandage zur Ruhigstellung eingesetzt. In der ersten Phase der Behandlung wird diese zumeist mit zusätzlicher dorsaler Gipsschiene unter Einschluss von Schulter und Ellbogen zur Schmerztherapie unterstützt. Nach anfänglicher Ruhigstellung (7 bis 10 Tage) kann dann nach Abschwellung auf einen Sarmiento-Braceverband umgestellt werden, um die Ruhigstellung des Schulter- und Ellbogengelenkes so kurz wie möglich zu halten. Röntgenverlaufskontrollen sollten die korrekte Frakturausrichtung in beiden Bildebenen nach 4, 7 und 11 Tagen dokumentieren. Insgesamt sollte eine Ruhigstellung für 6 Wochen mit dem Braceverband erfolgen und anschließend aus diesem heraus krankengymnastisch behandelt werden [2].
Indikationen zur operativen Versorgung der Humerusschaftfraktur stellen die offenen Frakturen, geschlossene Frakturen mit schwerem Weichteilschaden und komplizierte Frakturen mit Gefährdung von Muskulatur, Gefäßen oder Nerven dar. Ebenso werden Oberarmschaftfrakturen bei einem Polytrauma heute operativ im Rahmen der sog. sekundären Behandlungsphase stabilisiert.
Zu den „Standardverfahren“ bei allen Frakturtypen des Oberarmschaftes gehören die geschlossene Reposition mit Marknagelung in ante- oder retrograder Ausführung (Abb. 1 und 3) und die konventionelle oder winkelstabile Plattenosteosynthese nach offener Reposition der Fraktur (Abb. 2). Die Platte wird in aller Regel insbesondere dann verwendet, wenn die Neurologie des Patienten nicht sicher eruiert werden kann (z. B. beatmeter Patient) oder eine operative Freilegung des Nerven im Rahmen der Frakturversorgung unumgänglich erscheint (z. B. potenziell eingeklemmter Nerv bei Spiral- und mehrfragmentären Frakturtypen) [4]. Je nach Ausführung wird die Plattenosteosynthese von dorsal über einen geraden Zugang in Bauchlage oder von ventral bzw. anterolateral in halbsitzender Position des Patienten durchgeführt. Die frühfunktionelle bracefreie Nachbehandlung sollte immer anschließend möglich sein.
Komplikationen der operativen wie auch der konservativen Therapie stellen die Schädigung des N. radialis und die Entwicklung einer Pseudarthrose dar. Primär traumatische Schädigungen des N. radialis treten mit einer Prävalenz von 2–17 % auf (Abb. 1), allerdings kann die spontane Remissionsrate der primären Radialisparese bis zu 90 % betragen, weshalb einige Autoren von einer primären Freilegung des Nerven abraten [5, 6]. Tritt die Schädigung jedoch sekundär bzw. postoperativ auf, sollte immer eine operative Revision des Nerven mit Darstellung des Nervenverlaufs angestrebt werden, da es sich zumeist um iatrogene Schädigungen z. B. im Rahmen der Reposition oder nach Anlage eines Fixateur externe am Oberarm handelt. Neurologische Kontrollen prä- und postoperativ und neurophysiologische Verlaufsbeobachtungen sind hierbei obligat [5, 6].
Die Pseudarthrose kommt in 2–8 % nach konservativer Behandlung der Humerusschaftfraktur und in 6–15 % nach operativer Behandlung vor [7, 8]. Sie kündigt sich in den radiologischen Verlaufskontrollen durch ausbleibende Kallusbildung (zumeist schon nach 6 Wochen und spätestens nach 3 Monaten sicht- und beurteilbar) und durch Lockerungssäume um die Schrauben oder die Verriegelungsbolzen des Marknagels an. Fortgesetzte Schmerzen insbesondere bei Rotation des Armes können ebenfalls als klinische Zeichen der Entwicklung einer Pseudarthrose gedeutet werden. Eine CT des Frakturbereiches sollte nach 4 bis 6 Monaten hier Sicherheit schaffen. Die ausbleibende Frakturheilung bzw. definitionsgemäß die Pseudarthrose nach 6 Monaten sollte operativ chirurgisch revidiert, die Pseudarthrose reseziert und nach einem Verfahrenswechsel zumeist auf eine winkelstabile Plattenosteosynthese in Kombination mit einer Spongiosaplastik zur Ausheilung gebracht werden. Intraoperativ sollte auf die notwendige Kompression der angefrischten Pseudarthroseränder geachtet werden [7–9].
Therapie der distalen Humerusfrakturen
Distale Humerusfrakturen werden als Gelenkfrakturen offen operativ versorgt und nach notwendiger anatomischer Reposition mit winkelstabilen Plattenosteosynthesen stabilisiert [3]. Neben der klassischen 90/90°-Anordnung der radialen und ulnaren Platte werden vermehrt auch wieder 180°-Versorgungen durchgeführt, die durch die modernen, anatomisch vorgeformten Platten entsprechend stabil versorgt werden können. Rekonstruktionsplatten haben sich aufgrund der hohen Belastung im gelenktragenden Anteil als nicht vorteilhaft erwiesen, da hier Plattenbrüche häufiger zu beobachten waren. Die Nachbehandlung sollte funktionell erfolgen, insbesondere ist auf die vollständige Streckung zu achten, ggf. unter Schmerzkatheterschutz. Bei Instabilität des Gelenkes durch begleitende Radiusköpfchenfrakturen kann die zusätzliche Anlage eines Bewegungsfixateurs notwendig sein, weshalb die abschließende Prüfung der Gelenkstabilität in der Operation wichtig ist.
