Einleitung

Nachdem im ersten Teil versucht wurde, die kulturgeschichtliche Entwicklung vom bloßen kosmopolitischen ethnologischen Interesse am alten Ägypten hin zu den Möglichkeiten der Erschließung von Kultur und Wissenschaften aufzuzeigen, – sollen nun die Hinterlassenschaften der Heilkunst unter die Lupe genommen werden.

Der Wissensstand über die altägyptische Medizin scheint enorm groß zu sein, betrachtet man den neunbändigen „Grundriß der Medizin der Alten Ägypter“ von Hermann Grapow, Hildegard von Deines und Wolfhard Westendorf aus den Jahren 1958–1973. Das Werk ist aber auch deshalb so umfangreich, weil die Autoren das Gebiet der Medizin philologisch atomisiert haben [9]. W. Westendorf [14] legte mit seinem zweibändigen „Handbuch der altägyptischen Medizin“ von 1998/1999 ein tatsächlich handlicheres Werk nach. Der neunbändige „Grundriss“ gilt auch gegenwärtig noch für die Ägyptologen international als das Standardwerk auf diesem Gebiet.

Die primären Quellen

An gesicherten Quellen fanden sich mit Erscheinen des zweibändigen Handbuchs von Westendorf 1998/1999 insgesamt 20 Papyri und 5 Ostraka medizinischen Inhalts [14]. 2014 zählte man 27 medizinische Papyri und 11 Ostraka [13]. Sechs dieser Papyri und ein Ostrakon offenbaren Abhandlungen über das Herz und die Gefäße (Infobox 1).

Darüber hinaus gibt es noch einige medizinisch relevante Auszüge aus magischen Texten, den Veterinär-Papyrus Kahun, sowie bisher noch unveröffentlichte Texte.

Infobox 1 Kardiovasculäre Angaben in den einzelnen Papyri und dem Ostrakon

pRamesseum V: 20 Rezepte gegen Erkrankungen der Gefäße, vornehmlich der Muskelstränge

pEbers: umfangreichste Zusammenstellung von Einzelrezepten unter einer gemeinsamen Überschrift, Rezeptgruppe von 67 Heilmitteln für die Behandlung der Gefäße sowie das Geheimwissen des Herzens und der Gefäße

pHearst: 26 Rezepte zur Behandlung der Gefäße (hier Muskeln, Sehnen) ähnlich zu pEbers

pLouvre: einzelne Rezeptfragmente zur Gefäßbehandlung

pLondon 10059: ein Zaubertext zum „Erweichen der Herz-Gefäße“

pBerlin 3038: anatomische, pathologische und physiologische Angaben über das Gefäßsystem; Exzerpte aus „Lehrtexten“: Untersuchungsbefunde, Therapien u. Glossen über das Gefäßsystem (ähnlich zu Eb 856)

Ostrakon DeM 1091 aus Deir el-Medina: ein Heilmittel für das Herz (lediglich diese Überschrift auf dem recto, die zu erwartende Erläuterung fehlt, abgesprengt)

Hinzugekommen sind in den letzten 15 Jahren nur wenige medizinische Texte: Papyrus-Fragment Ashmolean, welches medizinisch wenig ergiebig ist; ein spätzeitliches gynäkologisches Fragment und das Ostrakon Cambridge ebenfalls mit einem gynäkologischen Fragment. Weitaus interessanter scheinen international verstreute Texte zu sein, die sich derzeit in Aufarbeitung befinden. Gefäßmedizinisch relevant sei ein späthieratischer Papyrus in Florenz, der Aussagen zu Gefäßen im Zusammenhang mit der Gebärmutter enthält. Unerwarteterweise fanden sich auch in einem demotischen Gedicht zu einem Fest der Trunkenheit Aussagen zu den Gefäßen, die im Rahmen polemischer Ausfälle gemacht wurden [6, 10]. Diese sind medizinisch kaum von Interesse.

