„Der Oberarmschaftbruch ist unter allen Schaftbrüchen der langen Röhrenknochen der gutartigste. Er kann bei entsprechender Verbandtechnik, von ganz seltenen Ausnahmen abgesehen, fast immer auf einfachste Weise konservativ behandelt werden. Man muss nur wissen, dass das Erzeugen einer entsprechenden Verkürzung von 1–10 mm die wichtigste Aufgabe der Knochenbruchbehandlung ist und dass zum Beispiel bei Querbrüchen Verschiebungen um volle Schaftbreite mit Verkürzung funktionell und kosmetisch belanglos sind, wenn keine nennenswerte Achsenknickung und Verdrehung besteht.“ (Zitat nach Lorenz Böhler in: „Gegen die operative Behandlung von frischen Oberarmschaftbrüchen“, Wien 1964) [1]

Dieser Leitsatz gilt auch heute noch, Oberarmschaftfrakturen können häufig konservativ behandelt werden, wohingegen distale Humerusfrakturen als Gelenkfrakturen operativ stabilisiert werden müssen.

Ätiologie und Klassifikation

Ursächlich für Schaft- und distale Humerusfrakturen kommen neben den Hochrasanztraumen im Rahmen von Verkehrsunfällen auch der direkte Sturz auf den ausgestreckten Arm z. B. im Rahmen eines Fahrradsturzes infrage [2, 3]. Drehbrüche des Schaftes werden nicht selten bei gegenläufigen Verdrehungen von Schulter und Ellbogen gesehen, z. B. im Rahmen von „Armdrückwettbewerben“ oder durch sog. „Polizeigriffe“. Zur Klassifikation der Schaft- und distalen Humerusfrakturen wird das ABC-Schema der AO International angewendet.

Therapie der Humerusschaftfraktur

Die Therapie der Oberarmschaftfraktur wird konservativ und operativ durchgeführt. Obwohl schon lange bekannt ist, dass Achsabweichungen bis 30° und Verkürzungen nicht zu wesentlichen Beeinträchtigungen des Patienten führen, sollte wie bei anderen Schaftfrakturen auch auf das Prinzip Länge – Achse – Rotation geachtet werden. Bei der konservativen Therapie wird nach initialer Einrichtung der Fraktur durch Längszug und Innenrotation eine Schulter-Arm-Bandage zur Ruhigstellung eingesetzt. In der ersten Phase der Behandlung wird diese zumeist mit zusätzlicher dorsaler Gipsschiene unter Einschluss von Schulter und Ellbogen zur Schmerztherapie unterstützt. Nach anfänglicher Ruhigstellung (7 bis 10 Tage) kann dann nach Abschwellung auf einen Sarmiento-Braceverband umgestellt werden, um die Ruhigstellung des Schulter- und Ellbogengelenkes so kurz wie möglich zu halten. Röntgenverlaufskontrollen sollten die korrekte Frakturausrichtung in beiden Bildebenen nach 4, 7 und 11 Tagen dokumentieren. Insgesamt sollte eine Ruhigstellung für 6 Wochen mit dem Braceverband erfolgen und anschließend aus diesem heraus krankengymnastisch behandelt werden [2].

Indikationen zur operativen Versorgung der Humerusschaftfraktur stellen die offenen Frakturen, geschlossene Frakturen mit schwerem Weichteilschaden und komplizierte Frakturen mit Gefährdung von Muskulatur, Gefäßen oder Nerven dar. Ebenso werden Oberarmschaftfrakturen bei einem Polytrauma heute operativ im Rahmen der sog. sekundären Behandlungsphase stabilisiert.

Zu den „Standardverfahren“ bei allen Frakturtypen des Oberarmschaftes gehören die geschlossene Reposition mit Marknagelung in ante- oder retrograder Ausführung (Abb. 1 und 3) und die konventionelle oder winkelstabile Plattenosteosynthese nach offener Reposition der Fraktur (Abb. 2). Die Platte wird in aller Regel insbesondere dann verwendet, wenn die Neurologie des Patienten nicht sicher eruiert werden kann (z. B. beatmeter Patient) oder eine operative Freilegung des Nerven im Rahmen der Frakturversorgung unumgänglich erscheint (z. B. potenziell eingeklemmter Nerv bei Spiral- und mehrfragmentären Frakturtypen) [4]. Je nach Ausführung wird die Plattenosteosynthese von dorsal über einen geraden Zugang in Bauchlage oder von ventral bzw. anterolateral in halbsitzender Position des Patienten durchgeführt. Die frühfunktionelle bracefreie Nachbehandlung sollte immer anschließend möglich sein.

Komplikationen der operativen wie auch der konservativen Therapie stellen die Schädigung des N. radialis und die Entwicklung einer Pseudarthrose dar. Primär traumatische Schädigungen des N. radialis treten mit einer Prävalenz von 2–17 % auf (Abb. 1), allerdings kann die spontane Remissionsrate der primären Radialisparese bis zu 90 % betragen, weshalb einige Autoren von einer primären Freilegung des Nerven abraten [5, 6]. Tritt die Schädigung jedoch sekundär bzw. postoperativ auf, sollte immer eine operative Revision des Nerven mit Darstellung des Nervenverlaufs angestrebt werden, da es sich zumeist um iatrogene Schädigungen z. B. im Rahmen der Reposition oder nach Anlage eines Fixateur externe am Oberarm handelt. Neurologische Kontrollen prä- und postoperativ und neurophysiologische Verlaufsbeobachtungen sind hierbei obligat [5, 6].

