Die Therapieempfehlungen bei den Frakturen der thorakolumbalen Wirbelsäule unterliegen in den letzten Jahrzehnten einem zunehmenden Wandel.

Die von Böhler empfohlenen konservativen Therapieregimes mit geschlossener Reposition, Gipsmieder und Stützkorsagen wurden um operative Verfahren erweitert. Mit dem transpedikulären Fixateur interne wurde von Roy-Camille et al. [13] ein effektives System zur Reposition und Retention an der Wirbelsäule etabliert. Bis zur Mitte der 1990er Jahre galt die alleinige dorsale Stabilisierung einer instabilen Fraktur als ausreichendes Standardverfahren [6].

Ergebnisse neuerer Studien führten zu einer Änderung in den Therapieempfehlungen. Biomechanische Untersuchungen zeigten unter physiologischen Bedingungen eine Lastverteilung von 80% auf der ventralen und von nur 20% auf der dorsalen Säule, der eher eine Zuggurtungsfunktion zugeordnet wurde. Eine Multizenterstudie der AO [10] 2001 konnte belegen, dass die Frakturreposition durch den dorsalen Fixateur die beste Ergebnisse bringt, die alleinige dorsale Stabilisierung, ob mit oder ohne transpedikuläre intrakorporelle Spongiosaplastik nach Daniaux [4], aber nicht ausreicht. Durch die unterbliebene Versorgung der ventralen Säule kommt es nach Entfernung des Fixateurs durch die persistierende Instabilität der ventralen Säule zu erheblichen Korrekturverlusten der initial guten Repositionsergebnisse. Die alleinige ventrale Spondylodese ist mit der Gefahr segmentaler Fehlstellungen im fusionierten Gebiet belastet, was sich durch die begrenzten Repositionsmöglichkeiten bei isoliertem ventralem Zugang erklären lässt. Die geringsten Korrekturverlustraten bei den Nachuntersuchungen zeigten die Patienten, die mittels kombinierter dorsoventraler Fusion stabilisiert wurden [10].

Ein weiterer Grund für die Indikationsausweitung der operativen Therapie, z. B. auf die Frakturen der Gruppe A3.1, ist die Etablierung schonender und minimalinvasiver Operationsverfahren an der thorakolumbalen Wirbelsäule [9, 12].

Klassifikation

Denis [5] unterschied nach biomechanischen Gesichtspunkten 3 Wirbelsäulenabschnitte:

  • vordere Säule (vordere Hälfte Wirbelkörper/Bandscheibe)

  • mittlere Säule (hintere Hälfte Wirbelkörper/Bandscheibe)

  • hintere Säule (Facettengelenke, dorsaler Bandkomplex, Wirbelbögen, Fortsätze)

Die Unversehrtheit der mittleren Säule ist für die mechanische Stabilität entscheidend. Mit der Summe der verletzten Säulen steigt der Grad der Instabilität.

Die heute gängige Klassifikation wurde von Magerl et al. [11] erstellt und von der AO übernommen. Es werden unterschieden:

  • Kompressionsverletzungen (Typ A),

  • Flexions-Distraktions-Verletzungen (Typ B) und

  • Rotationsverletzungen (Typ C).

Zur weiteren Differenzierung erfolgt eine Unterteilung in Subtypen 1. und 2. Ordnung.

Typ-A-Verletzung

Bei den Kompressionsverletzungen Typ A ist die ventrale Säule verletzt, die dorsale Säule intakt.

  • A1-Frakturen (Deck-, Bodenplattenimpression, Keilbruch, Impaktion) sind stabile Brüche mit in der Regel unverletzten Bandscheiben.

  • A2-Frakturen sind Spaltbrüche. Die frontalen Frakturen sind in aller Regel stabil, die sagittalen Spaltbrüche, insbesondere die Kneifzangenfraktur, instabil.

  • A3-Frakturen sind Berstungsbrüche mit Beteiligung der Hinterkante und der Gefahr einer Rückenmarkverletzung. Bereits die inkompletten Berstungsbrüche sind als mechanisch instabil anzusehen.

Typ-B-Verletzung

Sie können als rein diskoligamentäre oder als kombinierte ossär-diskoligamentäre quere Zerreißungen auftreten. Es besteht eine hochgradige Instabilität gegenüber Flexionsbeanspruchungen.

Typ-C-Verletzung

Sie beinhalten ebenfalls immer die Beteiligung beider Säulen. Durch den Rotationsmechanismus sind die längs verlaufenden Bänder gerissen. Es handelt sich um die instabilsten Frakturen mit der höchsten Rate an neurologischen Ausfallserscheinungen.