Besonderheiten der überlieferten Papyrus-Texte

Die hieratische Schrift der Papyri ist eine scriptio continua. Sie ist fortlaufend geschrieben und kennt dabei keinerlei worttrennenden Elemente oder Satzzeichen. Meist lässt sich nur durch das Rubrum ein neuer Einzeltext oder Sinn abgrenzen. Das Rubrum fand nicht nur Verwendung für Überschriften, sondern auch für Maßeinheiten und für den Schreibern wichtig erscheinende Angaben. Dieses kommt beim Papyrus Ebers deutlich zur Darstellung (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Der Anfang der Papyrusrolle Ebers mit den Kolumnen I–III, von G. Ebers zur Konservierung zerlegt und zwischen zwei Glasplatten als Tafel I aserviert. Der Papyrus Ebers ist aus konservatorischen Gründen öffentlich nicht zugänglich. (Mit frdl. Genehmigung Universitätsbibliothek Leipzig, Papyrus- und Ostrakasammlung)

Bezüglich des inhaltlichen und formalen Aufbaus der Papyri wird z. B. der Papyrus Ebers (folgend als pEbers, pEb oder bei Einzeltexten Eb abgekürzt) als Sammelhandschrift geführt. In ihm vereinigen sich verschiedene Fachbücher, wie z. B. die Rezeptsammlung für die Gefäßbehandlung, die Lehrtexte gegen Magenerkrankungen, die Abhandlung der Augenkrankheiten, die Lehrtexte für die Geschwulstbehandlungen, das Buch über die Rizinuspflanze, das Gefäßbuch u. a.

Gefäßmedizinisch relevante Fundstellen in den Papyri

Die in den Papyri vorhandenen gefäßmedizinisch relevanten Texte lassen sich in folgende Kategorien einteilen: Rezepturen, Lehrtexte über das Herz und die Gefäße, Anatomie, Physiologie, Pathologie der Gefäße, Pathologie des Herzens sowie Therapie von Herz- und Gefäßerkrankungen (Infobox 2).

Infobox 2 Gefäßmedizinische relevante Inhalte aus dem pEbers als Hauptquelle in ihren Einzeltexten und Textgruppen

Eb 627–94 Rezepturen zur Behandlung der Gefäße

Eb 854–856 Geheimwissen des Herzens und der Gefäße

Im Einzelnen durch Glossen unterteilt:

Eb 854b-o Anatomie und Pathologie der Gefäße

Eb 855e-z Pathologie des Herzens

Eb 856a-h erneut Anatomie der Gefäße; dazu Pathologie und Therapie

Eb 872 und Eb 875 Beschreibung eines Aneurysmas und seiner Therapie

Eb 873 Beschreibung von Varizen und deren Therapie, auch Eb 876

Eb 876 die Koniferenöl-Erscheinung – mögliche Thrombophlebitis

Bln 163a-h Anatomie der Gefäße

Von allen medizinischen Papyri vereint der pEbers als umfangreichstes medizinisches „Lehrbuch“ nahezu sämtliche Abhandlungen über das Herz und die Gefäße aus allen anderen Papyri in sich. Deshalb ist es ausreichend, vorwiegend den pEbers in den Mittelpunkt der Betrachtungen zu stellen.

Die Kompilierung der Einzeltexte über die Anatomie der Gefäße aus dem pBrugsch (heute offiziell pBerlin 3038) im pEbers ist besonders erwähnenswert. Hier divergieren die Angaben zur Anatomie der Gefäße hinsichtlich ihrer Anzahl (22 vs. 48) in beiden Papyri erheblich. Für die Gefäßchirurgie am interessantesten erscheinen einzelne Stellen, die sich in der Lehre der Geschwülste am Ende des pEbers finden (Einzeltexte 857–877). Aus ihnen lassen sich unschwer bekannte gefäßchirurgische Erkrankungen ableiten. Hier wurden erstmals vor mehreren tausenden von Jahren die Varikose und das Aneurysma beschrieben. Weitere Ausführungen dazu erfolgen im Kapitel Pathologie und Therapie (Teil V).

Der Papyrus Ebers

Die herausragende Bedeutung des pEbers ist vor allem auf seinen unvergleichlichen Umfang und Inhalt zurückzuführen. In ihm finden sich Passagen aus anderen älteren Papyri, wie z. B. die im gut 300 Jahre älteren pRamesseum V niedergeschriebenen 20 Rezepte gegen Erkrankungen der Gefäße. Dieses untermauert die Hypothese der Textkompilation von wesentlich älteren Vorlagen.

