Hintergrund

Verletzungen des Akromioklavikulargelenks (ACG) sind mit 9 % aller Läsionen in diesem Bereich die häufigste Verletzung des Schultergürtels. Betroffen sind in erster Linie junge, sportlich aktive Männer zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr [12, 19]. Unfallmechanismus ist in erster Linie ein Sturz auf die superolaterale Region der Schulter, wobei die akromio- und korakoklavikularen Bänder verletzt werden [18].

In der Literatur liegt weitgehend Einigkeit darüber vor, dass Verletzungen der Schweregrade Rockwood IV, V und VI operativ zu behandeln sind [4, 26]. Uneinigkeit besteht weiterhin über die Therapie von Verletzungen des Grads Rockwood III [2, 4, 5, 24], wobei hier in den letzten Jahren ein Trend zur konservativen Behandlung zu verzeichnen war [30].

Wird eine operative Versorgung angestrebt, sollte diese frühelektiv durchgeführt werden, da bei verspäteter Versorgung die biologische Potenz des Gewebes abnimmt und dadurch schlechtere klinische Ergebnisse beobachtet wurden [26, 32]. Die Zeitspanne zwischen dem Trauma und der Operation sollte daher möglichst kurz sein und 3 Wochen nicht überschreiten [23].

Klinik und Diagnostik

Meist ist bei akuten höhergradigen Verletzungen des Schultereckgelenks ein Akromiontiefstand der betroffenen Seite offensichtlich. Das Schultereckgelenk ist druckschmerzhaft und weist bei höhergradigen Verletzungen das sog. Klaviertastenphänomen als Zeichen der vertikalen Instabilität auf.

Die horizontale Stabilität des Gelenks sollte bei der klinischen Untersuchung überprüft werden, um einen pathologischen Shift der lateralen Klavikula nach posterior zu erkennen. Aufgrund der schmerzbedingten Bewegungseinschränkung in der Akutphase der Verletzung sind differenzierte Untersuchungstechniken zur Erfassung begleitender Pathologien an der Rotatorenmanschette oder der Bizepssehne nur sehr eingeschränkt möglich und entsprechend wenig aussagekräftig.

Die radiologische Standarddiagnostik bei akuten Schultereckgelenkverletzungen umfasst konventionelle Röntgenaufnahmen des Schultergelenks in 3 Ebenen (a.-p., Y- und axiale Aufnahme zur Erfassung einer statischen Dislokation nach posterior) und die bilaterale Zielaufnahme des ACG als Stressaufnahme mit 10 kg Belastung zur Beurteilung der vertikalen Instabilität (Abb. 1). Zur Bewertung der dynamischen, horizontalen Instabilität sollte zudem eine modifizierte, bilaterale Y-Aufnahme unter Stress nach Alexander ([1], Abb. 2) erstellt werden. Beide Stressaufnahmen sind essenziell, da nur dadurch die Verletzungsmorphologie korrekt eingeschätzt werden kann. Insbesondere die nicht erkannte, horizontale Instabilität, wie sie bei Verletzungen Rockwood III und V häufig vorliegt [10], ist mit einem schlechten klinischen Ergebnis vergesellschaftet. Sie muss daher im Rahmen der Abklärung detektiert werden.

Bei Besonderheiten kann zudem eine magnetresonanztomographische Aufnahme angefertigt werden. In der Routinediagnostik ist sie jedoch nicht notwendig.

Abb. 1
figure 1

Bilaterale ACG-Zielaufnahmen mit je 10 kg Belastung zur Beurteilung des CC-Abstands (roter Pfeil), CC korakoklavikular

Abb. 2
figure 2

Röntgenuntersuchung des Schultergelenks, a unauffällige Y-Aufnahme, b Alexander-Aufnahme bei Vorliegen einer posterioren Translation, roter Pfeil

Klassifikation der Schultereckgelenksprengung

Tossy et al. [31] beschrieben initial 3 Typen der akromioklavikularen Dislokation. Rockwood [25] erweiterte diese um weitere 3 Subgruppen, und diese Einteilung stellt aktuell die international gängigste Klassifikation dar. Beide Klassifikationen orientieren sich an der Veränderung des korakoklavikularen Abstands im Vergleich zur Gegenseite. Diese muss somit immer mit abgeklärt werden.

Dynamische, horizontale Instabilitäten werden nicht erfasst, was hinsichtlich der Operationsindikation einen Nachteil darstellt, da, wie bereits erwähnt, das klinische Outcome von Patienten mit übersehenen, verbliebenen horizontalen Instabilitäten signifikant schlechter ist [28].

Operative Versorgung

Verfahren

In der Literatur sind annähernd 160 verschiedene operative Verfahren zur Rekonstruktion und Stabilisierung des Schultereckgelenks beschrieben. Ziel aller dieser Techniken ist die Wiederherstellung der korrekten Gelenkstellung und der mechanischen Stabilität des Schultereckgelenks, um beste Voraussetzungen für eine stabile Narbenheilung zu erreichen [14].

Unterschieden werden können operative Verfahren zur akromioklavikularen [20, 29, 33] sowie zur korakoklavikularen Fixation [3, 6, 21]. Des Weiteren unterscheiden sich die Methoden bei akuten von jenen bei chronischen Verletzungen. Die alleinige Fixation von chronischen ACG-Sprengungen ohne einen biologischen Ersatz ist, wie bereits erwähnt, nicht sinnvoll [10].

Hauptvertreter der akromioklavikularen Stabilisierung im europäischen Sprachraum sind in erster Linie Hakenplatten (Abb. 3) und Zuggurtungen [20, 29, 33].

