Geschätzte Leserinnen und Leser,

die Behandlung von Aortenerkrankungen ist für viele Gefäßmediziner spannend. Wenn alles gut geht, profitiert der Patient für Jahrzehnte. Aber wehe, es treten Komplikationen auf. Diese beschäftigen Kranke und Behandler möglicherweise noch über Jahre.

Ich möchte im Folgenden über einen 79-jährigen Patienten berichten, der sich im Februar 2021 mit oberer gastrointestinaler Blutung in unserer Notaufnahme vorstellte. Im CT konnte keine aorto-/prothetoduodenale Fistel nachgewiesen werden. Allerdings stellte uns die Bildgebung zunächst vor ein Rätsel, da laut unseren Unterlagen bei dem Patienten bei der letzten Vorstellung 2015 noch eine Kunststoffprothese als Implantat vorhanden war, im CT sich aber eine deutlich degenerierte aortoiliakale Strombahn darstellte (Abb. 1). Es stellte sich heraus, dass in einer anderen Klinik zwischenzeitlich ein Gefäßersatz durch Allografts durchgeführt worden war (Abb. 1).

Abb. 1
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a–c CT-Untersuchung vom 22.02.2021. a Man erkennt die Degradation des aorto-links-femoralen Allografts mit Aneurysmen und Stenosen, während sich der prothetofemorale Allograft rechts regelrecht darstellt. b Das Duodenum liegt der Aorta direkt auf. Es zeigt sich eine Kontrastmittelnase, suspekt für eine aortoduodenale Fistel (Pfeil). c Die akute Blutung war jedoch durch mehrere blutende Gefäße im Magen bedingt (Pfeil)

Bei rascher Zustandsverschlechterung erfolgte die Intubation und Endoskopie unter medikamentöser Reanimation. Es gelang nicht, die Blutungsquelle zu lokalisieren, der Patient verstarb kurze Zeit später. Der Verlauf ist bis hierhin zwar sehr bedauerlich und schicksalhaft, aber aus gefäßmedizinischer Sicht auch lehrreich, wenn die Vorgeschichte und die aktuelle Bildgebung mit einbezogen werden.

Die Krankheitsgeschichte begann 2004 mit einer Leisten-TEA links und intraoperativer Stentangioplastie der A. iliaca externa. 2012 wurde bei kleinem, infrarenalem Aortenaneurysma (3,7 cm) und Verschlüssen der A. iliaca communis bei PAVK im Stadium IIb (30 m Gehstrecke) eine aortobifemorale Prothese (Dacron 16 × 8 mm) implantiert. Der Entlassungsbrief endet mit einer Reihe von Empfehlungen, unter anderem: „Wir empfehlen die dauerhafte Einnahme eines Thrombozytenaggregationshemmers (z.B. ASS 100mg 1×1 Tbl.) und eines Statins, sofern keine Kontraindikationen auftreten.

Zwei Jahre später wurde die linke Leiste, weitere 4 Monate später die rechte Leiste operativ revidiert bei Flüssigkeitsansammlungen, die als Perigraftreaktion gedeutet wurden. Bei Progress der Infektsituation erfolgten dann 3 Monate später der Prothesenausbau und eine In-situ-Rekonstruktion mit einer Silberprothese (in domo). Im Juni 2016 wurde die erneut infizierte Prothese auswärts entfernt und allogen ersetzt. Die Rekonstruktion erfolgte hierbei durch 2 Teilstücke: Die linksseitige Rekonstruktion wurde aortofemoral rechts durchführt, die rechte Leiste wurde über einen zweiten Allograft prothetofemoral angeschlossen. Ein Keimnachweis war zu keinem Zeitpunkt gelungen. Im Mai 2018 wurde die A. carotis bei hochgradiger Stenose operiert. Die sonographischen Nachkontrollen der Aorta, Iliakal- und Leistengefäße waren jeweils als regelrecht beurteilt worden. Konkret heißt es: „… auf Höhe des Umbilicus-Abgangs des rechten Allografts, im Vergleich zur Gegenseite deutlich kleineres Lumen … Allograft auf der linken Seite mit einem Durchmesser von 2cm, unauffälliger Fluss …“.