Papyri werden in aller Regel nach ihren Entdeckern, Erwerbern oder Erstübersetzern bzw. nach ihrem Aufbewahrungs- oder Fundort benannt. Der Papyrus Ebers ist untrennbar mit dem Manne verbunden, der ihn erworben und nach Leipzig gebracht hat, um ihn dort der Universitätsbibliothek einzuverleiben. Dort befindet er sich bis heute in der Papyrus- und Ostrakasammlung der Bibliotheca Albertina (Abb. 1).

Dieser Papyrus erhielt viele Attribute: „das älteste Denkmal aller wissenschaftlichen Aufzeichnungen“ [5], „das älteste bekannte Buch“, „Kompendium der gesamten ägyptischen Medizin“ [11]. Diese Einschätzung über die gesamte ägyptische Medizin ist bei dem heutigen Stand der übersetzten Papyri selbstverständlich hinfällig geworden. Gültig allerdings ist nach wie vor: „Papyrus Ebers gehört zu den größten und edelsten bis auf uns gekommenen Werken der Hierogrammatenkunst“, so Georg Ebers selbst voller Begeisterung [11].

Dieses außerordentliche Dokument, stellt einen der bedeutendsten Artefakte unter den zahlreichen, z. T. der Öffentlichkeit kaum bekannten Kunst- und Kulturschätzen dar.

Erwerbung und Erhaltungszustand

Über die Herkunft des Papyrus berichtete Ebers, dass er 1859 in der Nekropole von Theben zwischen den Beinen einer Mumie gefunden worden sei. „…auch ist der Kopte, von dem ich den nach mir benannten Papyros kaufte, einer der achtbarsten und glaubwürdigsten Leute unter den mit Recht übel berufenen Bewohnern von Luqsor.“ Georg Ebers erwarb die Schriftrolle 1873 und konnte den koptischen Händler dabei von 500 auf 350 englische Pfund herunterhandeln [11].

Unser Papyros ist der größte, schönste und best erhaltene, den Deutschland bisher gesehen hat. Er war in einem hervorragenden Erhaltungszustand. Es befand sich kein Unthätchen an dem Ganzen“, so Ebers in einem Brief an seiner Frau [11].

Auch heute noch ist der Papyrus in einem ausgezeichneten Zustand. Die Wirren des Zweiten Weltkrieges (Auslagerung in eine Hundehütte einer Gartenanlage) haben ihn aber durch das spurlose Verschwinden einzelner Blätter (18 Kolumnen, verteilt auf drei Tafeln) seiner Vollständigkeit beraubt.

Aufgrund der fehlenden Gebrauchs- und Abnutzungsspuren nehmen Ägyptologen an, dass der Papyrus nicht einem praktizierenden Arzt diente, sondern lediglich in einer Bibliothek oder Archivarium der sog. „Häuser des Lebens“ aufbewahrt wurde, wo er als Vorlage für weitere Abschriften oder zur Ausbildung der Ärzte oder gar als Nachschlagewerk diente [11].

Technische Daten

Nach Ebers Angaben betrug die Länge zum Zeitpunkt des Erwerbs 20,23 m, die Höhe des Papyrus 30 cm. Ebers hatte hierbei die Kolumnen 103–110 auf dem Verso auf die Gesamtlänge aufgeschlagen. Die eigentliche Länge der Rolle betrug 18,63 m.

Der Papyrus ist in hieratischer Schrift von rechts nach links zu lesen. Er wurde mit schräg gekapptem Binsenstängel in schwarzer und roter Tinte geschrieben.

Seitens Inhalt und Funktion ist er ein hermetisches Buch von der Arzneilehre der alten Ägypter (Abb. 2). Der Papyrus stellt eine Abschrift verschiedener medizinischer Texte dar. In dieser Sammelhandschrift finden sich 879 medizinische Einzeltexte in 108 Kolumnen unterteilte. Im pEbers werden über 80 Krankheitsbilder beschrieben, die nach 46 Sachgruppen [14] geordnet sind. Der überwiegende Teil ist dem Gebrauch von Heilmitteln in diversen Rezepturen gewidmet [11].