Diagnostik

Die Nativaufnahmen der Brust- und Lendenwirbelsäule in 2 Ebenen sind bei Verdacht auf Wirbelsäulenverletzung die initiale Standarddiagnostik. Bei Frakturen im thorakolumbalen Übergang sind ggf. Zielaufnahmen dieses Abschnitts sinnvoll, um ihn vom Bildrand in das Bildzentrum zu rücken.

Eine genaue Klassifikation und Beurteilung der Fraktur ist nur durch eine Computertomographie in Dünnschichttechnik möglich. Die axialen Standardschichten und v. a. die sagittalen Rekonstruktionen erlauben die genaue Beurteilung der knöchernen Verletzungen, der Spinalkanalweite und der Neuroforamina.

Die Magnetresonanztomographie schließt sich an, wenn es um die Abklärung diskoligamentärer und neurologischer Verletzungen geht. Eine rein diskoligamentäre B-Verletzung kann nur durch ein MRT sicher diagnostiziert oder ausgeschlossen werden. Bei neurologischen Defiziten nach Unfällen ohne röntgen- und CT-morphologische Verletzungen sollte immer eine weitere Abklärung durch Magnetresonanztomographie erfolgen. Ebenfalls eine Indikation für ein MRT stellt die pathologische Fraktur dar.

Operation

Indikation

Zur Überprüfung der Notwendigkeit einer operativen Stabilisierung der Wirbelkörperfraktur müssen die 3 Kriterien Neurologie, Instabilität und Fehlstellung in der genannten Reihenfolge analysiert und eingestuft werden.

Die Wirbelsäulenverletzung mit neurologischem Defizit und die offene Fraktur sind zwingende Indikationen zur sofortigen Intervention. Die sofortige dorsale Dekompression des Spinalkanals durch Hemi- oder Laminektomie, ggf. Zurückstößeln eines den Spinalkanal einengenden Hinterkantenfragments mit anschließender Stabilisierung durch einen Fixateur ist die durchzuführende Notfallmaßnahme. Ziele sind, sowohl die neurologische Symptomatik durch Dekompression der geschädigten Strukturen therapeutisch anzugehen als auch sekundäre neurologische Beeinträchtigungen zu vermeiden. Die suffiziente Stabilisierung des instabilen Wirbelsäulenabschnitts ermöglicht zudem eine rasche Mobilisierung auch bei kompletter Querschnittlähmung [3].

Es besteht allgemeiner Konsens, dass alle B- und C-Verletzungen aufgrund der hochgradigen Instabilitäten einer zügigen operativen Stabilisierung bedürfen. Unterbleibt diese, ist mit sekundären neurologischen Defiziten, komplexen Fehlstellungen, persistierenden Instabilitäten und dadurch bedingten Problemen im Sinne einer chronischen Myelopathie zu rechnen.

Fehlstellungen betreffen in aller Regel die A-Frakturen. Auch wenn bisher keine Studie mit hohem Evidenzlevel signifikante Vorteile einer operativen Versorgung von Frakturen ohne neurologische Symptomatik nachweisen konnte, besteht Konsens dahingehend, dass ab einer Kyphosefehlstellung von 20° in einer Ebene bzw. einer Gesamtfehlstellung von 25° in 2 Ebenen und einer Kompression der Wirbelkörperhöhe um mehr als 1/3 beim arbeitsfähigen Patienten die Indikation zur operativen Stabilisierung beginnt, um durch Wiederherstellung der Wirbelsäulengeometrie Spätfolgen durch chronische Fehlbelastungen und eine Myelopathie zu verhindern.

Unstrittig ist die Indikation bei den kompletten Berstungsbrüchen A3.3, kombinierten Berstungsspaltbrüchen A3.2 und Kneifzangenbrüchen A2.3. Aber auch die inkompletten Berstungsbrüche A3.1 und einige Spaltbrüche A2.1/A2.2 erfüllen die Kriterien einer instabilen behandlungsbedürftigen Verletzung [7].

Eine Zusammenfassung der Operationsindikationen mit zunehmender Indikationshärte findet sich in Tab. 1.

Tab. 1 Operationsindikationen in ansteigender Wichtigkeit

Operative Therapie

Die Strategie der operativen Versorgung orientiert sich am neurologischen Befund, dem Ausmaß der Fehlstellung und der Verletzungsausdehnung in Bereich der vorderen, mittleren und hinteren Säule.