Der Patient erhielt zum damaligen Zeitpunkt weiterhin ASS 100 als Sekundärprophylaxe. Im Mai 2019 wurde eine beidseitige Lungenarterienembolie diagnostiziert, sodass zusätzlich Rivaroxaban angeordnet wurde, ASS wurde nicht abgesetzt.

Am 22.02.2020 wurde der Patient bei Anämie stationär in die Gastroenterologie eingewiesen. Als Ursache fanden sich „endoskopisch als potenzielle Blutungsquelle unter oraler Antikoagulation und Thrombozytenaggregation eine Refluxösophagitis sowie mehrere Erosionen im Corpus ventriculi.“. Ein gefäßchirurgisches Konsil erfolgte nicht. Es wurde eine Therapie mit Pantoprazol eingeleitet, die Medikation mit Rivaroxaban und ASS weitergeführt.

Im auswärtigen Arztbrief vom September 2020 zur Kontrolle der A. carotis nach TEA ist bei den Diagnosen aufgeführt: „Z. n. transfusionspflichtiger Eisenmangelanämie bei a.e. chronischer gastrointestinaler Blutung unter Rivaroxaban“. Der Brief endet mit einem Textbaustein: „aus gefäßmedizinischer Sicht empfehlen wir […], die Gabe eines Statins sowie die lebenslange Einnahme von ASS, ggf. unter PPI-Schutz“.

Ich finde diesen Fall aus verschiedenen Gründen sehr aufschlussreich. Zunächst einmal ist es immer wieder erstaunlich, wie viel „Chirurgie“ ein Patient aushält.

Protheseninfektion/Perigraftreaktion/Keimnachweis

Wir alle kennen die Flüssigkeitsansammlungen, die in bis zu 4 % nach Rekonstruktion mit Kunststoffprothese auftreten [1]. Diese Serome können auch Jahre nach Implantation der Prothesen auftreten. Die perkutane Drainage hat sich hierbei als nicht effizient herausgestellt, sodass meist eine operative Ausräumung erforderlich ist [1]. Die Rate an Reoperationen und auch Extremitätenverlust ist überraschend hoch [2]. In meinen Augen bedeutet ein negativer Keimnachweis bei periprothetischer Flüssigkeitsansammlung nicht automatisch, dass es sich um eine solche Reaktion und nicht um eine Protheseninfektion handelt: Ein Keimnachweis bei Protheseninfektion gelingt auch bei konsequenter und methodisch optimaler Suche in bis zu 25 % der Fälle nicht [3].

Allografts

Die beste Rekonstruktion nach aortalem Protheseninfekt ist ein ganz spezielles Feld mit vielen Optionen (und Meinungen), aber nach wie vor von hoher Morbidität und Mortalität geprägt. Die Verwendung der kryokonservierten Allografts spielt eine sehr wesentliche Rolle. Dabei weisen diese Transplantate sehr große Unterschiede auf. Zwar wird die Qualität des Gewebes bei Anforderung auch angegeben, aber im klinischen Alltag stellt man dann intraoperativ immer wieder fest, wie sehr sich die Allografts unterscheiden. Der hier vorgestellte Fall spiegelt dies sehr gut wider: Während das eine Transplantat auf gesamter Strecke eine erhebliche Degradation mit Ausbildung neuer Aneurysmen zeigt, ist das andere 5 Jahren nach dem Eingriff nahezu unverändert (Abb. 1). Die sehr guten Ergebnisse anderer Arbeitsgruppen mit sehr wenigen Transplantatproblemen [4, 5] konnten wir in der eigenen Erfahrung nicht durchweg erreichen. Ich selbst habe Fälle erlebt, in denen es kurz nach der Operation auf der Intensivstation zu einer Ruptur des Grafts gekommen ist. Eine Degradation kann auch innerhalb eines Monats auftreten [6] und stellt eine dauerhafte Gefahr dar. Dies thematisiert auch der Fallbericht von A. Neumann, der die endovaskuläre Behandlung eines degenerativ veränderten Allografts beschreibt.