Abb. 2
figure 2

Transliteration der ersten Zeile des pEbers aus dem Hieratischen über das Hieroglyphische in die Lautschrift. (Aus [11]; mit freundlicher Genehmigung Prof. R. Scholl, Papyrus- und Ostrakasammlung, Leipzig)

Datierung: Ebers selbst datiert ihn zunächst anhand von paläografischen Kriterien in das 17. Jahrhundert v. Chr. Mithilfe eines KalendariumsFootnote 1 auf dem Verso der 1. Seite des Papyrus konnte die Datierung um das Jahr 1550 v. Chr. präzisiert werden.

Georg Ebers

Georg Moritz Ebers wurde 1837 als letztes von fünf Kindern des Bankiers und Porzellanfabrikbesitzers Moritz Ebers und seiner aus Rotterdam stammenden Gattin Franziska Martha (geb. Levysohn) in Berlin geboren (Abb. 3). Sein Vater war kurz vor seiner Geburt gestorben. „So bin ich denn, was man einen Posthumus oder Nachgeborenen nennt.“ [2].

Abb. 3
figure 3

Portraitstich von Georg Ebers, Reproduktion des Frontispiz-Bildes aus seinem Roman „Eine ägyptische Königstochter“ von 1864

Seine Mutter gab ihn zur schulischen Ausbildung zunächst in die Fröbel’sche Knabenerziehungsanstalt nach Rudolstadt. Das Abitur legte er 1857 in Quedlinburg ab und schrieb sich im gleichen Jahr in Göttingen in die Matrikel für Jurisprudenz ein. 1858 erkrankte er an einem Rückenmarksleiden, welches mit schweren Ischialgien einherging und wohl zur Lähmung des linken Beines führte [8, 11]. Sein behandelnder Arzt war der berühmte Neuropathologe Moritz Heinrich Romberg (1795–1873). Während des Krankenlagers, auf dem ihn seine Mutter hingebungsvoll pflegte, entwickelte sich sein Interesse für die Ägyptologie. Unter Vermittlung von Jacob Grimm konnte sich Ebers aufgrund seiner gesicherten finanziellen Verhältnisse durch Richard Lepsius, dem Begründer der Ägyptologie in Deutschland, in diese Geisteswissenschaft einführen und unterrichten lassen. Das geschah durch die regelmäßigen „Donnerstagsbesuche“ von Lepsius. Einstweilen genesen, besuchte er ab dem Wintersemester 1860/1861 die ägyptologischen Vorlesungen und Seminare von Lepsius und Heinrich Brugsch in Berlin. 1862 promovierte er in Göttingen über Memnon und die Memnonsage [8].

Die Habilitation erfolgte 1865 in Jena. Dort erhielt er auch 1869 eine a. o. Professur für altägyptische Sprache und Altertumskunde. 1870 zog er nach Leipzig und war dort zunächst ebenfalls Extraordinarius. 1869/1870 und 1872/1873 unternahm er zwei Ägyptenreisen.

Von Letzterer brachte er den Papyrus mit. In einem Brief aus Luksor an seine Frau schrieb er im Februar 1873 u. a. folgendes: „Den Papyros gleich an Lepsius zu empfehlen, konnte mir nicht einfallen. Er würde sich dann die Publication vorbehalten und den mir gebührenden Ruhm in seine Tasche gesteckt haben“ [11]. Er war sich dieses einzigartigen historischen Fundes, auf den sich die wissenschaftliche Konkurrenz stürzen würde, voll bewusst.

1875 erschien dann die prachtvolle Faksimile-Ausgabe des Papyrus in 2 Bänden, die er zusammen mit seinem Freund und Mitarbeiter Ludwig Stern unter dem langen Titel: „Papyros Ebers. Das hermetische Buch über die Arzneimittel der alten Ägypter in hieratischer Schrift. Herausgegeben, mit Inhaltsangabe und Einleitung versehen von Georg Ebers. Mit hieroglyphisch-lateinischem Glossar von Ludwig Stern; Bd. 1–2; Bd. 1. Einleitung und Text, Tafel I-LXIX; Bd. 2.Glossar und Text, Tafel LXX-CX, Leipzig, 1875.“ publizierte. Im gleichen Jahr wurde Ebers zum ordentlichen Professor ernannt. Bereits Anfang der 1860er Jahre widmete er sich der schriftstellerischen Tätigkeit als Romancier. Sein Erstlingswerk „Eine ägyptische Königstochter“ von 1864 löste eine wahre Begeisterungswelle aus. Seine Romane, öffentlichen Vorlesungen, kulturgeschichtlichen und populärwissenschaftlichen Artikel sorgten für ein breites Interesse an der Ägyptologie und brachten ihm sowohl Ruhm als auch ein beträchtliches Vermögen ein. Die große Popularität des Themas Ägypten war letztendlich auch seinem Werk „Aegypten in Bild und Wort“ von 1879 zuzuschreiben. Für die zahlreichen Illustrationen verpflichtete er laut Vorwort im 1. Band die besten Künstler seiner Zeit (Abb. 4a und b).