Zuerst müssen eine relevante Fehlstellung und hochgradige Instabilitäten beseitigt werden. Das klassische Arbeitsinstrument hierfür ist der winkelstabile dorsale Fixateur interne. Zunächst erfolgt im OP in Bauchlage mittels Durchhang und Kissenunterpolsterung die Grobreposition der Verletzung. Die Feinreposition wird durch den dorsal transpedikulär in die benachbarten Wirbelkörper eingebrachten Fixateur interne im Sinne der Lordosierung und Distraktion bewerkstelligt. Wenn notwendig, schließt sich die Dekompression des Spinalkanals an. Mit dieser Versorgung ist eine temporär stabile Situation hergestellt.

In aller Regel muss sich aber die Rekonstruktion der ventralen Säule anschließen. Grundsätzlich sind eine einzeitige dorsoventrale Versorgung oder ein gesplittetes zweizeitiges Vorgehen mit ventraler Spondylodese im Intervall möglich. Wir bevorzugen aus mehreren Gründen das zweizeitige ventrale Vorgehen nach einigen Tagen. Nach der dorsalen Instrumentierung führen wir eine Computertomographie der verletzten Region durch (Abb. 1 e, Abb. 2 f). Es wird die Lage der Pedikelschrauben kontrolliert, und nach Aufrichtung des Wirbelkörpers zeigt sich die Frakturausdehnung im Corpus noch genauer. Die Stellung der Hinterkantenfragmenten wird beurteilt, um zu entscheiden, ob eine Resektion der Hinterkante und eine Dekompression des Spinalkanals von ventral notwendig sind (Abb. 2 c). Die ventrale Stabilisierung erfordert weiterhin eine aufwendigere Logistik mit Doppellumenbeatmung bei transthorakalem Vorgehen, erhöhtem Bedarf an Blutkonserven und einen erfahrenen Operateur.

Abb. 1
figure 1

a,b Inkompletter kranialer Berstungsbruch LWK1 (A3.11) mit keilförmiger Deformierung und lokaler Kyphose und Skoliose, Gesamtfehlstellung >25°, c,d Röntgen- und e CT-Kontrolle nach dorsaler Reposition mit guter Wiederaufrichtung des Wirbelkörpers und vollständiger Beseitigung der Fehlstellung, f,g in 2. Sitzung thorakoskopisch assistierte monosegmentale Spondylodese, BWK12/LWK1 mit trikortikalem Beckenkammspan und ventralem winkelstabilem Plattensystem (MACS, Fa. Aesculap)

Abb. 2
figure 2

a–c Kompletter Berstungsbruch LWK1 (A3.31) mit signifikanter Spinalkanaleinengung ohne neurologische Ausfälle, d–f primäre Reposition und Stabilisierung mit Fixateur interne, Beseitigung der segmentalen Fehlstellung, keine vollständige Reposition des großen Hinterkantenfragments, g,h sekundäre thorakoskopisch assistierte bisegmentale Spondylodese BWK12/LWK2 nach subtotaler Korporektomie und Hinterkantenresektion LWK1 mit expandierbarem Cage (Obelisc, Fa. Ulrich) und winkelstabilem ventralem Plattensystem (MACS, Fa. Aesculap)

Unter Berücksichtigung der genannten biomechanischen Lastverteilungen im Bereich der thorakalen und lumbalen Wirbelsäule ist bei nahezu allen operationspflichtigen Frakturen eine Rekonstruktion der ventralen Säule erforderlich. Ausnahmen stellen nur die B-Verletzungen vom Typ B2.1 (horizontaler Frakturverlauf, Chance-Fraktur) und die vorwiegend diskoligamentären Verletzungen der Typen B1.1 und B1.2 dar, die durch alleinige dorsale Stabilisierung suffizient zu behandelt sind.

Das Auffüllen des Wirbelkörpers transpedikulär von dorsal mit autologer Spongiosa nach Daniaux [4] hat sich als unzureichend erwiesen. Nach Entfernung oder Bruch des dorsalen Fixateurs wiesen die auf diese Weise versorgten Patienten hohe Rekyphosierungsraten auf [4, 10]. Ursache ist die Schädigung der beteiligten Bandscheiben. Durch primäre Impression von Anteilen des Nucleus pulposus in den frakturierten Corpus unterbleibt zum einen die knöcherne Heilung, zum anderen ist die Bandscheibe irreparabel geschädigt und verheilt unter Höhenverlust und Ausbildung einer segmentalen Instabilität. Somit erfordert eine suffiziente ventrale Stabilisierung die Ausräumung der verletzten Bandscheibenfächer und die Resektion der frakturierten Wirbelkörperanteile.