Distale Humerusfrakturen werden immer häufiger im Alter insbesondere auch bei hochaltrigen Patienten beobachtet. Nicht selten sind diese Frakturen gekennzeichnet durch sehr weit gelenknah liegende, transkondyläre Frakturen, die operativ nur sehr schwer zu fixieren sind. Hier muss bereits präoperativ über den Einbau einer Ellbogengelenkprothese primär nachgedacht werden (Abb. 4), um möglichst eine frühfunktionelle schmerzarme Bewegung des Gelenkes zu ermöglichen und später einen altersadäquaten Bewegungsumfang zu erzielen [10–13].
Fazit für die Praxis
-
Die Humerusschaftfrakturen gelten als „gutmütige“ und daher auch konservativ zu therapierende Frakturen.
-
Der heutige Funktionsanspruch der Patienten und die Möglichkeit, die Frakturen durch Marknägel schonend minimalinvasiv zu versorgen, hat aber in den letzten Jahren zu einer zunehmenden operativen Versorgung geführt, die dem Patienten die frühfunktionelle Nachbehandlung ermöglicht.
-
Die distalen Humerusfrakturen führen zumeist aufgrund der Komplexität der Fraktur auch bei anatomischer Reposition zu einer bleibenden Funktionsminderung, die insbesondere aber von der Möglichkeit der frühfunktionellen Nachbehandlung mit ausreichender Physiotherapie nach Abschwellung der Weichteile abhängig ist.
-
Über eine primäre Implantation einer Ellbogenprothese (auch als Teilprothese) sollte daher insbesondere bei den zunehmend älteren Patienten bereits primär nachgedacht werden.
Literatur
Böhler L (1964) Gegen die operative Behandlung von frischen Oberarmschaftbrüchen. Langenbecks Arch Klin Chir. 308:465
Pal JN, Biswas P, Roy A, Hazra S, Mahato S (2015) Outcome of humeral shaft fractures treated by functional cast brace. Indian J Orthop 49(4):408–417
Zeugner A, Schneider J, Marintschev I, Bilkenroth B, Otto W (2000) Aktueller Stand der Therapie distaler Humerusfrakturen des Erwachsenen. Trauma Berufskrankh 2:288–297
Fan Y, Li YW, Zhang HB, Liu JF, Han XM, Chang X, Weng XS, Lin J, Zhang BZ (2015) Management of humeral shaft fractures with intramedullary interlocking nail versus locking compression plate. Orthopedics 38(9):825–829
Shao YC, Harwood P, Grotz MR, Limb D, Giannoudis PV (2005) Radial nerve palsy associated with fractures of the shaft of the humerus: a systematic review. J Bone Joint Surg Br 87(12):1647–1652
Grassmann JP, Windolf J, Wild M (2012) Ist die Revision des N. radialis bei primärer Radialisparese nach Humerusschaftfraktur sinnvoll? Obere Extremität 7(1):35–42
McKee MD, Miranda MA, Riemer BL, Blasier RB, Redmond BJ, Sims SH, Waddell JP, Jupiter JB (1996) Management of humeral nonunion after the failure of locking intramedullary nails. J Orthop Trauma 10(7):492–499
Wenzl ME, Porté T, Fuchs S, Jürgens C (2003) Verfahren zur Rekonstruktion und Osteosynthese von Pseudarthrosen des Humerus. Trauma Berufskrankh 5(Suppl 1):S86–S91
Wenzl ME, Porté T, Fuchs S, Faschingbauer M, Jürgens C (2004) Delayed and non-union of the humeral diaphysis – compression plate or internal plate fixator? Injury 35(1):55–60
Mansat P, Bonnevialle N, Rongières M, Bonnevialle P, Bone, Joint Trauma Study Group (GETRAUM) (2014) The role of total elbow arthroplasty in traumatology. Orthop Traumatol Surg Res 100(6 Suppl):293–298
Ries C, Wegmann K, Hackl M, Burkhart KJ, Müller LP (2014) Sekundäre Endoprothetik des Ellenbogengelenks nach distaler Humerusfraktur. Obere Extremität 9:156–162
Schmidt-Horlohé K, Hoffmann R (2015) Articular fractures in the elderly: to fix or to replace? – Distal humerus. Z Orthop Unfall 153(6):597–606
Toulemonde J, Ancelin D, Azoulay V, Bonnevialle N, Rongières M, Mansat P (2016) Complications and revisions after semi-constrained total elbow arthroplasty: a mono-centre analysis of one hundred cases. Int Orthop 40(1):73–80
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Ethics declarations
Interessenkonflikt
U. Culemann gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
The supplement containing this article is not sponsored by industry.
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Culemann, U. Schaft- und distale Humerusfrakturen. Trauma Berufskrankh 18 (Suppl 5), 468–473 (2016). https://doi.org/10.1007/s10039-016-0199-5
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s10039-016-0199-5