Abb. 4
figure 4

a Vorderer Buchdeckel des zweibändigen „Aegypten in Bild und Wort“ von G. Ebers. Stuttgart und Leipzig 1879. Beispiel einer äußerst aufwendigen Buchbindekunst im 19. Jahrhundert. Mit freundlicher Genehmigung der Universitätsbibliothek Heidelberg, b Portraitköpfe nach Bildnissen aus der Pharaonenzeit: Bildmitte Ramses III; von links oben nach rechts unten: Nefertari (Gemahlin von Ramses II), Tutmosis I, Arsinoe II (Tochter des Ptolemäus I), Ptolemäus XI, ein Äthiopier, Gemahlin von Amenophis III (also Teje), Kleopatra II, Seti I Sethos, Mutemua (Mutter von Amenophis III). Reproduktion aus „Aegypten in Bild und Wort“ von G. Ebers, Bd. 2, S. 57. Mit freundlicher Genehmigung der Universitätsbibliothek Heidelberg

Wegen der Rückkehr seines alten Leidens musste er sich 1889 vorzeitig emeritieren lassen. Die letzten Lebensjahre nach Emeritierung verbrachte er in seiner Villa in Tutzing am Starnberger See und verstarb daselbst 61-jährig im August 1898. In seinen letzten Lebensjahren entstanden noch zahlreiche historische Romane, die vorwiegend im Alten Ägypten spielten. 1895 wurde Ebers in die Königlich Bayerische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Er war zudem Mitglied der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig. Ebers war ein erfolgreicher und beliebter Hochschullehrer mit großem pädagogischem Gespür. [13, 8]

Pharmakopöe der alten Ägypter – Die Rezeptsammlungen

In der inhaltlichen Folge des pEbers stehen 67 Rezepte zur Behandlung der Gefäße unter den Einzeltexten Eb 627–694 noch weit vor den Lehrtexten, die als „Gefäßbuch“ zusammengefasst wurden. Die Gefäß-Rezepturen stellen ein in sich geschlossenes Kapitel dar und es beginnt mit dem Rubrum: Anfang von der Salbe (nwd.t) Footnote 2 für das Stärken der Gefäße (und) Heilmittel für das Bessern (des Zustandes) der Gefäße, gefolgt von der Rezeptur: Fett (mrh.t) des Katers 1; fauliges Holz (xt-awA) 1; aAgj.t-Harz des jqrw-Baumes 1; werde zu einer Masse gemacht, werde damit gesalbt.

Insgesamt geben alle medizinischen Papyri 132 Rezepturen für die Behandlung der Gefäße her, die aus den Papyri Ebers, Hearst, Ramesseum V und Berlin 3038 stammen. Diese große Zahl unterstreicht die Bedeutung der Gefäße für das Wohlergehen des gesamten Körpers.

In den Rezepturen vermischen sich offensichtlich Behandlungen gegen Erkrankungen der Gefäße, Muskeln, Sehnen und Gelenke miteinander.

Interessant erscheinen in Eb 642–643 Rezepte zur Vorbereitung einer Behandlung:

Eb 642 (80,15–17) Footnote 3 identisch mit pHearst H 112

Ein anderes (Heilmittel) für das Veranlassen, dass die Gefäße ein Heilmittel annehmen.

Milch einer (Frau), die einen Knaben geboren hat; werde nachts stehengelassen in einem neuen Hin-Gefäß Footnote 4 , bis das die Sauermilch (smj) daran entsteht; werde jede schmerzhafte Stelle damit gesalbt.