Abb. 3
figure 3

Postoperatives Röntgenbild in 2 Ebenen nach Implantation einer Hakenplatte

Zur korakoklavikularen Stabilisierung wurde initial die Bosworth-Schraube [3] verwendet. In den letzten Jahren setzten sich arthroskopisch gestützte Verfahren mit nichtresorbierbarem Fadenmaterial („tight rope“) durch, welche radiologisch kontrolliert implantiert werden [6, 9, 21, 27]. Im französischen Sprachraum wird für akute und auch chronische Verletzungen des ACG ein korakoakromialer Bandtransfer mit zusätzlicher Augmentation propagiert [15]. Im amerikanischen Sprachraum wird häufig eine distale Klavikularesektion mit ggf. Rekonstruktion der akromioklavikularen Bänder im Sinne einer Weaver-Dunn-Prozedur durchgeführt [16]. Dabei werden eine laterale Klavikularesektion vorgenommen und nach Reposition des Gelenks das Lig. coracoacromiale vom Akromion abgelöst, transponiert und auf dem lateralen Klavikulastumpf mit transossären Nähten befestigt. Zusätzlich kann eine korakoklavikulare Augmentation mit PDS-Kordeln (PDS: Polydioxanon) oder nichtresorbierbarem Material erfolgen.

Hakenplatte vs. fandenbasierte Stabilisierung

Ziel der folgenden Ausführung ist ein Vergleich der in Deutschland überwiegend zum Einsatz kommenden Versorgung mittels Hakenplatte und der fadenbasierten Stabilisierung von ACG-Sprengungen.

Bezüglich der reinen Implantatkosten sind beide Verfahren vergleichbar, reine Implantatkosten bei den Hakenplattenimplantationen lagen 2013 bei etwa 350,00 €, für eine TightRope®-Implantation (Firma Arthrex) bei etwa 305,00 €.

In aktuellen Arbeiten wurden geringe Komplikations- und Reoperationsrate für die Versorgung mit „tight rope“ angegeben, es fanden sich jedoch z. T. hohe Raten an heterotropen Ossifikationen, sekundärem Repositionsverlust und Implantatmigrationen (Abb. 4, [9, 22, 27, 28]). Zu beachten ist auch, dass die arthroskopisch gestützten anatomischen Verfahren nur in Spezialkliniken für Schulterchirurgie in nennenswerter Weise zum Einsatz kommen und innerhalb dieser Kliniken zudem auf wenige Operateure beschränkt sind.

Abb. 4
figure 4

Implantatmigration und laterale Klavikulafraktur nach TightRope®-Rekonstruktion

Der operative Aufwand ist zudem bei arthroskopischen Verfahren, im Vergleich zur Verwendung der Hakenplatte, deutlich erhöht. Diese Tatsachen stehen einem breiten klinischen Einsatz entgegen, der für die Behandlung dieser häufigen Verletzung notwendig ist. Vergleicht man hierzu die Resultate nach Versorgung mit Hakenplatte, zeigen sich gute bis sehr gute klinische Langzeitergebnisse mit akzeptabler Komplikationsrate in z. T. sehr großen Serien [7, 8, 13]. Das Verfahren weist eine insgesamt sehr flache Lernkurve auf, weshalb die Operation in den größeren Serien durch Assistenz- und Oberärzte durchgeführt wurde.

Erwähnenswert im Vergleich zwischen arthroskopisch assistierter Retention mit „tight rope“ vs. Hakenplatte ist die Publikation von Jensen et al. [11]. Hier wurden retrospektiv 2 Kollektive verglichen. Die Operation wurde bei 37 Patienten mittels Hakenplatte von Assistenz- und Oberärzten durchgeführt, bei der Technik mit „tight rope“ nur von erfahrenen Arthroskopeuren. Beide Kollektive wiesen eine vergleichbare Komplikationsrate von 12 bzw. 13 % auf. Die Auswertung der klinischen Ergebnisse ergab im Constant-Score im Mittel bei der mit Hakenplatte versorgten Gruppe 88 Punkte und bei den mit „tight rope“ versorgten Patienten 89 Punkte. Im kosmetischen sowie funktionellen Ergebnis bestand kein signifikanter Unterschied. Interessanterweise zeigen die Ergebnisse dieser Studie vergleichbare Repositionsverluste des Schultereckgelenks in der mit Hakenplatte stabilisierten Gruppe (nach Entfernung des Implantats) und bei den sozusagen anatomisch mit „tight rope“ versorgten Patienten.

Erwähnenswert ist zudem, dass bei dem arthroskopisch assistierten Verfahren mit „tight rope“ die Nachbehandlung im Allgemeinen sehr restriktiv gehandhabt wird. Hier wird von den Operateuren eine 6-wöchige Ruhigstellung in der Schlinge mit nur passiver Beweglichkeit empfohlen [11, 17]. Im Gegensatz hierzu erlaubt die Versorgung mit Hakenplatte eine relativ rasche freie Beweglichkeit.

Fazit für die Praxis

  • Im Rahmen der Primärdiagnostik sollten vertikale und insbesondere horizontale Instabilitäten des Schultereckgelenks abgeklärt und für die Indikationsstellung berücksichtigt werden.

  • Im Vergleich zu anatomischen Verfahren zeigt die Stabilisierung mit Hakenplatte vergleichbare gute bis sehr gute Ergebnisse.

  • Die Lernkurve der operativen Technik ist bei Verwendung der Hakenplatte flach, das Verfahren ist als Ausbildungsoperation geeignet und im Vergleich zu arthroskopischen Alternativverfahren nicht auf spezialisierte Zentren beschränkt.