Die Pseudarthrose kommt in 2–8 % nach konservativer Behandlung der Humerusschaftfraktur und in 6–15 % nach operativer Behandlung vor [7, 8]. Sie kündigt sich in den radiologischen Verlaufskontrollen durch ausbleibende Kallusbildung (zumeist schon nach 6 Wochen und spätestens nach 3 Monaten sicht- und beurteilbar) und durch Lockerungssäume um die Schrauben oder die Verriegelungsbolzen des Marknagels an. Fortgesetzte Schmerzen insbesondere bei Rotation des Armes können ebenfalls als klinische Zeichen der Entwicklung einer Pseudarthrose gedeutet werden. Eine CT des Frakturbereiches sollte nach 4 bis 6 Monaten hier Sicherheit schaffen. Die ausbleibende Frakturheilung bzw. definitionsgemäß die Pseudarthrose nach 6 Monaten sollte operativ chirurgisch revidiert, die Pseudarthrose reseziert und nach einem Verfahrenswechsel zumeist auf eine winkelstabile Plattenosteosynthese in Kombination mit einer Spongiosaplastik zur Ausheilung gebracht werden. Intraoperativ sollte auf die notwendige Kompression der angefrischten Pseudarthroseränder geachtet werden [79].

Therapie der distalen Humerusfrakturen

Distale Humerusfrakturen werden als Gelenkfrakturen offen operativ versorgt und nach notwendiger anatomischer Reposition mit winkelstabilen Plattenosteosynthesen stabilisiert [3]. Neben der klassischen 90/90°-Anordnung der radialen und ulnaren Platte werden vermehrt auch wieder 180°-Versorgungen durchgeführt, die durch die modernen, anatomisch vorgeformten Platten entsprechend stabil versorgt werden können. Rekonstruktionsplatten haben sich aufgrund der hohen Belastung im gelenktragenden Anteil als nicht vorteilhaft erwiesen, da hier Plattenbrüche häufiger zu beobachten waren. Die Nachbehandlung sollte funktionell erfolgen, insbesondere ist auf die vollständige Streckung zu achten, ggf. unter Schmerzkatheterschutz. Bei Instabilität des Gelenkes durch begleitende Radiusköpfchenfrakturen kann die zusätzliche Anlage eines Bewegungsfixateurs notwendig sein, weshalb die abschließende Prüfung der Gelenkstabilität in der Operation wichtig ist.

Distale Humerusfrakturen werden immer häufiger im Alter insbesondere auch bei hochaltrigen Patienten beobachtet. Nicht selten sind diese Frakturen gekennzeichnet durch sehr weit gelenknah liegende, transkondyläre Frakturen, die operativ nur sehr schwer zu fixieren sind. Hier muss bereits präoperativ über den Einbau einer Ellbogengelenkprothese primär nachgedacht werden (Abb. 4), um möglichst eine frühfunktionelle schmerzarme Bewegung des Gelenkes zu ermöglichen und später einen altersadäquaten Bewegungsumfang zu erzielen [1013].

Abb. 1
figure 1

30-jähriger Patient, Fahrradsturz mit proximaler Humerusmehrfragmentfraktur rechts. Initial bestand eine Radialisparese Kraftgrad 2/5 der Fingerstrecker. a Unfallbild. b Postoperative Kontrolle nach Marknagelung ohne operative Revision des N. radialis rechts. c Verlaufskontrolle 5 Monate nach Operation. Zu diesem Zeitpunkt bestand keine neurologische Schädigung mehr, freier Bewegungsumfang

Abb. 2
figure 2

Beispiel einer operativen Versorgung mit offener Reposition und Stabilisierung mit winkelstabiler Plattenosteosynthese bei Humerusschaftfraktur (Zugschrauben mit Abstützplatte)

Abb. 3
figure 3

87-jährige Patientin mit Oberarmschaftfraktur (a) und postoperativ nach Stabilisierung mit Marknagelosteosynthese (b). Die Patientin wurde 6 Tage postoperativ in die geriatrische Anschlussheilbehandlung entlassen. Wiedervorstellung der Patientin nach erneutem Sturz 3 Wochen postoperativ (c) mit distaler Humerusfraktur, die offen reponiert und stabilisiert wurde (d). Aufgrund der Sturzneigung erfolgte zusätzlich die Anlage einer Oberarm-Castschiene für 3 Wochen, aus der die Patientin physiotherapeutisch nachbehandelt wurde

Abb. 4
figure 4

a 67-jähriger Patient mit distaler Humerusmehrfragmentfraktur. b Das CT zeigte multiple Trümmerungen gelenktragender Anteile. c Daher Entscheidung zur primären Ellbogenprothese

Fazit für die Praxis

  • Die Humerusschaftfrakturen gelten als „gutmütige“ und daher auch konservativ zu therapierende Frakturen.

  • Der heutige Funktionsanspruch der Patienten und die Möglichkeit, die Frakturen durch Marknägel schonend minimalinvasiv zu versorgen, hat aber in den letzten Jahren zu einer zunehmenden operativen Versorgung geführt, die dem Patienten die frühfunktionelle Nachbehandlung ermöglicht.

  • Die distalen Humerusfrakturen führen zumeist aufgrund der Komplexität der Fraktur auch bei anatomischer Reposition zu einer bleibenden Funktionsminderung, die insbesondere aber von der Möglichkeit der frühfunktionellen Nachbehandlung mit ausreichender Physiotherapie nach Abschwellung der Weichteile abhängig ist.

  • Über eine primäre Implantation einer Ellbogenprothese (auch als Teilprothese) sollte daher insbesondere bei den zunehmend älteren Patienten bereits primär nachgedacht werden.