Aus allen Rezepten sticht das unter Eb 663 genannte Rezept mit 37 Ingredienzien heraus. Es ist das längste Rezept, das sämtliche medizinischen Papyri überliefert haben. Das Remedium beinhaltet vorwiegend pflanzliche Bestandteile.

Eb 663 (82,22–83,8)

Ein anderes (Heilmittel) für die Weichheit eines Gefäßes.

psD (Hülsen/Schoten) 1 4 ; Langbohnen 1; Samenkorn (amaa) (des Emmers, der Gerste) 1; Johannisbrotfrucht (Dar.t) 1; Sägemehl der Konifere (aS) 1; Sägemehl des mrj-Baumes (Libanon-Zeder?) 1; Sägemehl der Weide 1; Sägemehl des Christdorns 1; Sägemehl der Sykomore 1; Sägemehl des Wacholders 1; Blatt der Dornakazie 1; Blatt des Christdorns 1; Blatt des jm3-Laubbaums 1; Blatt der Sykomore 1; Leinsamen 1; Früchte des jm3-Laubbaums 1; weißes Öl 1; Fett (mrh.t) der Gans 1; Kot des Schweines 1; pr.t-Snj -Frucht 1; Myrrhe (atjw) 1; Zwiebeln/Knoblauch (hDw) 1; šnj-t3-Frucht 1; Zahn/Stachel der gj.t-Pflanze 1; Melone 1; bddw-kA-Pflanze 1; tjw-Pflanze 1; bsbs-Pflanze 1; unterägyptische jbw-Pflanze 1; Kerne/Samen des Flachses 1; unterägyptisches Salz 1; Salz des Berglandes 1; jnb-Pflanze 1; roter Ocker (mnS.t) 1; Ocker 1; Natron 1; Fett des Rindes 1; šAšA-Planze/Frucht 1; werde zu einer Masse gemacht; werde damit verbunden (Abb. 5 und 6).

Abb. 5
figure 5

Unterer Abschnitt aus Kolumne 82 des pEbers mit dem längsten Rezept (Eb 663), beginnend in der letzten Zeile (22). In Zeilenmitte von rechts nach links zu lesen: Überschrift des Rezeptes mit dem Rubrum „Ein anderes Heilmittel für die Weichheit der Gefäße“ leitet den Text ein. Faksimile von G. Ebers, Original im 2. Weltkrieg verschollen (Tafel XXIV). Mit freundlicher Genehmigung der Universitätsbibliothek Leipzig, Papyrus- und Ostrakasammlung

Abb. 6
figure 6

Oberer Abschnitt der Kolumne 83 des pEbers mit der Fortsetzung der Rezeptur Eb 663, die bis zum Rubrum in Mitte der Zeile 8 reicht. Die in Rot gehaltenen senkrechten Striche stellen die Dosierung dar, hier 1, im Sinne von „zu gleichen Teilen“. Original pEbers Kolumne 83 auf Tafel XXV. Mit freundlicher Genehmigung der Universitätsbibliothek Leipzig, Papyrus- und Ostrakasammlung

Die meisten Rezepte waren eher kurz und bündig, aber dennoch nicht so kurz, wie das Folgende. Bei diesem Beispiel waren die Ingredienzien im Gegensatz zu vielen anderen Rezepturen eindeutig identifizierbar.

Eb 674 (83,22–84,1)

Ein anderes (Heilmittel) für die Weichheit eines Gefäßes.

Bodensatz von Wein/süßem Bier 1; Dattelsirup (bnjw) 1; unterägyptisches Salz 1; werde gekocht; werde damit verbunden.

Aufschlüsse über die Wirkungsweise der Rezepturen ergeben sich aus den Texten in den seltensten Fällen. Aus diesem Grunde soll das Rezept Eb 663 als repräsentatives Beispiel ausreichen. Für viele der genannten Pflanzen oder pflanzlichen Bestandteile fand sich kein übersetzbares Äquivalent bzw. war keine botanische Zuordnung zu rezenten Pflanzen möglich. Deshalb sind diese auch nur in der Umschrift wiedergegeben. Zur Drogenkunde sei hier auf weiterführende Literatur verwiesen: [4].