Eine regelmäßige Überwachung von Allografts ist unbedingt geboten

Eine regelmäßige Überwachung ist also unbedingt geboten. Nach aortaler Rekonstruktion erscheint eine CT-Untersuchung dem Ultraschall in diesen Situationen überlegen, im vorliegenden Fall war die linke Seite sonographisch als regelrecht, die rechte als verengt beurteilt worden.

Textbausteine

Eine Sekundärprophylaxe mit einem Thrombozytenaggregationshemmer stellt eine Standardempfehlung dar, die sehr oft in den Empfehlungen am Ende des Arztbriefs in Form eines Textbausteins einkopiert wird. „Copy-and-paste“ führt ebenfalls dazu, alte Empfehlungen unreflektiert zu übernehmen. Auch im vorliegenden Fall endet jeder der zahlreichen Arztbriefe mit der Empfehlung zur Einnahme eines Thrombozytenaggregationshemmers.

Im klinischen Alltag erhalten mehr und mehr Patienten ein NOAK aus verschiedenen Indikationen. Dennoch erscheint in vielen Briefen zusätzlich die Empfehlung zur Einnahme eines Plättchenhemmers. Im vorliegenden Fall hatte der Patient eine Lungenarterienembolie erlitten und es wurde Rivaroxaban angesetzt. Niemand hat das ASS abgesetzt – weder die Kollegen der Inneren Medizin nach der Lungenarterienembolie noch die Gastroenterologen nach der oberen Gastrointestinalen Blutung, noch die Gefäßmediziner aus 2 Kliniken bei den Nachkontrollen, auch im Wissen um die stattgehabte Blutung. Ich finde dies bemerkenswert vor der Klasse-I-Empfehlung der interdisziplinären europäischen Leitlinien zur Behandlung der PAVK, die eindeutig festhält, bei notwendiger oraler Antikoagulation nach offen-operativen Eingriff auf eine Plättchenaggregation zu verzichten [7].

In der vorliegenden Ausgabe geht es darum, wie schon hier im Editorial, die Aorta von verschiedenen Seiten zu beleuchten: Die Versorgungsrealität in Deutschland (C. Behrendt) und in der Schweiz (T. Lattmann), technische Tipps zur endovaskukären Versorgung (M. Lescan, K. P. Donas), etwas zur Forschung (S. Greulich aus der eigenen Arbeitsgruppe) und 2 interessante Fälle (H.-G. Fieguth, und, bereits erwähnt, A. Neumann). Sogar die CME-Fortbildung hat die Aorta in dieser Ausgabe zum Thema. Eine Originalie, die indirekt auch mit der Aorta zu tun haben kann, beschäftigt sich mit Nahtaneurysmen in den Leisten (F. Meyer), und R. Grundmann geht auf die Evidenz zur Ernährung bei kardiovaskulären Erkrankungen ein. Wie in jeder Ausgabe findet sich ein Artikel aus dem Netzwerk Grundlagenforschung von A. Gombert: „Thoracoabdominal aortic aneurysm tissue sample study“ – das Aachener Modell als Beispiel für ein Forschungskooperationskonzept.

Es bleibt also spannend. Für uns Gefäßmediziner geht es eben nicht immer nur um das Operieren bzw. Intervenieren. Forschung, Planung, Nachsorge, Auswertung, Beurteilung von Daten und Studien sowie die eigene Fortbildung bleiben weitere Ecksteine unseres Berufs.

Herzlichst, Ihr

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Prof. Dr. Axel Larena-Avellaneda