Als Wirbelkörperersatz kommen autologe Knochen in Form des trikortikalen Beckenkammspans oder Rippenanteile zum Einsatz. Sie haben den Vorteil der Osteointegration. Nachteile sind neben der Entnahmemorbidität das Risiko der Spanfraktur und -sinterung sowie eine ausbleibenden Einheilung von bis zu 30% [2]. Bisegmentale Fusionen erfordern weiterhin im LWS-Bereich Spanlängen von mehr als 5 cm. Durch die gekrümmte Spangeometrie bei dieser Länge weisen die Späne oft eine ungenügende Dicke und Stabilität auf. Alternativ können Cages zur ventralen Spondylodese eingesetzt werden. Sie stehen in unterschiedlichen Materialien, Formen und Designs zur Verfügung, als starre oder expandierbare Formkörper [8]. Welcher ventrale Ersatz die besseren Ergebnisse liefert, ist noch nicht ausreichend geklärt. Ebenso ungeklärt ist die Notwendigkeit additiver ventraler Plattensysteme. Im eigenen Vorgehen wird bei einer monosegmentalen ventralen Fusion der autologe Beckenkammspan bevorzugt (Abb. 1). Bei bi- und mehrsegmentaler ventraler Fusion kommen immer expandierbare Cages zur Anwendung (Abb. 2).

Grundsätzlich sollte die Versteifung möglichst wenige Bewegungssegmente umfassen.

Eine alleinige ventrale Versorgung ist theoretisch möglich bei reinen Kompressionsfrakturen. Problematisch sind die Reposition, die bei alleinigem ventralem Vorgehen schlechte Studienergebnisse zeigte, und das Übersehen einer zusätzlichen B-Komponente [10]. Daher sollte eine alleinige ventrale Versorgung nur bei inkompletten Berstungsfrakturen A3.1 als Alternative erwogen werden.

Zugänge

Die Frakturen der thorakalen Wirbelsäule und der 1. und 2. Lendenwirbelkörper sind transthorakal zu erreichen [1]. Wegen des Verlaufs der thorakalen Aorta wird die obere BWS in aller Regel über einen rechtsseitigen Zugang angegangen, die untere BWS und die oberen Lendenwirbelkörper über einen linksthorakalen Zugang. Hilfreich ist die präoperative CT zur Beurteilung des Lageverlaufs der thorakalen Aorta. Die lumbale ventrale Wirbelsäule wird in aller Regel über retroperitoneale Zugänge in Linksseiten- oder Rückenlage erreicht, selten sind transperitoneale Zugänge im lumbosakralen Übergangsbereich notwendig. Die ausgedehnten transthorakalen Zugänge sind in den letzten Jahren zugunsten thorakoskopisch assistierter minimalinvasiver Operationsverfahren verlassen worden [1, 9].

Hierdurch konnten das iatrogene Zugangstrauma erheblich reduziert, die postoperative Morbidität, insbesondere pulmonologische Komplikationen, gesenkt und die Verweildauer der Patienten verkürzt werden. Auch bei retroperitonealem Vorgehen setzen sich zunehmend Zugänge unter Einsatz von Retraktorsystemen im Sinne einer Minilumbotomie und lumboskopische Operationstechniken durch [12].

Nachbehandlung

Postoperativ ist eine zügige alltägliche Belastbarkeit anzustreben. Additive Stützkorsette sind gänzlich überflüssig. Rücken belastende Tätigkeiten sollten etwa 1/2 Jahr vermieden werden.

Eine Entfernung von ventralen Implantaten ist nicht anzustreben, ein bisegmental übergreifender dorsaler Fixateur sollte bei monosegmentaler ventraler Fusion nach 9–12 Monaten entfernt werden, um das 2., von ventral nicht fusionierte Bewegungssegment freizugeben und einem Implantatbruch vorzubeugen. Bei dorsoventraler bisegmentaler Spondylodese ist eine Fixateurentfernung nur bei lokalen Problemen indiziert.

Fazit

Um die Indikation zur operativen Versorgung einer traumatischen Fraktur der thorakolumbalen Wirbelsäule zu stellen, bedarf es einer exakten initialen Diagnostik inklusive Computertomographie. Nur so gelingt eine korrekte Klassifikation der Verletzung, welche für die Einleitung der stadiengerechte Therapie Voraussetzung ist.

Insbesondere bei den Grenzindikationen der Verletzungen der Gruppe A3.1 (inkomplette Berstungsfrakturen) müssen Alter und Anspruch des Verletzten mit berücksichtigt werden.

Wenn die Indikation zur operativen Therapie gestellt wurde, ist in aller Regel die kombinierte dorsoventrale Fusion das anzustrebende Verfahren der Wahl. Die Anwendung thorakoskopischer und sonstiger minimalinvasiver Operationsverfahren etabliert sich als Standard bei der Versorgung thorakolumbaler Frakturen.