Das Geheimwissen der ägyptischen Ärzte

Neben der Rezeptsammlung finden sich gegen Ende des pEbers die wesentlichen gefäßmedizinischen Fundstellen. Die Herz- und Gefäßbücher (Eb 854–856) stellen ein Kompendium dar, die sozusagen in einem geheimen Buch verwahrt wurden. Mit der Zeile „Anfang von dem Geheimwissen des Arztes“ beginnen die Niederschriften. In der Lehre von den Gefäßen – das sog. Gefäßbuch – finden sich dann die Lehrtexte über Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie. Die letzten Kolumnen des pEbers beinhalten die Geschwulstlehre, in der auch Aussagen über Gefäßgeschwülste enthalten sind. Diese Bereiche werden in den folgenden Teilen beleuchtet. Zunächst sei auf die besondere Rolle des Herzens und der Gefäße selbst eingegangen.

Das Herz

Die Mehrfachbedeutung des Herzens in den medizinischen Texten

Nach dem Verständnis der Ägypter galt das Herz als das zentrale Organ des Körpers. Es hatte eine außergewöhnliche Bedeutung, da es eine Doppel- ja Dreifachfunktion hatte. Es war sowohl das Zentralorgan für die Gefäße, als auch das Eintrittsorgan des Verdauungstraktes. Das Herz bildete so mit dem Magen eine anatomische und physiologische Einheit (Magen als Mund des Herzens). Des Weiteren wurde das Herz als Sitz der Seele, des Wesens, des Verstandes und der Intelligenz angesehen, eine Vorstellung, die sich noch heute in sprachlichen Gleichnissen zeigt. Damit war das Herz gemeinsamer Mittelpunkt mehrerer Organsysteme und stellte sowohl ein somatisches als auch ein psychisches Zentrum dar. Weitere Ausführungen über die Mehrfachbedeutung des Herzens werden zur Physiologie im Teil IV erfolgen.

Das Herz unter philologischem Aspekt

Das Besondere am Herz war, dass die Ägypter 2 verschiedene Bezeichnungen für dieses Organ hatten. Das Herz wird im Ägyptischen als jb oder hAtj wiedergegeben. jb tendierte dabei als Aufnahme- und Verteilungsorgan für die Speisen und für emotionale und geistige Funktionen. hAtj wurde als Zentrum des Gefäßsystems im Sinne des anatomisch-physiologischen Begriffes verstanden. Im Grunde kann jedoch davon ausgegangen werden, dass jb als ursprünglicher Begriff für das Herz angesehen werden konnte. hAtj hingegen bedeutet in etwa „das an der Spitze befindliche“ und hat so gesehen sprachlich nichts mit dem Herzen zu tun. Ob die Begriffe im Rahmen der sprachlichen Veränderungen über die Jahrtausende zeitlich zufällig parallel Verwendung fanden oder ob sie berechtigt nebeneinander existierten und so einerseits das Zentralorgan des Gefäßsystems bezeichneten und andererseits den Sitz der Seele und der Intelligenz meinten, bleibt noch ungeklärt. Es wird aber bislang so ausgelegt [12, 14].

Das Herz in den Totenbüchern

Der Rolle des Herzens als Sitz der Seele, des Wesens und des Verstandes wird in den wunderbar illustrierten Totenbüchern des Neuen Reiches stets in einer zentralen Szene Rechnung getragen – dem Totengericht. Hier wird das Herz des Toten gegen die Feder der MaatFootnote 5 unter Anwesenheit von Anubis5, Thot5 und Ammit5, dem alles verschlingenden Ungeheuer aufgewogen. Nur wer reinen Herzens war, durfte die Reise durch die Unterwelt antreten. Somit war das Herz auch Sitz des Gewissens, in dem alle Misse- und Wohltaten verborgen und vor dem Totengericht für die Richter erkennbar waren (Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

Szene der Herzwägung aus dem Totenbuch des Schreibers Hunefer. Ca. 1300 v. Chr., Neues Reich. Hunefer in einem langen, weißen und plissierten Gewand in typischer Darstellung des Verstorbenen. (Aufbewahrungsort British Museum, London)

Der Verstorbene hatte auf der Reise durch die Unterwelt allerhand Gefahren zu überstehen. Die Totenbücher waren eine Art schutzverheißende „Reiseführer“, die mit Zaubersprüchen und Anleitungen diese Gefahren zu bändigen versuchten. Der Tote, in Abb. 7 ist es beispielhaft der Schreiber Hunefer, wird durch den schakalköpfigen Anubis zum Gericht geführt, um die Herzwägung vorzunehmen. Anubis überwacht die Wägung, während der ibisköpfige Thot das Ergebnis notiert. Sollte das Herz durch Sünden beschwert sein, würde es die bereitstehende Ammit verschlingen. Der Tote könnte dann die Unterwelt nicht betreten und wäre für immer verloren. Ammit, die „Große Fresserin“, tritt stets als Chimäre auf: krokodilsköpfig mit Mähne und Vorderleib eines Löwen sowie Hinterleib eines Flusspferdes (wobei die Komponenten sich gelegentlich in den einzelnen Darstellungen unterscheiden). Nach bestandener Prüfung führt der falkenköpfige Horus Hunefer vor Osiris. Jener thront unter einem mit Uräusschlangen bekrönten Baldachin. Vor ihm stehen die vier Horussöhne auf einer Lotusblüte. Über ihnen schweben die schützenden Schwingen der Maat. Hinter Osiris stehen Isis und ihre Schwester Nephthys als Beschützerinnen des Thrones.

Die Gefäße – metu (mt.w)

Eine ganz singuläre Stellung in der Geschichte der Medizin nimmt die ägyptische Lehre von der metu ein“ [7].

Das Wort metu (in der Umschrift mt.w) gilt als gesichert für Gefäße. Es ist dennoch ein problematischer Begriff, da er gelegentlich mit „Kanäle“ übersetzt wird.

Man dachte sich die metu als Röhren, Gänge, Kanäle, die vom Herzen ausgehend die Lebenssäfte und Absonderungen in alle Glieder und innere Körperteile führten und so das Leben vermittelten. Primär lässt es uns an die Adern denken. Papyrus Ebers untermauert dieses an mehreren Stellen, wie z. B. Eb 387 (61,3–4). Dort ist von Blutadern des Auges die Rede, die wahrscheinlich infolge einer Entzündung sichtbar werden [6].

Verschiedene Autoren unterstellen den Ägyptern, als anatomisch-physiologisches Grundkonzept den Nil als Modell eines Stromsystems auf den Menschen übertragen zu haben. Ganz abwegig ist dieses jedoch nicht, da die Texte pathophysiologische Zustände von Überflutung oder Austrocknung, von einem Zuviel oder Zuwenig an diversen Substanzen (das Herz, der Magen, die Leber sind überflutet, sind gestaut etc.) beschreiben.

Im pBerlin 3038 (Bln 163b) sind die Gefäße mit dem Wort sSm.t „Leitung“ vertreten. Hier ist nicht ihre Form, sondern deren Funktion angesprochen worden [12, 14]. Als Hohlgefäße dienen diese Leitungen dem Transport lebensnotwendiger Stoffe zu jedem Teil des Körpers, aber ebenso zur Weiterleitung von Schmerz- und Krankheitsstoffen.

Problematisch ist der metu-Begriff auch durch die Subsumierung anderer Hohlgefäße wie Harn- und Samenleiter, sowie mit Einschränkung die Därme. Es zählten aber auch andere strangförmige Gebilde zur metu: Nerven, Sehnen, Muskeln.

Als Versorger leiteten also die metu Wasser und Luft zu allen Stellen des Körpers. Als Entsorger wurden alle Körperausscheidungen wie Kot, Harn, Schleim, Samen von den Gefäßen abgeleitet. Nur eines taten die metu nach der allgemeinen Kenntnislage paradoxerweise nicht: Blut transportieren. Auf die Rolle des Blutes wird im Abschnitt Physiologie (Teil IV) noch eingegangen werden.

Vorschau

Im Teil III wird das Buch vom Geheimwissen des Arztes über das Herz und die Gefäße geöffnet. Nach der erstaunlichen Beschreibung des Pulses, die hier erstmalig in der Medizingeschichte auftaucht, wird die Anatomie der metu abgehandelt. Ein Exkurs in die hieroglyphische Darstellung von Herz und Gefäßen rundet dieses Kapitel ab.